Verstoß gegen Alkoholverbot für Fahranfänger: Erst ab 0,15 Promille!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.05.2013
Rechtsgebiete: FahranfängerStrafrechtVerkehrsrecht1|24169 Aufrufe

Das Akoholverbot für Fahranfänger hat bislang wenig Widerhall in der Rechtsprechung gefunden. Im Blog hatten wir das Thema schon häufiger. Jetzt gibt es eine entscheidung des OLG Stuttgart, wonach mind. 0,15 Promille festzustellen sind:

Nach  § 24C Absatz 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer in der Probezeit nach § 2a oder vor Vollendung des 21. Lebensjahres als Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr alkoholische Getränke zu sich nimmt oder die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines solchen Getränks steht. Nach Abs. 2 handelt ordnungswidrig auch, wer die Tat fahrlässig begeht.

Diesen Tatbestand hat der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts erfüllt.

Die Angabe in den Urteilsgründen, der Betroffene habe sich noch in der Probezeit befunden, kann der Senat nicht nachprüfen, da das Urteil nicht mitteilt, wann die Fahrerlaubnis erteilt wurde. Die nach § 2a StVG zweijährige
Probezeit beginnt mit der Erteilung der Fahrerlaubnis, und zwar auch dann, wenn sie mit einer Auflage gemäß 48A Absatz 2 FeV (begleitetes Fahren mit 17 Jahren) versehen ist(Burmann-Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 2a StVG Rn. 2; Dauer-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 2a StVG Rn. 5). Sie könnte bei dem zur Tatzeit 19 Jahre und 8 Monate alten Betroffenen bereits abgelaufen gewesen sein. Das Urteil beruht hierauf jedoch nicht, da der Tatbestand auch deshalb erfüllt ist, weil der Betroffene zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und weil das Amtsgericht für die Bemessung der Rechtsfolgen keine dem Betroffenen nachteiligen Schlüsse daraus gezogen hat, dass der Betroffene sowohl noch keine 21 Jahre alt war, als auch noch während der Probezeit gehandelt habe.

Zurecht geht das Amtsgericht davon aus, dass der Betroffene zur Tatzeit unter der Wirkung von Alkohol stand.

Mit der Neuregelung durch Einführung des § 24C Absatz 1
StVG ist der Gesetzgeber bei Fahranfängern bewusst von der Konzeption abgerückt, das bußgeldbewehrte Verbot auf einen bestimmten Gefahrengrenzwert abzustellen (wie bei der 0,5-Promille-Grenze gemäß § 24A Absatz 1 StVG). Hierfürwaren der amtlichen Begründung zum Änderungsgesetz vom 19.7.2007 (BT-Drucks. 16/5047) zufolge folgende Erwägungen maßgeblich: Die Normierung eines wie auch immer bestimmten Gefahrengrenzwerts sei mit der Gefahr verbunden, dass sich Normadressaten an diese Promillegrenze „herantrinken“ und sie möglicherweise auch überschreiten. Dies gelte insbesondere, weil die Einführung einer absoluten Null-Promille-Grenze vor allem aus messtechnischen und medizinischen Gründen problematisch sei und eine Grenzwertbestimmung einschließlich des erforderlichen Sicherheitszuschlages für die Alkoholmessung im Bereich von 0,1 bis 0,3‰ liegen müsse. Solle daher ein möglichst umfassendes Verbot normiert werden, unter Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug zu führen, müsse die Regelung auf den Konsum von Alkohol unmittelbar vor und während der Fahrt abstellen. Dies habe zugleich zur Folge, dass Zuwiderhandlungen regelmäßig nicht nur durch Blutprobe oder Atemalkoholanalyse, sondern auch durch andere Beweismittel, wie z. B. Aussagen von Polizeibeamten oder sonstigen Zeugen nachgewiesen werden könnten, die den Betroffenen vor Fahrtantritt oder während der Fahrt beim Konsum von Alkohol beobachtet haben. „Unter der Wirkung“ alkoholischer Getränke stehe ein Betroffener, wenn der aufgenommene Alkohol zu einer Veränderung physischer oder psychischer Funktionen führen könne und in einer nicht nur völlig unerheblichen Konzentration (im Spurenbereich) im Körper vorhanden sei. Auf die Feststellung einer konkreten alkoholbedingten Beeinträchtigung der für das Führen von Kraftfahrzeugen relevanten Leistungsfähigkeit des Betroffenen komme es dabei nicht an. Der Führer eines Kraftfahrzeugs trage die Verantwortung, ob bei Antritt der Fahrt dieser Wirkzustand (noch) gegeben sei.

