Erste Entscheidung zum reformierten ArbGG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.10.2014

Im Zuge des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (vom 11.8.2014, BGBl. I S. 1348) wurde nicht nur das Mindestlohngesetz eingeführt, sondern auch das ArbGG novelliert. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages (§ 5 TVG) oder eine Rechtsverordnung nach §§ 7, 7a AEntG oder § 3a AÜG wirksam ist, so hat das Gericht das Verfahren auszusetzen (§ 98 Abs. 6 ArbGG). Die Entscheidung über die Wirksamkeit kann nur in einem gesonderten arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 ArbGG) getroffen werden. Dieses Beschlussverfahren kann auch von den Parteien des ausgesetzten Rechtsstreits eingeleitet werden.

Die Parteien hatten vor dem LAG Berlin-Brandenburg über die Verpflichtung der Beklagten gestritten, Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes abzuführen. Der die Beitragspflicht begründende Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) ist allgemeinverbindlich. Das LAG hat die Beklagten zur Zahlung verurteilt und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der zugleich die Aussetzung des Verfahrens nach § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. beantragt wird.

Das BAG hat die Beschwerde zurückgewiesen:

Für die vergleichbare Norm des § 97 Abs. 5 ArbGG (Aussetzung bei Streit um Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit) sei anerkannt, dass diese nur erfolgen dürfe, wenn die Entscheidung ausschließlich von der nach § 97 ArbGG maßgeblichen Frage der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit abhänge; andernfalls fehle es an ihrer Entscheidungserheblichkeit (BAG, Beschl. vom 24.7.2012 - 1 AZB 47/11, NZA 2012, 1061). Gleiches müsse für eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG gelten. Eine Aussetzung dürfe auch in diesem Fall nur erfolgen, wenn die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits ausschließlich von der Frage der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG oder einer der in § 2a Abs. 1 Nr. 5 ArbGG genannten Rechtsverordnungen abhänge. Eine Aussetzung nach § 98 Abs. 6 ArbGG komme danach im Verfahren über die Zulassung der Revision (§ 72a ArbGG) nicht in Betracht:

Gegenstand der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ist ausschließlich die Frage, ob ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision i.S. des § 72a Abs. 3 Satz 2, § 72 Abs. 2 ArbGG vorliegt. Die Entscheidung hierüber hängt nicht - auch nicht als Vorfrage - von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG oder einer Rechtsverordnung nach § 7 AEntG oder § 7a AEntG oder nach § 3a AÜG ab. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob die Beschwerde einen der gesetzlichen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt hat (§ 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG) und ein solcher Grund tatsächlich vorliegt.

BAG, Beschl. vom 20.8.2014 - 10 AZN 573/14, BeckRS 2014, 72610

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2 Kommentare

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Zum Verständnis:

Wenn im landgerichtlichen Verfahren bereits die Aussetzung beantragt worden wäre, hätte dies Erfolg haben müssen (bzw. die Verweigerung der Aussetzung hätte dann auch einen Revisionsgrund geschaffen) ?

@ I.S.

Bei Abschluss des Verfahrens vor dem Landesarbeitsgericht (nicht: Landgericht) war die Novelle mit dem neuen § 98 Abs. 6 ArbGG noch nicht in Kraft. Das angefochtene Urteil des LAG Berlin-Brandenburg datiert vom 7.5.2014, das Tarifautonomie-Stärkungsgesetz erst vom 11.8.2014, es ist am 16.8.2014 in Kraft getreten. Eine Möglichkeit, (mit Aussicht auf Erfolg) die Aussetzung schon vor dem LAG zu beantragen, bestand daher im konkreten Fall nicht.

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