Tag dreizehn – Prof. Nedopils psychiatrische Stellungnahme zu Gustl Mollath

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 26.07.2014

Schon zu Beginn der Hauptverhandlung hat Prof. Nedopil, beauftragt mit der (nach Leipziger, Simmerl, Kröber, Pfäfflin  und Weinberger) erneuten  Begutachtung des Angeklagten Mollath, eine begriffliche Einschränkung gemacht: Wenn ihm eine Exploration des Probanden nicht möglich sei, könne er regelmäßig kein Gutachten erstellen, sondern lediglich eine „Stellungnahme“ abgeben.  Überschrieben ist sein Text nun tatsächlich mit „Psychiatrische Stellungnahme“.

Man merkt seiner Stellungnahme die Schwierigkeiten an, die es macht, den gerichtlichen Ansprüchen gerecht zu werden und zugleich zu vermeiden, seine Kollegen, die früher im Fall Gutachten erstellt haben, allzu hart zu kritisieren. Kaum hat er eine bestimmte Aussage getroffen, wird sie auch schon wieder relativiert und in Frage gestellt. Am Ende bleiben im Wesentlichen Erwägungen, die in der juristischen Bewertung nur mit in dubio pro reo bearbeitet werden können: Weder belegbar noch ausschließbar sind die in Betracht gezogenen Verdachtsdiagnosen oder Hypothesen „paranoide Persönlichkeitsstörung“ bzw. „wahnhafte Störung“, über deren Realität er eigentlich auch nur spekuliert. Hinsichtlich der Reifenstechereien (wären sie beweisbar) würde Nedopil selbst bei einer diagnostizierbaren Störung zur Schuldfähigkeit tendieren, bei den Angriffen auf seine Frau (wären sie beweisbar) ließe sich eine Schuldunfähigkeit nicht ausschließen. Schon daraus ergibt sich: § 63 StGB kann schon rein theoretisch nicht mehr bejaht werden, da dieser eine positive Feststellung von die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Störungen/Krankheiten voraussetzt. In dubio pro reo wirkt für die begünstigenden Rechtsfolgen des §§ 20, 21 StGB, aber gegen die belastende Rechtsfolge des § 63 StGB.

Folgt man dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung, kann man sich allerdings relativ sicher sein, dass es auf die psychiatrische Stellungnahme Nedopils gar nicht mehr ankommt: Weder die konkret angeklagten Taten gegen die frühere Ehefrau noch die Reifenstechereien sind strengbeweislich überzeugend belegt. Allerdings scheint die Staatsanwaltschaft – erkennbar an einem noch gestern gestellten Beweisantrag zum Reifenkomplex – anderer Auffassung zu sein. Sie hält offenbar Sachbeschädigungen (wohl in einfacher, nicht gemeingefährlicher Weise) noch für belegbar. Deshalb konnte auf das schon vorbereitete „Gutachten“ nicht verzichtet werden. Und natürlich ist es auch zur Rehabilitation Mollaths vom Verdacht, er sei wahnkrank, sinnvoll, eine solche Stellungnahme anzuhören. Bedauerlich ist, dass Mollath nicht durch eine Entbindung von der Schweigeplicht dafür gesorgt hat, dass die früheren Gutachtenergebnisse zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden.

Zutreffenderweise stellt Nedopil  schon in seinen Vorbemerkungen dar, dass ohne Exploration des Angeklagten eine zuverlässige Einschätzung seiner Persönlichkeit nicht möglich sei. Er würde sich "nie" explorieren lassen, hat er einmal in einem Interview gesagt. Das relativiert er nun für die spezielle Situation Mollaths: Der durch Psychiater bestätigte Verdacht einer psychiatrisch relevanten Störung lasse sich eben nur mithilfe eines Psychiaters falsifizieren, meint Nedopil.

Dass es nach 13 Jahren ohnehin nicht möglich ist etwas zur Tatzeitpsyche des Angeklagten zu sagen, lässt er  merkwürdigerweise unerwähnt. Hätte er dies für erwähnenswert gehalten, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass auch einige frühere Gutachter diese Problematik (Blick in die damals  4 – 8 Jahre zurückliegende Vergangenheit) in ihren Erwägungen völlig übergangen haben. So als lasse sich eine aktuelle Beobachtung beliebig in die Vergangenheit extrapolieren. Tatsächlich haben sich vorherige Gutachter insofern allein auf die Angaben der Hauptbelastungszeugin verlassen, deren mögliches Motiv zur Falschbelastung sie (ebenso wie die Nürnberger Strafkammer im Urteil) ignorierten.

An anderer Stelle entlastet Nedopil  seine Kollegen direkt: Schließlich seien sie ja angewiesen auf die aktuell erhältlichen Informationen, man könne ihnen also nicht vorwerfen, dass sie die aufgrund neuerer  Informationen bessere Erkenntnis nicht damals schon gehabt hätten. Das ist eine richtige Feststellung, trifft aber erstens nicht auf alle Vorgutachter gleichermaßen zu (insbesondere nicht auf Pfäfflin) und zweitens hätte auch mangelnde Information nicht von der Pflicht befreit (insbesondere betr. Leipziger) den Zusammenhang zwischen diagnostizierter Störung bzw. Krankheit und den konkreten Taten darzustellen. Diese Kernanforderung der forensisch-psychiatrischen Begutachtung haben Leipziger, Kröber und Pfäfflin weitgehend missachtet. Etwas verhalten weist Nedopil, der sich gerade mit diesem Punkt Mühe gibt, darauf hin, dass er die Auffassung Kröbers nicht teile. Und er selbst unternimmt es jedenfalls, seine hypothetisch-diagnostischen Erwägungen auf die (angeblichen) Taten differenziert anzuwenden.

Das Bemühen um Wahrhaftigkeit und Fairness ist in Nedopils Stellungnahme erkennbar, ebenso wie die in Interviews zum Ausdruck kommende selbstkritische Distanz zu den Möglichkeiten der eigenen Profession. Dennoch verlässt er diesen Pfad an einigen wichtigen Stellen; zwei seien erwähnt:

Hinsichtlich der (subjektiven) Bewertung der Rolle Dr. Wörthmüllers durch Mollath, argumentiert Nedopil, es dürfte für „die meisten Menschen abwegig“ sein, einen Zusammenhang zwischen Nachbarschaft und geschäftlichen Verbindungen zu Geldverschieberkreisen zu begründen – ein Hinweis auf Wahn. Auf den Vorhalt, ausgerechnet der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe dies in seinem Wideraufnahmegesuch nicht als abwegig sondern als subjektiv nachvollziehbar beschrieben, reagiert Nedopil seinerseits  „nachhaltig“: Er bleibe bei seiner Auffassung. (Vgl. zur psychiatrischen Bewertung der Wörthmüller-Episode eingehend und lesenswert auch Sascha Pommrenke).

Für eine Rigidität des Angeklagten, die nur vorübergehend Kompromisse zulasse, zieht Nedopil auch die Mandatsniederlegung der Wahlverteidiger des Angeklagten heran. Dies erscheint wenig fair, da der Angeklagte die Verhandlungsöffentlichkeit dieser Situation nicht vermeiden konnte und Nedopil Mollaths  besonnene Reaktion auf diese Nachricht sowie die offenkundig nach wie vor funktionierende Kooperation mit seiner Verteidigung unbeachtet lässt: Hier drängt sich die Vermutung auf, dass Nedopil in seiner  Informationsmangelsituation ein Ereignis aus der Hauptverhandlung überinterpretiert, weil sie in das schon von ihm gefasste Schema (Kompromisslosigkeit Mollaths) passt. Generell ist es auch problematisch, wenn über den Umweg des psychiatrischen Gutachtens ungeprüfte Tatsachen Eingang in die Erörterung und Bewertung finden, wie etwa das angebliche Verhalten Mollaths gegenüber Mitpatienten oder seine Anwaltswechsel.

[Update: in einer Antwort auf einen Leserkommentar habe ich ergänzt, was ich oben mit "spekuliert" meine. Aus Gründen des Zusammenhangs will ich es hier einfügen:

Ich hatte den Eindruck, dass bestimmte Punkte, die den Verdacht stützen, verstärkt wurden, andere, die den Verdacht eher vermindern könnten, eher vernachlässigt wurden. Dabei passieren dann, wie auch schon in den Vorgutachten, Verwechslungen und Schludrigkeiten: Die Verwechslung der Montagsdemos wg. Hartz IV mit der Schüler-Friedensdemo (schon die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts wird von Nedopil psychiatrisch bewertet und zwar in einem Satz mit dem "Verdunkeln des Zimmers" - ich halte das für salopp gesagt: Quatsch) z.B. oder die (angesichts dessen was wir heute wissen) schon merkwürdige Ansicht, bei den Geldverschiebungen in die Schweiz habe es sich um "Peanuts" gehandelt. Das sind Punkte, die durchaus für die Frage eine Rolle spielen, ob es sich bei den Verhaltensweisen  Mollaths, noch um akzentuierte, aber normalpsychologische Verhaltensweisen gehandelt hat, oder ob es sich um (im Rahmen des § 20 StGB relevante) Störungen handeln könnte. Zudem wird einerseits die Egozentrik Mollaths (bei den Konflikten mit anderen Patienten in der Forensik) betont, andererseits aber wird nicht darauf eingegangen, dass sich Mollath bekanntermaßen seit seiner Entlassung auch für andere Forensik-Patienten einsetzt.]

Eine zusammenfassende Bewertung fällt schwer. Meines Erachtens konnte Nedopils Ergebnis gar nicht anders ausfallen. Zu Recht weist er darauf hin, dass er ohne sein Haupthandwerkszeug – eine Exploration –seiner Aufgabe auch nur eingeschränkt gerecht werden kann. Und auch die unterbliebene Generalkritik an den früheren Gutachten ist nur zum Teil ihm vorzuwerfen, wenn die (früheren) Befunde weiterhin von der Schweigepflicht erfasst sind. Weniger nachvollziehbar sind unkritische Wertungen Nedopils, insofern es darum geht, die Verdachtsdiagnosen der Vorgängergutachten zu rechtfertigen.

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240 Kommentare

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Henning Ernst Müller schrieb:

Und auch die unterbliebene Generalkritik an den früheren Gutachten ist nur zum Teil ihm vorzuwerfen, wenn die (früheren) Befunde weiterhin von der Schweigepflicht erfasst sind.

Ist das so eigentlich richtig formuliert?

Die früheren GA sind doch bei den Akten. 

Die Schweigepflicht verstellte doch eigentlich nur die Möglichkeit, den Leipziger mal danach zu fragen, was er sich eigentlich dabei gedacht. Der zugrundeliegende Text bleibt doch einer kritischen Aussseinandersetzung weiterhin zugänglich.

Das Beweisverwertungsverbot bezog sich doch vielmehr auf die verfassungswidrige Unterbringung.

 

Davon abgesehen, hat Nedopli nach allem was wir wissen, doch ausgiebig davon Gebrauch gemacht, sein Verständnis für die Fachkollegen zum Ausdruck zu bringen.

 

Ich gehe davon aus, dass auch Nedopils Stellungnahme nach Veröffentlichung durch Strate noch genug Erhellendes über die gedankliche Vorgehensweise eines Sachverständigen zu Tage fördern wird.

