LAG Köln: Kein Wegfall der Entgeltfortzahlung wegen Eigenverschuldens

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 31.07.2013

Das LAG Köln hat sich in einer Entscheidung vom 19. April 2013 (AZ: 7 Sa 1204/11) mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einem selbstverschuldeten Unfall entfällt. § 3 EZFG gewährt den Anspruch für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmer „ohne dass ihn ein Verschulden trifft“. Der Anlassfall stellt sich wie folgt dar: Die klagende Arbeitnehmerin stürzte während ihrer Arbeit in einem Restaurant auf nassem Boden und verletzte sich so schwer, dass sie für etwa vier Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. Die beklagte Arbeitgeberin leistete für diesen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung mit der Begründung, die Arbeitnehmerin habe den Arbeitsunfall selbst verschuldet. Ausgerutscht sei sie, weil sie an diesem Tag Stoffturnschuhe mit glatten Sohlen getragen habe. Bereits am Vortage hätten aus gegebenem Anlass zwei Vorgesetzte unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihre Schuhe nicht rutschfest und daher ungeeignet seien. Außerdem sei der frisch gewischte Bereich durch ein gelbes Warnschild gekennzeichnet gewesen. Dieser Vortrag wurde von der Klägerin bestritten. Das LAG konnte von einer Beweisaufnahme absehen, da selbst bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrags ein Verschulden im Sinne des § 3 EFZG nicht vorliege. Insoweit bestätigt das LAG die restriktive Linie der Rechtsprechung. Wörtlich heißt es sodann: „Das in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erwähnte Verschulden des Arbeitnehmers entspricht nicht dem in § 276 BGB definierten Begriff über die Verantwortlichkeit des Schuldners. Im Entgeltfortzahlungsrecht wird vielmehr nur ein solches Verhalten als anspruchsausschließend bewertet, bei welchem es sich um einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen handelt. Ein im allgemeinen Sprachgebrauch als leichtsinnig bezeichnetes Verhalten erfüllt den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG daher noch nicht. Das bedeutet: Erforderlich ist vielmehr ein besonders leichtfertiges oder gar vorsätzliches Verhalten des Arbeitnehmers, welches dann auch darin bestehen kann, dass der Arbeitnehmer in grober Weise seiner Sicherheit dienende Anordnungen des Arbeitgebers nicht beachtet. Selbst wenn sie Stoffturnschuhe getragen hätte, läge hierin noch kein grober Verstoß gegen die ihrer Sicherheit dienenden Anordnungen vor. Insoweit führte das Gericht aus, dass es sich bei Stoffturnschuhen - anders als eventuell bei Stöckelschuhen - nicht per se um ungeeignetes Schuhwerk handelt. Darüber hinaus ereignete sich der Unfall der Arbeitnehmerin in einem Bereich, der ebenfalls den Gästen des Restaurants zugänglich war. Wäre die Rutschgefahr mit Stoffturnschuhen tatsächlich so hoch gewesen, hätte die Arbeitgeberin diesen Bereich für die Restaurantbesucher sperren müssen. Ein solches Verhalten sah das Landesarbeitsgericht auf Seiten der Arbeitnehmerin nicht. Selbst wenn sie Stoffturnschuhe getragen hätte, läge hierin noch kein grober Verstoß gegen die ihrer Sicherheit dienenden Anordnungen vor. Insoweit führte das Gericht aus, dass es sich bei Stoffturnschuhen - anders als eventuell bei Stöckelschuhen - nicht per se um ungeeignetes Schuhwerk handelt. Darüber hinaus ereignete sich der Unfall der Arbeitnehmerin in einem Bereich, der ebenfalls den Gästen des Restaurants zugänglich war. Wäre die Rutschgefahr mit Stoffturnschuhen tatsächlich so hoch gewesen, hätte die Arbeitgeberin diesen Bereich für die Restaurantbesucher sperren müssen.

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5 Kommentare

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Gibt es eigentlich auch ein juristisches Argument für die restriktive Rechtsprechung entgegen dem Wortlaut? Verschulden erfasst doch allgemein auch einfache Fahrlässigkeit. Normalerweise sollte doch der, der "selbst schuld hat", auch selbst die Konsequenzen tragen. Das Argument, dass das Gehalt für den Lebensunterhalt gebraucht wird, überzeugt wenig, denn dafür gibt es ja die GKV. Und die Kosten des Gesundheitssystems würden vielleicht sogar sinken, wenn die Menschen wegen drohender finanzieller Konsequenzen allgemein etwas vorsichtiger mit ihrer Gesundheit umgingen.

