Der Mindestlohn kommt - mit Änderungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 03.07.2014
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtMindestlohnTarifautonomieMiLoG7|3908 Aufrufe

Der Deutsche Bundestag hat heute das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie verabschiedet, in dessen Rahmen auch der Mindestlohn eingeführt wird. Aufgrund der Sachverständigenanhörung am Montag hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales in seinen Beratungen am Dienstag noch eine Reihe von Änderungen im Gesetzentwurf vorgenommen. Diese wurden erst wenige Minuten vor der Beschlussfassung des Plenums öffentlich gemacht. Die Drucksache mit den Änderungen finden Sie hier.

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7 Kommentare

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Wie beurteilen Sie die Ausnahme für Zeitungszusteller aus verfassungsrechtlicher Sicht (Gleichheitsgrundsatz)? Das Gundrecht der freien Presse, mit dem argumentiert wird, schließt doch nicht exklusiv für Zeitungen und Anzeigenblätter den Anspruch auf billige Verbreitung per Lohndumping ein - sonst könnten sich Bücherversender ja ebenfalls darauf berufen.

 

Der Mindestlohn ist in einer sozialen Markwirtschaft im Zentrum Europas mehr als überreif. Leider bewegen wir uns wieder mal in eine Richtung, die symptomatisch für die deutsche Rechtspolitik ist. Auf dem Papier wird wieder etwas zusammengeschustert, das dann sehr "sozial" und "rechtskonform" aussieht und daher "PR-mäßig" alles erfüllt, was eine "soziale Marktwirtschaft" braucht.

 

Hieran anschließend die Frage der "Ausnahme für Zeitungszusteller". Wer ein vernünftiges Argument vorlegen kann, warum Zeitungszusteller vom Mindestlohn nicht proftieren sollen, möge dies bitte vorbringen. Dasselbe gilt für Arbeitnehmer unterhalb von 18 Jahren. Unabhängig davon, dass eine solche Regelung altersdiskriminierend sein dürfte, weiss ich nicht, warum das Alter eines Menschen, Einfluss auf die Thematik des Mindestlohns haben soll.

 

Wir sollten uns einmal vor Augen führen, wovon wir sprechen. Ein Mindestlohn von EUR 8,50 bedeutet bei einer Vollzeitstelle ein monatlichs Bruttogehalt von ca. EUR 1.400,-. Eine Familie wird hiervon nicht ernährt werden können, weder in Mecklemburg-Vorpommern noch in Baden-Württemberg. Dass aber trotzdem an diesem Wert so erheblich gerüttelt wird, dass man meinen könnte, es stünde eine sozialpolitische Revolution bevor, zeigt, unter welchen maroden Lohnzuständen wir bisher gelitten haben.

 

Das bisherige "Mindestlohnschutzsystem" war ein System, dass auf einer Umlenkung der Finanzbelastung auf alle anderen zu Gunsten des bestroffenen Arbeitgebers beruhte.

 

Arbeitnehmer, die auf Grund ihres Einkommens zu wenig verdienten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, mussten zum Jobcenter und ihre Einkünft aufstocken lassen.

 

-> Umverteilung auf den Steuerzahler

 

Diejenigen die bestehende tarifliche Bindungen umgehen wollten, und Angestellte zu "Selbständigen" gemacht haben, konnten auf diese Weise den Sozialversicherungskassen immense Einnahmen vorenthalten. Ich spreche hierbei auch nicht nur vom klassischen "schwarzen Schaf" der Paketzustelldienste, sondern ebenso von alteingesessenen deutschen Industrieunternehmen.

 

-> Umverteilung zu Lasten der Allgemeinheit

 

Die Generation "Praktikum" die von einem Praktikum zum anderen hechelt und hierfür entweder gar nicht entlohnt wird oder aber für EUR 400,- pro Monat abgespeist wird, stellt eine Umverteilung der Belastung auf die Verwandten oder Lebenspartner dieser Praktikanten dar.

 

-> Umverteilung zu Lasten existierender Vermögenswerte Dritter

 

Das alles wurde bisher von der Politik wohlwillend gebilligt, denn auch Prakikanten, Niedriglöhner und Scheinselbständige verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik.

 

Der Mindestlohn wird, wenn er denn tatsächlich praktisch gelebt wird, ein weitaus "realeres Bild" unseres "Arbeitslosenmarktes" ergeben, als er derzeit propagiert wird.

