Drei BAG-Urteile zum Antidiskriminierungsrecht an einem Tag

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.09.2014

Der 18. September 2014 hat eine Entscheidungstrias zum Antidiskriminierungsrecht hervorgebracht, die in drei Pressemitteilungen ihren Niederschlag gefunden hat. Im ersten Fall (Az. 6 AZR 636/13) war der 6. Senat zur Entscheidung berufen. Zu überprüfen war, ob die verlängerten Kündigungsfristen bei längerer Betriebszugehörigkeit (§ 622 Abs. 2 S. 1 BGB) vor dem Verbot der Altersdiskriminierung bestehen. Immerhin ist ja schon § 622 Abs. 2 S. 2 BGB seit der Kücükdeveci-Entscheidung des EuGH (19.1.2010, NZA 2010, 85) nicht mehr anwendbar. Allerdings sollte die Rechtfertigung der verlängerten Kündigungsfristen eher möglich erscheinen. In diesem Sinne hat jetzt das BAG entschieden und damit für Rechtssicherheit gesorgt. Zwar führe die Differenzierung der Kündigungsfrist nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu einer mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolge jedoch das rechtmäßige Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren. Zur Erreichung dieses Ziels sei die Verlängerung auch in ihrer konkreten Staffelung angemessen und erforderlich iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i) RL 2000/78/EG. Darum liegt keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor. Das war zu erwarten. Bemerkenswert ist nur, dass das BAG von einer Vorlage an den EuGH absieht, offenbar weil es die Rechtslage für klar und eindeutig erachtet.

In den beiden anderen vom 8. Senat (8 AZR 759/13) entschiedenen Streitverfahren ginge es um Fallkonstellationen der Einstellungsdiskriminierung. Recht häufig werden Entschädigungsklagen von schwerbehinderten Bewerbern erhoben, die sich übergangen fühlen. Dabei geht meist um die besonderen Pflichten des Arbeitgebers gegenüber behinderten Bewerbern im Bewerbungsverfahren. Öffentliche Arbeitgeber sind hier sogar grundsätzlich verpflichtet, behinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung erlangt. In diesem Zusammenhang bestätigt der Senat seine bisherige Rechtsprechung und schreibt in der Pressemitteilung: „Auf die Schwerbehinderteneigenschaft ist gegebenenfalls im Bewerbungsanschreiben oder unter deutlicher Hervorhebung im Lebenslauf hinzuweisen. Unauffällige Informationen oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises sind keine ausreichende Information des angestrebten Arbeitgebers“. Neu ist nun folgende einleuchtende Präzisierung: „Die Mitteilung hat bei jeder einzelnen Bewerbung erneut zu erfolgen. Entscheidend ist die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des SGB IX im Zeitpunkt der Bewerbung, nicht zu einem früheren Zeitpunkt. Auch ist das Datenschutzrecht zu berücksichtigen. Es liegt in der Entscheidung des schwerbehinderten Menschen, ob er die Schwerbehinderung bei der Bewerbung nach SGB IX berücksichtigt haben will oder nicht.“

Die letzte Entscheidung (8 AZR 753/13) widmet sich wiederum der Geschlechtsdiskriminierung bei der Einstellung und führt die sog. GEMA-Entscheidung (22.7.2010, NZA 2011, 93) weiter fort, erinnert aber auch den sog. Ossi (-)-Fall des ArbG Stuttgart (becklink 1006149). Folgendes hatte sich zugetragen: Die Klägerin bewarb sich bei einem lokalen Radiosender auf eine Vollzeitstelle als Buchhaltungskraft. Im beigefügten Lebenslauf wies sie auf ihre Ausbildungen als Verwaltungsfachfrau und zur Bürokauffrau hin. Außerdem gab sie dort an „Familienstand: verheiratet, ein Kind“. Bald darauf erhielt sie eine Absage. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf war der Angabe zum Familienstand hinzugefügt „7 Jahre alt!“. Dies und die von der Klägerin stammende Angabe „ein Kind“ waren unterstrichen. Das LAG Hamm hatte den beklagten Radiosender wegen mittelbarer Benachteiligung zu einer Entschädigung iHv. 3.000,00 € verurteilt worden und hierfür auch eine Statistik (Mikrozensus) herangezogen. Dies missbilligt das BAG und bestätigt damit seine eher reservierte Einstellung gegenüber Statistiken zum Nachweis von Diskriminierungen. Das BAG verlangt: „Die herangezogene Statistik muss aussagekräftig, dh. für die umstrittene Fallkonstellation gültig sein.“ Die vom Berufungsgericht herangezogene Statistik (Mikrozensus) für den Anteil von Ehefrauen mit Kind an der Gesamtzahl der Vollbeschäftigten lasse hingegen keine Aussagen für den Fall der Klägerin zu. Allerdings gibt das BAG dem LAG auf, zu prüfen, ob in dem Verhalten der Beklagten nicht eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin als Frau zu sehen ist, was eine Auslegung des Vermerks auf dem zurückgesandten Lebenslauf erfordere.

