LAG Hessen: Zeugnis im Wege der einstweiligen Verfügung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.08.2014
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtZeugniseinstweilige Verfügung3|7025 Aufrufe

Die Erteilung oder Berichtigung eines Zeugnisses (§ 109 GewO) kann ausnahmsweise auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO) verlangt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass entweder der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer überhaupt kein Zeugnis erteilt hat oder dass das erteilte Zeugnis als Grundlage für eine Bewerbung bereits beim ersten Hinsehen ausscheidet.

Auf dieser Grundlage hat das Hessische LAG dem Antrag eines Arbeitnehmers auf Zeugnisberichtigung entsprochen. Der Verfügungskläger war von 2011 bis 2013 bei der Beklagten am Flughafen Frankfurt mit verschiedenen Servicetätigkeiten betraut, insbesondere Flugzeugbewachung und -durchsuchung. Zum 30.6.2013 schied er auf eigenen Wunsch aus. Die Arbeitgeberin erteilte ihm ein Zeugnis, in dem es u.a. hieß:

Sein Verhalten gegenüber Kollegen war jederzeit korrekt. Vertrauliche Angelegenheiten behandelte Herr W stets mit der erforderlichen Diskretion.

Der Kläger ist mit der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung des Zeugnisses nicht einverstanden.

Zur Überzeugung des Gerichts ist das Zeugnis offenkundig lückenhaft. Es enthält nämlich lediglich eine Bewertung des Verhaltens gegenüber seinen Kollegen, nicht aber seinen Vorgesetzten und den Kunden. Daher war die einstweilige Verfügung zu erlassen.

Keinen Erfolg hatte der Kläger allerdings mit seinem Begehren, ihm eine "gute" Gesamtbeurteilung ("stets zu unserer vollen Zufriedenheit") zukommen zu lassen. Sowohl gegenüber Vorgesetzten als auch gegenüber Kunden hatte er sich, wie die Arbeitgeberin im Einzelnen dargelegt und glaubhaft gemacht hatte (§ 294 ZPO), gelegentlich fehlerhaft verhalten. Wohl auch deshalb hatte die Arbeitgeberin in dem beanstandeten Zeugnis (lediglich) das "jederzeit korrekte" Verhalten gegenüber den Kollegen dokumentiert.

Hessisches LAG, Urt. vom 17.2.2014 - 16 SaGa 61/14, BeckRS 2014, 68627

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3 Kommentare

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Dass das selten vorkommt, liegt m. E. daran, dass die Anwälte, die derlei für ihre Mandanten erwägen, davon nach häherer Prüfung absehen. Denn bei konservativer Subsumtion solcher Fälle unter die zivilprozessualen Vorschriften über den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss man feststellen, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen.

Warum war es beim Hessischen LAG anders? Weil dem Gericht als Verfügungsgrund [sic!!!] das Fehlen eines Zeugnisses oder dessen offensichtliche Ungeeignetheit für Bewerbungen ausreicht. Auf den ersten Blick würde man annehmen, solche Fragen gehörten in die kursorische Prüfung, ob ein Verfügungsanspruch besteht. Damit ist noch nicht beantwortet, ob ein Verfügungsgrund vorliegt. Den Begriff "Verfügungsgrund" kann man auf die Formel "Eilbedürftigkeit", "Dringlichkeit" o. ä. bringen (vgl. nur Vollkommer, in: Zöller, 30. Aufl. 2014, Rn. 10 zu § 936 ZPO). Ein nicht erteiltes Zeugnis oder eins, das auf den ersten Blick stark korrekturbedürtig ist, ist nicht per se ein Eilfall. Ich hätte daher erwartet, dass der Verfügungskläger des hier diskutierten Falls hätte glaubhaft machen müssen (§ 294 ZPO), dass er sich gerade konkret beworben hat und das Zeugnis nachreichen muss oder sich auf eine Stelle konkret bewerben will.  Die Lektüre der Entscheidungsgründe belehrt einen eines besseren. Vorliegend war das Arbeitsverhältnis außerdem schon wieder 1 Jahr her. Und da soll es für eine "Einstweilige" reichen vorzutragen, dass man sich eben immer und überall bewerben können muss?

