Tanken ohne zu zahlen - ein beliebter "Volkssport"? Und welcher Straftatbestand wird da eigentlich erfüllt?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.07.2013

Nach einer gestern veröffentlichten Studie von Auto.de soll es durch Selbstbedienungstanken ohne zu zahlen zu weit höheren Schäden kommen als nach der Polizeistatistik anzunehmen sei, nämlich ca. 30 Millionen Euro im Jahr. Es liege ein großes Dunkelfeld vor, da viele Tankstellenpächter auf Strafanzeige verzichteten, weil sie nicht über eine Videoüberwachung verfügen, die eine Identifizierung des Fahrzeughalters ermöglicht. So sei eine Strafanzeige aussichtslos und sie unterbleibe. Allerdings beruht die hohe Anzahl solcher Delikte im Dunkelfeld auf einer Schätzung des Verbands der Tankstellenpächter, nicht auf empirischer Forschung.

Polizeistatistisch gebe es jedenfalls einen „Trend“ zu immer häufigerem deliktischen Gratistanken:

"Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen ihr Fahrzeug betankt und vorsätzlich nicht gezahlt wie 2012. Hier setzt sich ein Trend fort. Von 2011 zu 2012 stieg die Anzahl der Betrugsdelikte um 5,5%. Von 2010 zu 2011 waren es sogar 10%. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr fast 90.000 (89.769) Tankbetrugs-Delikte bei der Polizei angezeigt." (Quelle: Auto.de)

Zu den Einzelheiten, zu der auch ein Ranking von Städten gehört, in denen das Phänomen besonders häufig bzw. selten auftritt, sei auf die Quelle verwiesen.

Kriminologisch sei vorausgeschickt, dass dieses Deliktsphänomen einen typischen Anlass in der Art des Aufbaus der Selbstbedienungstankstellen findet: Dem Kunden wird gestattet, das Benzin einzufüllen, ohne vorab zu zahlen oder sich zuvor auszuweisen - das ergibt die "Tatgelegenheit". Das Risiko des Zahlungsausfalls wird von den Tankstellen bewusst unter Ersparung des Kontrollaufwands eingegangen, die strafrechtliche Verfolgung der Täter auf die Polizei bzw. den Steuerzahler verlagert. Während die Kriminalpolizei jedem Hauseigentümer oder Wohnungsinhaber „rät“, geeignete Abwehrmaßnahmen gegen Einbruchdiebstahl zu treffen, wird es als völlig normal angesehen, dass Tankstellenpächter ihren teuren Kraftstoff zum Betanken des späteren Fluchtfahrzeugs offen bereitstellen. In den meisten anderen Ländern (z.B. USA, Italien) ist es eher unüblich, dass man ohne vorherige Zahlung bzw. Identifikation durch Kreditkarte sein Fahrzeug betanken darf (Quelle). 

Strafrechtsdogmatisch ist interessant, welcher Deliktstatbestand überhaupt verwirklicht wird, wenn jemand tankt und mit dem betankten PKW (vorsätzlich) davonfährt ohne zu bezahlen.

In der heutigen FAZ heißt es auf der Titelseite: „Steigende Zahl von Benzin-Diebstählen“, im Bericht auf S. 11 heißt es dann aber „Tankbetrug grassiert“. Auch auf Auto.de heißt es mal „Spritklau“, meist aber „Tankbetrug“. Was denn nun: Diebstahl oder Betrug?

Ich denke, dass man weder den für den Diebstahl vorausgesetzten Gewahrsamsbruch noch – entgegen der insofern verfehlten Rechtsprechung des BGH – eine für einen Betrug erforderliche irrtumsbedingte Vermögensverfügung annehmen kann, auch nicht versuchsweise.

Worin sollte die Vermögensverfügung liegen? Etwa in dem lt. Rechtsprechung anzunehmenden „Weitertankenlassen“ nach der irrtümlichen Wahrnehmung, der Kunde sei ein ordentlicher Kunde? Und womit konkret soll dieser Irrtum ausgelöst worden sein? Eine irgendwie geartete Erklärung des Kunden ist doch gar nicht erforderlich: Der Kunde tankt. Die Annahme, der Gewahrsamswechsel beruhe auf einer irrtumsbedingten Verfügung ist eine reine Fiktion. Niemand prüft an der Tankstelle, ob der tankende Kunde ehrlich ist, bevor man ihn (weiter) tanken lässt. Eine Verfügung (Eigentumsübertragung) erfolgt erst an der Kasse. Aber dort tauchen die „Kunden“, um die es hier geht, ja gar nicht auf. Sie fahren einfach weg mit dem fremden Benzin. Und manifestieren damit ihren unberechtigten Zueignungswillen. Sie erfüllen damit bei Vorsatz den Tatbestand des § 246 StGB, also eine Unterschlagung. Da sie sich also weder über eine Gewahrsamsschranke hinwegsetzen, noch jemanden täuschen müssen, begehen sie geringeres Unrecht als der Diebstahls- und der Betrugstatbestand voraussetzen.

Zur früheren ausführlichen Diskussion im Beck-Blog bitte den Beitrag des Kollegen Krumm aus dem Jahr 2012 klicken.

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27 Kommentare

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drei Anmerkungen:

 

1. Kommt es - beim normlen Tanken - nicht zum Eigentumsübergang durch Verbinden und Vermischen? Immerhin dürfte 1 l Sprit nicht mehr so ohne weiteres vom Auto getrennt werden können ...

 

2. Wenn man den Tankstellenbetreibern vorwirft, zu Lasten der Polizei ihre Kontroll und Überwachungsaufgaben zu vernachlässigen, dann müsste man dies auch dem Einzelhandel vorwerfen, denn immerhin wäre Ladendiebstahl im Tante Emma Laden mit Einzelbedienung über den Tresen deutlich schwerer ...

 

3. Meiner groben Schätzung nach kommt ein Tankbetrug auf rd. 20.000 einwandfreie Tankvorgänge ... hier von Volkssport zu sprechen ... also na ja ...

3

Die Vermischung ist doch wohl vollkommen egal, denn dadurch entsteht nur ein Gemisch. Ob der Tankwart das Benzin noch entmischen will oder kann, ist genauso egal, denn es reicht, dass er nicht will, dass der Autofahrer damit ohne zu bezahlen davonfaehrt.

 

Wie Herr Krumm schon einmal ausgeführt hat, ist die Frage des verwirklichten Tatbetandes für die Praxis von eher geringer Bedeutung. Zwar haben Diebstahl und Betrug eine höhere Strafandrohung als die Unterschlagung. In der Praxis haben sich jedoch für bestimmte Alltagsdelikte wie Ladendiebstahl, Tankbetrug, Trunkenheitsfahrt, etc., bestimmte Sätze heraus gebildet, je nachdem ob es sich um Ersttäter, Wiederholungstäter oder hartnäckige Rechtsbrecher handelt.  Diese "Standardstrafen" sind weitgehend unabhängig von den individuellen Verhältnissen und der gesetzlichen Strafandrohung. Im Hinblick auf § 46 StGB eigentlich ein klarer Rechtsbruch.  Aber da die zu verhängenden Einzelstrafen in solchen Fällen ohnehin relativ gering sind, hat das Gericht wenig Spielraum für eine individuelle Strafzumessung.