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Nachtrag:

Erschwerend kommt ja hinzu, dass bei Gericht für einen SV ja gerade keine Schweigepflicht gilt, wenn er ein Gutachten erstattet.

Es mutet seltsam an, dass wenn ein SV im Jahre 2005 ein Gutachten für das Gericht erstattet, der Gutachter im Jahre 2006 nun plötzlich der Schweigepflicht unterliegen sollte. Das Gutachten selber aber weiterhin (wie zuvor) voll Eingang findet.

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http://www.ein-buch-lesen.de/

 

Das Fazit einer Unterstützerin.

Unglaublich.  Aber doch auch nicht. Dass Herr Mollath große Ungerechtigkeiten beklagt, aber jedem vernünftigen Dialog aus dem Weg geht, scheint Methode zu sein.

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RSponsel schrieb:

Mensch Gustl! Selbstdemontage am Ende der Zielgeraden eines langen Marathons? Versuch einer Einfühlung
http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/WA0.htm#Mensch%20Gustl!

 

 

Sehr geehrter Herr Dr.  Sponsel!

Dank Herrn Dr. Strate, dass er die Wortprotokollierung organisiert hat, und Dank Ihnen, dass Sie die Worte Nedopils kritisch erläutert haben.  Was jetzt noch fehlt, ist, dass aus Nedopils und Ihren Worten ein Artikel gemacht wird, den auch Menschen lesen, die vor Ihren wissenschaftlich strukturierten und umfangreichen Darlegungen zurückschrecken.

 

Jedenfalls zeigen Sie sehr genau auf, wie Nedopil vor dem Hintergrund fehlender Grundlage die Möglichkeit einer damals zutreffenden Krankheitsdiagnose nur scheinbar begründet, was mich nun endlich verstehen lässt, warum Nedopil selbst sich niemals explorieren ließe...

 

Im Dunkeln bleibt für mich, warum Nedopil die Aussage wagte, dass Mollath heutzutage nicht gefährlich sei, da er in anderen Hinsichten doch immer wieder zu verstehen gibt, dass man mangels Exploration im Grunde nichts über Mollath sagen könne.

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"Mensch Mollath!" hat Otto Lapp schon längst getitelt. Wir wollten das alle nicht glauben.

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

 

vor kurzem meinten Sie zu mir, ich solle doch erst einmal abwarten, was Herr Prof. Nedopil erklären werde. Sie hatten die Erwartung, dass es positiv für Herrn Mollath ausfallen wird, ich eher nicht. Nun habe ich durch den Bericht von Frau Prem einen Eindruck gewonnen, von dem, was Herr Prof. Nedopil bei Gericht vorgetragen hat. Meine fachliche Einschätzung schreib ich an Frau Prem. Hier mein Brief an sie:

 

Kommentar zum Bericht von Ursula Prem, Wiederaufnahme Gustl Mollath – 13. Tag: Erkenntnisquellen

Den Bericht von Frau Prem finden Sie unter:

http://www.ein-buch-lesen.de/2014/07/wiederaufnahme-gustl-mollath-13-tag...

Sehr geehrte Frau  Prem,

mit Spannung habe ich auf Ihren Bericht über die Aussage von Prof. Nedopil gewartet. Herzlichen Dank für Ihren Bericht und Ihre Analyse, der ich mich nur anschließen kann, Zuvor hatte bereits Herr Dr. Leipziger als Zeuge ausgesagt. Aufgrund der notwendigen Entziehung von der Entpflichtung der Schweigepflicht, konnte man sein unwissenschaftliches Gutachten leider nicht diskutieren. Wen es interessiert, der kann meine fachpsychiatrische methodenkritische Untersuchung dieses so genannten Gutachtens unter www.psychiatrie-missbrauch.de nachlesen.

Sie schrieben sehr passend:

“ Das öffentliche Sezieren des innersten Wesenskerns eines Menschen im Rahmen eines Gerichtsprozesses sollte sich bereits aus ethischen Gründen verbieten.“

Über diesen Gesichtspunkt hatte ich bereits mit Prof. Müller im beck-blog diskutiert. Ich gehe davon aus, dass dies nicht nur gegen ethische Gründe verstößt, sondern auch gegen die ärztliche Berufsordnung. Die permanente Anwesenheit von Herrn Nedopil hat die Gesundheit von Herrn Mollath gefährdet, was dieser auch zum Ausdruck brachte. Ein Arzt kann nicht von einem Richter zu solch einer Maßnahme verpflichtet werden. Ebenso, wie ein Richter auch keinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden kann. Es sei denn, es betrifft ihn persönlich.

Sie schrieben:                       

„Da dies die Strafprozessordnung zumindest bis heute noch anders sieht, schlug am 13. Verhandlungstag die Stunde von Dr. Norbert Nedopil, der seine psychiatrische Stellungnahme zu Gustl Mollath abgab. Sich in diesem Moment in die Situation Mollaths zu versetzen, der Nedopil nicht nur von Anfang an kategorisch abgelehnt hatte, sondern nun bei dessen Versuch zusehen musste, sein Innerstes anhand von »Anknüpfungstatsachen« öffentlich nach außen zu kehren, ist nur schwer erträglich: Das systemische Grundproblem, das sich zur »Causa Mollath« aufgeschaukelt hat, ist an dieser Stelle mit Händen zu greifen.“
 

Die Juristen wollen uns vormachen, dass die Strafprozessordnung es nicht anders vorsieht, als dass Herr Nedopil zur Abgabe einer psychiatrischen Stellungnahme verpflichtet sei. Dies ist so nicht richtig. Zwar mag im Rahmen der Aufklärungspflicht das Gericht verpflichtet sein, einen psychiatrischen Sachverständigen zu beauftragen. Es hängt dabei aber vom Sachverständigen ab, ob er z.B. verlangt, dass er der Verhandlung beiwohnt. So sagt es § 80 StPO:

[Vorbereitung des Gutachtens durch weitere Aufklärung]

(1) Dem Sachverständigen kann auf sein Verlangen zur Vorbereitung des Gutachtens durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten weitere Aufklärung verschafft werden.

(2) Zu demselben Zweck kann ihm gestattet werden, die Akten einzusehen, der Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten beizuwohnen und an sie unmittelbar Fragen zu stellen.

 

Diese Tatsache, dass der SV es verlangen muss, dass er anwesend sein darf, diskutierte ich bereits mit Herrn Prof. Müller vor der Stellungnahme von Herrn Nedopil. Ich sehe hier den  Konflikt mit der Berufsordnung, wie bereits oben beschrieben. Ein Psychiater, der gegen den Willen der geschäftsfähigen, betroffenen Person ein Gutachten über diese erstellen und die Person dafür über mehrere Verhandlungstage beobachten will, ist fraglich neutral. Herr Prof. Müller meinte zu mir, dass er viel von Herrn Nedopil halte und ich solle doch erst einmal abwarten, was dieser zu sagen habe. Es kam aber leider so, wie ich es erwartete und Sie es so zutreffend beschreiben. Herr Nedopil sollte seine Kollegen reinwaschen.

„Er führt aus, dass das Ergebnis einer Begutachtung umso zweifelhafter sei, je weniger Erkenntnisquellen dem Gutachter zur Verfügung stünden.“

Und genau aus diesem Grund hat das Berufsgericht Giessen erstmalig gutachterliche Richtlinien aufgestellt, die zwingend eingehalten werden müssen. Nachzulesen unter

http://openjur.de/u/305036.html

VG Gießen · Urteil vom 16. November 2009 · Az. 21 K 1220/09.GI.B

Durch dieses Urteil, dass wir dem engagierten ehemaligen Frankfurter Steuerfahnder Herrn Schmenger und seinen Kollegen zu verdanken haben, wurde erstmalig ein Gutachter verurteilt.

Das Berufsgericht Giessen stellte fest, dass ein differenzierter psychopathologischer Befund das Kernstück eines Gutachtens darstellt. Man kann aber ohne eine Exploration keinen differenzierten psychopathologischen Befund erstellen, weil man ansonsten gegen die ärztlichen Berufspflichten verstößt.

Nedopil beginnt seinen Vortrag mit der Nennung seines Auftrags: ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Gustl Mollath nach § 20/21 zu erstatten. Als Quellen von Anknüpfungstatsachen benennt er insgesamt 6.000 Seiten ihm zugänglicher Unterlagen sowie seine persönliche Teilnahme an der Hauptverhandlung. Er führt aus, dass das Ergebnis einer Begutachtung umso zweifelhafter sei, je weniger Erkenntnisquellen dem Gutachter zur Verfügung stünden…. Immer wieder weist er darauf hin, dass Mollath eine Exploration abgelehnt habe. »Wer trägt die Last, wenn Zweifel nicht geklärt werden können, weil der Betroffene sich verweigert?«, fragt Nedopil.“

Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten. Es wird ein Gutachtenauftrag erteilt. Ein Gutachten ist aber, aufgrund der fehlenden Exploration nicht erstellbar, weil es wegen der wenigen Erkenntnisquellen zweifelhaft wird. Dann gibt man den Gutachtenauftrag zurück. Das Problem liegt nun bei der Justiz. Herr Nedopil hält aber eine andere Lösung parat:

„Er erklärt, dass ein Gutachter seine Zweifel gegebenenfalls dem Gericht offenlegen müsse, dass er jedoch schon aus ethischen Gründen von einer einmal angefangenen Begutachtung nicht mehr zurücktreten könne.“

Was sollen das für ethische Gründe sein? Dieselben ethischen Gründe, warum auch seine Kollegen Leipziger und Kröber ohne persönliche Untersuchung ein Gutachten zu Lasten von Herrn Mollath erstellten? In der Berufsordnung finden sich diese „ethischen“ Grundsätze wie das Berufsgericht Giessen feststellte jedenfalls nicht. Diese ethischen Grundsätze gelten für Herrn Nedopil wohl auch bei dem Attest von Frau Dr. K.
 

 

„Die Aussage der Frau Dr. K. aus Erlangen bezeichnet er als »medizinisch nachvollziehbar.“

Wenn Frau Mollath der Frau Dr. K. berichtet hätte, dass ihr Ehemann 2 Flaschen hochprozentigen Alkohol pro Tag trinke und morgens zittere, hätte Frau Dr. K. dann eine Alkoholabhängigkeit bescheinigt, die dann Herr Nedopil für medizinisch nachvollziehbar gehalten hätte?  Diese ethischen Vorstellungen bereiten der Willkür ihren Boden.

Anschließend versucht sich Nedopil an einer Erklärung der Misere…

So habe man aneinander vorbeigesprochen, denn jeder der Beteiligten habe etwas anderes klären wollen. Damals sei Mollath nicht in der Lage gewesen, sich der Hauptverhandlung anzupassen“

War Herr Nedopil auch während der ersten Hauptverhandlung anwesend gewesen oder woher nimmt er seine Erkenntnis?

 

Für eine Diagnose sei es jedoch nötig, festzustellen, ob der Betroffene in der Lage sei, seine Privatrealität zu verlassen oder nicht. Als Beispiel führt er Mollaths Aussage an, der Erlanger Arzt Dr. W. habe ihm ein für ihn günstiges Gutachten angeboten, wenn Mollath im Gegenzug über dessen angebliche Beteiligung an Schwarzgeldgeschäften schweigen würde.“

Laut Nedopil sei Herr Mollath nicht in der Lage gewesen, seine Privatrealität zu verlassen, wie das Beispiel des Dr. W. zeige.

