Vollmacht-Nichtvorleger bekommen keine Mittelgebühr

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.06.2013
Rechtsgebiete: MittelgebührVollmachtStrafrechtVerkehrsrecht7|3888 Aufrufe

Die Bloggerkollegen vom VollMachtsBlog mögen mir die etwas überspitze Überschrift nachsehen. Gerade habe ich aber bei openjur eine schon zurückliegende Entscheidung des LG Neuruppin gefunden, die sich mit der Nichtvorlage der Vollmacht und der Rechtsanwaltsvergütung befasst:

Das vorliegende Verfahren ist vom Amtsgericht eingestellt worden, weil Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Das Amtsgericht hat der Landeskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen, des jetzigen Beschwerdeführers, aufgegeben, die die Verfahrensbevollmächtigte mit 654,70 € beziffert hat. Es handelt sich um die Vergütung, die sie als Verteidigerin festgesetzt hat.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht unter Minderung der einzelnen Anwaltsgebühren den von der Landeskasse zu erstattenden Betrag auf nur 421,46 € festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht durch seine Verfahrensbevollmächtigte eingelegten Beschwerde, die zwar zulässig, jedoch unbegründet ist. Die Verfahrensbevollmächtigte macht geltend, dass die jeweiligen Mittelgebühren der einzelnen Rahmengebühren vorliegend billig und angemessen sind, während das Amtsgericht auf Antrag des Bezirksrevisors diese um jeweils 40 % gekürzt hat.

Diese Kürzung der Mittelgebühren um 40 % ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Anwaltsgebühren grundsätzlich selbst. Dabei hat er insbesondere die in der Vorschrift genannten Zumessungskriterien gegeneinander abzuwägen, um eine für sich lohnende Vergütung festzusetzen, die den Umständen des Falles gerecht wird und den Mandanten nicht unangemessen belastet. Maßgeblich sind danach die Bedeutung der Sache für den Mandanten, der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten. Letzteres gilt auch, wenn die Landeskasse dem Mandanten die notwendigen Auslagen zu erstatten hat, denn Maßstab bleiben auch in diesem Fall allein die Verhältnisse des Mandanten, dessen Auslagen zu erstatten sind. Die Landeskasse ist nicht der Rechnungs-empfänger.

Hinsichtlich aller Zumessungskriterien ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer bei der Bestimmung jeder einzelnen Anwaltsgebühr das von der Gebühr abgedeckte Spektrum zu berücksichtigen. Im Bußgeldverfahren muss der Rechtsanwalt bei der Bestimmung der Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG bedenken, dass diese die Bußgeldverfahren aller Art abdeckt, in denen es um Geldbußen von der Mindesthöhe bis zum Höchstmaß und um rechtlich einfachste bis zu kompliziertesten Verfahren (z.B. Kartellsachen) geht. Der Rechtsanwalt wird in Fällen von leichten Ordnungswidrigkeiten mit einfachem Tatsachen- und Rechtshintergrund insoweit nicht die Rahmenmittelgebühr festlegen können und – wie vorliegend - zur Begründung ausführen dürfen, dass es sich bei Verkehrsordnungswidrigkeiten schließlich um die meisten Bußgeldsachen handele, diese deshalb als durchschnittlich anzusehen seien und daher die Mittelgebühr zu liquidieren sei. Die Frage, in welcher Anzahl die Verteidiger, Behörden und Gerichte mit einer bestimmten Art von Bußgeldsachen zu tun haben, ist kein Umstand, der bei der Bemessung der Gebühren eine Rolle spielt.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen kann allerdings auch bei Geldbußen im unteren Bereich gesteigert sein, wenn eine rechtskräftige Verurteilung die Eintragung von Punkten im Verkehrszentralregister nach sich zöge. Vorliegend ging es allerdings lediglich um einen Punkt bei einem sonst unbelasteten Verkehrsregister des Betroffenen, so dass die Bedeutung der Angelegenheit nicht maßgeblich gesteigert war.

Ähnlich ist es auch bei den Gebühren für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nrn. 5101 bis 5106 VV RVG) und für das Verfahren vor dem Amtsgericht (Nrn. 5107 bis 5112 VV RVG). Die aus dieser Reihe einschlägigen Verfahrensgebühren nach Nrn. 5103 und 5109 VV RVG geben einen Gebührenrahmen für Verfahren vor, in denen es um Geldbußen von 40 bis 5.000 € geht. Vielfach – so auch im vorliegenden Fall - wird hinsichtlich dieser Gebührentatbestände das Argument vorgebracht, dass die konkrete Bußgeldhöhe als Kriterium für die Bemessung der Anwaltsgebühr nicht herangezogen werden dürfe, weil durch sie schon der bestimmte Gebührenrahmen ausgelöst werde und das Kriterium damit gewissermaßen verbraucht sei. Dem folgt die Kammer nicht. Die Höhe des Bußgeldes, gegen welches sich der Betroffene mit seinem Einspruch richtet, bestimmt maßgeblich die Bedeutung, die das Verfahren für den Betroffenen hat. Dies ist ein ausdrücklich in § 14 RVG genanntes Zumessungskriterium. Der Unterschied, ob der Betroffene sich gegen ein Bußgeld von nur 50 oder 100 € oder gegen ein solches von etwa 1.000 oder gar 5.000 € verteidigt, ist erheblich und muss aus diesem Grund auch bei der Bestimmung der Anwaltsgebühren herangezogen werden.