 

In bestimmten Konstellationen gibt es eben für bestimmte Taten 2 Monate Freiheitsstrafe, gleich ob der Täter sich zerknirscht und geständig zeigt und nachvollziehbare Gründe vorbringt oder ob er völlig uneinsichtig ist. Erst vergangene Woche hatte ich einen Mandanten, dem Ladendiebstähle vorgeworfen wurden. Er hat das längste und beeindruckendste letzte Wort gehalten, das ich je in einem Gerichtssaal gehört habe und welches viel Raum für eine ganz individuelle Strafzumessung eröffnet hätte.  Wer aber glaubte, das Gericht werde sich hiervon beeindrucken lassen und nur einen Millimeter von seinen üblichen Strafsätzen abweichen, wurde enttäuscht. Am Ende kam genau das heraus, was der schweigende Mitangeklagte auch erhielt.

 

Insofern ist es aus Sicht der Praxis relativ gleichgültig, ob man Diebstahl, Betrug oder Unterschlagung annimmt. Eine unrichtige Strafrahmenwahl infolge des "falschen" Straftatbestandes würde zwar die Revision begründen und zur Zurückverweisung der Sache führen. Auf das Endergebnis wird es sich jedoch nicht oder nur marginal auswirken.

 

Mandanten haben wenig Verständnis dafür, wenn ich als Verteidiger auf ihre Kosten akademische Fragen klären lassen möchte, die sich nicht entscheidend auf das Ergebnis auswirken. 95% der Mandanten ist es gleichgültig, ob sie wegen Diebstahls oder Unterschlagung verurteilt werden, ob sie 2 oder 4 Monate Freiheitsstrafe erhalten. Wenn es nur um eine Geldstrafe geht, fressen die Kosten der weiteren Instanzen die mögliche Ersparnis auf. Was nützt es also dem Angeklagten, wenn er am Ende 40 Tagessätze wegen Unterschlagung statt 60 Tagessätze wegen Betruges erhält? Selbst als Pflichtverteidiger ist es mir zu blöd, auf Kosten des Steuerzahlers Rechtsmittel einzulegen, nur um zu klären, welcher Straftatbestand erfüllt ist.

 

Natürlich gibt es Konstellationen, wo sich die Frage auswirken kann. Wenn eine Anklage wegen 30-fachen Tankbetruges vorliegt, kann es schon einen Unterschied machen, wenn 30 mal der falsche Strafrahmen gewählt wird und eine nicht unerhebliche Gesamtstrafe zu bilden ist. Da kann der Angeklagte schon einmal 3-6 Monate Strafe "sparen", wenn es gelingt, über die Revision die Anwendung eines anderen Straftatbestandes mit einer geringen Strafandrohung und damit auch eine geringere Einsatzstrafe zu erreichen.  Aber das sind Ausnahmen. In den allermeisten Fällen ist die Diskussion solcher Fragen "l'art pour l'art" ohne entscheidende Auswirkungen auf das Ergebnis.

 

Als Freund der Wissenschaft bereitet mir diese ergebnisorientierte Arbeitsweise der Rechtsprechung zwar auch nach vielen Jahren als Praktiker noch immer körperliche Schmerzen. Aber um der eigenen Gesundheit willen habe ich im Laufe der Jahre gelernt, mich darüber (fast) nicht mehr aufzuregen...

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Denny Crane schrieb:

In bestimmten Konstellationen gibt es eben für bestimmte Taten 2 Monate Freiheitsstrafe, gleich ob der Täter sich zerknirscht und geständig zeigt und nachvollziehbare Gründe vorbringt oder ob er völlig uneinsichtig ist. Erst vergangene Woche hatte ich einen Mandanten, dem Ladendiebstähle vorgeworfen wurden. Er hat das längste und beeindruckendste letzte Wort gehalten, das ich je in einem Gerichtssaal gehört habe und welches viel Raum für eine ganz individuelle Strafzumessung eröffnet hätte.  Wer aber glaubte, das Gericht werde sich hiervon beeindrucken lassen und nur einen Millimeter von seinen üblichen Strafsätzen abweichen, wurde enttäuscht. Am Ende kam genau das heraus, was der schweigende Mitangeklagte auch erhielt.

In diesen Fällen ist aber § 47 StGB zu beachten. Führt bei vielen Obergerichten zur Aufhebung...

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Sehr geehrte/r Trias,

ad 1. die Frage eines Eigentumswechsels per Vermischung wird nicht relevant, denn auch dann verbleibt es zumindest beim Miteigentum desjenigen, der sich sein Eigentum (per AGB) vorbehalten hat. Nur ausnahmsweise könnte dann, wenn das neu getankte Benzin gegenüber dem schon vorhandenen nicht ins Gewicht fällt, nach §§ 947, 948 BGB, die Eigentumslage sich nach der Hauptsache richten. Allerdings kommt es auch darauf nur an, wenn man die "Hauptsache" bei gleichartig vermischten Sachen nach Quantität bestimmen will. Zur Diskussion siehe hier.

ad 2. Ja, so ist es. 

ad 3. Nicht ich sprach von "Volkssport".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Crane,

danke für Ihre ausführlichen Anmerkungen aus der "Praxis", in der akademische Fragestellungen (leider) keine große Rolle spielen. Darin unterscheidet sich Jura auch nicht von vielen anderen Praxisbereichen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

es escheint mir aber bedenklich, daß die Rechtsprechung heutzutage so wenig Rücksicht auf Forschung und Lehre nimmt. Früher hieß es: die Lehre geht mit der Laterne voran und die Rechtsprechung folgt. Heutzutage werden die Lehrmeinungen allenfalls dann noch zitiert, wenn sie zufällig mit der Auffassung des zuständigen Spruchkörpers übereinstimmen, im übrigen werden sie weitgehend ignoriert und nicht einmal zitiert oder diskutiert.  Die Rechtsprechung genügt sich überwiegend selbst. Oftmals hält man sogar nur die Rechtsprechung des eigenen Spruchkörpers für maßgeblich. Die Fundstellen für die vertretene Ansicht bestehen dann aus zahlreichen Daten und Aktenzeichen unveröffentlicher Beschlüsse jenes Spruchkörpers, so daß sogar die Überprüfung Schwierigkeiten bereitet.

