Belehren, Belehren, Belehren !!! - Teil II

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.02.2014

Vor einiger Zeit hieß ein Beitrag schon einmal Belehren, Belehren, Belehren!!! - daher nun mit Zusatz II. Die Situation hier war ein echter Klassiker: Unfallflucht - Halter wird von der Polizei aufgesucht - Halter wird angesprochen und "singt"...natürlich ohne vorherige Beschuldigtenbelehrung, da sonst ja auch kein Fall draus werden würde:


„Dass der Angeklagte zur Tatzeit auch der Fahrer des BMW war, ergibt sich für das Gericht aus der Aussage des Zeugen ...

Dieser gab an, dass er auf Bitte der VPI N., die den Angeklagten als Halter des von der Zeugin MB beschriebenen Fahrzeugs festgestellt hatte, dessen Anschrift angefahren habe. Er habe dann dem Angeklagten geschildert worum es gehe, nämlich um einen angeblichen Unfall seines Fahrzeugs, und habe gefragt, wer soeben mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sei. Der Angeklagte habe daraufhin die Fahrereigenschaft eingeräumt.

Die Angaben des Zeugen ... durften auch verwertet werden. Es lag vorliegend kein Verstoß gegen §136 Abs. 1 Satz 2 StPO vor, welcher zu einem Verwertungsverbot führen würde. Der Angeklagte war zu dem Zeitpunkt, als ... bei ihm erschien und ihm den Sachverhalt schilderte, noch nicht als Beschuldigter zu belehren. Zu diesem Zeitpunkt stand lediglich die Haltereigenschaft des Beschuldigten an dem unfallbeteiligten Fahrzeug fest. Dies begründet jedoch noch keinen Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte auch der Fahrer war. Erst nachdem der Beschuldigte bereits die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte, war eine Belehrung als Beschuldigter erforderlich.“

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, da kein Beweisverwertungsverbot bestanden habe, da der Polizeibeamte ... den Angeklagten nicht gefragt habe, ob er sondern wer soeben mit dem Fahrzeug gefahren sei.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 333341 Abs. 1344345 StPO) und hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung des sich aus §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO ergebenden Beweisverwertungsverbots Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist ordnungsgemäß erhoben (§ 344 Abs. 2 StPO). Sämtliche Tatsachen, aus denen sich der Rechtsverstoß ergibt, werden vorgetragen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 136 Rn. 28). Insbesondere ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen, das insoweit durch das Hauptverhandlungsprotokoll bestätigt wird, dass der Verteidiger des Angeklagten der Verwertung der Aussage des Polizeibeamten widersprochen hat (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 136 Rn. 25).

2. Das Amtsgericht hat durch die Verwertung der Angaben des vernommenen Polizeibeamten gegen das sich aus §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 StPO ergebende Beweisverwertungsverbot verstoßen. Da der Zeuge über die erste polizeiliche Vernehmung des Angeklagten berichtete, ist § 136 Abs. 1 StPO nicht direkt sondern über § 163a Abs. 4 StPO anwendbar.

a. Bereits vor der Befragung des Angeklagten durch den Zeugen war der Angeklagte Beschuldigter“ und somit gemäß § 136 Abs. 1 Sätze 1, 2 StPO vor der Vernehmung darüber zu belehren, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen und er war darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen.

Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist der tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigter betrieben wird. Grundsätzlich ist es dabei der pflichtgemäßen Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde überlassen, ob sie gegen jemanden einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie ihn als Beschuldigten verfolgt. Wenn aber ausreichende Gründe dafür vorliegen, einen einer Straftat Verdächtigen als Beschuldigten zu verfolgen, darf dieser nicht aus sachfremden Erwägungen in die Rolle eines Zeugen gedrängt werden (BGHSt 10,8). Dabei vernimmt etwa der Polizeibeamte, der am Tatort oder in seiner Umgebung Personen fragt, ob sie ein bestimmtes Geschehen beobachtet haben, keine Beschuldigten, mag er auch hoffen, bei seiner Tätigkeit neben geeigneten Zeugen den Täter zu finden. Bedeutsam ist die Stärke des Tatverdachts, den der Polizeibeamte gegenüber dem Befragten hegt. Hierbei hat der Beamte einen Beurteilungsspielraum, den er freilich nicht mit dem Ziel missbrauchen darf, den Zeitpunkt der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO möglichst weit hinauszuschieben (BGHSt 38, 214).

Vorliegend war es seitens des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten ermessensfehlerhaft, den Angeklagten vor der Befragung nicht als Beschuldigten zu behandeln und entsprechend zu belehren. Der mögliche Täter war nicht mehr nur in einer nicht näher bestimmten Personengruppe zu suchen sondern der Tatverdacht hatte sich nach der Ermittlung des Angeklagten als Fahrzeughalter bereits auf ihn verdichtet, auch wenn grundsätzlich auch andere Personen als Nutzer des Fahrzeugs des Angeklagten in Betracht kommen (LG Koblenz NZV 2002, 422; AG Bayreuth NZV 2003, 202; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, Einleitung Rn. 78). Bei der Ausübung des Ermessens ist auch der gesetzliche Schutzzweck des § 136 Abs. 1StPO zu berücksichtigen, dass durch die Belehrung gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden soll, dass es ihm freisteht, keine Angaben zu machen. Dieses Belehrungsgebot will sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt wird, zu der er möglicherweise durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte (BGHSt 42, 139). Dieser Schutzzweck wird im vorliegenden Fall nur dann gewahrt, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs vor seiner Befragung entsprechend belehrt wird.

b. Aus der Verletzung der Belehrungspflicht ergibt sich ein Beweisverwertungsverbot (BGHSt 38, 214). Ein Ausnahmefall, in dem die Angaben gleichwohl verwertet werden dürfen, liegt nicht vor. Angesichts der Befragung des Angeklagten durch den Polizeibeamten liegt keine Spontanäußerung vor, bei der eine vorherige Belehrung nicht erforderlich wäre (BGH NJW 1990, 461). Umstände aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte sein Recht zu Schweigen auch ohne Belehrung gekannt hat (BGHSt 38, 214), hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Auch hat der Verteidiger des Angeklagten der Verwertung der Angaben des Polizeibeamten in der Hauptverhandlung ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls auch ausdrücklich widersprochen (BGHSt 38, 214).

3. Das Urteil des Amtsgerichts beruht auf der nicht verwertbaren Aussage des vernommenen Polizeibeamten, da sich nach den Urteilsgründen hieraus die Fahrereigenschaft des Angeklagten ergibt.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.07.2013 - 2 OLG Ss 113/13BeckRS 2014, 01452

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1 Kommentar

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Gegenprobe:

Nehmen wir an, der Halter hätte die Frage dahin beantwortet, sein Sohn sei gefahren, was sich durch glaubhaftes Geständnis des sogleich hinzugerufenen Sohnes bestätigt hätte.

Würde dann im OLG-Bezirk Nürnberg das Verfahren gegen den Halter durch Verfügung nach § 170 II 1 StPO eingestellt und der Halter nach § 170 II 2 StPO hierüber von der Staatanwaltschaft benachrichtigt (vgl. Meyer-Goßner, § 170, Rn. 10)? Würde er nach § 492 StPO für 2 Jahre (oder u.U. auch länger: § 494 II 2 StPO) als Beschuldigter in das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister eingetragen?

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