Vor diesem Hintergrund kann der Verteidiger für ein Bußgeldverfahren, in dem es - wie vorliegend – um eine Geldbuße von nur 95 € ging, nicht ohne genauere Abwägung einfach den jeweiligen Mittelwert der Gebührenrahmen liquidieren. Vielmehr ist im Blick zu behalten, an welcher Stelle sich die Geldbuße in dem abgedeckten Spektrum befindet. Für den vorliegenden Fall war insoweit festzustellen, dass das Bußgeld von 95 € sich knapp über der Untergrenze aufhält und schon deshalb nur unter besonderen Umständen die Mittelwerte hätten liquidiert werden dürfen. Solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.

Insbesondere war keineswegs als ein die Gebühren erhöhender Umstand die von der Verteidigerin insoweit vorgebrachte Verjährungsproblematik als erhöhte rechtliche Schwierigkeit anzuerkennen. Eine selbst geschaffene Schwierigkeit im Verfahren kann der Rechtsanwalt nicht gebührenerhöhend geltend machen, da dies gegenüber dem Mandanten als Rechnungsempfänger ausgesprochen unbillig wäre. Die Verteidigerin hat sich von ihrem Mandanten keine schriftliche Vollmacht erteilen lassen. Sie hat gegenüber der Bußgeldbehörde jedoch das Vorliegen einer Vollmacht versichert mit der Folge, dass die Behörde in der nahe liegenden Annahme auch des Vorliegens einer Zustellungsvollmacht den Bußgeldbescheid an sie, statt an den Betroffenen selbst zugestellt hat. Statt die Zustellung als unwirksam zurückzuweisen, hat die Verteidigerin den Bußgeldbescheid jedoch als zugestellt angenommen und hiergegen Einspruch eingelegt. Im Rahmen der Verjährungsfrage hat sie dann im amtsgerichtlichen Verfahren jedoch argumentiert, dass eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides nicht erfolgt sei und damit der Lauf der Verjährung nicht rechtzeitig durch den Erlass des Bußgeldbescheides unterbrochen worden sei. Die daraus hergeleitete rechtliche Schwierigkeit des Falles war durch fehlerhaftes Handeln nicht nur der Bußgeldbehörde, sondern anfänglich schon durch die Verteidigerin selbst bewirkt worden. Die Verteidigerin kann damit die Erhöhung ihrer Gebühren nicht rechtfertigen.

Im Übrigen kann von einer rechtlichen Schwierigkeit nicht schon jedesmal dann und allein deshalb gesprochen werden, wenn zur Beurteilung einer Rechtsfrage der aktuelle Wissensfundus des Rechtsanwalts nicht ausreicht und er sich deshalb zur Recherche in Literatur und Rechtsprechung gezwungen sieht. Denn dies erlaubt nicht ohne Weiteres die Schlussfolgerung, dass die Rechtslage tatsächlich schwierig ist. Sie mag dem Verteidiger bis dato nur unbekannt gewesen sein.

LG Neuruppin, Beschluss vom 23. Februar 2012 · 11 Qs 3/12

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7 Kommentare

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offensichtlich absurde Entscheidung, die Verteidigern hat doch offensichtlich alles richtig gemacht, als sie Einspruch eingelegt hat und nicht die Zustellung sofort als unwirksam gerügt hat. Da lag doch Rechtsunkenntnis bei der Behörde und Rechtsdesinteresse bei der Staatsanwaltschaft vor und vermutlich musste dem Amtsgericht das auch noch vorgekaut werden....

 

Selbstverständlich ist Gebührenerhöhend zu berücksichtigen, dass die Verteidigerin durch geschicktes Taktieren mehr Arbeit verursachte, die erforderlich war um zum Erfolg zu führen.

 

Man gewinnt den Eindruck, dass die Richterschaft hier eine Verteidigerin für ihr Geschick abstrafen wollte.

 

Aber klar, hier wird sowas dann wieder unkommentiert veröffentlicht....u irgendein anderes Gericht übernimmt dann noch den Quatsch....

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Es sind doch zwei Paar Stiefel, ob ich als Verteidiger eine Vollmacht in meinen Akten habe oder ob ich diese Vollmacht der Strafverfolgungsbehörde vorlege, mit der Folge, dass diese dann einen bequem erreichbaren Zustelladressaten hätte. Wir Anwälte sind aber nicht die Laufburschen der Exekutive, die für staatliche Stellen hinter den Betroffenen herzurennen haben, um irgendwelche Schreiben an den Mann oder die Frau zu bringen.

