Nach Drogenfahrt den Führerschein des Bruders vorlegen? Das reicht....für § 164 StGB!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.07.2013
Rechtsgebiete: Falsche VerdächtigungStrafrechtVerkehrsrecht|4371 Aufrufe

Das Amtsgericht - Strafrichter - H hat den - strafrechtlich erheblich vorbelasteten - Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Das Amtsgericht hat in der Sache folgende Feststellungen getroffen:

„Am 20. April 2011 befuhr der Angeklagte gegen 15:00 Uhr mit einem fahrerlaubnispflichtigen Personenkraftwagen der Marke C3, amtliches Kennzeichen ##-## ##87, u.a. die D-Straße in H, wobei er unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis/THC stand. Zum Führen des Fahrzeugs war er - wie ihm bekannt war - nicht berechtigt, weil er zum Zeitpunkt der Tat keine Fahrerlaubnis besaß.

Gegenüber dem ihn kontrollierenden Polizeikommissar S2 gab sich der Angeklagte am Anhalteort als sein Bruder P, geboren am 22. Februar 19##, aus, welcher im Besitz einer Fahrerlaubnis war. Der Polizeibeamte suchte zusammen mit Polizeikommissarin G die Wohnanschrift des Angeklagten auf, um sich dessen Führerschein zeigen zu lassen. Aufgrund einer optischen Ähnlichkeit gelang es dem Angeklagten, die Polizeibeamten über seine Identität zu täuschen. Der Zeuge S2 ging nach Inaugenscheinnahme des vorgelegten Führerscheins des Bruders des Angeklagten P D davon aus, dass es sich bei der Person des Angeklagten um denjenigen handelt, für den sich der Angeklagte ausgab. Folgerichtig erstattete der Zeuge S2 gegen P D als vermeintlichen Fahrer des o.g. Pkw nach Vorliegen der Analyse der dem Angeklagten entnommenen Blutprobe eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Fahrens unter Einfluss von Rauschmitteln. Dem Angeklagten war bei seinem Täuschungsmanöver bewusst, dass nunmehr gegen seinen Bruder P ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Fahrens unter Einfluss berauschender Mittel eingeleitet wurde. Ihm war klar, dass – sofern sich das Ergebnis des vor Ort durchgeführten Schnelltests bestätigen würde – sein Bruder mit einem empfindlichen Bußgeld und einem Monat Fahrverbot belegt werden würde. Dies war ihm jedoch gleichgültig, weil er auf diese Weise glaubte verhindern zu können, sich selbst eines Verfahrens wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auszusetzen, nachdem ihm diese aufgrund früherer Verfehlungen entzogen worden war, was ihm bewusst war.

Am 28. Juni 2011 wurde von der Bußgeldstelle der Stadt H gegen P D wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis/THC ein Bußgeldbescheid über einen Gesamtbetrag von 760,61 Euro erlassen, gleichzeitig wurde ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Gegen diesen Bußgeldbescheid der Stadt H vom 28. Juni 2011 legte der Bruder des Angeklagten, vertreten durch den jetzigen Verteidiger des Angeklagten, Einspruch ein. In diesem Verfahren wandte der Bruder des Angeklagten ein, nicht Fahrer des Fahrzeugs zur Tatzeit gewesen zu sein. Auf Antrag des Verteidigers des Adressaten des Bußgeldbescheids wurde die seinerzeit am 20. April 2011 asservierte Blutprobe mit einer nunmehr tatsächlich dem Angeklagten selbst entnommenen Blutprobe verglichen. Ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 22. Juni 2012 wurde rechtsmedizinisch festgestellt, dass die am Tattag entnommene Blutprobe mit derjenigen des Angeklagten identisch ist. Die Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität E, Prof. Dr. med. D-U hat in ihrem schriftlichen Gutachten gemeinsam mit Prof. Dr. med. I und Dr. med. H sowie dem Dipl. B ausgeführt, dass die Häufigkeit der übereinstimmenden Merkmale aus biostatischer Sicht in unserer Bevölkerung bei 1 zu 1,6 Billionen Menschen steht. Sie kommen zu dem Schluss, dass die beiden Blutproben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von ein und derselben Person stammen.

Das gegen den Bruder des Angeklagten gerichtete Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde mit dessen Zustimmung gem. § 47 OWiG auf Kosten der Landeskasse unter Erstattung der dem Bruder des Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen eingestellt.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.....

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Auch geht die Revision zu Unrecht davon aus, die getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts würden eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Vorwurfs falscher Verdächtigung (hier: § 164 Abs. 2 StGB) nicht tragen.

Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 164 Abs. 2 StGB steht nach den getroffenen Feststellungen außer Frage. Der Angeklagte hat bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger (§ 158 Abs. 1 StPO) durch Vorlage eines auf seinen Bruder ausgestellten Führerscheins wider besseres Wissen die Behauptung aufgestellt, dieser sei Fahrer gewesen. Diese Behauptung war geeignet, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Bruder wegen eines Verstoßes gegen § 24 a Abs. 2 StVG herbeizuführen, weil die Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis/THC durchgeführt worden war.