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Nils Kratzer schrieb:
Wer ein vernünftiges Argument vorlegen kann, warum Zeitungszusteller vom Mindestlohn nicht proftieren sollen, möge dies bitte vorbringen. Dasselbe gilt für Arbeitnehmer unterhalb von 18 Jahren. Unabhängig davon, dass eine solche Regelung altersdiskriminierend sein dürfte, weiss ich nicht, warum das Alter eines Menschen, Einfluss auf die Thematik des Mindestlohns haben soll.

 

Zum zweiten Punkt habe ich ein Argument:

Ein Auszubildender erhält während seiner Ausbildungszeit deutlich weniger Geld als den Mindestlohn. (600 Euro Ausbildungsvergütung bei ca. 160 Stunden Ausbildungszeit im Monat sind 3,75 Euro.)

Eine Ausbildung erhöht aber die Chance, überhaupt einen Job zu bekommen bzw. später dann einen Job zu haben, wo es eben nicht nur Mindestlohn gibt, sondern ein paar Euro mehr.

Es soll deshalb verhindert werden, dass manche Jugendliche zugunsten des höheren Mindestlohns auf die Ausbildung verzichten.

Das geht wohl nur altersabhängig, denn "Wer keine Ausbildung - egal als was - abgeschlossen hat, bekommt auch keinen Mindestlohn." würde den Mindestlohn wieder weitgehend aushöhlen.

Kein Thema, was das Ausbildungsverhältnis angeht. Soweit ich den Gesetzesentwurf verstanden habe, sollen aber alle Arbeitnehmer unterhalb von 18 Jahren vom Mindestlohn ausgeschlossen werden. Hierfür sehe ich leider keine Rechtfertigung.

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@ Nils Kratzer

Die Sorge des Gesetzgebers dürfte sein, dass junge Leute dazu tendieren könnten, lieber einen Mindestlohn-Job anzunehmen als eine (schlechter bezahlte) Ausbildung zu absolvieren. Diese Tendenz könnte gerade bei jenen bestehen, die (noch) nicht davon überzeugt sind, mit einer Ausbildung eine deutlich bessere Qualifikation zu erwerben und damit später auch höherdotierte Arbeitsplätze zu erlangen. Das gesamtgesellschaftliche Interesse an einer gut ausgebildeten Bevölkerung ist nach meiner Überzeugung durchaus als Rechtfertigungsgrund i.S. von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG tragfähig ("... legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind ...").

 

 

@ Christian Rolfs:

 

Dieses Problem hatten wir aber auch schon vor der Einführung eines Mindestlohns. Mit nahezu jedem Job konnte man auch bisher mehr verdienen, als durch eine "Ausbildung".

 

Beim Thema Rechtfertigung wäre ja nicht nur die erste Stude, das "legitime Ziel" zu prüfen, sondern auch die "Geeignetheit" und die "Verhältnismäßgkeit im engeren Sinne".

 

Angesicht des Tatsache, dass es die von Ihnen angesprochene Thematik auch schon vor der Einführung des Mindestlohns gab, dürfte es schon an der "Geeignetheit" fehlen.

 

Ferner dürften das unionsweite Gemeingut der "diskriminierungsfreien Arbeitswelt" weitaus höher angesiedelt sein, als das nationale Ziel,  einigen "Wenigen", die nicht erkennen, dass eine Ausbildung möglicherweise weitergehende Berufschancen eröffnet, einen Anreiz zu verschaffen.

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Eine Gleichsetzung mit der Situation vor Einführung des Mindestlohns übersieht, dass der Mindestlohn das Problem ungelernte Tätigkeit statt Ausbildung deutlich verstärkt.

Vor Einführung des Mindestlohns war die Schere zwischen Ausbildungsvergütung und schlecht bezahltem Arbeitsverhältnis deutlich kleiner. Längst nicht jeder ausbildungsunwillige Jugendliche hat bisher schon 8,50 Euro als Alternative angeboten bekommen. Deshalb wäre zu befürchten, dass sich ohne die Ausnahmeregelung deutlich mehr Jugendliche gegen eine Ausbildung entscheiden könnten, als das bisher der Fall ist.

Ob die Bedenken sich als richtig erweisen, werden wir wahrscheinlich in einigen Jahren abschätzen können. Dazu hilft die Vergleichsgruppe knapp oberhalb der Altersgrenze. Wir werden sehen, ob die Azubizahlen bei den 19- bis 21-jährigen zurückgehen und stattdessen die Anzahl der ungelernten Kräfte in diesem Alter steigt.

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