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5 Kommentare

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Ein Schuft, der Böses dabei denkt

Eine Polemik

 

Zu der "mittleren" der drei BAG-Entscheidungen (8 AZR 759/13 - Schwerbehinderung) folgende Anmerkung:

 

Schon in einem Fall, auf den das AGG noch nicht anwendbar war, hatte der 9. Senat in der in die amtliche Sammlung gelangten Entscheidung vom 16. September 2008 (Az.: 9 AZR 791/07), in: BAGE 127, 367 = NZA 2009, 79) mit Recht darauf hingewiesen, dass es der der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG zuwiderliefe, wenn man verlangen wollte, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers positiv kennt. Hat der Betrefende seine Schwerbehinderung ordnungsgemäß mitgeteilt, reicht es für die Rechte des Schwerbehinderten aus, wenn der Arbeitgeber die Behinderung kennen musste. 

 

Der 8. Senat, von dem nunmehr auch die von Prof. Dr. Stoffels vorgestellte Entscheidung vom 18. September 2014 stammt, hatte am 26. September 2013 in der Sache 8 AZR 650/12, in: NZA 2014, 258, nunmehr unter AGG-Gesichtspunkten die Frage diskutiert, unter welchen Umständen der Arbeitgeber, der behauptet, die Eigenschaft des Bewerbers als schwerbehindert nicht zu kennen, diese hätte kennen müssen; umgekehrt formuliert, wann die behauptete Unkenntnis von der Schwerbehinderung dem Arbeitgeber nichts nützt.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Frage des Kennens und noch mehr diejenige des Kennenmüssens nach materiellen, also inhaltlichen Kriterien beantwortet werden muss, wie es ja auch sonst in der Rechtsordnung geschieht (z. B. bei der fehlenden Gutgläubigkeit i. S. d. § 932 Abs. 2 BGB). Alles andere würde im Bereich des AGG dem europarechtlich vorgegebeen Zweck, Diskriminierungen zu bekämpfen, zuwiderlaufen. Daher verbietet sich eine formale, schematische Handhabung. Just in diese Richtung bewegte sich aber leider schon das soeben erwähnte Urteil vom 26. September 2013. Die jetzt entschiedene Sache 8 AZR 759/13 vom 18. September 2014, wonach nicht einmal die frühere Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung ausreicht, ist m. E. erst recht nicht vertretebar. Wenn das BAG sagt, es komme "auf die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des SGB IX im Zeitpunkt der Bewerbung, nicht zu einem früheren Zeitpunkt" an, wird im Ergebnis, das Merkmal vom Kennenmüssen wegdefiniert: Denn, oh ja, es könnte ja sein, dass die Schwerbehinderung infolge Heilung weggefallen ist oder sich der Interessent bei seiner neuerlichen Bewerbung gar nicht mehr auf seine Schwerbehinderung berufen möchte (Deswegen hat er ja auch bis zum BAG prozessiert, haha!). Für den Arbeitgeber, der AGG-rechtlich in Anspruch genommen wird, kommt das einer Lizenz zum Sich-dumm-Stellen gleich. Der Schwerbehinderte muss ihm praktisch positive Kenntnis nachweisen, weil nur noch die ausreicht.

 

Transponieren wir einmal diese Gedankengänge auf das Sachenrecht, um den hässlichen Eindruck abzuwehren, es könnte vielleicht der Schutz des Eigentümers besser sein als der des schwerbehinderten Menschen:

Der Nichtberechtigte N unternimmt im April den Versuch, das ihm nicht gehörende Fahrzeug des E an D zu veräußern. Bei diesem Versuch legt er die Zulassungbescheinigung Teil II ("Fahrzeugbrief") vor, die den E als Eigentümer des Wagens ausweist. Folge: D ist bösgläubig und kann nach § 932 ABs. 2 BGB kein Eigentum am Fahrzeug erwerben. Im Mai unternimmt N abermals den Versuch, das Fahrzeug des E an D zu veräußern. Dieses Mal legt er keinen Kfz-Brief vor. Kann D nun gutgläubig erwerben? Nicht, wenn ihm nach § 932 Abs. 2 BGB "bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört". D sagt: "Das musste ich natürlich dieses Mal nicht wissen, dass in Wahrheit E Eigentümer des Fahrzeugs ist. Zwar war er es noch im April. Aber wer weiß? Die Zeiten ändern sich ja. Schließlich könnte es doch sein, dass D zwischen April und Mai durch Einigung mit E und Übergabe doch Eigentümer des Wagens wurde. Und wenn nicht: vielleicht hat ja E dem D gem. § 185 BGB die Veräußerung gestatet, dann war D ja Berechtigter."