 

Das mag freilich auch damit zusammenhängen, daß es in Zeiten von Internet und juris "die" Rechtsprechung und "die" Lehre weniger denn je gibt. Heute vertreten viel zu viele Menschen viel zu viele verschiedene Meinungen. Alles ist irgendwie vertretbar, denn man findet zu jeder noch so abwegigen Auffassung immer eine Fundstelle, in der die gleiche Auffassung vertreten wird. Die systematische Rechtsanwendung anhand des Gesetzes scheint mehr und mehr durch das google-artige Zusammensuchen von Präzedenzfällen abgelöst zu werden. Ich kenne viele Juristen, die schauen gar nicht mehr in das Gesetz oder in einem Kommentar, sondern stürzen sich sogleich auf google und juris. Aus Lehrbüchern oder Kommentaren zu zitieren, kann ich mir bei vielen Richtern, von denen ich weiß, daß sie nur noch online recherchieren, ersparen.

 

Von der seit gut 130 Jahren normierten Rechtseinheit in Deutschland ist weniger denn je zu spüren. Es hängt oftmals von der Zufälligkeit der örtlichen Zuständigkeit ab, wie ein Rechtsstreit entschieden wird, zumal die Oberlandesgerichte sich in vielen uneins sind, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG an den Bundesgerichtshof zu veranlassen. Zudem scheint § 31 Abs. 1 BVerfGG zu den Vorschriften zu gehören, die man entweder nicht kennt oder ignoriert.

 

Wie steht denn die Lehre zu dem schwindenden Einfluß auf die Rechtsprechung?

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

als Staatsanwalt habe ich angesichts der Eindeutigkeit der Rechtsprechung regelmäßig Betrug im Strafbefehlswege angeklagt. Dennoch stimme ich Ihren Bedenken gegen die Annahme von Diebstahl und Betrug zu. Das bedeutet aber nicht, dass tatsächlich der Tatbestand der Unterschlagung vorliegt.

 

Für die Unterschlagung bedarf es einer rechtswidrigen Zueignung einer fremden beweglichen Sache. Zueignung ist eine nach außen erkennbare Handlung, die darauf gerichtet ist, eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt unter Ausschluss des Berechtigten herzustellen (im Einzelnen umstritten). Rechtswidrig ist die Zueignung, wenn sie nicht der materiellen Eigentumsordnung entspricht. Aber auch eine (ggf. mutmaßliche) Einwilligung kann die Rechtswidrigkeit ausschließen. Die Rechtswidrigkeit der Zueignung erscheint mir nicht unzweifelhaft.

 

M.E. dürfte bereits mit dem Einfüllen des Brennstoffs in den Tank die Zueignung stattfinden. Sowohl der "Tankstellenbetrüger" als auch der "normale Kunde" sind - wirksamer Eigentumsvorbehalt hin oder her - sicher regelmäßig der Meinung, dass der Brennstoff im Auto nunmehr der ihre ist, nur noch bezahlt werden müsse. Insofern besteht m.E. kein Unterschied zu einem Essen im Restaurant (außer, dass hier kein "Kellner" das Essen gebracht hat). Getragen wird dieser tatsächliche Befund auch von der Handhabung der Tankstellen, wenn der Benzin wegen fehlerhafter Geldkarte oder "zu spät" bemerkten Vergessens der Geldbörse nicht sogleich bezahlt werden kann. In diesen Fällen wird nicht der Brennstoff zurückgefordert (das Eigentum geltend gemacht), vielmehr werden Anstrengungen unternommen, den Zahlungsanspruch zu sichern. Auch kann der Tankstellenpächter nach dem Tanken nicht mehr ohne Mithilfe des Kunden an "seinen" Brennstoff, so dass eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt unter Ausschluss des Berechtigten vorliegt.

 

Diese Zueignung dürfte aber wegen einer Einwilligung des Tankstellenpächters (bzw. dessen Vertreters) rechtmäßig sein.

Zivilrechtlich gesehen dürfte mit dem Beginnen des Tankvorgangs durch Betätigen des Zapfhahnes ein Kaufvertrag über den Brennstoff in der vom Tankenden zu bestimmenden Menge und dem vom Tankstellenpächter bestimmten Literpreis zustande kommen. Das Leistungsangebot des Tankstellenpächters dürfte eine Realofferte sein, die durch den Tankvorgang angenommen wird. Die Hingabe des Kraftstoffes dürfte gleichzeitig als ein mit Einfüllen angenommenes Übereignungsangebot ausgelegt werden können, es sei denn ein Eigentumsvorbehalt wurde durch AGB wirksam einbezogen (§ 305 BGB; Hierzu verhalten sich die mir bekannten Urteile nicht. In der Praxis erscheinen die entsprechenden Hinweise an den Tankstellen vielfältig und tw. nicht vorhanden.)

 

Wenn ein Eigentumsvorbehalt nicht wirksam vereinbart worden ist, liegt nicht nur eine Einwilligung in die Zueignung sondern sogar in die Übereignung vor. Der Tankstellenpächter war nach dem geschlossenen Vertrag vorleistungspflichtig.

 

(Wenn ein Eigentumsvorbehalt [formell] wirksam einbezogen wurde, ließe sich wegen der an den Tankstellen geübten Praxis, das Eigentum nicht mehr geltend zu machen, bereits fragen, ob hier nicht eine [für den juristischen Laien] überraschende Klausel vorliegt oder ob es sich insoweit um ein Scheingeschäft handelt).

 

Angenommen der Eigentumsvorbehalt ist wirksam, dürfte zwar keine Einwilligung in die zivilrechtliche Übereignung aber eine Einwilligung in die tatsächliche Zueignung bestehen. Der Tankstellenpächter will ja gerade, dass jedermann den Brennstoff in sein Fahrzeug einfüllt, die Handlung vornimmt, die eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt unter Ausschluss des Berechtigten herstellt. Eine Differenzierung zwischen zahlungswilligen und zahlungsunwilligen Kunden lässt sich im objektiven und subjektiven Tatbestand des § 246 StGB beim Einfüllen des Brennstoffs aus meiner Sicht nicht herstellen, insbesondere, wenn man annimmt, dass auch der zahlungswillige Kunde den Brennstoff mit der Maßgabe einfüllt, "jetzt gehört er mir (ich werde ihn aber noch bezahlen)". Meines Erachtens kann die Einwilligung - ähnlich wie im Bereich des Hausfriedensbruchs die generelle Eintrittserlaubnis - auch nicht dergestalt beschränkt werden, dass sie nur zahlungswillige Kunden betrifft. (Soweit eine solche Einschränkung angenommen wird, würde diese nicht für die Fälle Geltung beanspruchen können, in denen sich der Kunder erst nach Abschluss des Tankvorgangs entschließt, nicht zu zahlen.)

