Wechselmodell - nur auf dem Papier (Fortsetzung)

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 04.07.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht6|4307 Aufrufe

Hier hatte ich darüber berichtet, dass ein Polizist und eine Lehrerin (meiner Erfahrung nach die schlimmst mögliche Paar-Konstellation) für ihr gemeinsames Kind nach der Trennung auf dem Papier ein Wechselmodell vereinbart hatten, dieses aber nicht genau hälftig praktizierten. Vielmehr überwog der Betreuungsanteil der Mutter. Das OLG Frankfurt hatte den Vater zur Zahlung von Barunterhalt verpflichtet.

Seine zugelassene Rechtsbeschwerde blieb weitgehend erfolglos.

Nach Auffassung des BGH ist die Barunterhaltspflicht des anderen solange nicht in Frage zu stellen, wie das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil liegt. Denn dann sei die Annahme gerechtfertigt, dass dieser Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind trägt und dadurch den Betreuungsunterhalt leistet, während der andere Elternteil zum Barunterhalt verpflichtet ist. Deshalb ändere sich an der aus dem Schwergewicht der Betreuung durch einen Elternteil folgenden Aufteilung zwischen Bar- und Betreuungsunterhalt nichts, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seinerseits Betreuungs- und Versorgungsleistungen erbringt, selbst wenn dies im Rahmen eines über das übliche Maß hinaus wahrgenommenen Umgangsrechts erfolgt, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert. Wenn und soweit der andere Elternteil gleichwohl die Hauptverantwortung für ein Kind trägt, muss es dabei bleiben, dass dieser Elternteil seine Unterhaltspflicht iSd § 1606 III 2 BGB durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt  

Anders sei es (nur) zu beurteilen sein, wenn die Eltern sich in der Betreuung eines Kindes abwechseln, so dass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt. In solchen Fällen wird eine anteilige Barunterhaltspflicht der Eltern in Betracht kommen, weil sie auch für den Betreuungsunterhalt nur anteilig aufkommen. Verfügen beide Elternteile über Einkünfte, ist der Elementarbedarf des Kindes an den beiderseitigen – zusammengerechneten – Einkünften auszurichten. Hinzuzurechnen sind Mehrkosten, die durch die Aufteilung der Betreuung entstehen und deren Ansatz und Erstattung unter den jeweiligen Umständen angemessen ist.

Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des BeschwGer. erledigt die Kindesmutter – über ihren zeitlich größeren Einsatz bei der Betreuung des Kindes im eigenen Haushalt hinaus – bedeutsame organisatorische Aufgaben der Kindesbetreuung weitgehend allein, namentlich die Beschaffung von Kleidung und Schulutensilien sowie die Regelung der Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten wie Sport- oder Musikunterricht. Wenn das BeschwGer. unter diesen Umständen in tatrichterlicher Verantwortung zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass die Kindesmutter ihre Unterhaltspflicht gegenüber der Ast. durch ihre Betreuungsleistungen erfüllt, lässt sich hiergegen aus Rechtsgründen nichts erinnern. Demgemäß hat das BeschwGer. den Unterhaltsbedarf der Ast. zu Recht allein auf der Grundlage des Einkommens des Ag. anhand der Düsseldorfer Tabelle ermittelt.

Für möglich hält der BGH in diesen Fällen des über das übliche Maß hinausgehenden Umgangsrechts allenfalls eine Herabstufung bzw. Nichtheraufstufung in den Gehaltsgruppen der Düsseldorfer Tabelle.

BGH v.12.3.2014 – XII ZB 234/13

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6 Kommentare

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"(meiner Erfahrung nach die schlimmst mögliche Paar-Konstellation)"

Wieviele Kinder haben Sie denn schon im Wechselmodell erzogen oder worauf sonst stützen sich ihre "Erfahrungen"?

 

Oder ist es nur die Erfahrung aus dem Gerichtssaal, dass die finanziellen Anreize, die für die Aneignung der Kinder von der Justiz ausgelobt werden, es sehr attraktiv machen, mit aller Macht um die Kinder zu streiten?

 

Das Buch von Sünderhauf, die Familien auch ausserhalb von Gerichtsverfahren um maximalen Unterhalt befragt hat und dabei ganz andere "Erfahrungen" gemacht hat, scheinen Sie jedenfalls nicht gelesen zu haben.

 

Es kommt mir so vor als perpetuierten sie lediglich das, was in den Familiengericht als unumstößliche Wahrheit angenommen wird, wie die Tatsache, dass die Sonne sich um die Erde dreht, diese eine Scheibe ist und schwere Gegenstände schneller fallen als leichte.

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Lieber Gast,

fragen Sie einen Juristen (gleich welcher Profession und gleich auf welchem Rechtsgebiet) nach seinen beruflichen Erfahrungen mit Lehrern. Sie werden in 99% der Fälle ein tiefes Seufzen und dann schier unglaubliche Geschichten hören.

