Notorischer Schulschwänzer - Eltern droht Entzug des Sorgerechts

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 09.09.2013
Rechtsgebiete: Familienrecht8|4332 Aufrufe

Ein Jugendamt darf eingreifen, wenn ein elfjähriger Junge nicht zur Schule geht und die Eltern die Schulunlust ihres Kindes akzeptieren. Die Eltern können zur Unterstützung eines Schulbesuchs ihres Kindes verpflichtet werden. Das hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 12.06.2013 entschieden.

Der heute elfjährige Junge wohnt bei seinen 49 und 51 Jahre alten Eltern im Kreis Warendorf. Er ist das jüngste Kind der Familie. Im Alter von 7 Jahren eingeschult fehlte der Junge bereits im ersten Schuljahr an über 40 Tagen in der örtlichen Grundschule, von der ihn die Eltern im Jahre 2010 abmeldeten. In den nächsten Jahren besuchte er zwei weitere Grundschulen, an denen er nur wenige Tage blieb. Ein im Jahre 2012 unternommener Versuch, das Kind durch Lehrkräfte zu Hause zu beschulen, um eine Wiedereingliederung in eine Schule vorzubereiten, scheiterte. Der Junge wird zurzeit durch seine Mutter, von Beruf Informatikerin, unterrichtet und verfügt über einen altersgerechten Wissenstand. In der Vergangenheit lehnten es die Eltern ab, den Jungen gegen seinen Willen auf eine öffentliche Schule zu schicken.

Der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm hat den Eltern das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten entzogen und dieses dem zuständigen Jugendamt übertragen. Dabei hat er davon abgesehen, das Kind aus dem elterlichen Haushalt her- auszunehmen und die Eltern verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Junge der Schulpflicht nachkommt und ihn zum Schulbesuch zu motivieren.

Das geistige und seelische Wohl des Kindes sei – so die Senatsentscheidung – trotz des altersgerechten Wissensstandes gefährdet. Im Hinblick auf die Weigerung des Kindes, zur Schule zu gehen, hätten die Eltern in der Erziehung versagt. Das bestätige das Gutachten des im Verfahren gehörten Sachverständigen. Zurzeit setzten die Eltern dem Kind keine Grenzen und Regeln, Pflichten seien diesem unbekannt. Da die Eltern die Schulpflicht des Kindes nicht akzeptierten und es in seiner Schulunlust förderten, würden dem Jungen die Bildungsinhalte einer weiterführenden Schule vorenthalten. Die Mutter werde trotz ihrer Ausbildung nicht in der Lage sein, sämtliche Lerninhalte einer weiterführenden Schule adäquat zu vermitteln. Ein Schulbesuch solle Kindern auch die Gelegenheit verschaffen, in das Gemeinschafts- leben hineinzuwachsen. Soziale Kompetenzen könnten effektiver ein- geübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft nicht nur gelegentlich stattfänden, sondern Teil einer mit einem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung seien.

Der in der Familie gut integrierte Junge könne zumindest vorerst im familiären Umfeld bleiben, deswegen sei den Eltern das Aufenthalts- bestimmungsrecht für ihr Kind zu belassen. Zu entziehen sei ihnen aber das Recht zur Regelung seiner schulischen Angelegenheiten, weil sie nicht Willens und in der Lage seien, die Schulpflicht durchzusetzen. Mit den erteilten Auflagen würden die Eltern angehalten, künftige Versuche, die Schulverweigerungshaltung des Jungen aufzulösen, zu unterstützen.

OLG Hamm vom 12.06.2013 (8 UF 75/12) 

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8 Kommentare

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Ist die Schulpflicht höherwertiger als das Recht auf beide Eltern? 

Wenn wegen Verletzung der Schulpflicht der Sorgerechtsentzug (beider Eltern) droht, dann doch erst recht bei Verweigerung des "Umgangs-"Rechts durch einen Elternteil, oder? 

 

 

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Genau.

 

Wenn es um Umgangsvereitelung geht, fallen JA und Gerichte grundsätzlich erstmal in kollektives Nichtstun und erklären sich selbst für völlig überfordert und nutzlos:

"Da kann man nichts machen!"

Wenn es um die Schule geht, geht es plötzlich doch.

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Ich glaube das 4 Jahre nicht "plötzlich" ist ... meiner Meinung hätte da schon früher etwas passieren müssen. Auch dass das ABR bei den Eltern verbleibt und "nur" die schulischen Dinge auf das Jugendamt übertragen wurde, ist eher noch ein stumpfes Schwert, wenn die Eltern nicht aktiv werden.

Diese kollektive Starre ist leider in vielen Dingen zu sehen ... und ich kann mir das mit Kindeswohl nicht immer erklären.

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Ist nicht der Kindeswille das wichtigste?

Es ist doch nicht gut, wenn man ein Kind zu etwas zwingt...oder?

Bezüglich Umgangsrecht ist das doch so.

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@# 4

Es ging ja nur um die schulischen Angelegenheiten.

Wenn man jedes Kind fragt, ob es zur Schule möchte oder nicht, wird es ziemlich leer im Klassenraum... :D

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Logisch höchst fragwürdig. Wenn das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten entzogen wird, fällt doch die Grundlage weg, auf Grund derer die Eltern das Kind zum Schulbesuch anhalten müssten.

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Sehe ich auch so. Das Jugendamt als Ergänzungspfleger hat jetzt die Pflicht, das Kind zur Schule zu bringen, nicht mehr die Eltern.

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Den Vergleich der Schulpflicht mit dem Umgangsrecht bei Trennungskindern von M. Deeg halte ich persönlich für durchaus berechtigt. Gleichwohl müssten die Parallelen etwas genauer herausgearbeitet werden. Denn auf den ersten Blick handelt es sich immerhin um den Vergleich eines Rechts mit einer Pflicht. 

Aber auf den ersten Blick mag auch der Teilentzug des Sorgerechts widersprüchlich zu den erteilten Auflagen erscheinen. Wenn die Eltern "nicht Willens und in der Lage seien, die Schulpflicht durchzusetzen" und ihnen deswegen das Sorgerecht zum Teil entzogen worden ist, wie sollen sie dann die ihnen erteilte Auflage erfüllen können und ihren Jungen dabei erzieherisch unterstützen, die Schulverweigerungshaltung aufzugeben. Wie soll es ihnen gelingen, ihrem Jungen überzeugend wieder Freude am Schulunterricht und Lust auf Schule zu vermitteln, gerade das Gegenteil dessen, was sie bislang offensichtlich getan haben? Dem Jungen wird es kaum helfen, wenn sie ihm ihre veränderte Haltung damit begründen, dass sie vom Gericht eine entsprechende Auflage erhalten hätten.

Man kann die Auflage aber auch so verstehen, dass die Eltern gerichtlich angewiesen wurden, ihre partielle Erziehungsunfähigkeit zu beheben. Das Gericht hätte nur gut daran getan, seine Auflage mit weiteren Auflagen zu verbinden, die geeignet wären, den Eltern den Weg aufzuzeigen, wie sie ihre volle Erziehungsfähigkeit wieder erlangen könnten, beispielsweise durch Aufsuchen einer Beratungsstelle, die ihnen bei der Umsetzung der Auflage und der überzeugenden Einwirkung auf den Jungen behilflich sein könnte. Hoffentlich kommen sie aber von selber drauf.

Irgendwie erinnert der Fall an die Kellies.

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