Auch Herrn Dr. Leipziger war es in seinem Gutachten wichtig zu betonen, dass die Vorwürfe gegenüber dem Kollegen Dr. W. wahnhaft waren. Er schreibt in seinem Gutachten:

„Eindrucksvoll kann am Beispiel des Dr. Wörthmüller ausgeführt werden, dass der Angeklagte hier weitere Personen, die sich mit ihm befassen (müssen), in dieses Wahnsystem einbezieht, wobei in gerade klassischer Weise der Angeklagte eine für ihn logische Erklärung bietet, dass Dr. Wörthmüller ihm angeboten hätte, ein Gefälligkeitsgutachten zu schreiben, wenn der Angeklagte die Verwicklung Dr. Wörthmüllers in den Schwarzgeldskandal nicht offenbare.

 

Herr Mollath war aber überhaupt nicht auf die Behauptung, dass Herr Dr. W. an den Schwarzgeldverschiebungen beteiligt sein sollte, unkorrigierbar eingeengt. Dies gab Nedopil auch selbst zum Besten:

„Zwar sei Mollaths Gedanke, dass die Psychiater L. und W. mit der Bank zusammenarbeiteten, nicht nachvollziehbar, Mollath habe seine Ideen gegenüber Psychiater Dr. Simmerl jedoch auch relativieren können, indem er eingeräumt habe, sich vielleicht »etwas verrannt« zu haben“

 

Die Nachfrage der Staatsanwaltschaft diesbezüglich war Herrn Nedopil aber überhaupt nicht recht:

„….Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft, wo es heißt:

»Zumindest aus Herrn Mollaths Sicht war es aufgrund des Verlaufs und der Inhalte der zwischen ihm und Herrn Dr. Wörthmüller geführten Gespräche tatsächlich nicht abwegig oder gar wahnhaft, den Schluss zu ziehen, Dr. Wörthmüller habe ihm ein »Gefälligkeitsgutachten« angeboten, weil er mit »Schwarzgeldverschiebern« in Verbindung steht. Dies war zwar objektiv falsch, eine derartige Fehleinschätzung aber keineswegs wahnbedingt, sondern lediglich eine unzutreffende, objektiv betrachtet durchaus auch abwegige, aber zumindest logisch erklärbare Schlussfolgerung Herrn Mollaths aus realen Begebenheiten.« [Quelle]

                                            

Nedopil, der es in seinem Gutachten als »nicht nachvollziehbar« bezeichnet hatte, dass Mollath einen Psychiater in Verbindung mit Schwarzgeldverschiebung setzen konnte, reagiert trotzig auf den Vorhalt:“

 

Für Nedopil scheint es wichtig zu sein, Zweifel an Herrn Mollaths psychischen Zustand zu wecken, ansonsten hätte er nicht immer wieder das Thema Wahn aufgegriffen. Interessant ist auch die Bemerkung:

„Wenn man den Aussagen der Ex-Ehefrau nicht folge, könne man keine Wahndiagnose stellen“

Man stelle sich nun vor, dass es eine Frau Mollath nie gegeben hätte und Herr Mollath wirklich an einer wahnhaften Störung erkrankt sei, dann hätte man diese aber nie diagnostizieren können. Es soll also eine Erkrankung geben, die ein Psychiater nur erkennen kann, wenn es dazu Aussagen einer Ehefrau gibt? Wer soll das glauben? Oder sollen wir das glauben, damit Frau Mollath der schwarze Peter zugeschoben werden kann und die Ärzte bedauerlicherweise diesem Schwindel gutgläubig gefolgt sind?

„Wie es zur Diagnose einer wahnhaften Störung gekommen sei, sei nachvollziehbar, auch dann, wenn Mollaths Überzeugungen auf einem realen Kern beruhten. Eine »normalpsychologische Motivation« sei ebenso denkbar, für den Fall, dass das Gericht die Taten als erwiesen ansehen würde.“

Wie ich in meiner umfangreichen methodenkritischen Untersuchung des Gutachtens von Herrn Dr. Leipziger bereits aufzeigte, ist die Diagnose einer wahnhaften Störung in keiner Weise nachvollziehbar auf Grundlage des ICD 10, also der international anerkannten Klassifizierung der Erkrankungen. Herr Nedopil erläutert seine Behauptung auch nicht anhand des ICD 10, so wie es das Berufsgericht Giessen für ein Gutachten, das sich an gutachterliche Standards hält, fordert, sondern stellt diese Behauptung lediglich plakativ in den Raum.

Da er dies wohl weiß, und sich wohl selbst nicht in Schwierigkeiten bringen will, behauptet er mal eben an anderer Stelle schnell das Gegenteil:

„…Nedopil, aus seiner Überzeugung habe das Handeln Mollaths so viel realen Hintergrund, dass er eine wahnhafte Motivation nicht annehmen könne. Dies aber hätten die damals zuständigen Psychiater nicht gewusst.“
 

Eine wahnhafte Störung erkennt ein Psychiater aber nicht erst daran, dass er die gesamten Hintergründe ermittelt. Ein Wahn macht sich vielmehr daran fest, wie Herr Nedopil es auch bereits anführte, dass die Person unkorrigierbar bei ihrer Behauptung bleibt und in keiner Weise über Alternativen nachdenken will.

Dieses Wissen hat auch Herr Nedopil an anderer Stelle:

Dieser antwortet, Mollath sei sicher übermäßig misstrauisch und suche nach Zusammenhängen, die es nicht immer gebe, manchmal aber doch. Außerdem habe er sich zufriedengegeben, wenn die Zeugen verneinten. Bei einem Wahn, so Nedopil, würde eine Erklärung nicht ausreichen.“
 

Dieses hin und her scheint sich durch die gesamte Aussage des so genannten Sachverständigen Nedopil zu ziehen. Die Kollegen in Schutz nehmen, immer unklar bleiben, damit man selbst nicht in Haftung gerät z.B.“ Die Diagnose »Persönlichkeitsstörung« sei nach Ansicht Nedopils nicht zu begründen, jedoch auch nicht auszuschließen.“ Und eine erneute Unterbringung von Herrn Mollath den Kollegen ersparen. Deshalb heißt es auf einmal:„…und bezeichnet es als »nicht nachvollziehbar«, wie es zu einer Steuerungsunfähigkeit gekommen sein sollte.“

„Zur »prognostischen Einschätzung« ist nach Ansicht Nedopils nicht viel zu sagen: Die formalen Voraussetzungen für den § 63 entfallen. Nach dem Zeitpunkt der angeklagten Körperverletzung habe Mollath noch Jahre außerhalb der Anstalten verbracht, ohne vergleichbare Taten. Eine Gefährlichkeit lasse sich demnach aus dem Vorliegenden nicht ableiten. Die gute Nachricht ist also: Folgt das Gericht dieser Einschätzung Nedopils, dann ist eine erneute Unterbringung Mollaths endgültig vom Tisch.“

 

Wie erklärt Herr Nedopil dann die Einschätzungen seiner Kollegen, die Herrn Mollath über Jahre hinweg wegen möglicher Fremdgefährdung in einer geschlossenen Abteilung unterbrachten? Er hat ja recht mit seiner Einschätzung, dass eine Gefährlichkeit nicht ableitbar sei. Es wäre wohl sehr schwierig geworden, dies nachdem Herr Mollath ein Jahr bereits außerhalb der geschlossenen Abteilung untadelig verbracht hat, nun der Öffentlichkeit eine Gefährlichkeit glaubhaft zu machen. Zumal der Versuch Herrn Mollath den angeblichen aggressiven Zwischenfall mit einer Frau  zu Anfang des Jahres unter zu schieben, gescheitert war.
 

Wenn man die Aussagen von Herrn Nedopil und z.B. das Einweisungsgutachten Leipzigers einer näheren Prüfung unterzieht, halten sie dieser  nicht stand. Daher wundert es nicht, dass Herr Nedopil dies nicht möchte:

„Doch Nedopil lehnt ab: Er wehre sich gegen die Salamitaktik, einzelne Mosaiksteine herauszunehmen, bis nichts mehr übrigbleibe: »Ich bin kein Colaautomat, bei dem Sie die Zehnerl reinwerfen und irgendwann kommt die gewünschte Coladose!« Und überhaupt: Wenn er angewiesen sei auf das, was er im Gerichtssaal aufnehmen könne, müsse er auch Beispiele heranziehen, die im Gerichtssaal offensichtlich würden.“

Aber er ist nicht angewiesen, auf das, war er im Gerichtssaal aufnehmen konnte. Er sagt doch selbst:

„Nedopil erwidert, eine Exploration sei die Grundlage. Ein Gutachter könne nur bestätigen oder entkräften, wenn er seine Kompetenz auch einsetzen könne.“

Fazit: keine Exploration, kein Gutachten

Frau Prem, sie schreiben so treffend:

Der nicht umsonst gerne als Psychiatrie-Papst titulierte Formulierungsvirtuose hat die hohe Kunst der feinen Dosierung aller Zutaten wieder einmal meisterhaft unter Beweis gestellt….Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie unendlich dehnbar, bruchlos biegbar und nahezu unfassbar beliebig das Instrumentarium der forensischen Psychiatrie ist: Nunmehr wäre er meisterhaft erbracht“

Es sind nichts anderes als Wortkapriolen, die nichts mit der forensischen Psychiatrie zu tun haben. Einen psychiatrischen Laien mag dies suggerieren, dass Psychiatrie so funktioniert, legt man aber gutachterliche Richtlinien an, die von Herrn Nedopil gefürchtete Salamitechnik, so bricht ihr Konstrukt der virtuosen Formulierungen zusammen.

„Dass Nedopil ganz selbstverständlich ausführt, Mollath wäre gut beraten gewesen, sich der Untersuchung zu stellen, zeigt eines ganz deutlich:“ dass man am Psychiatriemissbrauch festhalten will, um unliebsame Bürger zu  verräumen. Niemand soll auf die Idee kommen, sich einer psychiatrischen Begutachtung zu verweigern. Ob man will oder nicht, man wird begutachtet, auch wenn es gegen die gutachterlichen Richtlinien verstößt. Dem Gutachter kann ja nichts passieren, wo doch erst ein Psychiater deswegen berufsrechtlich verurteilt wurde und ähnliche Fälle von den Ärztekammern nicht verfolgt werden. Die im Fall Mollath  involvierten Psychiater sind durch die DGPPN zertifizierte forensische Psychiater. Die DGPPN hat erst kürzlich erklärt, dass diese Koryphäen an der Neustrukturierung des Maßregelvollzugs wegen ihrer Kompetenz beteiligt werden sollen. Wie sich das wohl auswirken wird?

Abschließend noch zur Rolle der Richterin. Soweit ich dem Prozess folgen konnte, sind die angeblichen Taten der Körperverletzung und Reifensteckereien  nicht nachweisbar gewesen. Wenn es keine Taten gibt, dann bedarf es auch keiner psychiatrischen Untersuchung zur Frage der Schuldfähigkeit genäß §§ 20,21 StGB. Ist diese Richterin  noch neutral?