Lehrer und Polizisten sind es von berufswegen nicht gewohnt, dass man ihnen widerspricht. Geschieht dies im Privaten dann doch ( und wenn es der Partner ist), reagieren sie oft "auffällig".

Lieber Herr Burschel,

fragen Sie einen "normalen" Bürger (gleich welcher Profession) nach seinen beruflichen Erfahrungen mit (Familien-)Juristen. Sie werden in 99% der Fälle ein tiefes Seufzen und dann schier unglaubliche Geschichten hören.

Richter sind es von berufswegen nicht gewohnt, dass man ihnen widerspricht. Geschieht dies im Privaten dann doch ( und wenn es der Partner ist), reagieren sie oft "auffällig".

 

Ich finde ihren Beitrag #3 sehr bemerkenstwert frage mich allerdings, was das mit dem Thema und meinem Beitrag zu tun hat.

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Hallo,

 

ich würde gerne was zum Hauptthema beitragen wollen. Schon längere Zeit beobachte ich, dass es in der Praxis mit grossem Missverständnis aufgenommen wird, wenn zwar die Kinder mehr als alle 2 Wochenenden betreut werden, dies sich unterhaltsrechtlich aber in keinster Weise niederschlägt.

 

Oft werden die finanziellen Verhältnisse bei Trennung bis an den Rand des Möglichen ausgereizt und sind jedoch sehr oft aufgrund der emotionalen Begleitumstände pragmatische Lösungen nicht erzielbar. Schnell können dann - wenn auch berechtigte - Unterhaltsforderungen dazu führen, dass der Kollaps ziemlich schnell nach der Trennung eintritt.

 

Ich finde es daher erfreulich, wenn der BGH dies nun offenbar im Ansatz sieht und unter dem Stichwort des "über das übliche Maß hinausgehenden Umgangsrechts" einen Ansatzpunkt für die Familien eröffnet, die faktisch aufgrund der jeweiligen Arbeitsverhältnisse eine 50:50 Betreuung gar nicht hinkriegen können, weil die Familie z.B. auch ganz gehörig finanziell davon abhängig ist, dass der bisherige Hauptverdiener/Barunterhaltsverpflichtete weiterhin die (Familien-)Trennungskasse füllt.

 

MfG

Peter H.

 

 

 

Um Gast in #3 zu ergänzen:

Hier zählt also das schriftlich Vereinbarte zum Wechselmodell nicht, weil praktisch nicht durchgeführt. Die Gründe für das Abweichen von Vereinbarung und Praxis werden hier gar nicht thematisiert. Annahmen der Richter ersetzen offenbar eine Tatsachenklärung.

Andersherum zählt es aber auch nicht, wenn praktisch, organisatorisch und beweisbar mindestens eine hälftige Betreuung und Mitsorge erfolgt, aber formal das Alleinsorgerecht besteht. Der Alleinsorgende kann zu einem beliebigen Zeitpunkt und ohne belastbare Gründe diese praktische Mitsorge, Mitbetreuung sogar rückwirkend aufkündigen, Unterhalt rückwirkend fordern, die Mitsorge abwehren und geniesst volle Unterstützung der Gerichte.

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass es in #2, #3 um vollkommen verschiedene Sachverhalte geht.

#2 Herr Burschel fragt einen Juristen

#3 Gast fragt einen "normalen" Bürger

Ob sich Jurist nun nur mit normal, Bürger oder doch mit Beidem beißt, überlasse ich mal dem Ungewissen.

 

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Die Zusammenschau beider Urteile offenbart den kafkaesken Charakter des Familienrechts (man lese auch nochmals die Kommentare zum damaligen Urteil  http://blog.beck.de/2013/06/14/wechselmodell-nur-auf-dem-papier wird ).

Wenn die schriftliche Vereinbarung nicht mit praktizierten Realität übereinstimmt, ohne dass hinterfragt wird, wie diese faustrechtliche Unterlaufung entstand, dann gehts halt nach Körbchengröße.... Etliche Fälle zeigen, dass diese Abweichungen vornehmlich beachtlich sind, wenn sie für die Mutter streiten. Der Richter verhält sich wie die Blauhelme in Srebrenica.

Kein Elternteil kann künftig keinem Elternteil mehr trauen, wenn Eltern autonom gemeinsam Entscheidungen festhalten.

 

Denn dann kommt die Justiz mit ihrer neuen Hexenprobe vom "genau hälftig Praktizierten"  Am Ende natürlich nur mit dem Ziel stets und immer einen Alleinunterhaltszahler dingfest zu machen und die Fiktion von der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt ohne jede Rücksicht auf veränderte Lebensmodelle zu retten.

Jeder Vater der beide Urteile verstanden hat, wird begreifen, dass Miterziehen nur kostspieliger, verachteter Unsinn ist.

 

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