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@anderer Gast:

 

Das Merkmal "ohne sein Verschulden" stand schon in der allerersten Fassung des BGB vom 18.06.1896 in § 616 BGB. Der Dienstverpflichtete (bzw. Arbeitnehmer) ist hiernach Gläubiger (!) des Vergütungsanspruchs, dessen er nach § 616 BGB (bzw. § 3 EFGZ) nicht verlustig geht. Der von Ihnen formulierte Einwand "Verschulden erfasst doch allgemein auch einfache Fahrlässigkeit" reflektiert offenbar auf § 276 S. 1 Halbs. 1 BGB. Dort heißt es jedoch - Hervorhebung und Anm. in eckiger Klammer von mir - "Der Schuldner [!] hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten". Die aus § 276 BGB abgeleitete Anwendung der einfachen Fahrlässigkeit auf den Verschuldensbegriff der §§ 616 BGB, 3 EFZG setzt daher voraus, den Gläubiger des Vergütungsanspruchs zugleich zum Schuldner eines Anspruchs seines Dienstherrn oder Arbeitgebers [!] zur Selbsterhaltung der Arbeitsfähigkeit zu machen. Das wird mit Recht von der mittlerweile wohl ganz h. M. nicht angenommen, d. h. § 276 BGB ist nach richtiger Auffassung nicht anwendbar und das "Verschulden" in §§ 616 BGB, 3 EFZG ist eines gegen sich selbst. Daher gelten hier andere Maßstäbe, eben die vom LAG Köln angewandten.

 

Mit der Schuldrechtsreform, die zum 01.01.2002 wirksam wurde, kamen gewisse Irritationen auf, weil § 275 Abs. 3 BGB ebenfalls eine Abwägung vorsieht. Allerdings regelt diese Norm die Unmöglichkeit der Dienstleistung wegen der Unzumutbarkeit persönlicher Leistungen (also z. B. Krankheit), während die §§ 616 BGB, 3 EFGZ bestimmen, dass auch dann, wenn die Dienst- oder Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann, die Gegenleistung auf Vergütung bzw. Arbeitslohn erhalten bleibt (vgl. Ernst, in: Münchener Kommentar, 6. Aufl. 2012, Rn. 119 zu § 275 BGB). Daher hat auch die Schuldrechtsreform nichts daran geändert, dass mit "Verschulden" in §§ 616 BGB und § 3 EFZG trotz ähnlicher Maßstäbe, die bei § 275 Abs. 3 BGB angelegt werden können, das Verschulden des Arbeitnehmers oder Dienstverpflichteten dasjenige gegen sich selbst ist (Mansel, in: Jauernig, 14. Aufl. 2011, Rn. 8 zu § 626 BGB m. w. N.).

@Bender

Die Differenzierung zwischen Schuldner- und Gläubigerverschulden ist letztlich kein Argument. Man mag damit zwar begründen können, das § 276 BGB nicht direkt anwendbar ist, aber im Rahmen von § 254 BGB umfasst doch ein Verschulden der Gläubigers/Beschädigten gegen sich selbst nach allgemeiner Auffassung auch einfache Fahrlässigkeit, so dass es m. E. einer positven Begründung bedüfte, den Begriff Verschulden mal so und mal anders zu verstehen. Und die vermisse ich insbesondere bei unangefochtenen "allg. M." recht oft. Da bleibt eigentlich nur der Rückgriff auf "Gewohnheitsrecht" (=Das haben wir schön immer so gemacht).

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§§ 616 BGB, 3 EFZG sind Vorschriften des Unmöglichkeitsrechts. Nach diesen Vorschriften bleibt der aus § 611 BGB resultierende vertragliche Anspruch des Dienstverpflichteten/Arbeitnehmers aus sozialpolitischen Gründen (so schon die Motive zum BGB) entgegen dem sonst geltenden Grundsatz "Kein Lohn ohne Arbeit" erhalten. Dem vertraglichen Anspruch aus § 611 BGB auf die Vergütung kann man doch kein "Mitverschulden" des Anspruchsinhabers entgegensetzen als wäre Arbeitslohn Schadensersatz. Damit wären ja gerade im Arbeitsrecht die berechtigten Lohnansprüche schon bei geringstem Fehlverhalten des Arbeitnehmers anteilig entwertet. Das meint § 616 BGB mit Sicherheit nicht, wenn es dort heißt: "ohne sein Verschulden".

@ Bender

Originell, eine arbeitsrechtliche Besonderheit mit dem allgemeinen Schuldrecht begründen zu wollen. Selbstverständlich handelt es sich um eine Ausnahme vom allgemeinen Unmöglichkeitsrecht, aber eben nur um eine Ausnahme von dem Fall der von keiner Seite zu vertretenden Unmöglichkeit. Bei der Frage, ob eine fahrlässig vom Arbeitnehmer zu vertretende Unmöglichkeit als "unverschuldet" angesehen werden muss, hilft der Hinweis auf das Unmöglichkeitsrecht nicht weiter. Aber ich gebe zu, dass man neben dem "das  haben wir immer so gemacht" natürlich ebenso überzeugend mit den weiteren juristischen Standardargumenten "das kann nicht sein" bzw. "wo kämen wir denn da hin?" argumentieren kann.

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