Für Fälle wie dem vorliegenden, in denen als Beweismittel nur die Blutalkoholkonzentration zur Verfügung steht, ist es Aufgabe der Rechtsprechung, Grenzwerte festzulegen. In der amtlichen Begründung (a. a. O.) wird unter Hinweis auf D. F. Preusser, BAC and Fatal Crash Risk, in: ICADTS Symposium Report „The Issue of Low BAC“, 2002, S. 937 ausgeführt, es bestehe bereits bei niedrigen Alkoholkonzentrationen unter 0,3‰ ein erhöhtes Unfallrisiko. So legten Blutuntersuchungen von insgesamt fast 200.000 tödlich verunglückten Fahrern in den USA nahe, dass schon eine Blutalkoholkonzentration von nur 0,1‰ bei der Gruppe mit den meisten Fahranfängern und Fahranfängerinnen (d. h. jungen Fahrern und Fahrerinnen unter 21 Jahren) zu einem 25-prozentigen Anstieg des Risikos führe, im Straßenverkehr zu verunglücken.

Soweit ersichtlich, sind zum Grenzbereich bisher zwei Entscheidungen veröffentlicht. Das Amtsgericht Herne ging im Urteil v. 17.12.2008 (15 OWi 60 Js 584/08 - 5/08 - juris) davon aus, dass eine Wirkung alkoholischer Getränke erst bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,26‰ vorliege, sprach den Betroffenen jedoch mit der Begründung frei, dass aufgrund der - nicht näher beschriebenen - Konstitution dieses Betroffenen die Wirkung alkoholischer Getränke erst bei etwa 0,3‰ einsetze. Das Amtsgericht Langenfeld sah bei einer Atemalkoholkonzentration von 0,06 mg/l das Vorliegen der Wirkung alkoholischer Getränke nicht als erwiesen an und sprach ebenfalls frei mit der Begründung, es bedürfe mindestens einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l oder einer Blutalkoholkonzentration von 0,2‰ (Urteil v. 4.4.2011 - 20 OWi 30 Js 1563/11 (42/11), 20 OWi 42/11, zit. nach juris; grundlegend zum Verhältnis von Atemalkoholkonzentration zu Blutalkoholkonzentration vgl. BGHSt 46,  358 - juris Rn. 17 ff).

Anders als bei der strafrechtlichen Norm der Trunkenheit im Verkehr, bei der die abstrakte Gefährlichkeit positiv festgestellt werden muss, kann es bei Ordnungswidrigkeiten genügen, dass eine Konzentration festgestellt werden kann, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war (so BVerfG in seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 21.12.2004 zum Grenzwert von THC im Blut, NJW 2005, 349 - juris Rn. 29). Gemessen daran hält der Senat mit dem vom Amtsgericht im vorliegenden Verfahren hinzugezogenen Sachverständigen, der sich auf die selbe Studie bezog wie die amtliche Begründung, eine abstrakte Gefährlichkeit des Fahranfängers bereits ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,1‰ für gegeben.

Diesem Wert ist nach Auffassung des Senats ein Sicherheitszuschlag von 0,05‰ hinzuzurechnen.

Für den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr geht der BGH seit der grundlegenden Entscheidung vom 5.11.1953 davon aus, dass bereits bei einem Blutalkoholgehalt von 1‰ die Leistung so beeinträchtigt ist, dass die meisten Menschen fahruntüchtig sind. Als Sicherheitszuschlag nahm er zunächst 0,5‰ und damit einen Grenzwert von 1,5‰ an (BGHSt 5,  168). 1966 setzte der BGH den Grenzwert auf 1,3‰ herab, wobei er zugrunde legte, dass möglicherweise erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1‰ von absoluter Fahruntüchtigkeit auszugehen sei; den von der Gutachterkommission errechneten Sicherheitszuschlag erhöhte er von 0,15 auf 0,2‰ (BGHSt 21, BGHST Jahr 21 Seite 157). In seiner Entscheidung vom 28.6.1990 legte der BGH den seitdem gültigen Grenzwert von 1,1‰ fest, berücksichtigte hierbei als Grundwert wieder 1,0‰ und bemaß den Sicherheitszuschlag, der von den Sachverständigen nach einem Ringversuch auf knapp 0,05‰ errechnet worden war, auf 0,1‰ (BGHSt 37, 89).

