Geschlechtslos oder das dritte Geschlecht?

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 16.08.2013
Rechtsgebiete: Familienrecht6|22279 Aufrufe

§ 22 des Personenstandsgesetzes (PStG) wird mit Wirkung vom 01.11.2013 um folgenden Absatz 3 erweitert (BGBl I 2013, 1122):


Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.

Nach dem Willen des Gesetzgebers können sich betroffene Personen später für das eine oder andere Geschlecht entscheiden oder aber es bei diesem Status belassen.

Sind sie dann geschlechtslos oder hat der Gesetzgeber ein drittes Geschlecht eingeführt?

Wer entscheidet bei der Anmeldung der Geburt, ob das Neugeborene dem männlichen, dem weiblichen oder keinem Geschlecht zuzuordnen ist? Die Eltern? Der Standesbeamte?

Können die betroffenen Personen später Mutter oder Vater werden?

Können sie heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen?

Fragen über Fragen. Näher dazu Sieberichs FamRZ 2013, 1180

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6 Kommentare

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Also mal ernsthaft, wie kann es denn sein, dass man ein Neugeborenes nicht dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen kann?

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Das ist schon möglich, da es Fälle gibt, in denen nach der Zeugung zwei Embryonen "fusionieren" und sich zu einem einzelnen Baby entwickeln. Sind beide Embryonen weiblich oder beide männlich, fällt in den meisten Fällen nicht auf, dass quasi zweieiige Zwillinge mit nur einem Körper herumlaufen. Ist ein Embryo männlich und der andere weiblich, hat das Baby Merkmale beider Geschlechter. Früher war es üblich, dass Eltern bzw. Ärzte nach der Geburt entschieden, welches Geschlecht das Kind haben sollte, und dann entsprechende Operationen vorgenommen wurden, um die Geschlechtsmerkmale "eindeutig" zu machen. Neuerdings geht die Tendenz aber dahin, dass die betroffenen Kinder irgendwann selbst entscheiden sollen, da zu viele Betroffene mit dem für sie ausgesuchten Geschlecht unglücklich waren.

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Laut Wikipedia

http://de.wikipedia.org/wiki/Intersexualit%C3%A4t

"Die Häufigkeit von Intersexualität wird äußerst unterschiedlich geschätzt – von 1:5000 bis 1:100,[11] was auf Deutschland umgerechnet etwa 16.000 bis 800.000 Menschen wären. Andere Schätzungen – unter Einschluss von Klinefelter- und Turner-Syndrom verweisen auf einen Anteil von 1,7 und 4 %.[12][13] [14] Um Intersexualität auszuschließen, ist eine ausführliche körperliche Untersuchung einschließlich Chromosomenanalyse notwendig"

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Dem Wortlaut der Norm nach gibt es weder "kein Geschlecht" noch "drittes Geschlecht", sondern nur "unbekannt". Es wird keine Angabe gemacht, nicht etwa die Angabe, dass es kein Geschlecht gäbe.

Das wäre dann ähnlich einer fehlenden Eintragung zum Vater, zum genauen Geburtstag oder dem Geburtsort. Niemand bezweifelt, dass es eins davon gegeben hat. Nur weiß man halt nicht konkret Person, Datum oder Ort.

Alle weiteren Rechtsfolgen dürften davon abhängen. Wenn der Mensch unbekannten Geschlechtes Rechte geltend machen möchte, die ein bestimmtes Geschlecht voraussetzen, wird er ein Geschlecht behaupten und ggf. sogar beweisen müssen. Will der Mensch eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer Frau, wird "sie" behaupten und ggf. beweisen müssen, dass "sie" eine "sie" ist. Bei einer Ehe mit einer Frau wird "er" behaußten und ggf. beweisen müssen, ein "er" zu sein.

Wenn das Gesetz eine zwingende Unterscheidung voraussetzt, der Betroffene aber den Status "unbekannt" behalten möchte, dürfte eine Gesetzeslücke vorliegen, die durch Auslegung des gesetzgeberischen Willens zu schließen wäre.

Bei einer körperlichen Durchsuchung nach § 81 d StPO bspw. würde ich sagen, dass der Mensch sich aussuchen kann, durch welches Geschlecht er untersucht werden möchte, oder man nur noch die Untersuchung durch einen Arzt zulassen würde (Lücke), umgekehrt aber Menschen beiden Geschlechts eine Durchsuchung durch einen Polizisten unbekannten Geschlechts ablehnen dürften (weil das Vorliegen "desselben Geschlechts" nicht bejaht werden kann).

 

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Zum leichteren Lesen ein Auszug aus dem ALR:

 

der Zwitter.

§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.

§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.

§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.

§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen.

§. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern.

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zu #5 Leser hat sicher Recht.

Trotzdem ergibt sich die Frage wie mit "unbekannt" umzugehen ist.

Muss sich "unbekannt" zu männlich oder weiblich bekennen? Muss es eine Beweispflicht seitens des Betroffenen geben oder nicht, wenn welche Rechte wargenommen werden wollen?  Was ist wenn "unbekannt" und  "unbekannt" heiraten wollen, dürfen sie das?

Welche Rolle sollen Sachverständigengutachten wann spielen?

 

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