Kein Fahren ohne Versicherungsschutz bei vorläufiger Deckungszusage

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.10.2013

§ 6 PflVG ist der Schnittpunkt zwischen Verkehrsstrafrecht und Versicherungsrecht. Wer ein Fahrzueg ohne Haftpflichtversicherung im öffentlichen Straßenverkehr führt, macht sich hiernach strafbar. Beim OLG Celle, Beschluss vom 08.08.2013 - 31 Ss 20/13   = BeckRS 2013, 15474 ging es genau darum, da eine vorläufige Deckungszusage erteilt war:

Tathandlung nach § 6 PflVG ist der Gebrauch eines
Fahrzeugs ohne zivilrechtlich wirksamen Haftpflichtversicherungsvertrag. Demgemäß fehlt es am äußeren Tatbestand der Strafvorschrift, sofern im Zeitpunkt der Verwendung des Fahrzeugs im Verkehr ein gültiger, den Erfordernissen des § 1 PflVG genügender
Haftpflichtversicherungsvertrag besteht. Unter Haftpflichtversicherungsvertrag ist jede vertragliche Beziehung zu verstehen, die eine den Vorschriften des Gesetzes entsprechende Haftpflichtversicherung zum Gegenstand hat, namentlich auch die vorläufige Deckungszusage des Versicherers (BGHSt 33, 172,
 175).
Händigt der Versicherer dem Versicherungsnehmer die für die behördliche Zulassung seines Fahrzeugs nach § 23 Absatz 1 FZV erforderliche Versicherungsbestätigung aus oder nennt der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei elektronischer Versicherungsbestätigung nach  § 23 Absatz 3FZV die Versicherungsbestätigungsnummer, so liegt darin gemäß B.2.1. AKB 2008 die Zusage vorläufiger Deckung (vgl. Jacobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., B AKB 2008, Rn. 19). Dieses Verfahren beruht auf § 9 Satz 1 KfzPflVV und §
 § 5 Absatz 6 PflVG. Solange diese Zusage gilt, besteht ein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag (vgl. BGH a. a. O.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. § 23 FZV Rn. 6).

Zwar wird als Beginn des vorläufigen Versicherungsschutzes regelmäßig - so auch im vorliegenden Fall - der Tag der Zulassung vereinbart. Allerdings besteht nach H.3.1 AKB 2008 in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung auch Versicherungsschutz für Zulassungsfahrten mit ungestempelten Kennzeichen, ausgenommen Fahrten, für die ein rotes Kennzeichen oder ein Kurzzeitkennzeichen benutzt werden muss. Dieser erweiterte Versicherungsschutz korrespondiert mit § 10 Absatz 4 FZV; danach dürfen Fahrten, die im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren stehen, insbesondere Fahrten zur Anbringung der Stempelplakette sowie Fahrten zur Durchführung einer Hauptuntersuchung oder einer Sicherheitsprüfung innerhalb des Zulassungsbezirks und eines angrenzenden Bezirks mit ungestempelten Kennzeichen durchgeführt werden, wenn die Zulassungsbehörde vorab ein solches zugeteilt hat und die Fahrten von der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erfasst sind.

Hieran anknüpfend definiert H.3.2 AKB 2008 Zulassungsfahrten als „Fahrten, die im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren innerhalb des für den Halter zuständigen Zulassungsbezirks und eines angrenzenden Zulassungsbezirks ausgeführt werden.“ Das sind „Fahrten zur Durchführung der Hauptuntersuchung, Sicherheitsprüfung oder Abgasuntersuchung oder Zulassung, wenn die Zulassungsbehörde vorab ein ungestempeltes Kennzeichen zugeteilt hat“. Den Versicherungsschutz für Zulassungsfahrten mit ungestempelten Kennzeichen weist der Halter gegenüber der Zulassungsbehörde mittels der Versicherungsbestätigung nach Anlage 11 Nr. 1 FZV nach. Will der Versicherer diesen Schutz nicht bieten, kann er den entsprechenden Passus streichen. Dieses Verfahren ist auch bei der seit dem 1. September 2008 vorgeschriebenen elektronischen Versicherungsbestätigung nach § 23 Absatz 3 FZV möglich (vgl. Jacobsen a. a. O., H ABK 2008, Rn. 28). Im vorliegenden Fall hatte der Versicherer den Passus nicht gestrichen, so dass auch Versicherungsschutz für Zulassungsfahrten mit ungestempelten Kennzeichen bestand. Hiervon ist auch das Landgericht ausgegangen.