 

 

Ich stimme zu, dass ein "wissen müssen" eigentlich eine Frage ist, die im Einzelfall entschieden werden müsste. Aber dass der BGH hier eine schematische Lösung nutzt, halte ich für eine sehr praxisorientierte Lösung.

Wird verlangt, dass der Arbeitgeber einmal erhaltene Kenntnis über irgendwas, was den Bewerber betrifft, sich auch in folgenden Bewerbungsverfahren entgegenhalten muss, so muss man ihm auch erlauben, diese Daten zu speichern. Dann würden Schwerbehinderte aus diesem Grund datenschutzrechtlich benachteiligt.
 

Außerdem ist, vor allem bei größeren Arbeitgebern, nicht immer leicht, festzustellen, wer in welchem Verfahrenszeitpunkt die entsprechenden Unterlagen gesichtet und entsprechend Kenntnis erlangt hat. Nicht jede Kenntnis eines Mitarbeiters ist dem Arbeitgeber zuzurechnen. Nicht zu vergessen, dass die individuelle Betrachtung ja auch dazu führen kann, dass private Kenntnisse (eines Mitarbeiters) des Arbeitgebers dann eventuell berücksichtigt werden müssten. Da ist "Es gilt nur, was in der konkreten Bewerbung steht." eine deutliche Verbesserung der Rechtssicherheit für beide Seiten.

 

Es ist auch kein Nachteil, für den Arbeitnehmer, wenn für jede seiner Bewerbung die gleichen Voraussetzungen gelten, wenn er sich auf die Schwerbehinderteneigenschaft berufen will. Für ihn ist es dann egal, ob er sich irgendwo erneut bewirbt oder bei einem Arbeitgeber, mit dem er nie zu tun hatte - er muss immer den deutlich sichtbaren Hinweis geben.

Schließlich sorgt das Urteil auch dafür, dass niemand die Möglichkeit hat, den an sich sinnvollen Schutz für Schwerbehinderte dadurch zu missbrauchen, dass er versucht, Arbeitgeber durch mehrere Bewerbungen, bei denen teilweise der Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft fehlt, zu einem Fehler zu bewegen, den er sich dann bezahlen läßt.

I.S. schrieb:
Außerdem ist, vor allem bei größeren Arbeitgebern, nicht immer leicht, festzustellen, wer in welchem Verfahrenszeitpunkt die entsprechenden Unterlagen gesichtet und entsprechend Kenntnis erlangt hat. Nicht jede Kenntnis eines Mitarbeiters ist dem Arbeitgeber zuzurechnen.
Ein Blick in das Gesetz erleichtert usw. ... § 278 BGB.

Wenn der Arbeitgeber einen organisatorischen Saustall hat, geht das auf seine Kappe und begründet keinen Haftungsausschluss.

 

§ 278 rechnet Verschulden zu, nicht Wissen.

Man nehme nur mal den nicht ganz unrealistischen Fall, wo derjenige, der die neue Bewerbung auf dem Tisch hat (und aussortiert), am vorherigen Einstellungsverfahren nicht beteiligt war. Da wird es dann kaum möglich sein, ein zurechenbares Verschulden herbeizubasteln. Denn wenn es nicht ausreicht, die Schwerbehinderteneigenschaft in der Bewerbung nur zu erwähnen, sondern auf diese ausdrücklich hingewiesen werden muss, wird erst recht kein Verschulden bestehen, wenn da gar nix in der Bewerbung drinsteht.

"Das hätte man ihm aber sagen müssen" - und dann ist man wieder bei der Frage, ob es sein kann, dass Daten von sSchwerbehinderten Bewerbern auch nach der Ablehnung noch eine unbestimmte Zeit lang gespeichert und mit jeder Neubewerbung abgeglichen werden müssen.

 

Leider ist der 8.Senat in seiner "Rechtsfindung" nicht sonderlich klar. Auch das Urteil hinsichtlich der Einstellungsdiskriminierung wegen der Schwerbehinderung geht sehr deutlich in diese Richtung.

 

Den Widerspruch der Argumentation hat der Kollege Bender hier sehr schön aufgearbeitet. Leider ist der Hinweis auf die europarechtlichen Vorgaben praktisch leider bedeutungslos, weil diese Vorgaben in Deutschland ohnehin niemand beachtet. Das muss man in der Praxis auch gar nicht, denn wenn man den EuGH immer außen vor lässt, dann muss man sich mit diesen Vorgaben auch nicht auseinandersetzen bzw. interpretiert sie dergesalt, wie man sie eben braucht.

 

Ist es nicht verwunderlich, dass AGG-rechtliche Fragen bisher nur ein einziges Mal vom BAG dem EuGH vorgelegt worden sind? und das obwohl AGG-Rechtsfragen geradezu danach schreien?

 

Es sieht so aus, als wolle man sich in Deutschland abseits des Europarechts eine eigenständige Rechtslandschaft schaffen und faktisch setzt man das durch, indem einfach der EuGH niemals angerufen wird.

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