Dritter Anlauf: Tötung durch Brechmitteleinsatz vor dem LG Bremen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 24.05.2013

Nach zweimaliger Aufhebung von (zum Teil juristisch völlig unhaltbar begründeten) Freisprüchen steht nun ein Bremer Polizeiarzt erneut vor dem Bremer Landgericht um sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Tötung im Jahr 2004 zu verantworten. Siehe dazu die früheren Blog-Beiträge:

Fahrlässige Tötung durch Brechmitteleinsatz

Schläge für das Gericht

Todesfall nach Brechmittel-Einsatz in Bremen: BGH hebt Freispruch des angeklagten Polizeiarztes zum zweiten Mal auf

BGH gegen LG Bremen: Urteilsgründe im Fall des tödlichen Brechmitteleinsatzes veröffentlicht

Erstmals war er bereit zu dem Fall auszusagen. Laut taz-Bericht verwickelte er sich in Widersprüche.

Einerseits habe er die zwangsweise Exkorporation "ungern" durchgeführt und habe es bedauert, dass der Notarzt ihm das Weitermachen "erlaubt" habe. Den habe er auch gar nicht selbst gerufen, sondern einer der Polizeibeamten.

Die taz (Bericht von Simone Schnase):

Die gemeinsam mit dem Notarzt eingetroffenen Sanitäter stellten bei Condé indes kalte Hände, flache Atmung und verkleinerte Pupillen fest und verabreichten ihm Sauerstoff. Er könne sich das nicht erklären, so V., er habe nichts dergleichen festgestellt und regelmäßig Condés Pupillen untersucht. Später ergänzte er allerdings, die Pupillen wegen des schlechten Lichts im Exporporations-Raum nicht richtig erkannt zu haben, „und außerdem hat Condé ständig die Augen zugemacht.“

Mehrfach fragte die Vorsitzende Richterin, warum V. mit der Brechmittelvergabe nicht aufgehört habe: „Sie wollten das nach eigenen Angaben doch gar nicht tun – die vom Notarzt tatsächlich festgestellte, schlechte Sauerstoffversorgung hätte Ihnen doch genug Grund gegeben, damit aufzuhören.“ Er habe, so V., einfach keinen Anlass dafür gehabt; nachdem Condé Sauerstoff erhalten habe, sei es ihm ja wieder gut gegangen. „Ich wollte nicht tricksen, um aufhören zu können.“

Eine mehr als merkwürdige Antwort: "Ich wollte nicht tricksen, um aufhören zu können." Unter welchem Druck stand denn der Angeklagte, dass er es (wem gegenüber eigentlich) als "Trick" aufgefasst hätte, wenn er die - ohnehin zu diesem Zeitpunkt in der Medizin als sehr umstritten angesehene - zwangsweise Exkorporation aus medizinischen Gründen abgebrochen hätte?

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5 Kommentare

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Gute Frage. Wenn man die Antwort wüsste, dann wüsste man vielleicht auch, warum der Arzt von 'unabhängigen' Bremer Gerichten immer wieder freigesprochen werden musste. Womöglich waren diese Freisprüche ja auch absichtlich so schlecht begründet, dass sie einkassiert werden mussten? Weil die Richter weder die moralische Verantwortung für einen ausgetüftelten, formal haltbaren Freispruch übernehmen wollten, noch ihre Karrierechancen ruinieren?

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Laut Radio Bremen und taz will die Vorsitzende Richterin nunmehr denTatvorwurf auf ein Vergehen (fahrlässige Körpervereötzung) zurückstufen und dann möglicherweise nach § 153 StPO einstellen:

Die Vorsitzende Richterin Barbara Lätzel äußert Zweifel, ob der Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge haltbar sei. Dabei beruft sie sich auf die Aussagen des Angeklagten und des Notarztes, der damals hinzugerufen wurde. Sie schlug den gegnerischen Parteien vor, wie bei den beiden früheren Verfahren auf den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung zurückzukommen. Damit wäre auch die Einstellung des Verfahrens möglich. In einer mündlichen Verhandlung Mitte Juni sollen die Parteien den Vorschlag der Richter erörtern. Auf diese Entscheidung hat aber die Mutter des Opfers keinen Einfluss mehr. Sie tritt im Prozess als Nebenklägerin auf. (Radio Bremen)

