Privater Rechtsschutz im Kartellrecht? – Zum Innenausgleich bei der Bezahlung von EU-Bußgeldern

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 17.07.2013

Mit Beschluss vom 09.07.2013 hat der Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof einen spannenden Fall vorgelegt (Beschluss vom 09.07.2013, Az.: KZR 15/12, Pressemitteilung Nr. 115/2013 vom 09.07.2013). Der Fall verdient eine kurze Erwähnung in meinem Blog:

Was war passiert?

Die Europäische Kommission hatte durch Entscheidung vom 22.07.2009, COMP/39.396 – Kalziumkarbid, unter anderem den Unternehmen SKW Stahl-Metallurgie Holding AG, ARQUES Industries AG und SKW Stahl-Metallurgie GmbH gemeinschuldnerisch Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 13,3 Mio. auferlegt. Der Tatvorwurf betraf die Teilnahme durch Mitarbeiter der SKW Stahl-Metallurgie GmbH an einem Kartell; wegen dieses Verstoßes verhängte die Kommission gegen das Unternehmen ein Bußgeld. Sie verhängte außerdem ein Bußgeld gegen deren 100 %-ige Muttergesellschaft SKW Stahl-Metallurgie Holding AG und schließlich auch gegen die ARQUES Industries AG als 100 %-ige Muttergesellschaft der SKW Stahl-Metallurgie Holding AG. Die Kommission legte nicht fest, wer im Innenverhältnis der Bußgeldpflichtigen welche Beträge zu tragen hat.

Ausweislich der Sachverhaltsdarstellung des Bundesgerichtshofs bezahlte die ARQUES Industries AG die Hälfte des Bußgeldes und verlangte dann im Klagewege von der SKW Stahl-Metallurgie Holding AG und der SKW Stahl-Metallurgie GmbH die Erstattung der verauslagten Beträge. Das Landgericht München (LG München I vom 13.07.2011, Az. 37 O 20080/10) und das OLG München (Urteil vom 09.02.2012, Az. U 3283/11 Kart), wiesen die Klage ab. Der Bundesgerichtshof setzte das Verfahren aus und befasste den Europäischen Gerichtshof mit mehreren Fragen zu folgenden Aspekten des Falls:

-                Muss die Kommission eine abschließende Regelung treffen, in welchem Verhältnis die Geldbuße intern auf die einzelnen Bußgeld-"Gesamtschuldner" aufzuteilen ist?

-                Ergibt sich eine gleichmäßige Verteilung im Innenverhältnis (wie bei § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB), wenn die Kommission eine solche Entscheidung unterlassen hat?

-                Muss die Kommission ihre Entscheidung nachträglich ergänzen?

-                Dürfen die mitgliedstaatlichen Gerichte über die Verteilung im Innenverhältnis entscheiden und wenn ja, nach welchem Maßstab?

Der Bundesgerichtshof sah diese Fragen als solche zur Auslegung des Unionsrechts an. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs ist noch nicht auf der Internetseite veröffentlicht. Das wird aber sicher bald geschehen.

Die Entscheidung des EuGH darf mit Spannung erwartet werden.

Es geht um ausschließlich europarechtliche Fragen. Dieser Ansatz des Bundesgerichtshofs überzeugt aus folgenden Gründen:

1. Die Bußgeldsanktion bei Verstößen gegen das EU-Kartellrecht ergibt sich aus dem EU-Recht selbst (Art. 23 Verordnung Nr. 1/2003). Es geht hier nicht um einen Fall, in dem deutsche Kartellbehörden Bußgelder nach OWiG wegen Verstoßes gegen das EU-Kartellrecht verhängen. Das deutsche Bußgeldrecht ist also nicht anwendbar.

2. Das "gesamtschuldnerische" Einstehen für EU-Bußgelder ergibt sich ebenfalls aus dem EU-Recht. Es ergibt sich nicht aus dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht. Dort gibt es eine "Gesamtschuld" für Bußgelder nicht. Es ergibt sich auch nicht aus dem BGB. Es geht hier nicht um eine zivilrechtliche Anordnung einer Gesamtschuld.

3. Es ist dann konsequent, wenn sich das Innenverhältnis dieser "Gesamtschuld" auch aus dem EU-Recht ergibt. Das folgt meines Erachtens aus dem Vorstehenden. Zudem hält das deutsche Recht auch keine Maßstäbe für die Verteilung im Innenverhältnis bereit (von der Grundregel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB abgesehen). Für diese Verteilung mögen aber spezifisch kartellrechtliche bzw. kartellbußgeldrechtliche Erwägungen eine Rolle spielen. Diese folgen dann aber aus dem EU-Kartellrecht.

4. Spannend ist in dem Fall auch die Frage nach der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage, wenn ein im "Außenverhältnis" zur Kommission Bußgeldpflichtiger Freistellung oder Erstattung von einem anderen Bußgeldpflichtigen verlangt. Das OLG war von § 426 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage ausgegangen (a.a.O., Tz. 21). Es hatte dabei auf Erwägungsgrund 30 der Verordnung 1/2003 hingewiesen, der tatsächlich einen Hinweis auf das mitgliedstaatliche Recht, wenn auch für einen anderen Fall, enthält.

Privater Rechtsschutz im Kartellrecht? Sicher nicht im herkömmlichen Sinne.

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