Kündigung wegen bewusst wahrheitswidriger öffentlicher Äußerung über den Arbeitgeber

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 26.06.2013

Die beklagte Arbeitgeberin produziert Wellpappe für Verpackungen. Sie beschäftigt über 200 Arbeitnehmer, von denen sehr viele eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen, z.B. als Schlosser, Elektriker und im Bereich der Verpackungsmittelmechanik und -technologien. Bislang besteht kein Betriebsrat. Im Februar 2012 hatte ver.di zu einer Betriebsversammlung eingeladen, um die Wahl eines Wahlvorstandes zu initiieren. Die Versammlung beschloss einstimmig, keinen Betriebsrat wählen zu wollen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen beiden Gewerkschaftssekretäre versuchten daraufhin, die noch Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Dies gelang zumindest partiell, der Kläger wurde mit 33 Stimmen zum Wahlvorstand gewählt. Das ArbG Lingen erklärte diese Bestellung für unwirksam und setzte selbst einen Wahlvorstand - nicht den Kläger - ein.

Bestellung zum Wahlvorstand gescheitert

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers eine Woche später wegen verspäteter Arbeitsaufnahme (15 Minuten), der Kläger war bereits zuvor zweimal einschlägig abgemahnt worden. Nach Erhalt der Kündigung nahm der Kläger in den Folgetagen bei ver.di an einem Treffen mehrerer gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich dieser Zusammenkunft kam es zur Erstellung eines Videos durch Streik.TV, einer online-TV-Sendung, in der im Auftrag von ver.di über gewerkschaftsrelevante Themen berichtet wird.

Kläger gibt Interview auf "Streik.TV"

In diesem Video äußert der Kläger: "Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100% ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100% erfüllt wird."

Das Video wurde am 22.02.2012 ins Internet eingestellt und war unter anderem auch bei YouTube zu sehen. Es wurde auch über den Facebook-Account des Klägers von diesem persönlich verbreitet. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut, diesmal fristlos und hilfsweise fristgerecht. Hiergegen wendet sich der Kläger.

Fristlose Kündigung gerechtfertigt

Das LAG Hamm (Urt. vom 15.03.2013 - 13 Sa 6/13, BeckRS 2013, 69037) hat die Klage abgewiesen: Die außerordentliche Kündigung ist wirksam. Der Kläger genießt keinen besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG, § 103 BetrVG, weil er nicht wirksam zum Wahlvorstand bestellt worden ist. Dies steht aufgrund des Beschlusses des ArbG Lingen rechtskräftig fest. Die Beklagte hatte einen wichtigen Grund (§ 626 Abs. 1 BGB), das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Der Kläger habe in dem Video-Interview bei Streik.TV bewusst wahrheitswidrig behauptet, im Betrieb der Beklagten seien keine Fachkräfte vorhanden. Damit habe er zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte keine Arbeitnehmer beschäftigt, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die eine einschlägige Facharbeiterausbildung z.B. als Schlosser, Elektriker oder in den Bereichen der Verpackungsmittelmechanik/-technologien aufweisen, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten.

Die vom LAG zugelassene Revision ist beim BAG unter 2 AZR 505/13 anhängig.

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2 Kommentare

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Wen wunderts, dass bei streik.tv Unsinn verbreitet wird? Die Bildzeitung hat einen höheren Wahrheitsgehalt als die Flugblätter, die die Gewerkschaften vor Abschluß eines Tarifvertrags so verteilen. (Das geben sogar Gewerkschaftler zu, aber natürlich nicht öffentlich.) Meistens stehen da aber dann die Namen von Verhandlungsführern oder anderen Gewerkschaftlern neben der (Falsch-)Aussage und nicht Arbeitnehmer eines Betriebs.

 

 

Und hier: Der Kläger darf irgendwas in die Kamera sprechen, bei den verantwortlichen Fernsehleuten kommt keiner auf die Idee, das rechtlich abzusichern (wieso auch, die Wahrheit stört bei so einem Propagandasender ja nur) und der Kläger steht jetzt blöd da.

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Wenn "200 Arbeitnehmer" einstimmig beschliesen, dass sie keinen Betriebsrat brauchen, gibt es zwei mögliche Ursachen: Das Unternehmen bietet ein gutes Arbeitsklima und geht auf die individuellen Bedürfnisse seiner Mitarbeiter ein. Oder das Unternehmen übt massiven Druck aus und die Mitarbeiter befürchten individuelle Repressalien. Im ersten Fall ist ein "potenzieller Wahlvorstand" auf verlorenem Posten - im zweiten Fall braucht er Fakten/Mitstreiter, um Mißstände öffentlich zu belegen.

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