 

Ist die Zueignung durch das Einfüllen des Brennstoffs in den Tank wegen einer entsprechenden Einwilligung nicht rechtswidrig, so hat dies auch Auswirkungen auf das Wegfahren mit dem ggf. unter Miteigentum stehenden Benzin des Tankstellenpächters, da (nach der m.E. zutreffenden Auffassung der Rspr.) weitere potentielle Zueignungsakte für § 246 StGB tatbestandslos sind. Soweit der Brennstoff wegen eines Eigentumsvorbehalts noch im (Mit-)eigentum des Tankstellenpächters ist, dürfte auch § 303 StGB nicht weiterhelfen, weil im bestimmungsgemäßen Verbrauch keine Zerstörung der Sache gesehen wird. Vom Verhalten des Täters liegt m.E. eine ähnliche Sachlage, wie beim "Schwarzfahren" vor (der Täter geht einen Vertrag durch sozialtypisches Verhalten ein, erfüllt seine Vertragspflicht aber nicht), allerdings sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 265a StGB nicht gegeben.

 

In der rechtlichen Diskussion um den "Tankstellenbetrug/Benzindiebstahl" wird im Übrigen ein weiterer rechtlicher Gesichtspunkt regelmäßig vollständig ausgeblendet. Nach § 248a StGB (ggf. i.V.m. § 263 Abs. 4 StGB) werden Diebstahl und Unterschlagung von geringwertigen Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichen Interesse verfolgt. Antragsberechtigt ist gemäß § 77 Abs. 1 StGB der Verletzte. Eine Bevollmächtigung ist zwar zulässig, muss aber tatsächlich vorliegen. Eine nachträgliche Genehmigung eines vollmachtlosen Strafantrags ist wegen der Antragsfrist nicht zulässig.

 

Verletzter ist der Träger des durch die Tat unmittelbar verletzten Rechtsgutes. Bei § 263 StGB ist dies wohl derjenige, dessen Vermögen geschmälert wurde (werden sollte im Fall des versuchten Betrugs) und im Falle des § 246 StGB der Eigentümer. Regelmäßig finden sich in den Anzeigen der Tankstellenpächter Strafanträge, die dann auch in Anklagen und Strafbefehlen Erwähnung finden. Genauso regelmäßig begegnen mir an Tankstellen aber auch Hinweise darauf, dass der Brennstoff im Eigentum eines Mineralölkonzerns steht und dessen Verkauf in dessen Namen und auf dessen Rechnung erfolge (insofern ist die Darstellung oben tw. nicht ganz korrekt, wenn von "Tankstellenpächter" geschrieben wurde) . Müsste hier nicht der Vorstand des Mineralölkonzerns den Strafantrag stellen bzw. der Tankstellenpächter eine Vollmacht vorweisen können? Die Kollegen aus der Praxis werden sicherlich auf das durch das mit Anklageerhebung/Beantragung des Strafbefehls dokumentierte besondere öffentliche Interesse verweisen. In der Sache kann dies aber bezweifelt werden, soweit die Anklage/der Strafbefehl nur den Strafantrag des Verletzten als Anklagegrund ausweist.

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Auch in der Literatur werden in jüngster Zeit vermehrt Zweifel am Betrugstatbestand geäußert. Siehe dazu:

- Ast, NStZ 2013, 305 ff.

- Ernst, JURA 2013, 454 ff.

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Sehr geehrter Herr (?) T.R.,

Ihre Überlegungen sind sehr gehaltvoll und ich kann das alles nachvollziehen, habe jedoch an einem Knackpunkt gewisse Bedenken:

Sie schreiben:

 

Die Hingabe des Kraftstoffes dürfte gleichzeitig als ein mit Einfüllen angenommenes Übereignungsangebot ausgelegt werden können, es sei denn ein Eigentumsvorbehalt wurde durch AGB wirksam einbezogen (§ 305 BGB; Hierzu verhalten sich die mir bekannten Urteile nicht. In der Praxis erscheinen die entsprechenden Hinweise an den Tankstellen vielfältig und tw. nicht vorhanden.)

Warum liegt in der Hingabe des Kraftstoffes notwendig ein Übereignungsangebot? Warum sollte der Eigentümer mehr von seinen Rechten preisgeben als zur Abwicklung des Vertrags regelmäßig nötig ist? Mir erscheint das weder sinnvoll, noch angesichts der Vertragsfreiheit zwingend. Mit Ihrer Formulierung  "dürfte so ausgelegt werden können" bleiben Sie ja selbst eher vorsichtig. Eine Erklärung der Tankstelle gibt es nur hinsichtlich dem (nicht rechtsgeschäftlichen) Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel, darin sehe ich kein sofortiges Übereignungsangebot.

Wenn also nicht "automatisch" durchs Einfüllen auch eine schon abgeschlossene Übereignung  anzunehmen ist, dann braucht man auch keine AGB, die diesen rechtlichen Eigentumsvorbahlt noch einmal deklariert. Nachdem ich auf das Problem aufmerksam geworden bin, habe ich allerdings einen entspr. Eigentumsvorbehalt an jeder Tankstelle an oder neben der Zapfsäule entdeckt.

Inwieweit mit der Hingabe des Kraftstoffs in die "eigentümerähnliche" Position schon eine Einwilligung in die Zueignung zu sehen ist, ist ebenfalls nicht so eindeutig wie Sie es darstellen. Im Rechtsleben werden zahlreiche Eigentümer-Besitzerverhältnisse so begründet, dass der Besitzer bereits eigentümerähnlich über den Vertragsgegenstand herrscht, ohne dass darin schon eine "Zueignung" zu sehen ist. Der "normale" Vorgang an der Tankstelle  ist eben so, dass der Eigentümer erst nach dem Bezahlen den Verbrauch (durch Losfahren) gestatten will.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

@T. R.

Ihre Argumentation zugrunde gelegt, hätte man also weder Betrug, noch Diebstahl noch Unterschlagung.

Jedenfalls bei Selbstbedienungstankstellen würde ich dann an Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) denken. Sie sagen, desssen Tatbestandsvoraussetzungen seien nicht gegeben. Woran scheitert es Ihrer Meinung nach?

§ 265a StGB hat einen wesentlich geringeren Strafrahmen als die o.g. Straftatbestände (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe), aber vielleicht sogar den angemesseneren.

Das eingefüllte Benzin wird regelmäßig wegen Vermengung in das Eigentum des Fahrzeugeigentümers (!) übergehen - irgendwelche AGBs helfen hier nicht, weil § 948 BGB nicht abdingbar ist (sRspr BGH NJW 06, 990). Das Vermengen ist Realakt. Der Eigentumsübergang erfolgt kraft Gesetzes.

Was übrig bleibt sind Zahlungsansprüche: Der vertragliche Anspruch des Tankstellenbetreibers gegen den Tankenden. Und ggf. ein Anspruch des Tankenden gegen den tatsächlichen Fahrzeugeigentümer je nach Vereinbarung, ggf. § 812 BGB.

