Absehen vom FV und Absehen von Regelentziehung - Verkehrspsychologie im OWiR und StrR

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.04.2013

Verkehrspychologische Maßnahmen werden trotz oft guter Erfolge von Betroffenen /Angeklagten häufig nicht genutzt, um Führerscheinmaßnahmen abzuwenden. Hier aber zwei aktuelle Entscheidungen zu dem Thema:

Zum OWi-Recht:

II.
Der Betroffene hat am 23.02.2012 um 13:15 Uhr die BAB 7 in Neuenstein auf Höhe km 356,150 Kassel — Fulda als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXX befahren, wobei er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 42 km/h überschritt. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte er diese Geschwindigkeitsübertretung bemerken können und müssen.

Der Betroffene hat sich damit schuldig gemacht einer zumindest fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG; 41, 49 StVO, indem er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 42 km/h außerhalb eines Ortes überschritten hat.

Der bundeseinheitliche Bußgeldkatalog sieht hierfür eine Regelgeldbuße von 160,- Euro vor, bezogen auf fahrlässige Begehungsweise und den Ersttäter.

Bei einem Geschwindigkeitsverstoß von Mehr als 41 km/h sieht § 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. § 25 StVO die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes vor. Hiervon war Vorliegend ausnahmsweise abzusehen.

Der Betroffene hat eine Bestätigung der zum TÜV Nord gehörenden Fa. Nord-Kurs GmbH & Co KG vom 4.02.2013 zur Akte gereicht. Daraus ergibt sich, dass der Betroffene vom 17.01. bis 31.01.2013 in Kiel an einer verkehrspsychologisch fundierten Beratungsmaßnahme „avanti-Fahrverbot" mit großem Engagement teilnahm. Dabei hätten 4 Einzelberatungen mit einem verkehrspsychologisch qualifizierten Diplom-Psychologen stattgefunden. Es könne erwartet werden, dass es dem Betroffenen künftig gelingen werde, weitere erhebliche Fehlverhaltensweisen im Verkehr zu vermeiden. Hierzu sind konkret benannte individuelle Ursachen von Verkehrsverstößen und Techniken zur zukünftigen Verhaltensänderung erarbeitet, worden.

Im' Anschluss an das AG Rendsburg (Beschluss vom 1. 12. 2005 - 17 OWi 555 JG OWi 20236/05) hält, das Gericht die Sanktionsziele des Regelfahrverbotes durch die vom Betroffenen durchgeführte freiwillige Teilnahme an der verkehrspsychologischen Intensivberatung für bereits erreicht.

Eine solche eingehende psychologische Schulung ist mindestens ebenso geeignet, weiteren erheblichen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung gegenzusteuern, wie die Folgen eines verhängten Fahrverbotes. Der Kursus überlässt es nämlich nicht dem Kraftfahrer selbst, die Ursachen der Geschwindigkeitsüberschreitungen zu beseitigen, sondern gibt ihm ein maßgeschneidertes Instrumentarium an die Hand.

In Anbetracht der mit der Intensivberatung verbundenen Kosten hat das Gericht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von einer weiteren Erhöhung der Geldbuße gern. § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen.

Es war deshalb zu entscheiden wie erkannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 OWiG, 465 StPO.

AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 14.02.2013 - 31 Js 8265/12

Zum Strafrecht:

I.

Der 48-jährige, ledige Angeklagte hat den Beruf eines Maschinenbauers erlernt. Seit 2000 arbeitet der Angeklagte ununterbrochen als Servicemonteur bei der Firma CWS. Für seine berufliche Tätigkeit ist er auf den Führerschein angewiesen.

Der Angeklagte erzielt monatlich zwischen 1600,00 bis 1900,00 € netto. Einem sich noch in der Ausbildung befindlichen Kind ist der Angeklagte unterhaltsverpflichtet. Er zahlt je nach Einkommen zwischen 270,00 bis 400,00 € Unterhalt monatlich.

Straf- und verkehrsrechtlich ist der Angeklagte bisher nicht in Erscheinung getreten.

II.

Am 28.06.2012 begab sich der Angeklagte nach Arbeitsschluss mit dem ... Sprinter, amtliches Kennzeichen ..., zur Wohnung seiner Bekannten in ..., um dort Reparaturarbeiten durchzuführen.

Während der dort durchgeführten Arbeiten nahm der Angeklagte nach eigener Erinnerung ca. 6-7 Flaschen Bier zu sich. Gegen 18:00 Uhr fiel dem Angeklagten ein, dass er zugesagt hatte, an einer Wohnungsbesichtigung eines zukünftigen Mieters in seinem Haus im ... in ... teilzunehmen. Spontan entschied er sich, ohne über die Menge des zuvor genossenen Alkohols nachzudenken, mit dem ... Sprinter, amtliches Kennzeichen ... vom ... zu seiner Wohnanschrift im ... in zu fahren. Der Angeklagte fühlte sich fahrtüchtig und machte sich keine weiteren Gedanken zum zuvor genossenen Alkohol. Um 18:30 Uhr wurde der Angeklagte in der ... einer anlassunabhängigen Verkehrskontrolle unterzogen, bei der leichter Alkoholgeruch in der Atemluft festgestellt wurde.

Die dem Angeklagten um 19:50 Uhr entnommene Blutprobe hat eine Ethanolkonzentration von 1,51‰ ergeben.

Danach war der Angeklagte absolut fahruntüchtig. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei gewissenhafter Prüfung erkennen können und müssen.

Der Führerschein des Angeklagten wurde am 28.06.2012 beschlagnahmt und befand sich bis zum Ende der Hauptverhandlung in amtlicher Verwahrung.

