Urteile des BAG zum Arbeitskampf in der Kirche veröffentlicht

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.04.2013

Der Erste Senat hat seine Entscheidungen vom 20.11.2012 zum Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen veröffentlicht. Über die Pressemitteilungen hatte Markus Stoffels seinerzeit bereits hier im BeckBlog berichtet.

Das Urteil im Verfahren 1 AZR 179/11 betrifft den von den Kirchen und ihren Einrichtungen überwiegend beschrittenen sog. "dritten Weg". Dieser sieht vor, dass die Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifverträge, sondern eine mit Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer paritätisch besetzte Kommission festgelegt werden. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hatte 2009 in verschiedenen kirchlichen Einrichtungen zum Warnstreik aufgerufen, um den Abschluss eines Tarifvertrages zu erreichen. Dagegen wandten sich die betroffenen Arbeitgeber und begehrten Unterlassung. Damit hatten sie im Ergebnis beim BAG zwar keinen Erfolg. Aus den Urteilsgründen ergibt sich jedoch, dass die Kirchen sich grundsätzlich für den "dritten Weg" entscheiden und den Abschluss von Tarifverträgen ablehnen können. Sie müssen dann aber - anders als im Streitfall - dafür Sorge tragen, dass die paritätische Kommission von einem neutralen Vorsitzenden geleitet wird und dass die Arbeitgeberseite an die Entscheidung der Kommission gebunden ist. Gestalten die Kirchen den "dritten Weg" in dieser Weise aus, können die Gewerkschaften den Abschluss von Tarifverträgen nicht verlangen und daher auch nicht zu Streiks aufrufen:

(Rn. 119) Das Verfahrenskonzept des Dritten Wegs ist darauf gerichtet, das auch im kirchlichen und diakonischen Bereich vorhandene Kräfteungleichgewicht zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern unter Beachtung der bekenntnismäßigen Besonderheiten des kirchlichen oder diakonischen Dienstes auszugleichen. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, soweit das Ergebnis dieser Verhandlungen einschließlich einer darauf gerichteten Schlichtung für die Arbeitsvertragsparteien verbindlich und einer einseitigen Abänderung durch den Dienstgeber entzogen ist. ... Dieses Ziel wird allerdings verfehlt, wenn der Dienstgeberseite die Möglichkeit eröffnet ist, zwischen mehreren auf einem Dritten Weg zustande gekommenen Regelungen wählen zu können. Ein solches Wahlrecht verlagert faktisch die Festlegung von Arbeitsbedingungen auf die jeweilige Einrichtungsebene und überlässt sie dem Dienstgeber. Nicht eine im Voraus feststehende Arbeitsrechtliche Kommission, in der die Repräsentanten der Einrichtung mitwirken, bestimmt über die Arbeitsbedingungen der Dienstnehmer, sondern der dortige Dienstgeber. Das ist mit den Strukturprinzipien des Dritten Wegs ebenso unvereinbar wie kirchen- oder satzungsrechtlich geregelte einseitige Abweichungsbefugnisse für Einrichtungen. ... Solch einseitige Bestimmungsrechte sind mit der Konzeption des Dritten Wegs unvereinbar und bedürfen zugunsten religiöser Betätigungsfreiheit keines Schutzes. Wählt eine Kirche oder eine ihrer Einrichtungen diesen Weg, stellt sie sich einem sonstigen Arbeitgeber gleich, der sich nach der Wertentscheidung des Grundgesetzes Verhandlungen mit einer Gewerkschaft über den Abschluss eines Tarifvertrags nicht entziehen und ggf. durch einen Arbeitskampf hierzu gezwungen werden kann. Für ein Zurückweichen des Rechts einer Gewerkschaft, sich koalitionsmäßig zu betätigen und ihren Forderungen mit Streikmaßnahmen Nachdruck zu verleihen, fehlt es in einem solchen Fall an einem schützenswerten Bedürfnis der Kirche.

Das Urteil 1 AZR 611/11 betrifft den sog. "zweiten Weg", also den Abschluss von Tarifverträgen. Hierzu hatten sich einige evangelische Arbeitgeber in Norddeutschland (NEK) grundsätzlich bereit erklärt. Vorbedingung für den Abschluss eines Tarifvertrages ist jedoch der gewerkschaftliche Verzicht auf Streiks (im Gegenzug der Kirche auf Aussperrungen) sowie der Abschluss einer unkündbaren Schlichtungsvereinbarung. Dies hat das BAG im Ergebnis gebilligt und die auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen gerichtete Klage nur mangels Begehungs- bzw. Wiederholungsgefahr (§ 1004 BGB) abgewiesen:

(Rn. 44) Die Entscheidung der NEK, bei einem Scheitern von Tarifverhandlungen durch ein obligatorisches Schlichtungsverfahren den Interessenkonflikt zu lösen, schließt den Arbeitskampf zur Durchsetzung der wechselseitigen Tarifforderungen der Dienstgeberseite und der Gewerkschaften aus. ... (Rn. 55) Ein fairer und angemessener Ausgleich widerstreitender Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen verlangt aber nach annähernd gleicher Verhandlungsstärke und Durchsetzungskraft. ... (Rn. 57) Ein Schlichtungsverfahren ist dem Grunde nach zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts geeignet, da die mit dieser Entscheidungsstruktur verbundenen Unwägbarkeiten sowie die Verlagerung der Konfliktlösung auf eine andere Verhandlungsebene bei den vorgelagerten Tarifverhandlungen die Bereitschaft zum Kompromiss fördert und die Gewerkschaft nicht in die Rolle eines Bittstellers zwingt. Das setzt allerdings voraus, dass die Arbeitgeberseite die Aufnahme von Verhandlungen nur von der Einwilligung der Gewerkschaft in eine obligatorische Schlichtung abhängig machen kann und für diesen Fall das Führen von Tarifverhandlungen nicht verweigert. Schließlich kann eine Schlichtung ihren Zweck auch nur erreichen, wenn die Anrufung der Schlichtungskommission und die Überleitung des Verfahrens in dieses Gremium der Gewerkschaft uneingeschränkt offen steht und im Falle einer Nichteinigung beider Seiten die Unabhängigkeit und Neutralität des Vorsitzenden auch durch das Bestellungsverfahren gewahrt wird.

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Die Gewerkschaft Verdi hat Verfassungsbeschwerde gegen das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts eingelegt

„Das BAG hat das kirchliche Selbstordnungsrecht über das Grundrecht auf Streik nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gestellt“, erläutert der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske gegenüber der F.A.Z. Letztlich werde so das gewerkschaftliche Streikrecht - auf Dauer - vollständig ausgeschaltet, obwohl es gegenüber dem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen das stärkere sei, kritisiert Verdi in einer Bewertung das Urteil
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Juristisch steckt die Gewerkschaft allerdings in einem Dilemma, denn formal hatte sie den Rechtsstreit vor dem Bundesarbeitsgericht gewonnen. Aktuell sind die drei vom Bundesarbeitsgericht genannten Bedingungen nirgendwo erfüllt, so dass Verdi uneingeschränkt streiken darf. Mit diesem Argument könnten auch die Verfassungsrichter eine intensive Prüfung der Beschwerde ablehnen. Die Gewerkschaft rechnet jedoch damit, dass sich die Kirchen bald so umorganisieren werden, dass sie sie Bedingungen erfüllen und Streiks verbieten dürfen.

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