Das ist zwar für den Tankstellenbetreiber mißlich: aber es ist seine unternehmerische Marktentscheidung, wie er die Betankung dem Kunden gegenüber ermöglicht. Er könnte ja (technisch) auch Tanken nur gegen Vorkasse ermöglichen. Tut er dies nicht, weil er Angst hat, Kunden zu vergraulen, so ist dies gerade seine unternehmerische Entscheidung.

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Sehr geehrte/r Brainbug2,

die von Ihnen gezogenen Schlüsse werden weder vom Gesetzestext noch von der angegebenen BGH-Rechtsprechung gestützt. Bei Vermengung erwerben die Eigentümer der vermengten Stoffe/Sachen Miteigentum (siehe § 947 BGB). BGH NJW 2006, 990 befasst sich m.  W. nicht mit der Benzinfrage.

Auch die - vertrebare - Ansicht von Herzberg (vgl. Spiegel-Artikel von 1984), ähnlich oben T.R., ist meines Erachtens unzutreffend; mittlerweile wird allerdings der Eigentumsvorbehalt fast immer an der Zapfsäule erklärt, so dass von einem Übereignungswillen des Tankstellenbetreibers schon beim Einfüllen nicht ausgegangen werden kann.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Vielen Dank für die Rückmeldung,

bzgl. der Rechtsfolge aus §§ 947 I, 948 I BGB haben Sie und Kommentator Diesel natürlich Recht: es entsteht nach Betankung Miteigentum am im Tank befindlichen Benzin im Verhältnis der Benzinmengen aus Restmenge und neu eingefüllter Menge. Da hatte ich Humbug gebaut.

Allerdings bin ich nach wie vor überzeugt, dass ein in AGB vereinbarter Eigentumsvorbehalt nicht wirken kann. Die von mir zitierte Entscheidung (BGH Urteil vom 2.12.2005, V ZR 35/05) führt in den Entscheidungsgründen Seite 10 wörtlich aus: "...Dies ist eine Folge der nicht zur Disposition der Beteiligten stehenden sachenrechtlichen Anordnungen in den §§ 93 bis 95 BGB und in den §§ 946 bis 950 BGB."

Dies kommentiert auch Bassenge in Palandt (71. Aufl. 2012, § 947 Rz. 1 und § 948 Rz. 1) unter Bezugnahme auf diese Entscheidung so, wonach §§ 947, 948 BGB unabdingbar sind.

 

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Sehr geehrte/r Brainbug2,

nur wenn ein Eigentumsvorbehalt wirksam vereinbart wurde, kommt es zur Vermischung. Soweit ein solcher gar nicht vereinbart wurde dürfte bereits mit dem Einfüllen des Benzins in den Tank die Übereignung stattfinden, da die Bereitstellung des Benzins ein Übereignungsangebot wäre und das Einfüllen die Annahme.

Soweit ein Eigentumsvorbehalt existiert ist der Bezin, solange er ins Auto fließt noch im Alleineigentum der Tankstelle. Erst im Tank, wo sich der Rest des schon vorhandenen Benzins befindet, kommt es zur Vermischung und damit zu Miteigentum. Im konkreten Fall setzt also die Annahme der Vermischung einen wirksamen Eigentumsvorbehalt voraus.

 

Sehr geehrte/r o. Garcia,

Erschleichen von Leistungen kommt hier nur in der Tatbestandsalternative des Erschleichens von Leistungen eines Automaten in Betracht. Hier ist bereit heiß disktutiert, ob Warenautomaten - zu denen man die Zapfsäule allenfalls zählen könnte - überhaupt zu den "geschützten" Automaten zählen, oder ob nicht bloß Leistungsautomaten gemeint seien. Jedenfalls bedarf es fürs Erschleichen eines besonderen (trickreichen) Verhaltens. Das bloße "sich Umgeben mit dem Anschein der Rechtmäßigkeit" wird in allen Handlungsalternativen des § 265a StGB außer dem Schwarzfahren (und dies fast nur von der Rspr.) als nicht ausreichend angesehen.

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

wie bereits dargestellt, die Hinweise an der Tankstelle sind vielfältig, mir fällt ein Hinweis auf einen Eigentumsvorbehalt nicht regelmäßig ins Auge. Als Staatsanwalt wollte ich diese Frage und die Frage des Eigentums (Pächter/Mineralölkonzern) einmal aufklären lassen - die Polizei war ziemlich überfordert. Aber dies sind tatsächliche nicht rechtliche Probleme.

 

Ich verstehe Ihren Einwand dergestalt, dass Sie der Auffassung sind, ein Eigentumsvorbehalt müsse gar nicht erst durch AGB vereinbart werden, er ergäbe sich bereits aus dem Lebensvorgang, nach dem die (mal untechnisch formuliert) Tankstelle offensichtlich erkennbar ihr Eigentum am Benzin erst mit dem Bezahlvorgang aufgeben will. Diese Auffassung erscheint mir genauso gut und genauso schlecht vertretbar wie die meinige. Dem Argument, dass die Tankstelle in der Praxis wohl nie ihre (Mit)Eigentumsrechte sichert oder überhaupt geltend macht, ist aber noch nichts entgegengesetzt. Ob für den juristischen Laien, der mit Eigentumsvorbehalt in der Regel nur bei Ratenkaufverträgen in Berührung kommt, hier eine solche offensichtliche Situation vorliegt, kann auch bezweifelt werden.

 

Soweit Sie mir dahingehend folgen, dass der "Tankstellenbetrüger" bereits mit dem Einfüllen des Benzins eine Zueignung begeht, kommt es für den objektiven Tatbestand des § 246 StGB auf Eigentumsvorbehalt/Vermischung nicht an. Der "Tankstellenbetrüger" eignet sich das im Alleineigentum der Tankstelle stehende Benzin zu. Da auch der redliche Kunde ein gleichartige Handlung vornimmt, würde für ihn aber selbiges gelten. Selbst im subjektiven Tatbestand kann man kaum zwischen einem redlichen und einem unredlichen Kunden unterscheiden. Beide wissen, dass sie eine nach außen erkennbare Handlung vornehmen, die eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt über die Sache unter Ausschluss des (Mit-)berechtigten herstellt.

 

Wie unterscheidet man nun in der Rechtswidrigkeit (hier bin ich mir nicht sicher ob dies "objektives Tatbestandsmerkmal", wie widerrechtlich in § 123 StGB, oder nur Hinweis auf allgemeine Rechtswidrigkeit sein soll) zwischen dem redlichen und dem unredlichen Kunden (, insbesondere, wenn der redliche Kunde mit dem Bewußtsein tankt, das eingefüllte Benzin gehöre mit dem Tanken ihm, er werde ihn aber noch bezahlen.)?