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@ Petra Kutschke

Vielen Dank, dass Sie noch einmal an Ursula Prems Worte erinnern:

Das öffentliche Sezieren des innersten Wesenskerns eines Menschen im Rahmen eines Gerichtsprozesses sollte sich bereits aus ethischen Gründen verbieten.

Nun frage ich mich, ob es in so einem Fall – etwas auf Antrag der Verteidigung - nicht die Möglichkeit gibt, die Öffentlichkeit auszuschließen. Was ist denn für den Fall vorgesehen, dass ein Angeklagter vorträgt, eine mündliche Stellungnahme eines Psychiaters in einer Gerichtsverhandlung belaste seine Gesundheit? In letzter Konsequenz und im Sinne der Gleichbehandlung aller Angeklagten sollte man doch dann jede Stellungnahme eines psychiatrischen SV unterlassen? So eine Stellungnahme ist doch für jeden belastend, ganz egal, was im einzelnen vorgetragen wird.

Dass Sie eine Verbindung zwischen dem Gutachter im Frankfurter Steuerfahnderprozess und Prof. Nedopil herstellen, finde ich - vorsichtig ausgedrückt - verwegen. Auf jeden Fall ist damit Ihre grundsätzliche Blickrichtung auf seine Arbeit klar definiert, weshalb ich mir von einer weiteren Diskussion Ihrer Stellungnahme wenig verspreche. Ich denke auch, dass es längerfristig müßig ist, die Neutralität von Gutachter und Richterin anzuzweifeln oder sich sonstwie in Schuldzuweisungen zu ergehen. Darüber, dass dieses Verfahren vorbildlich ist, sollte doch eigentlich Konsens bestehen. Auch unabhängig davon, ob Herr Mollath damit zufrieden ist oder nicht.

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@ Stella

Im Dunkeln bleibt für mich, warum Nedopil die Aussage wagte, dass Mollath heutzutage nicht gefährlich sei, da er in anderen Hinsichten doch immer wieder zu verstehen gibt, dass man mangels Exploration im Grunde nichts über Mollath sagen könne.

Das bleibt für Sie wirklich im Dunkeln? Um heute die Gefährlichkeit auszuschließen, ist eine Exploration nicht erforderlich. Im Übrigen wäre die Exploration auch zur Frage der Schuldfähigkeit angezeigt gewesen, z.B. um die Frage zu klären, ob Mollath wirklich in einem Ausnahmezustand gewesen ist, wie er es in einer Verhandlung vor dem Amtsgericht angegeben hat. Die Protokolle standen Prof. Nedopil gewiss zur Verfügung.

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Eine Gefährlichkeitsprognose erfordert zwingend Exploration

Gast schrieb:

 Um heute die Gefährlichkeit auszuschließen, ist eine Exploration nicht erforderlich.

Das ist falsch. Sie ist sogar zwingend erforderlich, hier aber und wie so oft in anderen Fällen nicht möglich. Hierbei ist die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit einzubeziehen. Wie soll denn das ohne Exploration funktionieren? Das ist beim Meinungsachten natürlich kein Problem. Nedopil definiert seine Stellungnahme aber als "wissenschaftlich begründet".

Nedopil hat bis auf wenige Lichtblicke in entscheidenden Punkten weitgehend versagt. Seine Stellungnahme ist daher kaum verwertbar - wenn die Gerichte wissenschaftlich denken könnten oder wollten ...

Hinweis: http://www.sgipt.org/forpsy/NFPMRJ/ExpF.htm

 

 

 

 

Ärzte und Juristen - ein Ausblick?

"... Nicht die Tatsache sei bemerkenswert, dass das Bundesgericht der Frau die Rente aberkenne, sagt Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität St. Gallen. Das geschehe laufend. Neu ist dagegen, dass das Bundesgericht die ärztliche Diagnose umdeutet und selber eine medizinische Einschätzung abgibt. Zudem legt das Gericht ausführlich dar, warum es selber und nicht der Arzt abschliessend über die Arbeitsfähigkeit von IV-Gesuchstellern entscheidet.

Die Richter schreiben, dass es keineswegs allein Sache der mit dem Fall befassten Arztperson sei, selber zu entscheiden, ob das Leiden zu Arbeitsunfähigkeit führe oder nicht. Dies aus «drei Gründen»: Erstens sei Arbeitsunfähigkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff, den das Gericht oder die zuständige Stelle konkretisiere; zweitens verlange der Grundsatz der freien Beweiswürdigung eine Prüfung aller Beweismittel auf ihre Eignung und Beweiskraft hin. Und drittens müssten ärztliche Stellungnahmen auf ihre Schlüssigkeit überprüft werden, das gebiete der rechtsgleiche Gesetzesvollzug. ..."

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Der-Arzt-wird-nicht-mehr-er...

 

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Nun kann ich mich nicht so detailliert überall reinlesen, zum Glück gibt es ja einige Vertrauenswürdige, deren Beiträge den Überblick bringen.

Was mir zunehmend zum Rätsel wird, ist die Frage, wie das WA-Verfahren Rechtstaatlichkeit verwirklichen soll. Welche Idee steckt hinter dem Schauspiel?

Gut, Alles (?) kommt noch einmal auf den Tisch, Angeklagter ist Mollath, die Beteiligten des ersten Prozesses sind Zeugen. Bestimmte Themen zum Vorverfahren wie z.B. Schwarzgeld, Ermittlungspflichten, Einhaltung der Prozessordnung, der Gerichtspflichten, der Protokollpflichten werden allenfalls angekratzt. Warum, weil nicht entscheidungsrelevant? Wirklich?

1. Ermittelt wurde im 1. Verfahren scheinbar per Fernschreiber, denn der technische Sachverständige muss (?) nun aufgrund von Mutmaßungen Schlüsse ziehen, weil gar keine wirklichen Beweise vorliegen.

2. fehlende Erinnerungsfähigkeit der Richter wird achselzuckend hingenommen, keine direkten Nachfragen zu den Gründen, warum Tatsachen nicht pflichtgemäß geprüft und protokolliert wurden. Keine Konsequenzen für das Verfahren und die Protagonisten.

3. Die Gutachterei ist offensichtlich auch eine Frage der Seriosität der Bartfrisur und nicht einer Expertise. Statt klar mitzuteilen, dass eine Begutachtung nicht möglich ist, wird mit zahmer Dürftigkeit Mollath teilentlastet und vor allem der Berufsstand gerettet.

Das WA-Verfahren ist ein Deal, nach dem Motto Mollath kommt frei, dafür wird die Justiz geschont. Jeder einzelne Punkt begründet schon für sich den sofortigen Abschluss mit Freispruch, weil mittlerweile belegt ist, dass das vorherige Verfahren sämtliche Mindeststandards einer regulären Rechtsfindung missachtete. Letztlich zeigen die Juristen und Psychiater im WA-Verfahren mit ihrem Bemühen nun alles irgendwie richtig zu machen, wie wenig sie sich darüber im Klaren sind, was richtig ist. Mühe allein genügt eben nicht. Somit offenbart sich eine eingefahrene Rechtskultur, die es bereits verlernt hat, wie es nach Recht und Gesetz laufen müsste. Es würde mich nicht wundern, wenn allabendlich die Rollen geübt werden, um ja nicht zu versagen. Kaum vorstellbar, dass ein solches Schauspiel auf Dauer einem Nichtjuristen nicht gehörig auf den Sender geht. Zeigt der dann Nerven und will die Zeit lieber mit sinnvoller Aufklärung befüllen, sind sich Juristen und psychiatrische Gutachter schon wieder einig. Die kläglichen Versager können wieder richten. Ohne Substanz, ohne Regeln, allein mit dem dogmatisch verbrieften juristisch/psychiatrischen "Sachverstand". Solch deformierte Gesellschaften sind nicht reformierbar, sie winden sich rückgratlos um Konsequenzen herum, bis die Aufmerksamkeit wieder schwindet..

 

5

RSponsel schrieb:

Nedopil Kritik: Welche Rolle spielt Kretschmers sensitiver Beziehungswahn für die Beurteilung Mollaths?
http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/Nedopil.htm#Welche%20Rolle...

 

@ Dr. Sponsel

Man kann nur hoffen, dass Ihre exzellente Kritik Eingang in gesellschaftlich-politische Prozesse findet. Ich muss sagen, an Stelle des Gustl Mollath  hätte ich dem Nedopil die Hand zum Abschied verweigert. Andererseits muss man froh darüber sein, dass Nedopil mit unlauteren Mitteln, von fehlerhaften Vorgehen kann man ja nicht reden, wenn man ihm nicht den Verstand absprechen will,  das schmutzige Spiel anderer zu Lasten Mollaths beschönigte:  Wieder einmal geht eine Illusion baden, die so mancher noch gehegt hatte, wieder einmal sehen manche, die zum Teil schon viel gelernt haben, seit November 2012, noch klarer als zuvor.

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Erst die Krankenkassen, jetzt der Kretschmer und der Priwitzer, was kommt als nächstes?

 

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Welche Rolle spielt Kretschmers sensitiver Beziehungswahn für Mollaths Beurteilung ?
Kretschmer, E. (1950, 3.A.) Der sensitive Beziehungswahn. Berlin: Springer.
N. beruft sich mit folgenden Worten (31) auf Kretschmer: "Aus Sicht des Unterzeichners ist es nachvollziehbar, dass die Diagnose einer wahnhaften Störungen deshalb ernsthaft erwogen werden muss, weil die Persönlichkeit von Herrn Mollath, soweit sie sich dem lediglich beobachtenden und nicht explorierenden Fachmann erschließt, jene Persönlichkeitszüge enthält, die nach Kretschmer solche Persönlichkeiten kennzeichnen, die in besonderen Belastungssituationen wahnhafte Störungen entwickeln, und weil die Überzeugungen, in die sich Herr Mollath nach eigenen Worten „verrannt" hat, mit der Realität nicht mehr in Einklang zu bringen waren." Diese globale Zitierweise ist denkbar schlechtester wissenschaftlicher Stil.

http://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/wa/Nedopil.htm#Welche%20Rolle...

Was "denkbar schlechtester wissenschaftlicher Stil" ist, möge jeder für sich selbst entscheiden.

Herr Dr. Sponsel, warum ignorieren Sie so konsequent die Möglichkeiten und Grenzen von Nedopils Stellungnahme, insbesondere die Situation, in der diese abgegeben wurde?

Warum betreiben Sie nicht ein eigenes Blog, so dass man Ihnen direkt antworten könnte?

3

Ich möchte auf ein Interview mit Prof. Müller in der SZ vom 7.7. hinweisen. Ich halte Prof. Müller derzeit für einen Leuchtturm der Aufklärung in den Rechtswissenschaften und unter den Juristen sowieso. Trotzdem, einige Bemerkungen im Interview deuten für mich auf problematische Grenzen der "Aufklärung von Innen" hin.

"Viele der Fehler, die da zu erkennen sind, passieren alltäglich, werden aber innerhalb des Systems korrigiert."
"Es ist bislang sehr schwierig, jemanden, der einmal für schuldunfähig erklärt worden ist, von dieser Zuschreibung wieder wegzubekommen."
"Eitelkeiten und die Angst vor Autoritätsverlust verhindern oft, dass diese Behörden sagen: Da ist offenbar was schiefgelaufen, jetzt tun wir alles dafür, damit das aufgeklärt wird."