 

Darum lehnen es viele Kollegen zu Recht ab eine Vollmachtsurkunde zu den Akten zu reichen, sondern versichern die ordentliche Bevollmächtigung.

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1. für dieses Geld muss eine Großmutter lange stricken. 

2. ernsthaft: für ungefähr die gleiche Vergütung für den Anwalt ist ein Zivilverfahren mit einem Streitwert von 800,00 € durch zwei Instanzen zu betreiben. 

3. ohne vertiefte Kenntnis im Kostenrecht: diese Entscheidung ist sehr vernünftig. Die Tätigkeit ist eher zu gut bezahlt. 

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@ Bob Andrews

1. Wer einen Anwalt beauftragt, zahlt auch für den laufenden Kanzleibetrieb nebst Personal und Ausstattung, die Großmutter strickt für sich allein.

2. Äpfel sind keine Birnen und ich mag lieber Orangen.

3. Das Kostenrecht ist kein Mittel der Disziplinierung.

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Bei zwei Instanzen und bei einem Streitwert von 800! Euro kann der Anwalt - wenn er nicht eine Wohnzimmerkanzlei betreibt - bei gesetzlichen Gebühren nicht kostendeckend arbeiten, sondern zahlt erheblich drauf.... das ist also deutlich zu wenig im Zivilrecht....und findet seinen Ausgleich in der Mischkalkulation mit den Fällen mit höheren Streitwert

 

Bei festgesetzten Gebühren von 421 sind es ca. 350 € netto für Gespräch mit Mandanten, Verwaltungsverfahren., Verfahren vor dem Gericht mit Termin... abzüglich Kosten der Kanzlei... tja, warum dies eine zu gute Bezahlung sein soll.... Handwerksmeister arbeiten dafür nicht

 

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Handwerksmeister haben ja auch was anständiges gelernt und arbeiten produktiv.  ;)

 

 

Völlig legitim, wenn die Verteidigerin ihre Vollmacht nicht zur Akte gibt. Auch legitim, wenn sie die Zustellung nicht zurückweist, weil das besser für ihren Mandanten ist. Das ist aber doch nichts ungewöhnliches mehr, daraus dann einen erhöhten Aufwand zu konstruieren, der erhöhte Vergütung nach sich zieht, halte ich auch für verfehlt. Wenn die Gegenseite keine Ahnung von bestimmten Rechtsfragen hat, ist das doch als solches noch keine Erhöhung der Schwierigkeit.
In der Konsequenz würde das sonst bedeuten, dass bei Fällen, die wegen der Bußgeldhöhe üblicherweise mit dem Mittelwert abgerechnet werden würden, bei Nichtvorlage der Vollmacht und dadurch entstehenden Verjährungsfällen immer eine erhöhte Gebühr wegen erhöhtem Aufwand abgerechnet werden müsste.

 

Wäre an der Stelle interessant zu wissen, ob die Anwältin das konsequent macht, vermutlich aber nicht. Bei den meisten kleineren Kanzleien wird nämlich immer der Mittelwert aufgeschrieben, egal was für ein Fall. Bloss: Der Mittelwert ist halt ein Mittelwert und nicht die Untergrenze für die Gebühren und darf entsprechend auch nach unten korrigiert werden.

 

 

Was ich mich aber bei dieser "Vollmachtsversicherung" immer frage: Was umfasst so eine Vollmacht, bzw. inwieweit muss das Gericht diese Vollmacht beachten? Muss das Gericht gegenüber dem Anwalt irgendwas tun, was dieser nicht mit Hinweis auf die Vollmacht eingefordert hat, wie z.B. Gewährung von Akteneinsicht? Kann das Gericht weiterhin alles direkt an den Mandanten schicken, weil nicht eindeutig aus der Vollmacht hervorgeht, dass der Anwalt bevollmächtigt ist, Schriftsätze entgegen zu nehmen? Kann das Gericht Termine oder Terminsverlegungen nur dem Mandanten mitteilen, weil nicht aus der Vollmacht hervorgeht, dass diese sich auch auf die Vertretung im Termin erstreckt etc.?

 

 

Ass. jur. I.S.

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Ob es bei einer „Geldbuße von nur 95 €" unbedingt die Mittelgebühr sein muss, mag man bezweifeln - so lange man beachtet, dass die Höhe der Geldbuße allein sicherlich nicht das einzige Kriterium ist.

Ansonsten: Die Angriffe des Gerichts gegen eine „Vollmachtsnichtvorlegerin" sind ebenso deplaziert wie die Ausführungen des Gerichts zu einer „rechtlichen Schwierigkeit" ebenso überheblich wie überflüssig.

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