Mein Vorschlag war, unterschiedslose Einwilligung des Tankstellenpächters in das Verhalten der redlichen und unredlichen Kunden bzw. (weitergehend) einredefreier Übereignungsanspruch. Wenn man beides verneint und keine Differenzierung hinbekommt, käme es täglich zu unzähligen Unterschlagungen an deutschen Tankstellen, die nur deshalb nicht zur Anzeige kommen, weil die Täter umgehend Täter-Opfer-Ausgleich/Schadenswiedergutmachung leisten. Therorethisch ließe die Strafprozessordnung (§ 152 StPO) die Nichtbeteiligung des Staatsanwalts an der immensen Summe der Erledigungen nicht zu.

 

Hat man die Zueignung schon im Tankvorgang, kommt es auf das spätere Wegfahren und die erneute Zueignung des vermischten Benzins nicht an, da weitere Zueignungen - jedenfalls nach der Rspr. und einem Teil der Lehre - nicht tatbestandsmäßig sind.

 

Im weitläufigeren Zusammenhang mit diesen Problemen könnte die Unterscheidung Unterschlagung/Betrug auch Auswirkung auf die Bestimmung der Schadenshöhe haben. Während man bei den Eigentumsdelikten regelmäßig den Ladenverkaufspreis als relevant heranzieht (ob es tatsächlich immer richtig ist, die USt und den erwarteten Gewinn als mit schadensbestimmend zu berücksichtigen, soll hier dahingestellt bleiben) verlangt der Betrug/versuchte Betrug eine bilanzielle Betrachtungsweise. Es wäre von der Rspr. daher - zum einen für die Frage des Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze und zum anderen zur korrekten Bestimmung des für die Strafzumessung relevanten Schadens - zu prüfen, mit welchem Ansatz der Kraftstoff in der Bilanz der Tankstelle steht. Was in der Praxis tatsächlich geschieht, wird im Blog von Krumm näher dargestellt.

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Sehr geehrter T.R.,

Sie schreiben:

er ergäbe sich bereits aus dem Lebensvorgang, nach dem die (mal untechnisch formuliert) Tankstelle offensichtlich erkennbar ihr Eigentum am Benzin erst mit dem Bezahlvorgang aufgeben will. Diese Auffassung erscheint mir genauso gut und genauso schlecht vertretbar wie die meinige. Dem Argument, dass die Tankstelle in der Praxis wohl nie ihre (Mit)Eigentumsrechte sichert oder überhaupt geltend macht, ist aber noch nichts entgegengesetzt. Ob für den juristischen Laien, der mit Eigentumsvorbehalt in der Regel nur bei Ratenkaufverträgen in Berührung kommt, hier eine solche offensichtliche Situation vorliegt, kann auch bezweifelt werden.

Ich bin ja selbst kein Zivilrechtler, aber habe aus dem Studium  in Erinnerung, dass eine Übereignung grds. eine Willenserklärung voraussetzt. Diese muss konkret abgegeben bzw. aus dem Verhalten konkludent erschließbar sein. Ihre Interpretation besagt, eine solche Willenserklärung sei einfach (fiktiv) zu unterstellen, weil jemand aus praktischen Gründen später sein (Mit-)eigentumsrecht nicht geltend zu machen gedenke, d.h. sie schließen die Übereignung im Umkehrschluss aus Fehlen einer gegenteiligen Erklärung - m.E. geht das im Zivilrecht nicht einfach so. Ich glaube, Sie verwechseln faktisches Einverständnis mit einer Willenserklärung und verletzen damit das Abstraktionsprinzip. Wer nur das Einfüllen des Benzins gestattet, erklärt damit eben das: Das Einfüllen ist vor Bezahlung gestattet. Es geht nicht an, da mehr hineinzuinterpretieren, nur damit es eine bestimmte Subsumtion ermöglicht.

Ich sehe auch (noch) keine Zueignung im Einfüllen des Benzins, ich sehe die für § 246 StGB erforderliche Manifestation der Zueignung  erst im Losfahren.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Warum soll es kein Diebstahl sein, wenn eine Person ohne das Benzin zu bezahlen wegfährt.

 

Ein Ladendieb , der im Laden einfach ohne zu bezahlen Ware mitgehen lässt oder im Laden Nahrung verzehrt ohne zu bezahlen oder ein Zechpreller , der sein Bier nicht bezahlt ist doch ein Dieb.

Weshalb kann der Tankstellenpächter die Polizei nicht bitten Fingerabdrücke von der Tankpistole zu nehmen und das Kennzeichen nicht aufschreiben und andere Autofahrer, die hinter dem Dieb stehen, als Zeugen angeben, die gesehen haben, dass der Dieb die Menge Benzin nicht beazhlt hat ?

 

 

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Sehr geehrter Gast,

die Differenzieung zwischen Betrug, Diebstahl und Unterschlagung beruht auf den unterschiedlichen Formulierungen des strafbaren Verhaltens des Gesetzgebers und den tatsächlichen Unterschieden zwischen den Verhaltensweisen im tatsächlichlichen Leben. Der Ladendieb bricht fremdes Gewahrsam indem er eine Sache ohne Willen des Berechtigten vom Herrschaftsbereich des Berechtigten in seinen Herrschaftsbereich verbringt. § 242 StGB umschreibt das mit Wegnahme. Der Zechpreller bricht solches Gewahrsam nicht, da ihm der Kellner das Bier freiwillig aushändigt. Dabei unterliegt er aber dem durch den Gast mit der Bestellung hervorgerufenen Irrtum, dass dieser das Bier bezahlen werde. Dies ist als Betrug gemäß § 263 StGB strafbar. Im Falle des "Tankstellenbetrügers" besteht die Besonderheit, dass die Tankstelle - ebenso wie der wie der Kellner, den Benzin freiwillig überlässt, also kein Diebstahl. Allerdings hat der "Tankstellenbetrüger" nichts bestellt, bis zu seinem Wegfahren (ohne zu Bezahlen) kümmert sich auch niemand um ihn, also mangels Irrtum auch kein Betrug.

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

die Willenserklärung zur Eingehung eines Kaufvertrages sehen sie sicher in der Betätigung des Zapfhahnes auch. Weshalb nicht die Abgabe der Willenserklärung der Übereignung? Eigentumswechsel setzt Einigung und Übergabe voraus. Dass in der Übergabe das Einigungsangebot liegt, ist m.E. nicht fern liegend, zumal die Übergabe auch sonst im täglichen Leben das Einigungsangebot enthält (Brötchen beim Bäcker). Das spätere Verhalten lässt m.E. schon Rückschlüsse darauf zu, wie "die Tankstelle" ihre eigene Position sieht. Macht sie Eigentumsansprüche geltend, sieht sie sich als Eigentümer, macht sie lediglich vertragliche Erfüllungsansprüche geltend, sieht sie sich (nur) als Gläubiger, der seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat und nun die Gegenleistung erwartet. Es ist im Übrigen nicht unüblich, dass eine Partei vorleistungspflichtig ist. Der Friseur, der Wirt und selbst der Bauhandwerker erbringt seine -auch tw. mit Eigentumsübergang verbundene- Leistung, bevor das Entgelt beglichen Wird. Weshalb nicht auch "die Tankstelle"?