Diese Aussagen sind doch äußerst widersprüchlich. Wenn viele alltägliche Fehler innerhalb des Systems korrigiert werden, aber es wegen Eitelkeiten und Angst schwierig ist, falsche Zuschreibungen wieder wegzubekommen, was ist dann das "SYSTEM" und wie korrigiert es viele Fehler?

Einen Hinweis gibt Prof. Müller mit der Antwort auf die Frage: Welche Fehler hat Mollath gemacht?
"Er hat am Anfang Fehler gemacht, ganz klar, die auch dazu geführt haben, dass er in eine bestimmte Schublade gesteckt wurde..."
"Wir wissen heute, was er damit dokumentieren wollte. Es war vielleicht nicht unvernünftig, aber es machte doch so einen Eindruck."

Also das SYSTEM ist ein Schubladensystem, in dem man je nach EINDRUCK in eine BESTIMMTE SCHUBLADE GESTECKT wird. Dieser Systembeschreibung wohnt bereits die Beschreibung eines Willkürsystems mit grundrechtswidriger Ausrichtung inne. Genaugenommen liegt die Fehlerkorrektur beim Betroffenen. Passe Dich diesem System an und mit viel Glück STECKT man Dich in eine erträgliche Schublade. Ein Herrschaftssystem, das kein einziges Gesetz benötigt, sondern nur Auserkorene, die freihändig Eindrücke sammeln und dann richten bzw. Schubladen bedienen.

Prof. Müller: "Andererseits muss man zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die sich auf so eine Art und Weise gegen Bürokratie wehren wollen. So wenig effektiv das ist. Nicht der, der am vernünftigsten auftritt, ist auch der Vernünftigste."

Welche Konsequenzen sind zu ziehen?
Auf jeden Fall will Prof. Müller die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung in der Gesetzgebung angegangen sehen und die Regeln für Wiederaufnahmeverfahren sind ein weiterer wichtiger Punkt. Auch die Mentalität von Behörden in Bezug uf Fehlerkorrektur und Aufklärung sind ein wichtiger Punkt.

Aber wer wird dies konkret im SYSTEM vorantreiben? Kann man ein System aufgrund eines Einzelfalls zur grundsätzlichen Korrektur und einem Mentalitätswandel überreden?

Auf die Frage: Glauben Sie, dass der Fall Mollath gar kein so singulärer ist? antwortet Prof. Müller u.a.
"Dass Ähnliches nicht noch mal vorkommen kann, möchte ich aber nicht ausschließen. Und dass es aktuell ähnliche Fälle gibt, von Leuten, die unverhältnismäßig lang in der Psychiatrie eingesperrt sind, ebenfalls nicht. Nur gibt es jetzt natürlich auch viele, ich sage mal, Trittbrettfahrer, die behaupten: Ich bin der neue Mollath."

Also ähnliche Fälle schließt Prof. Müller nicht aus, öffnet aber schon einmal für VIELE die Schublade Trittbrettfahrer. Ist das der Weg zur Reform?

Zu Beginn des Interviews erklärt Prof. Müller: "Wir Rechtswissenschaftler beobachten auch die Rechtspraxis."
Und die wissenschaftlich geschulten Praktiker, also Richter und Anwälte und damit auch ihre Verbände, beobachten und gestalten die Rechtspraxis sowieso. Auch für Gesetzesinitiativen werden faktisch immer Stellungnahmen von juristischen Verbänden und Experten eingeholt. Ein Alleingang bei Gesetzentwürfen durch Politiker ist faktisch ausgeschlossen.

Das besondere am Fall Mollath ist meiner Ansicht nach nur der Umstand, dass die Verräumung und das Stillschweigen fehlgeschlagen ist. Mollath hat sicher erkannt, dass das WA-Verfahren den Juristen nur als Vehikel zur Schadensbegrenzung dient und will sich teurer verkaufen.
"So wenig effektiv das ist. Nicht der, der am vernünftigsten auftritt, ist auch der Vernünftigste."
Mit dieser Erkenntnis von Prof. Müller ist zu hoffen, dass es schnell offene Unterstützung und zum Teil auch Korrektur aus seiner Zunft gibt, damit das Unmögliche möglich wird. Der Zustand erinnert mich sehr stark an die Phase vor dem Zusammenbruch des politischen Systems in der DDR, dem ich mit vielen persönlichen Eindrücken in Berlin beiwohnen durfte. Aus diesen Erfahrungen möchte ich die Juristen aufrufen: Wer noch reformieren möchte, sollte sich mit den Aktivitäten beeilen und nicht nur Makulatur betreiben.  "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" soll Gorbatschow vor 25 Jahren gesagt oder zumindest gemeint haben. Mollath ist sicherlich kein fehlerfreier Heiliger oder Prophet, aber sehr vernünftig und bei sich, wenn er nun 25 Jahre später in diesem Sinne nachlegt.

http://www.sueddeutsche.de/bayern/prozessauftakt-in-regensburg-strafvoll...

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@ Petra Kutschke

Wenn Sie hier schon länger mitlesen, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass bereits erörtert wurde, inwiefern Frau Dr. Krachs Stellungnahme "medizinisch nachvollziehbar" ist. Ganz egal, ob Sie diese umstrittene Stellungnahme oder Ihr Beispiel betrachten: die Darstellung ist in sich schlüssig und daher "medizinisch nachvollziehbar". Dass Prof. Nedopil sich zu den Entstehungsbedingungen geäußert hätte und diese gebilligt hätte, ist mir nicht bekannt.

Die eine Sache ist es, dass Laien – zumal bei entsprechendem Interesse – die fachliche und die ethische Dimension vermengen, noch einmal eine andere Sache ist es, dass Sie als Kollegin das tun. Wenn Sie diese Stellungnahme nicht als "medizinisch nachvollziehbar" betrachten, würde ich eine Begründung lege artis erwarten.

2

@ Petra Kutschke

Da Sie sich explizit auf die ärztlichen Berufspflichten und auf die Berufsordnung beziehen und aufgrund einzelner durchaus als polemisch wahrzunehmender Äußerungen, insbesondere der Suggestion ethischen Fehlverhaltens des "so genannten Sachverständigen Nedopil" empfehle ich Ihnen §29 der Musterberufsordnung zur sorgfältigen Lektüre:

§ 29 Kollegiale Zusammenarbeit

(1)  Ärztinnen und Ärzte haben sich untereinander kollegial zu verhalten. Die Verpflichtung, in einem Gutachten, auch soweit es die Behandlungsweise einer anderen Ärztin oder eines anderen Arztes betrifft, nach bestem Wissen die ärztliche Überzeugung auszusprechen, bleibt unberührt. Unsachliche Kritik an der Behandlungsweise oder dem beruflichen Wissen einer Ärztin oder eines Arztes sowie herabsetzende Äußerungen sind berufswidrig.

(4)  In Gegenwart von Patientinnen und Patienten oder anderen Personen sind Beanstandungen der ärztlichen Tätigkeit und zurechtweisende Belehrungen zu unterlassen.

http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.100.1143

Laien mögen durch diese Passagen die Fundamentalkritik am "Krähenprinzip" bestätigt sehen. Ihnen als Ärztin aber dürfte der Sinn dieser Sätze aber nicht verborgen sein, nicht wahr?

3

@ Lutz Lippke

Nun wäre eine Alternative für Sie, die "fragwürdige Kritik" zu be- oder hinterfragen, anstatt sie nur als solche zu kennzeichnen.

Ich habe nicht vor, mich an der verbreiteten Besserwisserei zu beteiligen. Versuche, auf unangemessene Kritik zu reagieren, gab es, allerdings mit geringer Halbwertszeit bzw. ohne nachhaltige Wirkung – meine Motivation ist auch deshalb eher gering.

Wenn Sie außerdem von Dominanz und zweckgerichteter, sektiererischer Ausrichtung schreiben, dann beschreiben Sie offensichtlich eine Ihnen ungewohnte Situation

Ungewohnt ist mir diese Situation nicht, ich hätte sie aber nicht hier erwartet. Der Beck-Blog war für mich über längere Zeit eine wichtige Quelle der Information und Orientierung, mein Zugang zum Beck-Verlag primär privater, nachbarschaftlicher Natur. Das reichte aus, um eine positive "Befangenheit" zu begründen, die aber zunehmend ins Gegenteil umschlägt.

Welches Ziel, welchen Zweck verfolgen Sie mit Ihrem Einwurf?

Ihre letzte Frage kann ich leider nicht beantworten, da es keinen spezifischen Zweck, kein spezifisches Ziel gibt. Ich bin einfach der Meinung, dass die Problematik des Herrn Mollath so offen zutage tritt, dass es einer Exegese nicht bedarf.

4

Leser schrieb:

 Ich bin einfach der Meinung, dass die Problematik des Herrn Mollath so offen zutage tritt, dass es einer Exegese nicht bedarf.

 

Exegese -  das haben Sie aber schön bildungssprachlich gesagt. Ja, die Psychiater sind sich im Fall Mollath ja auch im Grunde einig gewesen, dass dessen "Problematik" so klar gewesen sei, dass es weder einer Exploration, noch einer Exegese, noch sauberer Methodiken bei der Erstellung von Aktengutachten bedurfte. Man brauchte ihm ja nur in die Augen zu schauen (Brixner), dann sah man ja, was los war. Warum also noch viel nachdenken, warum noch auf Gegenargumente eingehen, waruim noch Alternativen in Betracht ziehen?  Wäre doch nur vertane Zeit gewesen, und dazu äußerst kostbare, nämlich Zeit von renommierten und zertifizierten Experten!

Es musste doch reichen, Gutachten irgendwie so zusammenzubasteln, dass am Schluss darin stand: "Wahnhaft krank und gefährlich!"

 

Sehr nett von Ihnen, Herr Bildungssprachler,  dass Sie es auch noch mit Ihren Worten verständlich gemacht haben, wie es zum Skandalfall Mollath kommen konnte.

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Zu ändernde Strukturen u.a. in der Justiz

 

Jenseits der "Exegese" und des diesen Blog im wohlverstandenen Interesse des "Systems" steuernden GASTES will ich kurz auf den fulminanten Input (# 20 und # 25) eingehen.

 

Was ist, wenn die Causa Mollath ihren erwartbaren Verlauf in der 2. August-Woche genommmen hat, die teilweise entgegen ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag agierenden, offenkundig auch eigene Interessen verfolgende Medien eine andere "Sau durchs Dorf treiben", mit den  offenkundig gewordenen Strukturproblemen der Justiz (z.B. "strukturelle Gewalt" nach Johan Galtung)?

 

Probleme, die nur deshalb von jederMann greifbar wurden, weil - ausnahmeweise? - ein auf "Zuruf" Weggesperrter, zeitweise hinter den Straubinger Hochsicherheitstrakt Verbrachter (obendrein dort von SAPOR-Aktivitäten ausgeschlossen, obwohl Fachmann) wieder auf freien Fuß kam?