Welchem Zweck die Fahrt im vorliegenden Fall diente, hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Es hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte wegen des ungültig gestempelten Fahrzeugbriefs nicht in der Lage war, das Fahrzeug zuzulassen (S. 6 UA). Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es zudem ausgeführt, dass der Angeklagte eine Fahrt zur Zulassungsbehörde nicht unternommen haben kann, weil die Fahrt um 22.42 Uhr stattfand (S. 17 UA). Diese Feststellungen schließen jedoch nicht aus, dass für die Fahrt dennoch der vorläufige Versicherungsschutz bestand. Denn nach der bereits zitierten Definition von Zulassungsfahrten in H.3.2 AKB 2008 fallen darunter nicht nur Fahrten zur Zulassungsbehörde selbst. Abgesehen davon entfällt der Versicherungsschutz nicht zwingend dadurch, dass der Versicherungsnehmer die Zulassungsfahrt auch zu anderen Zwecken nutzt (BGH MDR 1976, 476).

Der Zweck der Fahrt kann hier jedoch offen bleiben. Auch ohne seine Feststellung kann der Senat ausschließen, dass der objektive Tatbestand des § PFLVG § 6 Abs.
PFLVG § 6 Absatz 1 PflVG erfüllt ist.
Denn Verstöße gegen die Vertragsbedingungen nach H.3.1 und H.3.2 AKB 2008 beeinträchtigen nicht den Bestand des Versicherungsvertrages, sondern sind reine Obliegenheitsverletzungen (Kreuter-Lange/Schwab in Halm/Kreuter/Schwab, AKB 2008, H.3.2, Rn. 2219; Henzlmeier, NZV 2006, 225,
227f.). Auch die Zuteilung eines
ungestempelten Kennzeichens ist nicht Voraussetzung für den Versicherungsschutz; ihre Erwähnung in H.3.1. AKB 2008 dient nur der Zuordnung des Sachverhalts zu der Regelung nach § 10 Absatz 4 FZV (Jacobsen a. a. O. Rn. 32).
Als reine Obliegenheitsverletzungen beeinträchtigen etwaige Verstöße gegen H.3.1 AKB 2008 nicht den Bestand des Versicherungsvertrages, sondern führen lediglich zur Leistungsfreiheit nach D.3 AKB 2008 im Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer (vgl.Kreuter-Lange/Schwab a. a. O.; Henzlmeier a. a. O.). Die Verletzung einer Obliegenheitspflicht im Rahmen eines bestehenden Versicherungsverhältnisses kann aber nicht die Strafbarkeit nach § 6 Absatz 1 PflVG begründen (OLG
Hamm StraFo 2007, 172; BayObLGSt 1993, BAYOBLGST Jahr 1993 Seite 75; Dauer a. a.
O. Vor § 23 FZV Rn. 16; Henzlmeier a. a. O.).

Da hiernach ausgeschlossen werden kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Tatsachenfeststellungen getroffen werden können, die eine Strafbarkeit nach  § 6
PflVG begründen, und auch keine Verurteilung wegen Kennzeichenmissbrauchs ( § 22 StVG) oder
Steuerhinterziehung (§§ 1 KraftStG, 370 AO) in Betracht kommt, die Verurteilung vielmehr lediglich auf unzutreffender rechtlicher Beurteilung beruht, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und unter Teilaufhebung des angefochtenen Urteils und der Vorentscheidung den Angeklagten insoweit freisprechen (§ 354 Abs.  1 StPO).

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