"Strafklageverbrauch, wenn mehr Freispruch stattfindet, als angeklagt ist"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.07.2013

Der prozessuale Tatbegriff und der hieran aufgehängte Problemkreis des Rechtskraftumfangs bzw. des Strafklagverbrauchs ist immer wieder für Entscheidungen gut. Hier hatte das Gericht im freisprechenden Urteil "zu viel" freigesprochen, also auch wg. einem Sachverhalt, der gar nicht angeklagt war. Man könnte gut denken: Ja und? Dann ging das Urteil insoweit halt ins Leere. Der BGH sah das anders:

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Betruges unter Einbeziehung zweier in einem früheren amtsgerichtlichen Urteil verhängter Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Rüge der Verletzung des § 264 StPO gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sorgte der Angeklagte unter anderem durch die Vereinnahmung von Geldern zur angeblichen Weiterleitung und das Überbringen von gefälschten Quittungen, Gerichtsurteilen und sonstigen Schreiben dafür, dass der schwer persönlichkeitsgestörte Mitangeklagte D. an der unrichtigen Annahme festhielt, mit erheblicher Gewinnaussicht an zwei – tatsächlich gar nicht existierenden – E. -Filialen beteiligt zu sein. In dieser Fehlvorstellung befangen und damit gutgläubig erhielt der durch die Strafkammer demgemäß freigesprochene Mitangeklagte D. nach Hinweisen auf die zu erwartende Gewinnbeteiligung von Bekannten Darlehen von insgesamt knapp 100.000 € (zuzüglich weiterer, nicht verfahrensgegenständlicher Beträge). Dem Angeklagten B. übergab er mindestens 200.000 € zur Weiterleitung an – in Wahrheit nicht existente – E. -Mitarbeiter. Diese Beträge wollten sich B. , der Mitangeklagte F. und möglicherweise weitere Mittäter verschaffen.
Von dem einzigen ursprünglichen Anklagevorwurf, der Angeklagte B. habe einen versuchten Betrug dadurch begangen, dass er an der Täuschung eines potentiellen Darlehensgebers mitgewirkt habe, hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Darüber hinaus hat es eine Verurteilung betreffend den – in der Anklage nicht aufgeführten – Vorwurf eines in mittelbarer Täterschaft begangenen Betruges zum Nachteil weiterer Darlehensgeber ausgeschlossen.
2. Im Umfang der Verurteilung des Angeklagten B. war das Verfahren gemäß § 206a StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO einzustellen, weil es insoweit an den Verfahrensvoraussetzungen der Anklageerhebung und des Eröffnungsbeschlusses fehlt.
Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung (§ 264 Abs. 1 StPO) ist der von der Anklage benannte geschichtliche Vorgang, innerhalb dessen der An-geklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Zur Tat im prozessualen Sinn gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auf-fassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 542/11, NStZ-RR 2012, 355, und Beschluss vom 27. September 2011 – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, jeweils mwN). Bei der Untersuchung und Entscheidung muss die Identität der Tat gewahrt bleiben (BGH, Beschlüsse vom 27. September 2011 – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, und vom 10. November 2008 – 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146).

Letzteres ist hier nicht der Fall. Bei den Täuschungshandlungen zum Nachteil des Mitangeklagten D. handelt es sich um ein Geschehen, das zwar in einem gewissen Zusammenhang mit dem angeklagten versuchten Betrug zum Nachteil eines potentiellen Darlehensgebers steht, mit diesem jedoch nach der Lebensanschauung keinen einheitlichen Vorgang bildet. Die festgestellten Täuschungshandlungen sind im Vergleich zu den der Anklage zugrunde liegenden anders geartet und richten sich sowohl hinsichtlich des erzeugten oder aufrecht erhaltenen Irrtums als auch hinsichtlich des hervor-gerufenen Vermögensschadens gegen ein anderes Opfer. Auch ein zeitliches oder örtliches Zusammenfallen mit dem Anklagevorwurf ist nicht gegeben.
Die demnach prozessual eigenständige abgeurteilte Tat ist auch nicht aufgrund der übrigen Ausführungen im Anklagesatz und im wesentlichen Er-gebnis der Ermittlungen von der Anklage umfasst. Die Anklage beschränkt den Vorwurf ausdrücklich auf eine Handlung des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges, dem sich aufgrund der enumerativen Aufzählung der einzelnen Taten im Anklagesatz einzig die versuchte Erlangung eines Darlehens zum Nachteil des Zeugen S. zuordnen lässt. Selbst wenn – was nahe liegt – die von der Strafkammer nach rechtlichem Hinweis ge-mäß § 265 StPO vorgenommene Erweiterung der Anklage auf ein mit dem einzigen angeklagten Versuch zusammenhängendes uneigentliches Organisationsdelikt zum Nachteil einer Mehrzahl betrogener Darlehensgeber des Mitangeklagten D. zulässig war, erfasste sie gleichwohl nicht einen dem einheitlich organisierten Betrug nachgelagerten Betrug zum Nachteil eben dieses Mitangeklagten. Dabei verkennt der Senat den Zusammenhang zwischen den Täuschungshandlungen und ihrem Bezug zur Einwirkung auf den Tatmittler in den angeklagten Darlehensbetrugsfällen nicht. Er reicht zur Begründung von Tatidentität indes nicht aus.
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt auch darauf hin, dass die vorliegende Einstellung einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderun gen gerecht werdende Anklage wegen Betruges zum Nachteil des bisherigen Mitangeklagten D. nicht entgegensteht. Hingegen teilt der Senat nicht die Auffassung des Generalbundesanwalts, der rechtskräftige – nicht nachvollziehbar begründete, indes unangefochten gebliebene – Teilfreispruch umfasse nur dessen Beteiligung im Fall B 63 (Anklagepunkt 66). Den Urteils-gründen ist vielmehr zu entnehmen, dass das Landgericht auch den Vorwurf des Betruges in mittelbarer Täterschaft zum Nachteil der übrigen Darlehens-geber zum Verfahrensgegenstand gemacht hat, sich indessen insoweit nicht vom Vorliegen der subjektiven tatbestandlichen Voraussetzungen zu über-zeugen vermochte (vgl. UA S. 70). Der Teilfreispruch erstreckt sich somit auch auf diesen Teil des Geschehens und steht daher auch in diesem Um-fang einer erneuten Aburteilung entgegen. Selbst wenn das Landgericht durch die Erstreckung der freisprechenden Entscheidung auf diesen Ge-schehensteil seine Aburteilungsbefugnis überschritten haben sollte (vgl. dagegen BGH, Urteile vom 20. Januar 1989 – 2 StR 564/88, und vom 17. März 1992 – 1 StR 5/92, Beschluss vom 4. November 2003 – KRB 20/03, BGHR StPO § 264 Strafklageverbrauch 2 sowie Tatidentität 21 und 40; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 264 Rn. 9), könnte dies am Eintritt des Straf-klageverbrauchs nichts ändern, weil der betroffene Lebensvorgang durch die – über einen rechtlichen Hinweis nach § 265 StPO auch der anfechtungsbe-rechtigten Staatsanwaltschaft deutlich gemachte – gerichtliche Befassung und Entscheidung Gegenstand der strafrechtlichen Verfolgung des Angeklagten geworden ist.

BGH, Beschluss vom 20.2.2013 - 5 StR 462/12 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen