Beate Zschäpe misstraut ihren Pflichtverteidigern: Aber es geht weiter wie bisher

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 22.07.2014

Heute verkündete der Senat erwartungsgemäß: „Der Antrag wird abgelehnt.“ Konkrete und hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und ihren Anwälten nachhaltig zerrüttet sei, gebe es nicht (Quelle: SZ).

Wie die SZ weiterhin berichtet, soll ein Anwalt Beate Zschäpe bei ihrer Erklärung geholfen haben. Das ist gut so! Denn mit der Begründung des Entpflichtungsantrags durfte man sie nicht ohne juristische Hilfe lassen. - Die Beurteilung, dies alles sei nur "ein Sturm im Wasserglas", wie Frau Ramelsberger meint, vermag ich erst zu teilen, wenn ich weiss, wie kompetent die juristische Unterstützung war; denn war dies nicht der Fall, dann ist Frau Zschäpe mächtig unter die Räder gekommen.

SZ:„Götzl fragt Zschäpe, ob sie noch etwas sagen will. Oder ihre Anwälte. Niemand meldet sich. Die Angeklagte blickt jetzt starr geradeaus." -  Allein diese kurzen Sätze beschreiben deutlich, dass hier ein Problem liegt!

Die Bilder in den Fernsehnachrichten belegen das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidigern und ihrer Mandantin. - Aber selbst ein Wahlverteidiger darf „nicht zur Unzeit“ das Mandat kündigen. Für einen Pflichtverteidiger besteht die Möglichkeit der einfachen Niederlegung nicht. Nur "aus wichtigem Grund“ kann nach § 48 Abs. 2 BRAO die Aufhebung der Pflichtverteidigung beim Vorsitzenden beantragt werden. Das ist nicht geschehen; die Pflichtverteidiger haben geschiegen. 

Wenn das Vertrauensverhältnis zum Pflichtverteidiger nicht mehr besteht, insbesondere wenn die nicht gewünschte Verteidigungsstrategie aufgezwungen wird, rät Dahs im Standardwerk "Handbuch des Strafverteidigers" (6. Aufl., Rn. 134) dem Pflichtverteidiger zu einer "verständigen Aussprache mit dem Vorsitzenden", die eine befriedigende Lösung bringen könnte.

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10 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Kollege, ich meine, dass sowohl Götzl als auch die Pflichtverteidiger die Situation prozesstaktisch nicht genutzt haben. Die Verteidiger hätten ihre Entpflichtung beantragen müssen, unabhängig, ob die Voraussetzungen vorliegen oder nicht. Damit hätten sie eine win win Situation geschaffen: Sie hätten Beate Z. gezeigt, dass sie ihren Wunsch akzeptieren, dass sie sie ernst nehmen und verstehen. Gleichzeitig hätten sie damit Götzl den Ball zugespielt, lehnt er ab, können sie gegenüber der Mandanitn darlegen, dass der Vorsitzende hier weder auf das Ansinnen von ihr, noch von der Verteidigung eingeht. Hätte man so als Verteidiger agiert, eröffnet sich eine Möglichkeit unzähliger prozessualer Anträge bis zur Verfassungsbeschwerde usw... Götzl hat die Möglichkeit verspielt eine Vertrauensbasis zu Beate Z. aufzubauen und damit gegebenenfalls eine Aussage zu erreichen. Götzl hatte mehrere Möglichkeiten, aber keine genutzt um eine Kommunikationsebene zur Angeklagten herzustellen: Er hätte Beate Z. einen weiteren Pflichtverteidiger, also einen gewählten Pflichtverteidger, bestellen können. Die Presse berichtet, dass die Pflichtverteidger von Beate Z. keine Stellungnahme zu der Begründung von Beate Z. abgegeben und sich dabei auf ihre Schweigepflicht berufen hätten. Falls diese Aussage zutrifft, hätte Götzl nachfragen müssen wer von dem Trio diese Auffassung vertritt und anschließend denjenigen Pflichtverteidger entbinden müssen, der dies bejaht und zwar wegen fachlicher Ungeeignetheit (Breidling wollte das immer gerne probieren, es hat sich keine Gelegenheit geboten). Götzl hätte weiter einen Keil in die sichtbar angeschlagene Verteidgung treiben können um eine Aussage von Beate Z. zu erreichen, diese Chance hat er nicht genutzt. 

Aber um wen geht es, ausschließlich um die Angeklagte. Was ist mit ihren Rechten? Was ist mit der Fürsorgepflicht des Vorsitzenden gegenüber der Angeklagten? Ein Entgegenkommen des Vorsitzenden, Rechtsprechung hin oder her, kann manchmal Wunder bewirken.