 

Es gibt eine Vereinigung in DE , die sich mit der "Revision" der Justiz befasst. Gewiss, es gibt mehrere. Aber ich meine die NEUE RICHTERVEREINIGUNG, ein bundesweiter Zusammenschluss von Ri und StA.

 

Web: https://www.neuerichter.de/

 

Bei dieser Vereinigung ist nicht nur "Evaluation der Justizstrukturen" ein Thema. Auch hat man sich in der Vergangenheit intensiv mit der angestrebten  Selbstverwaltung auseinandergesetzt.

 

Z.B. Vortrag

 

"Der lange Weg zur Unabhängigkeit der Dritten Gewalt und die Selbstverwaltung der Justiz"

 

Tipp: Geben Sie das Wort "Selbstverwaltung" in das Suchfeld der vorstehenden Website ein und Sie werden umfänglich fündig.

 

Frage: Gibt die Causa Mollath den dort Verantwortlichen die Power, das Notwendige jetzt im Verbund mit der Bürgerschaft in Angriff zu nehmen?

 

Was dazu notwendig ist, hat Heribert Prantl jüngst zusammengefasst:

 

Widerstand, auch der kleine, bedarf des aufrechten Ganges. Ja und auch der Zivilcourage.

http://www.sueddeutsche.de/politik/aufstand-gegen-hitler-vor-jahren-wert...

 

Natürlich wäre das Thema ein eigener Thread auf diesem Blog. Vielleicht findet sich ein Mitglied der RiV, um damit zu starten. Das wäre fein.

 

 

 

 

 

4

Sehr geehrter Herr Müller,

auch wenn Ihnen meine Kritik ein wenig aufstösst, ich habe eingangs meines Kommentars zum Interview ernsthaft Ihr Wirken gewürdigt. Ich hoffe, dass nehmen Sie mir auch ab.

Ich bin auch Ihrer Meinung, dass es mit Sicherheit engagierte Juristen gibt. Dass nun eine Anzahl von Personen mit dem Signalwort "Mollath" Rechtsberatung oder mediale Unterstützung erhoffen, ist logisch, wenn man nicht ausschließt, dass die Fehler im System nicht einmalig sind und zumindest teilweise systemimmanent. Neben manchem Uneinsichtigen gibt es vermutlich Viele, die händeringend nach den engagierten und bezahlbaren Juristen suchen. Zu Ursachen der Fehler und der Häufigkeit angemessener Korrekturen in Verfahren haben wir ganz sicher verschiedene Wahrnehmungen, die eigentlich nur mit Evaluationen auflösbar wären. Die gibt es nicht und werden von Justiz und Politik auch weitestgehend abgelehnt. Dazu könnte ich Ihnen noch Belege liefern. Es bleibt also bei der persönlichen Wertung ohne Anspruch auf repräsentative Gültigkeit.

Meine Erfahrungen liegen überwiegend im ZPO-Bereich und ich würde grob ein Verhältnis 1:10 schätzen (10:100 kann ich mir noch nicht anmaßen ;), dass Fehler wirksam korrigiert werden. Denn viele unstrittige Fehler werden ganz oft nicht korrigiert, weil sie vom gleichen Entscheider als nicht entscheidungserheblich eingestuft werden oder kein Rechtsbehelf gegeben ist. Da die Fehler nach meiner Erfahrung nicht zufällig und mit gleicher Wahrscheinlichkeit die am Verfahren Beteiligte treffen, kann ich Ihre Annahme des überwiegend Unbeabsichtigten aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Sicher beginnt die Odyssee oft mit unbeabsichtigten Fehlern. Eher selten spielt der gesetzliche Richter gerade mit dem Kontrahenten regelmäßig Tennis oder ist in thematisierte Geschäfte verwickelt.

Zugegebenermaßen ist meine Einschätzung auch nicht objektiv. Wirkliche Objektivität gestehen sich nur Richter und Gutachter zu, womit sicher auch die Angst vor Ansehensverlusten einhergeht. Übrigens nicht wenige Anwälte verstehen sich nach meiner Erfahrung auch viel eher als Rechtsorgan und ertragsorientierte Unternehmer, denn als dienstleistende Vertragspartner gegenüber dem Mandanten. Wer da mal reinschnuppern will http://www.burhoff.de/burhoff/forum/viewtopic.php?p=6346&highlight=#6346.

Aber das wäre ein Thema für sich. 

Herzliche Grüsse

Lutz Lippke

5

@ Gast #33

Sehr nett von Ihnen, Herr Bildungssprachler,  dass Sie es auch noch mit Ihren Worten verständlich gemacht haben, wie es zum Skandalfall Mollath kommen konnte.

Man kann sich wirklich nur noch wundern, was man hier zu lesen bekommt, noch mehr über die hohe Zustimmung zu Beiträgen dieser Kategorie. Ich habe den Satz, auf den Sie sich beziehen, nicht so verstanden, als sollte der Skandal erklärt werden. Aus heutiger, aktueller Sicht ist es doch tatsächlich so, dass das Auftreten Mollaths, das Unbeteiligte wie auch viele Unterstützer irritiert und empört, für sich spricht - vor diesem Hintergrund wäre doch etwas Zurückhaltung geboten. Wer immer noch meint, gegen die Fachkompetenz des aktuellen Gutachters und die Souveränität der Richterin polemisieren zu müssen, um durch mindestens implizite Schuldzuweisungen Mollaths Verhalten zu relativieren bzw. zu erklären, degradiert ihn zur willenlosen Marionette. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass dies in seinem Sinne sein könnte.

3

RA Veits, #35:

Bereits vor längerem habe ich mich aufgrund eigenem erlebten Justizskandal an die NRV gewandt, hier nicht einmal eine Antwort erhalten. Sowenig wie vom baden-württembergischen Justizministerium, das auf Anfrage der NRV erkunden ließ, ob es im Ländle "Fälle" wie Mollath gibt - mit negativem Ergebnis, wie man über die Medien verbreiten ließ. 

 

Petra Kutscke, #14 und diverse Repliken

Mir scheint, dass der "Fall Mollath" von nicht wenigen dazu missbraucht wird, sich auf einer Welle der Psychiatrie-Kritik profilieren zu wollen, was mich angesichts der unsäglichen Zustände nicht stören würde. 

 

Was mich jedoch sehr stört ist, dass hierbei die offenbar größtmögliche Proflilierung darin gesehen wird, sich auf Kosten des Sachverständigen Prof. Nedopil abzuarbeiten, natürlich ohne sich selbst der  Gefahr der einer Verantwortung  auszusetzen. 

 

Nedopil ist sicher kein "sogenannter" Sachverständiger, sondern verdient diese Bezeichnung tatsächlich, was ich als Proband erfahren dürfte, der selbst aufgrund Fehlgutachten die missbräuchliche Anwendung des Par. 63 StGB konkret drohte - was in Bayern keinesfalls so eine Ausnahme ist, wie Prof. Müller immer noch glauben mag. Die Kontrollmechanismen Versagen oft! 

 

Frau Kutschke sollte darüberhinaus auch bekann sein, dass es ebenfalls Nedopil war, der im "Fall" des von ihr angeführten VG-Urteils Frankfurt zu folgende, Ergebnis kam:

 

....."Nedopils Fazit: Die Paranoiadiagnose ist nicht nachvollziehbar. Bei Schmenger etwa seien "keine Anhaltspunkte festzustellen, die auf eine Persönlichkeitsstörung hinweisen". Eine solche Störung, wie  sie laut Gutachter der Finanzverwaltung vorliegt, "bestand  weder damals noch jetzt", so der Obergutachter. Sämtliche  Vorwürfe Schmengers - Mobbing, politischer Druck, grundlose Versetzungen, der Stopp von Ermittlungen gegen Großbanken - seien zu Unrecht als Realitätsverlust bewertet worden. Die vernichtende Diagnose Paranoia habe der Arzt des Landes Hessen nicht ansatzweise schlüssig belegt.   Auf Seite 51 des Gutachtens kommt Nedopil zu einem Ergebnis, das die Landesregierung unter Ministerpräsident Volker Bouffier in größte Erklärungsnöte stürzen und zu hohen Schadensersatzansprüchen der Fahnder führen kann: "Daher bestand aus psychiatrischer Sicht keine medizinische Voraussetzung für ­eine anhaltende Dienst- oder Teildienstunfähigkeit." Genau mit dieser Behauptung waren die vier Steuerfahnder von der hessischen Finanzverwaltung zwangspensioniert worden - der letzte 2009, im Alter von gerade einmal 39 Jahren."......  

http://www.capital.de/themen/wie-der-staat-unbequeme-steuerfahnder-kalts...

5

@Gast xy, Sie schreiben:

Verehrter Prof. Müller, bitte erlauben Sie mir eine Ergänzung. In seiner auf Youtube gezeigten Kirchenrede hat der Angeklagte die demonstrierenden Schüler zum Weitermachen aufgerufen. Das Problem ist nur, dass die minderjährigen  Schüler Schulpflicht hatten und explizit vor einem Schuleschwänzen gewarnt worden waren.

Das mag ja sein, aber meine Kritik ist ja, dass das Engagement Mollaths bei der Schülerdemo eben nicht einer "psychiatrischen Erklärung" bedarf, wie es Herr Nedopil in seiner Stellungnahme äußerte. Das ist, was ich mit "salopp gesagt: Quatsch" bezeichnete. Wobei sich Herr Nedopil wohl gar nicht auf die Kirchenrede bezogen hat, sondern auf das von ihm in den Akten gelesene Engagement Herrn Mollaths für die Schülerdemo.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Nedopil hat die Schülerdemo gegen den Krieg gar nicht mitbekommen

Henning Ernst Müller schrieb:

Das mag ja sein, aber meine Kritik ist ja, dass das Engagement Mollaths bei der Schülerdemo eben nicht einer "psychiatrischen Erklärung" bedarf, wie es Herr Nedopil in seiner Stellungnahme äußerte. Das ist, was ich mit "salopp gesagt: Quatsch" bezeichnete. Wobei sich Herr Nedopil wohl gar nicht auf die Kirchenrede bezogen hat, sondern auf das von ihm in den Akten gelesenen Engagement Herrn Mollaths für die Schülerdemo.

Er stellt es so dar, dass Mollath beschmutzt wird. Auch das ist ein "schönes" Beispiel für das Nedopilsche "pathologisierende Verschmieren". Ich werde dieser üblen Technik eine Sonderstudie widmen. Das hat mit den Mindestanforderungen und mit Wissenschaft nichts zu tun.

Zu Mollaths Auftritt im Kommentargottesdienst der Lorenzkirche gibt es ein Video:

https://www.youtube.com/watch?v=do2ohK9_sBk

 

 

Hallo Herr Deeg (#38),
Ihre Erfahrungen zum NRV kann ich bestätigen. Sicherlich sehen sich die Neuen Richter als reformfreudige Alternative zum Richterbund. Aber einen Kontakt mit Nichtjuristen und Reaktionen auf die Probleme im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Justiz meidet der NRV bzw. äußert sich mit sehr einseitigem Blickwinkel.
Ein Beispiel:
Anfang August 2013 wird Mollath nach 7 Jahren Forensik und großem Tauziehen mit der Justiz in Bayern entlassen, es folgen Anzeigen u.a. gegen Richter und Gutachter wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung.
Auch der NRV alarmiert in diesem Zusammenhang. Mit Pressemitteilung vom 28.August 2013 warnt der NRV Bayern angesichts der Berichte über die Verfahren "Mollath" und Bayern-LB vor einer Beschädigung der Bayrischen Justiz. „Das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz ist die Basis des Rechtsstaats“ heißt es dort. Bindung an Gesetze und die Verfassung? Die Verantwortung der Justiz für das Verräumen eines unangenehmen Zeitgenossen? Findet in der Pressemitteilung keine Erwähnung!