 

Allerdings möchte ich Ihnen doch recht geben, wenn ein Eigentumsvorbehalt durch AGB wirksam vereinbart wird. Dann kann im Tankvorgang noch keine Zueignung gesehen werden. Jedenfalls nicht nach der sog. engen Manifestationstheorie. Ein objektiver Beobachter wird beim Einfüllen des Benzins nicht darauf schließen können, dass sich der Kunde den Kraftstoff (allein) zu eigen machen will, da sich für den objektiven Betrachter ergibt, dass der Kunde - insofern muss ich meine Ausführungen berichtigen - nicht einen Kaufvertrag über den eingefüllten Kraftstoff, sondern einen Kaufvertrag über den (herzustellenden) Miteigentumsanteil "der Tankstelle" am Tankinhalt geschlossen hat. Geht man vom Tatbestand des § 948 BGB im Tank des Kunden aus, wird das (unter Eigentumsvorbehalt) stehende Angebot der Tankstelle bei Bereitstellung des Benzins dahingehend lauten, dass unter Abbedingung der §§752, 753 BGB ein Kaufvertrag über den vom Kunden herzustellenden Miteigentumsanteil "der Tankstelle" besteht, wobei sich dass Entgelt anhand der vom Kunden bestimmten Krafftstoffmenge und dem von "der Tankstelle" vorgegebenen Literpreis bestimmen soll. Der Kunde nimmt dieses Angebot mit Betätigung des Zapfhahnes an und bestätigt damit gleichzeitig den Miteigentumsanteil "der Tankstelle" (insofern keine objektiv erkennbare Aneignung). Ein Angebot zum Kauf des eingefüllten Kraftstoffes (wie von mir oben noch dargestellt) dürfte nicht erkennbar sein, weil allen Beteiligten (objektiv) erkennbar sein sollte, dass "die Tankstelle" im Zeitpunkt der Übereignung, hier Einigung - dem Verabschieden des Kunden nach Zahlung - nicht mehr in der Lage sein wird, den eingefüllten Kraftstoff zu übereignen, weil er als solcher nicht mehr existiert. Er wird bereits durch Vermischung in einem Miteigentumsanteil aufgegangen sein.

 

Das Wegfahren mit dem im Miteigentum "der Tankstelle" stehenden Kraftstoffes wäre dann die erste Zueignungshandlung und deshalb nach § 246 StGB strafbar. Wollen Sie eigentlich auch nach Abs. 2 strafen? Vorbehaltseigentum wird ja Üblicherweise als "anvertraut" angesehen. Hier bestünde nun die Besonderheit, dass Vorbehaltseigentum mit Wissen und Wollen aller Beteiligter in einem Miteigentumsanteil aufgegangen ist.

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

im Nachgang zu meinen letzten Ausführungen möchte ich noch einmal etwas konkreter auf Ihre letzte Stellungnahme zurückkommen.

Soweit ersichtlich meinen Sie (den Fall der wirksamen und einbezogenen Eigentumsvorbehalts-AGB mal beiseite gelassen), dass eine Willenserklärung zum Eigentumsübergang von "der Tankstelle" noch gar nicht mit dem Bereitstellen des Kraftstoffs abgegeben wird. Gleichzeitig gehen Sie aber (Stellungnahme vom 12.7.) von einem konkludent vereinbarten Eigentumsvorbehalt aus.

Dies dürfte in sich widersprüchlich sein.

Ist ein Eigentumsvorbehalt im Kaufvertrag vereinbart, so enthält die Übergabe (der Sache) das Angebot des Verkäufers zu bedingter Übereignung und die Besitzergreifung des Käufers dessen Annahme (Bassenge in: Palandt, BGB, 67. Aufl., § 929 Rn. 28; vgl. auch § 449 Abs. 1 BGB).

Das bedeutet, dass auch derjenige, der von einem Eigentumsvorbehalt ausgeht, im Fließenlassen des Kraftstoffs eine dingliche Einigung, nur eben unter der aufschiebenden Bedingung der späteren Zahlung sieht. Es handelt sich nicht um eine Verletzung des Abstraktionsprinzips (ziemlich "starker Tobak"), sondern um das tatsächliche Zusammenfallen von schuldrechtlichem und sachenrechlichem Geschäft.

Im konkreten Fall der Selbstbedienungstankstelle besteht die Besonderheit, dass die Sache vor Bedingungseintritt wegen Vermischung untergeht und die Beteiligten dies wissen. Den von mir beschriebenen Rückgriff auf einen Kaufvertrag über einen Miteigentumsanteil am Tankinhalt bedarf es allerdings wegen § 446 BGB nicht.

 

Knackpunkt bleibt jedoch die Frage, ob das Bereitstellen des Kraftstoffes in der Säule (soweit keine AGBs wirksam sind) ein Vertragsangebot mit Eigentumsvorbehalt darstellt. Grundsätzlich ist mit Abschluss des Vertrages sowohl die Leistung als auch die Gegenleistung fällig (§ 271 BGB. Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalt wäre demnach der besonders zu begründende Umstand. Hier ist - wie ich bereits dargestellt habe -  das eine, wie auch das andere vertretbar (vgl. Bassenge a.a.O. Rn. 27 m.w.N.). Soweit ersichtlich ist die "h.M." auf Ihrer Seite.

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Sehr geehrter Herr T.R.,

natürlich sind die Übereignungen (des Kraftstoffs und des Geldes) "fällig" mit Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts an der Tanksäule. Aber aus der Fälligkeit einer Pflicht lässt sich doch nicht schon deren Erfüllung herleiten, insbesondere wenn es nur um die Erfüllung der einen Pflicht im Synallagma geht. Es ist auch keineswegs die "Ausnahme", dass Vertragspartner die sich nicht kennen, Zug um Zug leisten wollen. Ihre Interpretation würde nämlich die eine Seite des Vertrags benachteiligen, indem ihr einfach eine Willenserklärung unterstellt wird, die sie nicht abgegeben hat und zu diesem Zeitpunkt (wohl) nicht abgeben wollte, da es gar nicht in ihrem Interesse war, sie abzugeben. Ich sehe auch keinen Widerspruch in meinen Ausführungen: Jedenfalls eine unbedingte Übereignung ist bem Befüllen NICHT schon gegeben. Hat man einen Eigentumsvorbehalt erklärt, kann man diese Erklärung so auslegen, wie Sie das tun. Aber daraus kann doch nicht geschlossen werden, dass in anderen Fällen (ohne EV) die unbedingte Übereignung bereits erklärt sei.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

wie bereits ausgeführt, man kann unterschiedlicher Auffassung sein, das OLG Koblenz hat in NStZ-RR 1998, 364 [zit. nach juris, dort Rz. 5] die verschiedenen rechtlichen Einordnungen dargestellt.

