HVT-Fortsetzungstermin auch bei Verlesung eines Faxes über Verhandlungsunfähigkeit? Jau!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.03.2014

Die Frage, wann denn überhaupt noch ein HVT gegeben ist, war schon mehrfach Gegenstand des Blogs. Hier war der Betroffene erkrankt und hatte seinen Verteidiger ein ärztliches Attest faxen lassen. Allein die Verlesung dieses Attestes machte den Termin dann auch schon zu einem echten "Fortsetzer":

Die zulässig erhobene Rüge, das Landgericht habe die Hauptverhandlung am 28. Dezember 2012 nicht im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fort-gesetzt und deshalb gegen § 229 Abs. 1 StPO verstoßen, ist unbegründet.
a) Nach dem Revisionsvorbringen hat das Landgericht am 7. Dezember 2012 die Hauptverhandlung unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 28. Dezember 2012 bestimmt. Zu diesem Termin erschien der Angeklagte nicht. Stattdessen übermittelte sein Verteidiger dem Landgericht per Telefax ein unter dem 27. Dezember 2012 ausgestelltes „Ärztliches Attest“. Danach sei der Angeklagte an diesem Tag in der Praxis der ausstellenden Ärztin vorstellig ge-worden und habe erklärt, sich die neunstündige Reise zum Gerichtstermin am nächsten Tag nicht zuzutrauen, was „ärztlich nachvollziehbar“ sei. Das Fax-schreiben wurde in der Hauptverhandlung vom 28. Dezember 2012 verlesen. Sodann erörterte das Landgericht mit den anwesenden Verfahrensbeteiligten „die Möglichkeiten der Anwendung der §§ 230, 231 StPO“ und wies auf „beste-hende Zweifel hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 230 Abs. 2, 231 Abs. 2 StPO“ hin. Von der „beabsichtigten Verlesung von Urkunden in diesem Termin“ sah es ab. Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen und

Termin zur Fortsetzung auf den 10. Januar 2013 bestimmt. Der Senat entnimmt dem weiteren Vorbringen der Revision, dass am 28. Dezember 2012 die Hauptverhandlung noch nicht an zehn Tagen stattgefunden hatte.
b) Mit der Verhandlung am 28. Dezember 2012 ist die Hauptverhandlung im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt worden.
aa) Der Umstand, dass der Angeklagte nicht erschienen war, nimmt dem Termin vom 28. Dezember 2012 nicht den Charakter einer Hauptverhandlung.
Die Hauptverhandlung wurde mit dem Aufruf der Sache am ersten Ver-handlungstag gemäß § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO begonnen und nach mehreren Unterbrechungen in dem dafür anberaumten Termin vom 28. Dezember 2012 fortgeführt. Dass der Angeklagte zu diesem Termin nicht erschienen war, stellt die Annahme einer Hauptverhandlung nicht in Frage. Soweit in § 230 Abs. 1 StPO davon die Rede ist, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, wird keine begriffliche Voraussetzung der „Hauptverhandlung“, sondern nur eine notwendige Bedingung für deren recht-mäßige Durchführung benannt, deren Fehlen – von bestimmten Ausnahmefäl-len (vgl. § 231 Abs. 2; § 329 Abs. 1 und 2 StPO) abgesehen – nach § 338 Nr. 5 StPO zu einem absoluten Revisionsgrund führt (BGH, Urteil vom 9. August 2007 – 3 StR 96/07, BGHSt 52, 24 Rn. 6).
bb) Die im Termin vom 28. Dezember 2012 vorgenommenen Verfah-renshandlungen haben auch zu einer Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO geführt.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine Hauptverhandlung als fort-gesetzt, wenn zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird (BGH, Beschluss vom 5. November 2008 – 1 StR 583/08, NJW 2009, 384; Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 2; Urteil vom 30. April 1952 – 5 StR 275/52, NJW 1952, 1149). Dies ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, die die zur Urteilsfindung füh-rende Sachverhaltsaufklärung betreffen (BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12, NJW 2013, 404; Urteil vom 22. Juni 2011 – 5 StR 190/11, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 13; Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11, NStZ 2011, 532; Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, NStZ 2009, 225 Rn. 5). Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann aus-reichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12, NJW 2013, 404; Urteil vom 19. August 2010 – 3 StR 98/10, NStZ 2011, 229 f.; Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99, NStZ 2000, 606; Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1). Wird die Ver-handlung nur "zum Schein" fortgesetzt, um die Vorschrift des § 229 StPO zu umgehen, liegt kein Verhandeln zur Sache vor. Dies gilt auch dann, wenn dabei Prozesshandlungen vorgenommen werden, die grundsätzlich zur Unterbre-chung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 401/11, NStZ 2012, 343, 344; Beschluss vom 5. November 2008 – 1 StR 583/08, NJW 2009, 384; Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019, 3020).
(2) Nach diesen Maßstäben war die Verhandlung im Termin vom 28. De-zember 2012 als eine fristwahrende Fortsetzungsverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO anzusehen. Die Verlesung des Faxschreibens und die Erörterung der Frage, ob gegen den ausgebliebenen Angeklagten gegebenenfalls nach § 231 Abs. 2 StPO weiterverhandelt werden kann, betrafen den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung. Sie führten zu der Feststellung, dass eine als erforderlich angesehene und in diesem Termin vorgesehene Beweisaufnahme (Urkundenverlesung) zu unterbleiben hatte, weil infolge der Abwesenheit des Angeklagten die prozessualen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Die Verfahrenslage unterscheidet sich insoweit nicht von dem als Fortsetzungsverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO anerkannten Fall, dass die für die Durchführung einer Sachverhandlung gleichermaßen bedeutsame Ver-handlungsfähigkeit des erschienenen Angeklagten zweifelhaft ist und nur dazu verhandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1). Für die Annahme, dass der Termin vom 28. Dezember 2012 nur als ein sog. Schiebetermin anberaumt wurde und die Verhandlung nur "zum Schein" fortgesetzt werden sollte, um die Vorschrift des § 229 StPO zu umgehen, lassen sich dem Revisionsvorbringen keine ausreichenden Anhaltspunkte entnehmen.

BGH, Urteil vom 16.1.2014 - 4 StR 370/13

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