"Billigpizza": 1,59 Euro Stundenlohn sittenwidrig

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 17.09.2013

Das Arbeitsgericht Eberswalde in Brandenburg erachtete ungewöhnlich niedrige Stundenlöhne für Pizza-Fahrer von unter drei Euro als sittenwidrig. Der beklagte Betreiber eines Pizza-Services ist nun verpflichtet, dem Jobcenter Uckermark ca. 11.000 Euro an Aufstockungsleistungen für einige Mitarbeiter zurückzuzahlen. Der Pizza-Service beschäftigt Arbeitnehmer, die nach Gerichtsangaben bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden 100 bis 165 Euro brutto verdienen. Außerdem seien dort Vollzeitkräfte tätig, die bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden 430 Euro brutto erhalten. Der Betreiber des Pizza-Service zahle ihnen also Stundenlöhne in Höhe von 1,59 Euro, 1,65 Euro und 2,72 Euro. Das klagende Jobcenter hatte für acht dieser Arbeitnehmer Aufstockungsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 18.04.2012, 5 AZR 630/10, NZA 2012, 978) ist ein „Lohnwucher“ dann anzunehmen, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines im betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht. Das Arbeitsgericht konstatierte, dass die in Frage stehenden Löhne um mehr als die Hälfte unter dem ortsüblichen Entgelt für vergleichbare Tätigkeiten liegen. Hätte der Arbeitgeber aber die in Rede stehenden Gehälter nach dem ortsüblichen Rahmen bemessen, hätte das Jobcenter entweder keine Aufstockungsleistungen oder aber zumindest nicht in dieser Höhe gewähren müssen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Reise in die Vergangenheit deckt besorgniserregende Parallelen auf. Schon im Jahr 2005 hatte das Arbeitsgericht Eberswalde über die Sittenwidrigkeit von Löhnen zu entscheiden, damals im Friseurhandwerk des nordöstlichen Brandenburg (Urteil vom 15.11.2005, 5 Ca 1234/05). Damals ging es um einen Durchschnittsverdienst von drei Euro, welcher nicht als sittenwidrig befunden wurde. Das lag vor allem daran, dass die klagende Arbeitnehmerin ihrer Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des üblichen Friseurverdienstes in der Region nicht zu genügen vermochte. Gegenwärtig müssen dem Arbeitsministeriums zufolge mehr als 64.000 Menschen in Brandenburg trotz Arbeit ergänzende Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.

(ArbG Eberswalde, Urteil vom 10.09.2013, 2 Ca 428/13; becklink 1028548)

 

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2 Kommentare

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Immerhin ein Fall, in dem das Jobcenter vom Stundenlohn wohl nichts wusste - bei einem meiner Mandanten zahlte das Jobcenter in Kenntnis sämtlicher Umstände Aufstockungsleistungen zum (zwar etwas höher liegenden, aber sich immer noch unter 3,- € befindenden) sittenwidrig niedrigen Stundenlohn - vielleicht deshalb, um die ansonsten fälligen vollen Leistungen nicht gewähren zu müssen?

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