Zum Sachverständigen Prof. Nedopil ist nachvollziehbar, dass er in Ihrem Fall der Retter in der Not war. Das ändert allerdings nichts daran, dass im Fall Mollath die Kritik bedenkenswert ist. Stellen Sie sich vor, sie hätten die Freiheit schon vor der Begutachtung wiedergehabt und in einem Wiederaufnahmeverfahren sollten Sie alles noch einmal "nur eben rechtsstaatlich" erleben, einschließlich eines psychiatrischen Meinungsgutachten. Denn nichts anderes konnte Prof. Nedopil bei Mollath unter diesen Bedingungen abgeben. Für mich sehr fragwürdig, weil es ja zudem um die Beurteilung eines Zustandes vor mehreren Jahren ging. Ein erheblicher Unterschied zu Ihrem Fall. Das ein Sachverständiger gutachterlich Stellung nimmt, obwohl die Basis dafür fehlt, zeugt von einem eigenwilligen Berufsverständnis. Ebenso könnte ein Pilot auch mit leerem Tank losfliegen, nur weil der Tower die Startzeit vorgibt. Wenn es 6000 Aktenblätter zur Auswertung gab, wäre ein aussagepsychologisches Gutachten wohl auch deutlich wertvoller gewesen. Da sollte man ggf. bei Gesetzesänderungen drüber nachdenken. Ohne im Detail Bescheid zu wissen, sind die Auswertemethoden im Bereich der Aussagepsychologie vermutlich von deutlich höherer Qualität als bei der bloßen "Fleischbeschau" + Blättern in den Erzählungen.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es zum Einen um die Qualität der Arbeit und Verantwortlichkeit der einzelnen Protagonisten geht, aber andererseits eben auch um strukturelle Mängel. Mich überrascht immer wieder, wie sehr Juristen, Psychiater und Journalisten sich auf angebliche Charaktereigenschaften und ein gesundes (Mittel)Maß der üblichen Vernunft berufen, obwohl dies im Wesentlichen keine gesetzlichen Kategorien sind, sondern offensichtlich als Ersatz für rechtsstaatlich saubere Ermittlungen, faire Verfahrensführung, patientenorientierte Diagnosen und nicht zuletzt objektive Berichterstattung dienen.

Herzliche Grüsse

Lutz Lippke

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@ Lutz Lippke

Mag sein, dass Prof. Nedopil auch einmal als "Retter in der Not" besonders geschätzt wird, aber das ist doch noch nicht alles. Gerade der von Herrn Deeg zitierte Text zeigt doch, dass dieser Gutachter durchaus in der Lage ist, sich kritisch und deutlich zu äußern. Klar, Viele hätten sich das im Fall des Herrn Mollath auch gewünscht - ich jedenfalls traue es mir nicht zu, vergleichende Aussagen über diese beiden Fälle zu treffen.

Sie schreiben:

Das ein Sachverständiger gutachterlich Stellung nimmt, obwohl die Basis dafür fehlt, zeugt von einem eigenwilligen Berufsverständnis

Wichtig scheint mir hier zu sein, dass der SV die Grenzen seiner Möglichkeiten aufgezeigt hat, nun ist es am Gericht, diese Stellungnahme zu würdigen.

Es ist Ihnen unbenommen, die eine oder andere Ungenauigkeit zu kritisieren, aber von "einem eigenwilligen Berufsverständnis" zu sprechen, scheint mir nicht angemessen zu sein.

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Mag sein, dass Prof. Nedopil auch einmal als "Retter in der Not" besonders geschätzt wird, aber das ist doch noch nicht alles. Gerade der von Herrn Deeg zitierte Text zeigt doch, dass dieser Gutachter durchaus in der Lage ist, sich kritisch und deutlich zu äußern. Klar, Viele hätten sich das im Fall des Herrn Mollath auch gewünscht - ich jedenfalls traue es mir nicht zu, vergleichende Aussagen über diese beiden Fälle zu treffen.

Sie schreiben:

Das ein Sachverständiger gutachterlich Stellung nimmt, obwohl die Basis dafür fehlt, zeugt von einem eigenwilligen Berufsverständnis

Wichtig scheint mir hier zu sein, dass der SV die Grenzen seiner Möglichkeiten aufgezeigt hat, nun ist es am Gericht, diese Stellungnahme zu würdigen.

Es ist Ihnen unbenommen, die eine oder andere Ungenauigkeit zu kritisieren, aber von "einem eigenwilligen Berufsverständnis" zu sprechen, scheint mir nicht angemessen zu sein.

Ich kann und will die Fähigkeiten von Prof. Nedopil als psychiatrischer Gutachter im Detail nicht bewerten. Es ginge selbst dabei allerdings zuallererst um Methodik und Wissenschaftlichkeit und nur sekundär um die persönliche Fähigkeit zur deutlichen Kritik. Ich weiß nicht, ob sie das Professionelle wirklich einschätzen können oder sich eher von möglicher Wortgewandtheit und Überzeugungsstärke beeindrucken lassen. Das wäre eine Symphatiefrage, die ich nicht im Fokus hatte.

Es ging um die Frage Begutachten um jeden Preis (im wahrsten Sinne). Ich bin durchaus in der Lage festzustellen, dass eine professionelle Ausführung ohne Arbeitsgrundlage nicht möglich ist. Es gibt keine Weisungsbefugnis des Gerichts gegenüber dem Gutachter zu dessen Arbeitsweise. Es gibt einen Auftrag, den der Gutachter bei fehlenden Voraussetzungen gleich welcher Art ablehnen muss. Da kann man auch nicht annehmen, irgendwie was machen und dann halbe Sachen abliefern mit der Entschuldigung, dass unter den Voraussetzungen nicht mehr möglich war. Das dürfen nur Anwälte. Ups Entschuldigung.

Aber mein Vergleich mit dem Piloten trifft es wohl schon. Stellen Sie sich vor, sie wären der Passagier und der Pilot erklärt Ihnen ganz nett den Sachverhalt mit leerem Tank zu starten, weil der Tower es so will. Würden Sie es nicht für einen üblen Scherz oder ein ernstes Gesundheitsproblem des Piloten halten oder schauen Sie dann wirklich böse zum Tower?

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Lutz Lippke schrieb:
Aber mein Vergleich mit dem Piloten trifft es wohl schon. Stellen Sie sich vor, sie wären der Passagier und der Pilot erklärt Ihnen ganz nett den Sachverhalt mit leerem Tank zu starten, weil der Tower es so will. Würden Sie es nicht für einen üblen Scherz oder ein ernstes Gesundheitsproblem des Piloten halten oder schauen Sie dann wirklich böse zum Tower?
Ein Pilot, der mehrfach trotz leerem Tank startet, weil es der Wunsch des Towers ist, anstatt den Start zu verweigern, ist nicht mehr lange im Besitz seiner Lizenz. Da würde ihm auch kein gemeinsames Golfspielen mit dem Fluglotsen helfen.

Ein "Sachverständiger" dagegen, der im Auftrag der Kammer ein "Gutachten" abgibt, obwohl die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, unterliegt keiner Aufsicht oder Qualitätskontrolle und kann daher weiter munter sein finanziell einträgliches Unwesen treiben.

Und anders als ein Passagier kann sich der Angeklagte weder "Tower" noch "Fluglinie" aussuchen. So viel zu Qualitätsanspruch und -kontrolle der Justiz und des Gutachter(un)wesens.

Prof. Nedopil weiß zweifellos, wie man seriös arbeiten muss, um sich nicht solchen Vorhaltungen auszuliefern, wie Dr. Rudolf Sponsel sie ihm nun für alle nachvollziehbar öffentlich präsentiert.

 

Dieser Prof. Nedopil wurde als angeblich bester deutscher Psychiater heran geholt - und seinen Auftrag offensichtrlich so verstanden, dass sich aus seinen Ausführungen keinerlei Schuldzuweisungen an die Justiz und die Psychiater, die Mollath weggesperrt und festgehalten hatten ergeben durften. Zumindest ist er diesem Aspekt gerecht geworden, obwohl er es dafür in Kauf nehmen musste , öffentlich der Anwendung unsauberer Methoden überführt zu werden.

Bemerkenswert auch die Zustündigkeit der Richterin Escher, die ansonsten nur Wirtschaftsstrafsachen macht. Wie kam es dazu, dass sie dennoch auf den Plan kam?

Wollte man keinen im 08/15-Strafrecht routinierten Richter, weil der im Rahmen seiner Routine womöglich ein schlechtes Bild abgegeben hätte? Richterin Escher hat mit Wirtschaftsstrafsachen zu tun - ein Feld, auf dem es keineswegs selten ist, dass Angeklagte sich teuerste Verteidiger leisten können, Verteidiger, die sich zur Not weitaus liebert beim Richter unbeliebt machen, als bei ihrem Mandanten. Genau anders herum, als es in 08/15-Strafverfahren üblich ist.

Entsprechend verfügt Richterin Escher auch nicht über Routine, was schräge gerichtliche Vorgehensweisen angeht,  sondern über Routine, was korrekte Verfahrensführung nach Maßstäben eines echten Rechtsstaates angeht.  Damit war es auch im Falle Mollath ausgeschlossen, dass sie routinemäßig mit dem Rechtsstaat Schlitten fuhr - eine wirklich erstklassige Wahl.  Und last not least verkörpert sie nicht den Richtertypen des durchgeknallten und cholerischen Patriarchen, der Angeklagte nach Belieben niederbrüllt, sondern ist offensichtlich eine sehr einfühlsame und äußerst diplomatisch agierende Frau.

 

Man hat wirklich für ein Demo-Verfahren gesorgt, analog zu den Demo-Versionen, wie man sie von manchen Softwareherstellern kennt...

3

@ Lutz Lippke

Ich weiß nicht, ob sie das Professionelle wirklich einschätzen können oder sich eher von möglicher Wortgewandtheit und Überzeugungsstärke beeindrucken lassen.

Ich denke schon, dass ich als Arzt das Professionelle einschätzen kann. Ärzte neigen eher nicht dazu, sich von Wortgewandtheit beeindrucken zu lassen, sei es von Anwälten, Journalisten oder Bloggern.

Es gibt einen Auftrag, den der Gutachter bei fehlenden Voraussetzungen gleich welcher Art ablehnen muss.

Mir ist nicht klar, ob Sie hier moralisch oder juristisch argumentieren. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Voraussetzungen wirklich fehlen, ich finde, man sollte es auch dem SV überlassen, das zu beurteilen. Es ist einfach schwer zu vermitteln, worauf ein Psychiater achtet, warum er welche Fragen stellt, wann er Voraussetzungen als gegeben ansieht.

Aber mein Vergleich mit dem Piloten trifft es wohl schon.

Nein, der Pilot ist der Richter.

