Die wirtschaftliche Neugründung in der aufgelösten GmbH

von Dr. Philippe Rollin, veröffentlicht am 27.02.2014

Subtiler als die normierten (§§ 2 ff. GmbHG) Gründungsregeln des GmbH-Rechts ist die von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der wirtschaftlichen Neugründung.

Hiernach müssen Teile der Gründungsvorschriften des GmbH-Rechts auch dann angewendet werden, wenn eine bereits bestehende GmbH, die als Vorratsgesellschaft gegründet wurde oder ihren Geschäftsbetrieb aufgegeben hat, ihre operative Tätigkeit (wieder) aufnimmt. Diese Aufnahme müssen die Geschäftsführer dem Handelsregister mitteilen und dabei versichern, dass das Vermögen der GmbH mindestens dem satzungsmäßigen Stammkapital entspricht (§ 8 Abs. 2 GmbHG analog).

Kürzlich hatte der II. Zivilsenat des BGH über die wirtschaftliche Neugründung einer GmbH in Liquidation zu entscheiden (BeckRS 2014, 03469): Eine GmbH wurde aufgelöst. Anschließend ruhte ihr Geschäftsbetrieb etwa ein Jahr lang. Wiederum anschließend nahm die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb wieder auf, erhielt eine neue Firma und der bisherige Alleingesellschafter trat seinen Geschäftsanteil an einen neuen Gesellschafter ab. Die Vorschriften über die wirtschaftliche Neugründung wurden dabei nicht eingehalten. Gut drei Jahre später war die Gesellschaft insolvent.

Der Insolvenzverwalter nahm den neuen Gesellschafter nun auf Zahlung der Differenz zwischen (i) dem Stammkapital der GmbH und (ii) dem (negativen) Vermögen der GmbH im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (!) in Anspruch. Damit hatte er in den ersten beiden Instanzen Erfolg. Das bedeutet im Ergebnis eine der Höhe nach unbegrenzte Haftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft, die eigentlich nur das Personengesellschaftsrecht (§ 128 HGB) kennt.

Der II. Zivilsenat bremste den Insolvenzverwalter in zweierlei Hinsicht:

Zunächst hatte derselbe Senat am 6. März 2012 (NJW 2012, 1875) zur Höhe der Gesellschafterhaftung bei Verletzung der Vorschriften über die wirtschaftliche Neugründung Stellung genommen. Danach haften die Gesellschafter in Höhe der Differenz zwischen (i) dem Stammkapital der GmbH und (ii) dem Vermögen der GmbH im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung. Letzteres ist gegenüber dem Vermögen (richtiger: den Schulden) im Zeitpunkt der Insolvenz nicht immer, aber häufig eine deutliche Entlastung für den Gesellschafter.

Weiterhin reichten dem II. Zivilsenat die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den tatsächlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen Neugründung nicht aus. Dafür sei notwendig, dass die GmbH eine „leere Hülse“ ist:

„Allein die mit der Fortführung beabsichtigte Zweckänderung von einer Abwicklungs- hin zu einer werbenden Gesellschaft ist als solche keine wirtschaftliche Neugründung, weil die aufgelöste Gesellschaft nicht per se ein unternehmensleerer Mantel ist.

[…]

Die eine „leere Hülse" und damit die Anwendung der Regeln der wirtschaftlichen Neugründung ausschließende andauernde aktive unternehmerische Tätigkeit ist nicht stets mit dem dem Unternehmensgegenstand entsprechenden operativen Geschäft gleichzusetzen, sondern hat insbesondere in der Anlauf- und in der Abwicklungsphase einer Gesellschaft einen der besonderen Unternehmenstätigkeit in diesem Zeitraum entsprechenden anderen Inhalt. In der Abwicklungsphase ist darauf abzustellen, ob noch nennenswerte Liquidationsaufgaben im Sinne des § 70 GmbHG wahrgenommen werden, die auf den Schluss der Liquidation zusteuern, oder ob die Abwicklung über längere Zeit nicht mehr betrieben wurde und deshalb vom Vorliegen eines leeren Gesellschaftsmantels ohne Geschäftsbetrieb auszugehen ist.“

Hierfür, also für das tatsächliche Vorliegenden der Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Neugründung, trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger die Beweislast.

Die Entscheidung dürfte für die Aktiengesellschaft entsprechend gelten.

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