Wenn man mit der h.M. von keiner vollständigen Übereignung beim Einfüllen des Benzins ausgeht, sollte man sich aber schon festlegen (anders als das OLG Koblenz), ob man von Eigentumsvorbehalt ausgeht (Palandt a.a.O.) oder ob man in dem Fließenlassen des Benzins noch gar keine Willenserklärung sieht und eine dingliche Einigung erst in den Zahlungsvorgang hineininterpretiert (so wohl - nach OLG Koblenz - Borchert/Hellmann, ohne dass ich es nachgelesen habe).

Geht man von Eigentumsvorbehalt aus, hat man sich nämlich um "anvertraut" i.S.d. § 246 Abs. 2 StGB zu kümmern (2. Leitsatz BGHSt 16, 280, zit. nach juris). Sieht man die unter Eigentumsvorbehalt überlassene Sache als anvertraut an, kommt der erhöhte Strafrahmen zur Anwendung und es besteht jedenfalls mit Blick auf die Strafandrohung kein "geringeres Unrecht", als bei Betrug und Diebstahl (letzter Satz Blogeinleitung).

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Treuebruch, Begriffsjurisprudenz vom feinsten. Ist die Sache denn ueberhaupt schon uebergeben worden? Siehe schon RGSt 1, 289 und die vom OLG Hamm zitierte 11. Aufl. des Staudinger mit Hinweisen auf Hachenburg, Dernburg und Windscheid. Das ist der gesetzliche Eigentumsvorbehalt und der hat mit einem Anvertrauen nichts zu tun. Jeder gilt als ehrlicher Mann, solange er nicht ohne zu bezahlen davonfaehrt. Happy hunting.

Nach der Lektüre der Kommentare muss ich sagen :

 

eine sehr interessante Diskussion, die einem das Thema, unvergessen aus dutzenden Fällen im Studium, es schien ein Lieblingsthema meiner Professoren zu sein, noch einmal nahebringt.

 

Aber sie zeigt auch ein Dilemma, dass mir langsam die Freude am Beruf nimmt :

Wenn sich zwei gebildete und mit den Sachverhalten eng vertraute Experten einig sind, dass es Grund gibt, eine Vielzahl von erdenklichen Tatbeständen anzudenken und zu verwerfen und es auf Nuancen der Tatbegehung bzw. (evtl. durch AGB kundgetane)  Ausschmückungen des wahren oder potentiellen Willen des Tankstellenbetriebers ankommt, ob man, wenn man vorsätzlich tankt ohne zu bezahlen ein "Dieb", "Betrüger" "Unterschlager" oder "Leistungserschleicher" ist, so erfüllt die Rechtspflege Ihren Auftrag nicht mehr. Und da es ja vor Gericht genauso zugeht und ds Urteil oft davon abhängt, welcher Meinung Richter und StA folgen, ist es bei Weitem keine theoretische Diskussion.

Ich möchte mich nicht in die Nähe von Stammtischparolen begeben oder den Pauschalisierungshammer schwingen, aber der "gesunde Menschenverstand", den auch und insbesondere wir Juristen einsetzen sollten, muss dazu führen, dass es für jeden nicht in den Tiefen des Strafrechts bewanderten möglich sein sollte, zu erkennen, welcher Straftatbestand erfüllt ist. Vielleicht sollte man einen eigenen Tatbestand schaffen, strafbewehrt ähnlich dem Diebstahl, da dies doch notwendig erscheint. Bei schaffung des StGB gab es nunmal keine Selbstbedienungstankstellen, daher müsste man sich eingestehen, dass das vorhandene Gerüst nicht über alle Lebenstatbestände gezogen werden kann.

 

Beste Grüße

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Wie auch immer, es ist schoen, dass das Theme weiter lebt. Ich wollte dazu gerade etwas eigenes beginnen. Es ist fuerchterlich, das schon hundertmal durchgekaute immer wieder neu zu hoeren. Wie kann ich "Jedem das seine" als neuen Thread beginnen? Wo muss ich hinklicken?

Am Anfang steht die unfassbare Fischtheorie von Welzel aus dem Jahr 1962. Dazu kam dann die Theorie, dass der BGH der Welzelschen Fischtheorie folge. Dann haben Generationen von Rhinozerossen gelernt, an die Fischtheorie zu glauben. Einer der groessten lebenden deutschen Strafrechtler, der sonst einen realistischen Ansatz versucht, Guantanamo ist ueberall, war der Meinung, Welzel habe eine Entdeckung gemacht.

 

Dabei waere Welzel vielleicht am Besten geeignet gewesen, den Fall mit dem BGH ganz normal zu loesen, naemlich mit dem Begriff der Zueignung. Man muss sich nur einmal klarmachen, dass nach Ansicht des BGH schon das blose Tanken in der erst noch zu verwirklichenden boesen Absicht, ohne zu bezahlen davonzufahren, ein vollendetes Delikt ist, von dem man nicht einmal mehr durch die Zahlung des Kaufpreises strafbefreiend zuruecktreten kann. Das tatsaechliche Fortfahren ohne zu bezahlen, durch das sich erstmals ein neuer Wille auf die Sache auswirkt, ist aber nichts.

 

Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung. In der Schweiz ist es ganz klar, weil die Vermischung nichts aendert, in Oesterreich ist es noch schlimmer. Sprachbarrieren gibt es nicht und es geht immer um das gleiche. Fuer die Roemer war es so selbstverstaenlich, dass sie der Meinung waren, dass es auch bei den Fischen so sei. Die Fischtheorie ist aber vor allem zynisch. Indem man die Privatsphaere des Diebes schuetzt bringt man ihn ins Gefaengnis. Man sollte in jedem Fall seine Leistung auch anerkennen.

Irgendeinen vernuenftigen Grund fuer einen neuen Tatbestand, etwa die veruntreuende Benzinverschaffung, gibt es nicht. Es gilt nur wieder einmal ueber die Tatbestaende neu nachzudenken.

Wenn ich das dem Generalthema noch anfuegen darf: Im Osten so zwischen Cottbus und Leipzig sollen Benzindiebstahle uebrigens mittlerweile zunehmend so ablaufen, dass Privatleute das Benzin auf Parkplaetzen mit Hilfe eines kleinen Schlauchs und einer Elektropumpe aus dem Tank eines anderen Autos wegnehmen. Jeder soll die Taeter kennen und keiner tue was, erzaehlt ein ganz entsetzter dortiger Strafverteidiger beim Wein. Das Unrechtsbewusstsein ist dort ohnehin nahe Null.

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