Unmittelbar nach der Tat begann der Angeklagte sich intensiv mit seinem Fehlverhalten und seinem bisherigen Umgang mit Alkohol auseinanderzusetzen. Er nahm vom 03.07.2012 an einer Rehabilitationsmaßnahme des Instituts ... X1. für mit Alkoholdelikten auffällig gewordenen Kraftfahrern teil. Ziel dieser Maßnahme ist es, eine Klärung des verkehrsauffälligen Verhaltens zu erreichen und überdauernde Veränderungen in den zugrunde liegenden Persönlichkeitsstrukturen herbeizuführen. Zur intensiven Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme nutzte der Angeklagte weitgehend seinen Jahresurlaub. Dadurch gelang ihm die Absolvierung der sehr umfangreichen Rehabilitationsmaßnahme in kürzester und sehr intensiver Zeit. Er absolvierte im Rahmen seines KBS-Kurses (Kurs zur Sperrfrist-Minderung/-Aufhebung im Strafrecht) zunächst 6,5 Stunden Intensivberatung zur Diagnose/Prognose danach 27 Einzeltherapiestunden, 12 Therapiestunden in einer Klein- und Intensivgruppe (6-12 Pers.), 1 Therapiestunde in den Klein- und Intensivgruppen während der anschließenden Verlängerung, 14 Therapiestunden in einer Klein- und Intensivgruppe während zwei in sich abgeschlossenen je eintägigen Intensivseminare am 08. und 09.09.2012 sowie 12 Stunden in der ... - Selbsthilfegruppe „...“ (01.08.2012-05.09.2012). Seit dem 05.07.2012 absolviert der Angeklagte das Alkohol-Abstinenzprogramm, welches er erneut um 3 Monate bis zum 07.01.2013 verlängert hat. Im Rahmen dieses Programmes hat er seine Abstinenz durch Urin-Screening belegen können.

Der Angeklagte ist seit dem Vorfall absolut abstinent. Er hat sich intensiv mit seinem Fehlverhalten auseinandergesetzt. Er will die Alkoholabstinenz langfristig beibehalten. Die Verkehrstherapie wird er über den bereits abgeschlossenen Kurs weiter fortsetzen. Er hat sich aus eigenen Stücken, aber auch vertraglich gebunden erneut bereit erklärt, dass bereits laufende 5-monatige therapeutische ... nach dem schon erreichten erfolgreichen Abschluss des KBS-Kurses durchzuführen und abzuschließen.

Damit wird er zugleich auch noch einen KBS-Langzeitrehabilitationskurs (Kurs zur Wiederherstellung der Eignung auch im Sinne der strengsten Kriterien des Verwaltungsrechts/MPU-Eigungs-Kriterien, die aber überhaupt erst ab mindestens 1,6‰ oder bei Rückfalltätern angesetzt werden, absolvieren.

III.

Der Angeklagte hat sich am 28.06.2012 einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig gemacht, als er trotz des zuvor genossenen Alkohols mit seinem Kfz am öffentlichen Straßenverkehr teilnahm, obwohl er absolut fahruntüchtig war. Seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit war dem Angeklagten nicht bewusst. Er hätte sie jedoch bei sorgfältiger Prüfung der Umstände und Gefahren vor Antritt der Fahrt erkennen können und müssen. (§§ STGB § 316 Abs. STGB § 316 Absatz 2, STGB § 316 Absatz 25 Abs. STGB § 316 Absatz 1 StGB)

Bei der Strafzumessung konnten zugunsten des Angeklagten seine geständigen Einlassungen und das von ihm an den Tag gelegten Nachtatsverhalten gewertet werden. Schuld- und tatangemessen wurde der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 30 TS zu je 45,00 € verurteilt. Die Tagessatzhöhe entspricht den Einkommensverhältnissen des Angeklagten unter Beachtung seiner Unterhaltspflicht.

Von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § STGB § 69 StGB hat das Gericht trotz der Verwirklichung des Regelfalles des § 69 Abs. 2 Ziffer 2 abgesehen.

Nach § STGB § 69 Abs. STGB § 69 Absatz 2 Ziffer 2 StGB ist der Täter einer Trunkenheit im Verkehr in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Trotz der Verwirklichung des Regelbeispiels war der Angeklagte zur Überzeugung des Gerichts zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Der Angeklagte hat die fahrlässige Tat zwar mit einer Ethanolkonzentration von 1,51‰ und damit in absoluter Fahruntüchtigkeit begangen, hat sich aber unmittelbar nach der Tat intensiv mit seinem Fehlverhalten auseinandergesetzt. In zwar kurzer aber auch sehr intensiver Zeit hat er engagiert und höchstmotiviert an einer umfangreichen verkehrstherapeutischen anerkannten Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen und sich zur Weiterführung einschließlich Urinkontrollen vertraglich verpflichtet. Die fortführende Maßnahme hat er bereits bezahlt und glaubhaft versichert fortzusetzen. Er hat sich entschlossen, langfristig abstinent zu leben. Diese Feststellungen rechtfertigen zur Überzeugung des Gerichts bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Annahme, dass vom Angeklagten neue Straftaten unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr nicht zu erwarten sind. Gemäß 44 StGB wurde neben der verhängten Geldstrafe ein Fahrverbot von 2 Monaten ausgesprochen, auf welches die Sicherstellung des Führerscheins vom Tattag bis zur Hauptverhandlung anzurechnen war.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § STPO § 465 StPO.

AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 13.09.2012 - 2.2 Ds 458 Js 33194/12 (231/12) BeckRS 2013, 03130

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