So soll die Nebenklage, die bisher beides Mal die Revision erfolgreich betrieben hatte, ebenso wie der BGH ausgeschaltet werden. Das wäre ein durchschaubares, skandalöses Manöver des Gerichts. Oliver Garcia kommentiert dies im de legibus-Blog:

Es geht also Lätzel darum, einen toten Winkel des Strafprozeßrechts auszunutzen, in dem der 5. Strafsenat des BGH, der immer wieder dazwischengefunkt hat, keinen Zugriff hat. Ist das unseriös? Gerichtssprecher Thorsten Prange beantwortete die Frage auf bündige Weise: “Das Gericht würde niemals eine unseriöse Entscheidung treffen.” Hatte Prange letztes Jahr auch mitgeteilt, daß das Gericht niemals eine “grotesk falsche” Entscheidung treffen würde?

Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bremen nahm Stellung und teilte mit, sie entscheide über die Zustimmung zu einer solchen Einstellung nur nach Recht und Gesetz und nicht “als Spielball der Öffentlichkeit”. Nun, die abzuwimmelnde Öffentlichkeit, die er dabei als erstes im Blick hat, ist die Schwarmintelligenz von fünf Richtern am BGH (“Die BGH-Entscheidungen in allen Ehren”).

Der ganze Beitrag von Garcia ist lesenswert.

Neuer Artikel von Radio Bremen, hier

"Die Staatsanwaltschaft will in der Beweisaufnahme noch weitere Gutachter hören. Es sei zu früh, über eine Einstellung zu entscheiden. Auch der Anwalt des angeklagten Mediziners forderte, dass die Beweisaufnahme weitergeht. 

...

Die Anwältin der Mutter des damaligen Opfers wandte sich am Morgen gegen eine Einstellung, die die Vorsitzende Richterin ins Gespräch gebracht hatte. Es handele sich um einen Fall schwerer staatlicher Gewalt, an dessen Aufklärung ein öffentliches Interesse bestehe. Er sei zudem "politisch hochbrisant".

Neuer Artikel der taz, hier

 

Im Brechmittel-Verfahren spricht sich der Oberstaatsanwalt wider Erwarten gegen eine Einstellung aus. Die Richterin vermutet politische Einflussnahme.

 

Und die Legal Tribune

 

Der langen Verfahrensdauer, der bisherigen Unbestraftheit des Angeklagten und der einseitigen Berichterstattung stehe gegenüber, dass sich das Opfer in staatlicher Obhut befunden habe und unter der Anwendung staatlichen Zwangs zu Tode gekommen sei, argumentierte die Staatsanwaltschaft.

 

Hat auch was. "Die lange Verfahrensdauer", die hier insbesondere auf dem Wege zustande gekommen ist, dass der Staat den Staatsbediensteten erst zweimal freigesprochen hat, um dann am Ende zu sagen: Huch, die ganzen Aufhebungen der Fehlurteile, das hat ja janz schön jedauert, eigentlich könnten wir auch mal aufhören. "Von hinten durch die Brust ins Auge." Oder: gefickt eingeschädelt.

 

Egal. Der LOStA (oder wer auch immer hinter/über ihm) hat ja immerhin kurz vor knapp erkannt: Das wäre doch ne Nummer zu dick. Zumal hier ja nicht ernsthaft droht, dass ein Gericht in dieser Situation angemessen reagieren würde. In erster Linie dürften es wohl Staatsbedienstete sein, die in den zweifelhaften Genuss kommen, dass ihre Richterin mehr Verteidigerin spielt als die Verteidiger selbst...

 

„Und bei der Strafzumessung“, sagte Lätzel in ihrer gestrigen Erklärung, „muss gegebenenfalls auch eine Vorverurteilung durch die Presse Berücksichtigung finden.“ (taz)

 

Auch das ähnlich wie die Verfahrensdauer: Als abstraktes Kriterium ganz sicher ein hoch zu haltendes Element, vorliegend allerdings gab es die Presse, die schlicht ihrer Aufgabe nachgekommen ist und einen Skandal nicht hat links liegen lassen. Und wenn der BGH erklärt, dass ein Urteil "grotesk falsch" sei, darf die Presse wohl gleiches tun, ohne dass dies als moralisch zu verurteilende Vorverurteilung zu gelten hat.

Ohne Presse und Öffentlichkeit hätte es zumindest die Ablehnung der Einstellung durch die StA nicht gegeben. Dafür wird sich die Richterin nun zu rächen wissen, was sie auch schon einmal vorab ankündigt.

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