Für die Feststellung der Atemalkoholkonzentration für Ordnungswidrigkeiten nach § 24A Absatz 1 StVG, in dem der Grenzwert gesetzlich normiert ist, wird der Ansatz eines Sicherheitsabschlags vom Messwert höchstrichterlich nicht für erforderlich gehalten (BGHSt 46, BGHST Jahr 46 Seite 358; BVerfG,
Kammerbeschluss vom 3.12.2001 - Aktenzeichen 2BVR195601 2 BvR 1956/01 - m. Anm.
Bode, ZfSch 2002, ZFSCH Jahr 2002 Seite 95, zit. nach juris).

Der Senat ist der Auffassung, dass angesichts des messtechnisch schon recht geringen - nicht durch den Gesetzgeber festgelegten - Grenzwerts von 0,1‰ ein Sicherheitszuschlag erforderlich ist, den er mit dem in der Entscheidung BGHSt 37,  89 mitgeteilten, dort von den Sachverständigen ermittelten Rechenwert von 0,05‰ in Ansatz bringt.

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass die Normadressaten des  § 24c StVO bei einer gemessenen Blutalkoholkonzentration von 0,15‰ für die Teilnahme am Straßenverkehr eine mögliche abstrakte Gefahr bilden und damit im Rechtssinne unter der Wirkung von Alkohol stehen.

Ohne Rechtsfehler geht das Amtsgericht davon aus, dass der Betroffene auch unter der Wirkung alkoholischer Getränke stand.

Die amtliche Begründung (a. a. O.) führt insoweit aus, die Vorschrift stelle auf den Konsum alkoholischer Getränke ab und nehme die Einnahme alkoholhaltiger Medikamente oder Lebensmittel von dem Verbot aus. Die Einnahme von Arzneimitteln (Hustensäften, Tinkturen und ähnlichen Mitteln) und der Genuss alkoholhaltiger Süßwaren (z. B. Weinbrandbohnen) erfüllten daher den Tatbestand nicht.

Vorliegend hat der Betroffene über die Einräumung seiner Fahrereigenschaft hinaus keine Angaben gemacht. Dies zwingt indes nicht dazu, die Herkunft der Blutalkoholkonzentration zum Untersuchungszeitpunkt nach dem Zweifelssatz auf andere Ursachen als auf alkoholische Getränke zurückzuführen. Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass das Gericht von der dem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 261 Rn. 26). Er gebietet nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen es keine konkreten Anhaltspunkte gibt (BGH NStZ-RR 2005, 147 - juris Rn. 14; NStZ 2009, 264).
Auch die Aussageverweigerung des Betroffenen zwingt nicht dazu, allen denkbaren, aber ganz unwahrscheinlichen oder gar abwegigen Fallgestaltungen nachzugehen (BGHSt 25, 365 - juris Rn. 10). Für den Fall einer Einlassung des
Betroffenen sind an deren Bewertung die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Der Tatrichter darf eine Einlassung, für deren Wahrheitsgehalt keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen, nicht ohne weiteres als unwiderlegt seiner Entscheidung zugrunde legen. Insbesondere darf er bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit und Schlüssigkeit der Einlassung des Betroffenen Indizien, die auf einen von der Einlassung abweichenden Geschehensablauf hinweisen, nicht unerörtert lassen (BGH NStZ-RR 2005,  45).

Gegebenenfalls kann die Plausibilität einer Einlassung, der gemessene Alkohol rühre nicht von alkoholischen Getränken her, gegebenenfalls mit einer Begleitstoffanalyse und hinsichtlich der angegebenen Trinkmenge mit einem Sachverständigengutachten überprüft werden.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.03.2013 - 1 Ss 661/12    BeckRS 2013, 08347

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