In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand der falschen Verdächtigung zum einen (zumindest bedingten) Vorsatz hinsichtlich der vorgenannten objektiven Tatbestandsmerkmale voraus. Insbesondere muss dem Täter Vorsatz hinsichtlich der Eignung der von ihm aufgestellten Behauptung zur Herbeiführung eines behördliches Verfahrens nachzuweisen sein. Diesen Vorsatz hat das Amtsgericht zu Recht unter Hinweis auf das dem Angeklagten bekannt gewordene Ergebnis des vor Ort durchgeführten Schnelltests bejaht. Dieser auf freiwilliger Basis vorgenommene Drogenvortest war hinsichtlich des Wirkstoffs THC positiv ausgefallen, weshalb die Polizeibeamten – wie vom Amtsgericht festgestellt – die Entnahme einer Blutprobe veranlasst und zugleich den Angeklagten in dessen Wohnung begleitet haben, um sich den Führerschein zeigen zu lassen und dessen Identität zu ermitteln. Spätestens nach dem Ergebnis des Schnelltests wird der Angeklagte zumindest die Möglichkeit gesehen haben, dass er die Fahrt unter Drogeneinfluss vorgenommen hat, selbst wenn er meinte, die Drogen einige Tage zuvor konsumiert zu haben. Mit dieser Erkenntnis und der daraus folgenden Bedeutung für die Herbeiführung eines Verfahrens wegen Verstoßes gegen § 24 a Abs. 2 OWiG hat er sich zudem abgefunden bzw. diese billigend in Kauf genommen.

Soweit § 164 Abs. 2 StGB darüber hinaus die Absicht des Täters erfordert, ein behördliches Verfahren gegen den Verdächtigten herbeizuführen, reichen die Feststellungen des angefochtenen Urteils ebenfalls aus. Denn die erforderliche Absicht ist nicht nur dann gegeben, wenn der Täter die Herbeiführung eines behördlichen Verfahrens gegen einen anderen bezweckt (dolus directus 1. Grades), sondern auch, wenn der Täter sicher weiß (dolus directus 2. Grades), dass ein solches behördliches Tätigwerden die notwendige Folge seiner unrichtigen Behauptung ist (vgl. BGHSt. 18, 204, 206; OLG Koblenz, NZV 2011, 93; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 244; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 164 Rdnr. 13). Daraus folgt, dass auch derjenige den Tatbestand des § 164 StGB verwirklichen kann, der sich selbst durch eine unwahre Behauptung vor Strafverfolgung schützen will, dabei aber sicher weiß, dass seine Angaben ein gegen einen Dritten gerichtetes behördliches Verfahren zur Folge haben, wobei es genügt, wenn der Täter in diesem Sinne die Einleitung eines Verfahrens bezweckt, auch wenn er an dessen weitere Durchführung nicht glaubt (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.; Fischer, a.a.O.). Ausweislich der getroffenen Feststellungen wusste der Angeklagte sicher, dass die Vorlage des „falschen“ Führerscheins jedenfalls zur Einleitung eines Verfahrens gegen seinen Bruder führen würde. Diese Feststellung wird entscheidend durch den Umstand getragen, dass dem Angeklagten aufgrund des noch vor Ort durchgeführten Schnelltests bewusst gewesen bzw. geworden ist, unter Drogeneinfluss gefahren zu sein. Aufgrund dessen wusste er sicher, dass sein Täuschungsmanöver zwingend Ermittlungen gegen seinen Bruder nach sich ziehen würde. Die Herbeiführung dieser Ermittlungen war somit notwendige Folge seiner unrichtigen Behauptung und zugleich aus seiner Sicht unumgänglich, um sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen. Das Ziel, sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen, wird indes im Anwendungsbereich des § 164 StGB - jedenfalls auf Tatbestandsebene - nicht privilegiert. Denn weder aus dem Recht zu schweigen (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) noch aus dem Selbstbegünstigungsprivileg des § 258 Abs. 5 StGB kann ein Recht hergeleitet werden, Dritte durch aktive Falschbezichtigung der Strafverfolgung bzw. einem behördlichen Verfahren auszusetzen (vgl. Fischer, a.a.O., § 164 Rdnr. 3a m. w. Nachw.).

Demzufolge ist das Amtsgericht im weiteren Verfahren nicht daran gehindert, den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung zu verurteilen, sofern es die vorstehenden Feststellungen erneut zu treffen vermag.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 14.5.2013 - 5 RVs 39/13

Ach so - trotzdem wurde das Urteil aufgehoben:

Die Sachrüge hat insoweit Erfolg, als die Strafzumessungserwägungen nicht frei von Rechtsfehlern sind.

Soweit das Amtsgericht – gleichsam apodiktisch – ausführt, „zu Gunsten des Angeklagten spreche vorliegend nichts“, kann dem nicht gefolgt werden. Auch wenn § 164 StGB auf tatbestandlicher Ebene kein Selbstbegünstigungsprivileg vorsieht, so ist doch im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd zu bewerten, dass der Angeklagte aus dem im Grundsatz verständlichen Motiv heraus gehandelt hat, sich selbst vor Strafverfolgung schützen zu wollen. Auch ist die Tat aus einem spontan gefassten Entschluss heraus begangen worden und nicht etwa - soweit nach den getroffenen Feststellungen ersichtlich - aufgrund eines längerfristig ausgesonnenen Tatplans, der in besonderem Maße auf eine rechtsfeindliche Gesinnung schließen lassen könnte.

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