 

Beste kollegiale Grüße aus dem schrecklichen Stuttgart.        

 

 

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Ricarda Lang schrieb:
Aber um wen geht es, ausschließlich um die Angeklagte. Was ist mit ihren Rechten? Was ist mit der Fürsorgepflicht des Vorsitzenden gegenüber der Angeklagten? Ein Entgegenkommen des Vorsitzenden, Rechtsprechung hin oder her, kann manchmal Wunder bewirken.
Wenn Sie glauben, in dem Prozess gehe es ausschließlich um Frau Zschäpe, dann irren Sie sich gewaltig.

Ihre Rechte nimmt sie wahr, indem wie schweigt (und Zeugen befragen lässt oder es selbst tut, worauf sie aber bisher verzichtet). Mit welchen Verteidigern sie das tut, ist unerheblich. Nichts hat bisher erkennen lassen, dass sie mit anderen Anwälten oder einem zusätzlichen mehr sagen würde als bisher, nämlich nichts.

Natürlich wären die angesprochenen prozesstaktischen Verzögerungsmaßnahmen möglich, sie würden jedoch zur Wahrheitsfindung absolut nichts beitragen und wären eine Verhöhnung der Menschen, um die es in diesem Prozess ebenfalls geht: die als Nebenkläger anwesenden Familienmitglieder der Ermordeten. Aber vielleicht führt juristische Betriebsblindheit zu so einer einseitigen Sichtweise.

Ricarda Lang schrieb:
Beste kollegiale Grüße aus dem schrecklichen Stuttgart.
Ich finde ostdeutsche Kleinstädte, aus denen der NSU nahestehende Schlägerbanden - unter Wegsehen von Politikern und Polizei - alles vertrieben haben, was sie nicht als deutsch ansehen, weitaus schrecklicher als eine multikulturelle, tolerante und kriminalitätsarme Großstadt, die in vorbildlicher Weise Integrationsprogramme anbietet. Aber jeder wie er meint. Tipp: Artikel 11 GG gilt auch für Sie.

Huch, seit wann ist es Aufgabe des Gerichts, "einen Keil in die ....Verteidigung" zu treiben, umd "eine Aussage... zu erreichen"? 

Aufklärungspflicht hin oder her, dass Götzl nicht unter vorgeschobener  Berufung auf eine Fürsorgepflicht  das selbstverständliche Recht der Angeklagten, zu schweigen, unterminiert, ist mE eher positiv zu sehen. Was wollen uns Sie eigentlich sagen, Frau Lang Fürsorge oder Keil? 

Fachliche Ungeeignetheit des HSS- Trios wegen einer ggf. irrigen  Rechtsauffassung zur Schweigepflicht? Sehr originell,  wenn man das bejaht, denn da  gab es durchaus andere Vorfälle, bei denen die Verteidiger schon an den ersten Verhandlungstagen entpflichtet werden müssen (siehe die "Flucht aus dem Sitzungssaal", die "Frankfurter Eröffnung" etc) . 

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Sehr geehrte Frau Kollegin Lang,

vielen Dank für Ihre interessanten prozesstaktischen Überlegungen, wie sie selten so offen angesprochen werden. Vielleicht gelingt es, diese Fragen im Blog zu diskutieren.

Als Wahlverteidiger sowieso, aber auch als Pflichtverteidiger hätte ich, wie von Ihnen vorgeschlagen, die Aufhebung der Pflichtverteidigung beim Vorsitzenden mit Blick auf das fehlende Vertrauen der Mandantin beantragt, wenn eine vorab erbetene Aussprache über die Gründe des Misstrauens nachhaltig kein Vertrauen in die Verteidigung wieder hergestellt hätte; vielleicht ergibt ein solches Gespräch sogar ausreichende Gründe nach § 48 Abs. 2 BRAO. Dass dem Aufhebungsantrag nicht so ohne weiteres stattgegeben werden kann, leuchtet jedem ein: Sonst würde über dieses Vorgehen der Fortgang jeden Prozesses in den Händen des Angeklagten/der Verteidigung liegen. Aber der Mandant/die Mandantin sieht, dass sein Anliegen ernst genommen wird. Falls der Prozess in alter Besetzung gleichwohl weiter geht, muss das Augenmerk darauf gerichtet werden, verlorenes Vertrauen wieder herzustellen. Und wenn dies nicht gelingt, bleibt allemal ein Gespräch zusameen mit dem Mandanten oder Einzelgespräche mit dem Vorsitzenden. Jedenfalls muss in einer solchen Situation etwas geschehen, um die Vertrauenskrise einer Lösung zuzuführen. Weiter wie bisher geht m.E. nicht!

Mit freundlichen kollegialen Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

Sehr geehrtes Gaestchen, ich habe aus der Perspektive der verschiedenen Prozessbeteiligten aufgezeigt, welche Möglichkeiten bestanden hätten. Es geht nicht um Fürsorgepflicht oder Keil, sondern um Prozesstaktik, auch nicht um richtig oder falsch. Im letzten Abschnitt habe ich versucht nochmal zu erläutern, um wen es gehen muss und sollte. Durch die restriktive Rechtsprechung ist der Angeklagte seinen einmal gewählten Pflichtverteidigern ausgeliefert. Der Angeklagte, der kein Vertrauen mehr, hat aus welchen Gründen auch immer, fühlt sich verloren, als Objekt. Ich empfehle den lesenswerten Beitrag in der SZ von Prantl. Zur Entpflichtung: Die StPO eröffnet bei Beherrschen ungeahnte Möglichkeiten, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Ich kann nichts positives daran sehen, wenn man Angeklagte  zwingt, von Anwälten verteidigt zu werden denen man nicht mehr vertraut. Daher hätte ich es richtig gefunden, wenn der Vorsitzende Beate Z. einen weiteren von ihr gewählten Pflichtverteidiger bestellt hätte. 

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Unzufriedenheit mit der Verteidigung ist ein häufiges Symptom bei Angeklagten in langen, zermürbenden Prozessen, die gefühlt nicht voranschreiten. Wenn Frau Zschäpe auch mit Hilfe eines Rechtsanwaltes nur wenige Gründe, die juristisch offensichtlich auch noch derart schwach sind, dass sie noch nicht mal eienr näheren Erläuterung durch den Vorsitzenden bedurften, zur Begründung ihres Antrages vortragen konnte, dann muss man eben davon ausgehen, dass es die StPO nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten hergbt, in diesem Fall andere Pflichtverteidiger einzusetzen. Es macht infolgedessen auch keinen Sinn Wege zu suchen, wie man Frau Zschäpe zu "Ihrem Recht" verhelfen könnte. Dieses Recht wird durch drei Kollegen verteidigt, die nach allem Anschein ihre Aufgabe ernst nehmen. Sie gehören vielleicht nicht zur Riege der Krawallverteidiger, die mandantenwirksam regelmäßige Showeinlagen abziehen und dem Angeklagten das Gefühl geben, dass da endlich mal jemand gegen das Gericht kämpft, aber das ist ja uch nicht immer hilfreich. Wenn Frau Zschäpe das gewollt hätte, hätte sie sich eben solche Verteidiger, deutschlandweit bekannt, aussuchen m,üssen. Sie traf jedoch eine andere Wahl und daran muss sie sich nun messen lassen.

 

Keiner weiß, was zwischen den Anwälten und Frau Zschäpe vorgefallen ist bzw. zu der Verstimmung beigetragen hat, daher sind sämtliche Spekulationen relativ fruchtlos. Die immer wieder vorgebrachte Unterredung mit einem Vollzugsbeamten kann hier mangels Kenntnis des genauen Inhalts auch nicht weiterhelfen.

 

Wenn Frau Zschäpe aussagen will, dann kann sie niemand daran hindern, der Staat kann jedoch meiner Meinung nicht für eine ständige Wohlfühlatmosphäre für Angeklagte sorgen, in dem er , wie von Frau Lang angedeutet, "kreativ" vorgeht, um  Befindlichkeiten nachzukommen. Und nach der Begründung des Antrages zu urteilen handelt es sich um Befindlichkeiten.

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Wenn ein Mandant trotz eingehender und wiederholter Beratung und entgegen meiner eindringlichen Empfehlung unbedingt reden möchte, halte ich ihn nicht davon ab. Ein Verteidiger muß den Angeklagten nur beraten, nicht vor eigener Doofheit schützen (falls er nicht offensichtlich unter Intelligenzschwächen leidet, krank ist, o.ä.). In so einem Fall hilft ein Schriftstück folgenden Inhalts:  "Als Verteidiger empfehle ich Ihnen aus fachlicher Sicht dringend, weiterhin zu schweigen. Zur Kenntnis genommen, Angeklagter"  Bitte unterzeichnen Sie hier.  Dem Gericht wird dann noch zu Protokoll gegeben, daß der/die Angeklagte sich gegen den ausdrücklichen anwaltlichen Rat entschieden hat, sich zur Sache einzulassen.

 

Anschließend darf der Angeklagte nach herzenslust quatschen (* zurücklehn' und dem Desaster teilnahmslos folgen *).

