Verfügung des BGH-Vorsitzenden Prof. Dr. Thomas Fischer: Keine Revisionshauptverhandlung ohne Verteidiger

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 17.10.2014

In Revisionshauptverhandlungen vor den Strafsenaten des BGH kommt es vor, dass der Angeklagte – der persönlich nicht stets an der Verhandlung teilnimmt – nicht durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten ist. Die Anwesenheit des gewählten Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung ist nach § 350 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO grundsätzlich auch nicht erforderlich. Ein Pflichtverteidiger ist lediglich bei Vorliegen eines „schwerwiegenden Falls“ (BVerfGE 46, 202) oder bei besonders schwieriger Rechtslage (vgl. BGHSt 19, 258) zu bestellen.

Nach Auffassung des als konfliktfreudig geltenden Vorsitzenden des 2. Senats Fischer genügt die Praxis, Revisionshauptverhandlungen ohne Anwesenheit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers durchzuführen, nicht Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK. Diese Bestimmung garantiert u.a. jedem Angeklagten das Recht, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihm die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Er hat deshalb mit Vorsitzendenverfügung vom 25. September 2014 (die Verfügung in die amtliche Sammlung BGHSt vorgesehen)  in einem Fall angeordnet, in denen der Wahlverteidiger mitteilte, dass er zur Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erscheinen werde, dass dieser zum Pflichtverteidiger zu bestellen ist, um den Angeklagten nicht ohne jegliche Vertretung und faktisch ohne rechtliches Gehör zu lassen.

Auch wenn eine solche Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger im Einzelfall den Nachteil haben mag, gegebenenfalls als Pflichtverteidiger weniger zu verdienen, wird mit negativen Reaktionen aus der Strafverteidigerpraxis wohl nicht zu rechnen sein.

Für die anderen Senatsvorsitzenden sind Verfügungen eines Vorsitzenden rechtlich nicht bindend. Auch eine Entscheidung des Großen Senats kann die von Fischer getroffene prozessleitende Maßnahme nicht auslösen.

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2 Kommentare

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Zum letzten Absatz: Man darf nicht übersehen, daß - wie aus der Verfügung hervorgeht - durch Senatsbeschluß vom 20.08.2014 die Hauptverhandlung ausgesetzt wurde, weil der Angeklagte nicht verteidigt war. Die Rechtsauffassung, daß die Revisionshauptverhandlung die Anwesenheit des Verteidigers erfordere, ist also keine persönliche Meinung Fischers, sondern des Senats. Die Verfügung des Vorsitzenden zieht daraus nur die verfahrensleitenden Schlüsse (der Regelungsgehalt der Verfügung beschränkt sich auf die Terminierung und die Pflichtverteidigerbeiordnung).

Ich denke schon, daß man dem Senatsbeschluß vom 20.08.2014 im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG "Bindungswirkung" für die anderen Senate beimessen kann. Natürlich kann man fragen, ob nicht der Senat seinerseits das Anfrage- und Vorlageverfahren hätte einleiten müssen, wenn er erklärtermaßen von der bisherigen Praxis des BGH abweicht. Es scheint aber bislang keine formelle Entscheidung in dieser Frage gegeben zu haben. Man hat es einfach so gehandhabt und niemand hat einen Senatsbeschluß beantragt (§§ 228, 238 Abs. 2 StPO).

Ob man auch eine "Bindungswirkung" der Oberlandesgerichte nach § 121 Abs. 2 GVG annehmen kann, hängt davon ab, für wie tragend man den Hinweis hält, daß die Revision zum BGH das einzige Rechtsmittel ist (dazu Burhoff, http://blog.strafrecht.jurion.de/2014/10/neues-vom-rebellensenat-eine-vo...).

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# OG

Besten Dank für den Link (mit großem Interesse gelesen) und dass Sie die Diskussion in die richtigen Bahnen lenken! 

Nicht umsonst wird die "Vorsitzendenverfügung"  Aufnahme in BGHSt finden. Vielleicht hätten sich die Vorsitzenden der Strafsenate mal zusammensetzen sollen, um zu sehen, ob nicht Konsens in der Frage hergestellt werden kann. Der 4. und 5. Senat halten ja schon seit jeher die Anwesenheit eines Verteidigers für erforderlich. Der 3. Senat sieht das allerdings (noch?) anders. Welche Position der 1. Senat vertritt, ist mir nicht bekannt.

Bemerkenswert ist, dass ein solches Abstimmen zwischen den Senaten derzeit nur auf solch "offiziellem" Weg läuft. - Die Stellungnahmen zum Anfragebeschluss werden deshalb auch sehr unterschiedlich ausfallen. Da ist eine Entscheidung des Großen Senats schon vorprogrammiert.

 

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