3

Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Ich weiß nicht, ob sie das Professionelle wirklich einschätzen können oder sich eher von möglicher Wortgewandtheit und Überzeugungsstärke beeindrucken lassen.

Ich denke schon, dass ich als Arzt das Professionelle einschätzen kann. Ärzte neigen eher nicht dazu, sich von Wortgewandtheit beeindrucken zu lassen, sei es von Anwälten, Journalisten oder Bloggern.

Es gibt einen Auftrag, den der Gutachter bei fehlenden Voraussetzungen gleich welcher Art ablehnen muss.

Mir ist nicht klar, ob Sie hier moralisch oder juristisch argumentieren. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Voraussetzungen wirklich fehlen, ich finde, man sollte es auch dem SV überlassen, das zu beurteilen. Es ist einfach schwer zu vermitteln, worauf ein Psychiater achtet, warum er welche Fragen stellt, wann er Voraussetzungen als gegeben ansieht.

Aber mein Vergleich mit dem Piloten trifft es wohl schon.

Nein, der Pilot ist der Richter.

Einerseits können Sie als Arzt das Professionelle einschätzen, andererseits sind Sie sich nicht sicher ob Voraussetzungen [für die Begutachtung] fehlen. Sie wollen es dem SV überlassen, das zu beurteilen und betonen die Schwierigkeit der Arbeit eines Psychiaters zu vermitteln.

Mein Bild vom Piloten können Sie nicht akzeptieren. Ich verstehe Sie. Der Pilot steuert das Flugzeug, wie der Richter den Prozess. Also wäre der Pilot der Richter.

Die Alternative, dass der Tower den Luftverkehr steuert und der Pilot in diesem Gefüge eine vorgegebene Aufgabe mit eigener Verantwortung ausübt, liegt außerhalb Ihres Denkens. Ein solch bewegliches Denken benötigt man, wenn die eigene Arbeit mit einem Erfolgszwang verbunden ist und man deshalb gelernt hat, sich regelmäßig auf festgefahrene Denkmuster zu überprüfen. Es soll akademische Professionen geben, die (meinen) darauf verzichten (zu) können, weil die Tätigkeit an sich schon der Erfolg ist. So steht es dann auch in den Vergütungsordnungen. Ein Wirtschaftsmarkt.

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Sehr geehrte Kommentatoren,

das Pilotenbeispiel (Gutachten=Losfliegen bei leerem Tank) passt m.E. schon deshalb nicht, weil Herr Nedopil deutlich gemacht hat, dass er kein Gutachten lege artis abgeben kann und warum das so ist. Er hat dann eine (von mir ja in einigen Punkten auch kritisch bewertete, s.o.) "Psychiatrische Stellungnahme" abgegeben, die aber im Ergebnis keinen Flug mit leerem Tank darstellt, sondern, wenn man so will, eine Erläuterung darstellt, was zu tun ist, wenn man nicht genau weiß, ob der Tank leer ist oder nicht: "In dubio" dürfe man dann eben nicht losfliegen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Das eigentliche Problem:  Willkür, Beliebig- und Gefälligkeit, Murks und Pfusch

Prof. Dr. Nedopil hat einige hilfreiche Gutachten verfasst, vor allem für die hessischen Steuerfahnder, auch der Polizist Deeg berichtet positiv.

Von jedem Gutachter wird man in der Regel sagen können, dass er "gute", "schlechte", "durchschnittliche" ... usw.  verfasst hat.  Doch das ist nicht das Problem, selbst wenn wir die Frage der Rate (wie viel gute, ...) ausklammern.

Was Prof. Dr. Nedopil im Fall Mollath abgeliefert ist -  bei wenigen Lichtblicken - nicht nur unter aller Kanone, sondern es wird das ganze Ausmaß an Willkür, Beliebig- und Gefälligkeit, Murks und Pfusch überdeutlich, die in diesem Schlechtachterunwesen steckt.  Das ist das eigentliche Problem, das inzwischen mehr als überdeutlich an vielen Ecken und Enden deutlich wird. Wesentlich mitschuldig an diesem Debakel sind die UnterbringungsrichterInnen und die Rechtswissenschaft, die an dieser Stelle keine ist, im Grunde ziemlich versagt. Sonst sähen die Kommentare zu den §§ 20, 21, 63 und Umfeld ganz anders aus.

Man will entscheiden auf Teufel komm raus. Und genau dieser kommt auch an vielen, vielen Stellen dann raus. Und so wird der gesunde Menschenverstand (wenn man nichts weiß, kann man nichts sagen und erst nicht gutachten) und die Wissenschaft verbogen, verachtet und geschmäht. Und das soll Recht sein? Wohlverstandenes sicher nicht.

 

 

 

RSponsel schrieb:

Man will entscheiden auf Teufel komm raus. Und genau dieser kommt auch an vielen, vielen Stellen dann raus. Und so wird der gesunde Menschenverstand (wenn man nichts weiß, kann man nichts sagen und erst nicht gutachten) und die Wissenschaft verbogen, verachtet und geschmäht. Und das soll Recht sein? Wohlverstandenes sicher nicht.

 

<a href="http://blog.beck.de/user/profil/henning-ernst-m-ller" rel="nofollow">Prof. Dr. Henning Ernst Müller, </a></p> <p>12.07.2014 schrieb:

Ich weiß, dass es an der Psychiatrie ernsthafte Kritik gibt, tendiere aber dazu, dennoch die Funktion von Sachverständigen nicht für sinnlos zu halten. Dass es "zu absolut nichts anderem als zu einer willkürlichen Diagnose / Prognose führen kann", erkenne ich nicht und lasse mir diese Erkenntnis auch nicht vorschreiben.

...........

 

Ja, die Psychiatrie ist ein sehr verbesserungsbedürftiges Werkzeug der Erkenntnisfindung. Ich begrüße es, wenn selbst die Psychiater so selbstkritisch sind, dass sie ihre Fehlbarkeit einräumen. Wenn Sie mir ein geeigneteres Werkzeug nennen können (woran ich momentan große Zweifel habe), würde ich sagen: Her damit. Leider sind wir manchmal gezwungen, mit dem begrenzten Wissen klarzukommen, das wir derzeit haben.

 

Fragen:

 

1. Ist es sinnvoll, mit untauglichen Mitteln zu arbeiten, weil man keine tauglichen hat?

2. Kann es legitim sein, auf solcher Basis in schwerwiegender Weise Menschenrechte zu beschneiden?

3. Kann es legitim sein zu sagen: "Ja, die Grundlage, auf der wir teilweise sehr erheblich in Menschenrechte eingreifen, ist von schweren Mängeln geprägt. Aber ich denke nicht einmal darüber nach, wie eine vernünftige Grundlage aussehen könnte!"

 

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Sehr geehrter Herr Müller,

dass Sie mein schönes Piloten-Bild wieder einsammeln, darf ich Ihnen nicht übel nehmen. Sie haben vermutlich recht, eine Stellungnahme ist kein Gutachten. Genau dieser Richterin ist auch zuzutrauen, dass sie den Unterschied erfassen kann und will. Ansonsten gibt es ja noch Strate und die Öffentlichkeit. Ich vertraue aber auch Dr. Sponsel und anderen Experten, die in dieser Stellungnahme mehr als nur die Erläuterung "nicht mit leerem Tank fliegen" gefunden haben. Nicht zuletzt zeigen die Reaktionen Mollaths, dass es sich mit der Beobachtung in der Verhandlung und dieser Stellungnahme um ein zynisches Spiel handelt. Wenn wir mal von der Unschuldsvermutung ausgehen, sollte Mollath 7 Jahre lang jede Hoffnung auf den Rechtsstaat wegtherapiert werden und die Wiederaufnahme knüpft mit solchem Vorgehen nahtlos daran an. Es reichen schon rechtlich gesehen unbedeutende Einschätzungen und allgemeine Biedermann-Sätze mit normativen Vorgaben, wie ein "gesunder" Beschuldigter sich eigentlich verhalten müsste, das einem ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Diesen Bemerkungen ist immer etwas Haftkleber beigegeben. Man sieht die generöse Eitelkeit, mit der sich Justiz und forensische Psychiatrie für den Aufruhr bei Mollath bedanken. Man spürt aber dahinter vor allem  den verbissenen Herrschaftanspruch sich die Deutungsmacht nicht wegnehmen zu lassen. So ist meine subjektive Wahrnehmung.

Herzliche Grüsse

Lutz Lippke

     

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Gutachten oder nicht? Wirrnis als Prinzip

#49 Lippke: "Sie [Prof. Müller] haben vermutlich recht, eine Stellungnahme ist kein Gutachten."

Jein.

Ich spreche mit "Wirrnis" nicht vom Duraplusordner Mollaths wie Lakotta, Lapp & Co., sondern von den Wirren, was Nedopil nun eigentlich gemacht hat. Mündlich hat er in seinem Gutachten erklärt, er habe 6000Seiten gelesen und erstatte ein Gutachten ohne begutachtet zu haben. Sein Tags zuvor datiertes schriftliche 112 Seiten Werk nennt er "Stellungnahme", obwohl es natürlich als Gutachten funktioniert. Ja geht's denn noch wirrer?
Das bloße Umbenennen macht noch nicht den Inhalt und schon gar nicht die Funktion. Dass sind Sophistereien. Wenn Nedopil Format gehabt hätte, hätte er einfach erklärt: ich kann nichts sagen, weil ich Wesentliches nicht weiß. Aber dies Format wird man bei DGPPN Zertifizierten kaum finden. Und deshalb taugt dieses Zertifikat auch keinen Schuss Pulver. Sie haben sich alle einem Juristenrecht unterworfen, das keines sein kann, weil es Unsinn ist, ein Gutachten zu erstatten, wenn das Material hinten und vorne nicht reicht. Das ist nicht nur blanker Okkultismus, wie ihn Kurt Schneider 1948 begründet hat, sondern ein Rückfall ins Mittelalter und im Grunde eine fundamentale Absage an das Recht, den gesunden Menschenverstand und jede Wissenschaftlichkeit.

 

Ergänzung / Frage an den sehr geehrten Herrn Prof. Müller:

 

Wenn man davon ausgeht, dass eine valide Diagnose / Prpgnose betreffend Geisteskrankheit und Gefährlichkeit nicht möglich ist (ausgeschlossen ist), dann ist es mir unklar, warum Sie es nicht sehen, dass jede solche Diagnose / Prognose willkürlich ist: Sobald es subjektiv nutzbare Spielräume gibt, kann eine Diagnose / Prognose doch nur willkürlich sein?

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Ich möchte weiter ergänzend zur Frage an den sehr geehrten Herrn Prof. Müller (#2) im Duden gefundene Synonyme für "willkürlich" aufführen:

 

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Um es deutlich zu machen: Der beste Beweis für einen unbedenklichen Geisteszustand ist nicht, mit allerlei Beweisanträgen in bekannte Muster zurückzufallen und alles in eine Verschwörungstheorie einzubinden - ganz gleich, ob es diesen „größten Fall der Steuerverschiebung“ nun gibt oder gegeben hat. Er hat mit dem aktuellen Wiederaufnahmeverfahren schlicht nichts zu tun.

http://www.strafakte.de/strafverteidigung/eine-frage-des-vertrauens/

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