 

Wenn ein Verteidiger zum Schweigen rät, hat das doch gute Gründe. Z.B., weil der Angeklagte mit einer Einlassung alles noch schlimmer machen würde oder weil die Beweislage so dünn ist, daß ein (Teil-) Freispruch ohne Einlassung des Mandanten wahrscheinlich ist. Die meisten juristischen Laien ertragen es jedoch nicht, wenn Zeugen etwas Unrichtiges aussagen und das Gericht falsche Feststellungen trifft, auch wenn diese Fehler für einen Juristen offensichtlich nicht das Ergebnis beeinflussen oder allenfalls zugunsten des Angeklagten. Aber nein, es muß ja unbedingt die "Wahrheit" auf den Tisch oder das, was der Angeklagte dafür hält.

 

Selbst ohne die Akten zu kennen, wage ich die Prognose, daß Frau Zschäpe mit einer Einlassung die Wahrscheinlichkeit eines Schuldspruchs und eine lebenslange Freiheitsstrafe noch einmal deutlich erhöhen würde. Das Gericht ist erfahren genug, um Frau Zschäpe in tagelanger Vernehmung genau die Aussagen zu entlocken, die es für "LL"+besondere Schwere der Schuld benötigt.  Da müßte schon eine außergewöhnlich kluge, unerwartete und eloquente Aussage von Frau Zschäpe kommen, um zumindest die besondere Schwere der Schuld abzuwehren. Dazu sind die meisten Angeklagten intellektuell nicht in der Lage. Es gibt nur wenige Mandanten, die das Gericht durch ihre Einlassung und Selbstdarstellung völlig verblüffen können, so daß sich ein gänzlich anderes Bild ergibt.

 

Wenn ich als Verteidiger aufgrund der vielen Gespräche mit dem Angeklagten den Eindruck habe, der Mandant kommt auf dem Papier völlig falsch rüber, der ist eigentlich ganz anders, der ist im Grunde sympathisch, überzeugend, hat menschlich nachvollziehbare Gründe für sein Handeln, der kann durch eine Aussage alles nur besser machen (selbst wenn er im Sinne der Anklage schuldig ist) und für sich noch etwas "herausholen", rate ich ihm auch zu einer Einlassung. So mancher Angeklagte konnte damit schon eine hohe Straferwartung auf eine Bewährungsstrafe reduzieren. Aber so sind die wenigsten Mandanten.  Die Aussagesituation wird doch schon in den Gesprächen mit den Verteidigern vorweggenommen. Auch Anwälte stellen ihren Mandanten die kritischen Fragen, die von Gericht und Staatsanwaltschaft zu erwarten sind. Die meisten Mandanten sind dem nicht gewachsen und quatschen sich um Kopf und Kragen (selbst wenn sie wirklich unschuldig oder "weniger" schuldig sind).

 

Im übrigen: die meisten Richter (zumindest an den Landgerichten und höher) begrüßen doch nicht deshalb die Aussagebereitschaft eines Angeklagten, weil sie die Fragen und Antworten dazu nutzen möchten, den Angeklagten so weit als möglich zu entlasten...  Die meisten Fragen zielen genau darauf ab, die Anklage zu untermauern.

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@ #7

Ihren Kommentar habe ich mit 5 Sternen bewertet, Sie sagen, was zu sagen ist, und Sie sagen es sehr gut verständlich.

Ergänzen möchte ich noch, dass es längst viel zu viele Negativbeispiele justiziellen Handelns gibt, die das V Vertrauen in die Justiz dahingehend erschüttert haben, dass man ihr eine objektive Verwertung von Aussagen kaum noch zutraut, dass man vielmehr gerade in einer Lage wie Zschäpe fürchten muss,  dass Entlastendes ignoriert, Belastendes aber hochgespielt und Neutrales zu Belastendem umfunktioniert wird. Von daher sollte man es sich wirklich sehr gut überlegen, inwiefern man sich äußert, und man sollte auch schriftlich zur Akte reichen, was man äußert, damit die eigenen Äußerungen in ihrer wahren Form im Hauptverhandlungsprotokoll zu finden sind. Am besten also: Erst schreiben, dann ablesen und einreichen.

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Die Journalistin und Juristin Dr. Helene Bubrowski sieht in der FAZ den Senat auf Verurteilungskurs - und selbst die Verteidiger sollen das so sehen!

Dann versteh ich die unveränderte Verteidigungsstratgie noch weniger als bisher. Selbst aus diesem Artikel ergeben sich doch wichtige Anhaltspunkte dafür, was zu tun wäre.

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