Das obiter dictum - oder: lieber doch keinen Regress

von Dr. Klaus Lützenkirchen, veröffentlicht am 03.06.2014

Anwälte wechseln ihre Rechtsauffassung manchmal stündlich - weil es die Mandate erfordern.
Warum also sollen nicht auch die Richter dieses Juristen-Privileg in Anspruch nehmen. Gleiches Recht für alle (Juristen). Deshalb bleibt es kein frommer Wunsch, dass auch die Richter an Instanzgerichten die Hindernisse überwinden können, die sie oft davon abhalten, ihre einmal geäußerte Rechtsmeinung nach besserer Einsicht zu ändern. Warum die Hindernisse manchmal unüberwindbar sind, will ich jetzt nicht erforschen. Die richterliche Selle ist - heute - nicht mein Thema.
In der seit 2003 neu geschriebenen Ära des Mietrechts gibt es für richterliche bessere Einsichten berühmte Beispiele: noch am 22.1.2014 (VIII ZR 352/12) hat der BGH angekündigt, seine Rechtsprechung bei Schönheitsreparaturen in einem entscheidenden Punkt zu überdenken. Viele befürchten schon lawinenartige Auswirkungen dieses Hinweises am Ende der Amtszeit des Vorsitzenden Richters am BGH Ball. Auf Anhieb erinnere ich mich an ähnliche Beispiele zur stillschweigenden Änderung von Umlagevereinbarungen, einseitig formellem Kündigungsverzicht oder dem Eigenbedarf der GbR.

Und nun kündigt sich der nächste Sinneswandel an:
In BGH v. 14.2.2007 – VIII ZR 1/06 war festgestellt, dass der Vermieter auch dann die zur Position angefallenen Gesamtkosten in der Abrechnung der Betriebskosten anzugeben hatte, wenn er nur einen geringeren Teil davon für umlagefähig hielt. Dem sind die Instanzgerichte (brav und gar nicht widerwillig) gefolgt.
Offensichtlich trieb die Sache dann aber doch Blüten:
Sechseinhalb Jahre später, nämlich am 9.10.2013 (VIII ZR 22/13), erinnerte sich der BGH an die Kritik, die seinerzeit die Entscheidung fast unisono als Bestrafung des „gerechten“ Vermieters empfand und insbesondere von Langenberg (Betriebskosten- und Heizkostenrecht, 6. Auflage, H Rz. 140) bis heute dokumentiert wird. Man fragte sich schon, warum hebt der VIII. Senat nach so langer Zeit plötzlich die Kritik hervor, wo es im konkreten Fall nicht darauf ankam.
Jetzt wissen wir es: unter Verweis auf die Entscheidung vom 9.10.2013 formuliert er in BGH v. 2.4.2014 – VIII ZR 201/13: „Im Übrigen hat der Senat bereits angedeutet, dass an der genannten Rechtsprechung zur Erforderlichkeit auch der Angabe nicht umlagefähiger Kosten möglicherweise nicht festzuhalten sein wird“.
Nun wissen wir es. Oder nicht? Es ist ja nur angedeutet und das im Futur II.
Auch wenn wir es gewohnt sind, unsere Meinung zu ändern, sind wir doch verpflichtet, den sichersten Weg zu gehen. Insoweit können wir uns in einer Rechtsfrage auf den BGH verlassen, wenn er die Rechtsfrage entschieden ist (BGH v. 25.10.2006 - VIII ZR 102/06). Also alles prima! Oder ist die Rechtsicherheit nun weg? Ist die Andeutung einer möglichen Änderung schon ausreichend, um einen Regress gegen den Anwalt zu eröffnen, der sich mit einem obiter dictum nicht befassen will?
Immerhin gibt es ja auch schlechte Erfahrung, wenn man derartige Randbemerkungen des obersten Gerichts zu wörtlich nimmt:
In BGH v. 20.7.2005 - VIII ZR 347/04 Rz. 11 war ausgeführt, dass ein Betrag, den der Mieter wegen einer von ihm beanspruchten Minderung von der monatlichen Miete einbehält, anteilig sowohl auf die Nettomiete als auch auf die geschuldete Betriebskostenvorauszahlung angerechnet werden würde, so dass eine Nachforderung wegen der geringeren Vorauszahlungen geringer würde. In BGH v. 13.4.2011 – VIII ZR 223/10 hob der VIII. Senat hervor, dass er das nicht entschieden habe, sondern die Verrechnung der Minderung auf die einzelnen Strukturteile der Miete ein Scheinproblem sei.
Was wir mal wieder übersehen hatten: am 20.7.2005 hatte er nur in einem obiter dictum einen erläuternden Hinweis zur Verechnung der Minderung erteilt. Tatsächlich hatte er (nur) entschieden, dass auch in der Wohnraummiete die Minderung von der Bruttomiete stattfindet.
Dann doch lieber der uneinsichtige Instanzrichter?

Zur Erläuterung: das Futur II prognostiziert eine abgeschlossene Handlung in der Zukunft oder eine abgeschlossene Vermutung (vgl.: http://www.mein-deutschbuch.de/lernen.php?menu_id=111).

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1 Kommentar

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Das ist kein Futur II, sondern natürlich ganz normales Futur I (das "sein" ist hier nicht Perfekt-Wortform, sondern Bestandteil eines "erweiterten Infinitivs mit 'zu' "). Futur II wäre "werden wir festgehalten haben" oder "wird festgehalten worden sein".

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