 

Übrigens: Lässt man wie das LAG bloß abstrakt das Fehlen des Zeugnisses als solchen oder seine fehlende Eignung für Bewerbungen genügen nach dem Motto, Zeugnisse seien immer eilbedürftig, dann wäre das der klassiche Fall einer Vorwegnahme der Hauptsache. 

 

 

Die Entscheidung hat noch eine zweite Merkwürdigkeit:

Sie bestätigt zwar den Anspruch des Verfügungsklägers, eine Beurteilung seines Verhaltens gegenüber Kunden und Vorgesetzten zu erhalten. Zugleich aber erkennt das Gericht, dass diese Verhaltensbeurteilung nicht "gut", sondern allenfalls "befriedigend" ausfallen kann, weil die Verfügungsbeklagte verschiedene Mängel glaubhaft gemacht hatte. Jetzt bekommt der Arbeitnehmer also ein neues Zeugnis, das zwar aussagekräftiger ist als das bisherige, das aber die Mängel offen benennt und nicht - wie bisher - verschweigt.

 

Vielen Dank, dass Sie diese Entscheidung gepostet haben bzw. zur Diskussion gestellt haben:

 

Nicht selten hat der Arbeitgeber ein erhebliches Nötigungs-Potential, wenn er ein Arbeitszeugnis nicht erstellt. Dies wird in der Praxis in vielen Fällen "gewinnbringend" genutzt, um sich schnell und kostengünstig von dem Arbeitnehmer zu trennen.

 

Aus der Praxis kenne ich Fälle, in denen ein gekündigter Arbeitnehmer seit drei Jahren erstinstanzlich wegen eines abgeänderten Zeugnisses klagt. Dem Arbeitnehmer wurde ein Zeugnis mit der Gesambewertung "ungenügend" ausgestellt, nachdem er Initiativen zur Gründung eines BR in die Wege geleitet hatte. Die Ursächlichkeit dieser "Initiativen" für das miserable Zeugnis ließen sich sehr schnell dadurch ableiten, weil der Arbeitnehmer lediglich vier Monate vor der Kündigung ein Zwischenzeugnis mit der Gesamtbewertung "sehr gut" erhielt.

 

Dass sich innerhalb von vier Monaten die Arbeitsleistungen von "sehr gut" zu "ungenügend" wandeln, dürfte sehr unwahrscheinlich sein.

 

Das Problem ist Folgendes:

 

Wenn ich als Arbeitnehmer ein Arbeitszeugnis auf dem Gerichtswege erstreiten möchte, muss ich den Weg über den Gütetermin, den Kammertermin gehen, um einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Nicht selten haben Richter auf Zeugnisstreitigkeiten keine Lust und beraumen einen zweiten Gütetermin an bzw. lassen die Akte einfach mangels Interesse liegen. Schnell gehen dann 1-2 Jahre ins Land bis überhaupt ein erstinstanzliches Urteil vorliegt. Dann folgen die Vollstreckungsprobleme, die ein solches Urteil regelmäßig mit sich bringt.

 

Die Nichterteilung eines Arbeitszeugnisses hat für den Arbeitnehmer regelmäßig vernichtenden Charakter.

 

Der Verfügungsgrund dürfte daher problemlos zu bejahen sein, der Verfügungsanspruch ergibt sich aus dem Gesetz.

 

Die Eilbedürftigkeit einer Leistungsverfügung stellt zwar der Ausnahmefall dar, nimmt jedoch eine Interessenabwägung der Parteien vor, dann dürfte das weit überwiegende Interesse beim Arbeitnehmer liegen

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