Wow! Der verkehrsrechtliche Klassiker beim BGH: "öffentlicher Straßenverkehr"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.03.2013

Wenn man Anwalts- oder Richterfortbildung im Bereich des Verkehsrechts macht, dann kommt man auch immer am Thema "öffentlicher Straßenverkehr" vorbei. Manchmal hat man dann den Eindruck: "Ist doch gähnend  langweilig. Kennt schon jeder! Kommt doch auch gar nicht wirklich vor!" Alles Quatsch, wie eine aktuelle BGH-Entscheidung zeigt:

2. Dagegen hält der Schuldspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr für schuldig befunden hat (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Insofern belegen die Fest-stellungen nicht, dass der Angeklagte das Kraftfahrzeug im öffentlichen Ver-kehrsraum geführt hat.
a) Tathandlung des § 316 Abs. 1 StGB ist das Führen eines Fahrzeugs im öffentlichen Verkehr. Nach § 2 Abs. 1 StVG bedarf der Fahrerlaubnis, wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt. Der Begriff des Straßenver-kehrs im Sinne der §§ 315 b ff. StGB entspricht dem des StVG und bezieht sich auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. Erfasst werden zum einen alle Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder oder der Kommunen dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind (z.B. Straßen, Plätze, Brücken, Fußwege). Ein Verkehrsraum ist darüber hinaus auch dann öffentlich, wenn er ohne Rücksicht auf eine Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein be-stimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch tat-sächlich so genutzt wird (Senatsurteil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2004 – 4 StR 160/04, NStZ 2004, 625; SSW-StGB/Ernemann, § 142 Rn. 9). Für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, ist nicht auf dessen inneren Willen, sondern auf die für etwaige Besucher erkennbaren äußeren Umstände (Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder etc.) abzustellen. Eine Verkehrsfläche kann zeitweilig „öffentlich“ und zu anderen Zeiten „nicht-öffentlich“ sein (Geppert in LK-StGB, 12. Aufl., § 142 Rn. 14). Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum endet mit einer eindeutigen, äußerlich manifestierten Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird (vgl. Senatsur-teil vom 4. März 2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; OLG Düsseldorf, NZV 1992, 120; Pasker, NZV 1992, 120, 121). So liegt der Fall hier.

b) Nach den Feststellungen steuerte der alkoholbedingt absolut fahruntüchtige Angeklagte R. , der keine Fahrerlaubnis besaß, den seiner Ehe- frau gehörenden Pkw, nachdem er zunächst im Ortsbereich von B. umhergefahren war, auf einen unbefestigten und zunächst frei zugänglichen Parkplatz neben einer Tankstelle. Zusammen mit dem Angeklagten K. misshandelte er daraufhin den Geschädigten R. P. durch eine Vielzahl wuchtiger Faustschläge und Fußtritte. Der Zeuge S. , der vom Vermieter des Parkplatzes mit dem regelmäßigen Öffnen und Schließen zweier dort befindlicher Schranken beauftragt war, erfasste die Situation zunächst nicht richtig und rief den Angeklagten zu, sie sollten den Parkplatz mit ihrem Pkw verlassen, damit er die Schranke schließen könne. Der Angeklagte R. antwortete sinngemäß, er solle sich keine Gedanken machen, sie kämen schon vom Park-platz herunter. Daraufhin ging der Zeuge weiter und schloss die Schranke der Parkplatzzufahrt. Als der Zeuge wenig später sah, wie die Angeklagten R. und K. auf den am Boden liegenden Geschädigten mit voller Wucht eintra- ten, alarmierte er die Polizei (Fall II. 3 der Urteilsgründe).
Im Anschluss an die Misshandlung des Geschädigten bestiegen die Angeklagten erneut den Pkw, wobei R. das Fahrzeug führte. Zunächst ver- suchte er, mit dem Pkw die Tankstelle zu umfahren und vorbei an einer be-nachbarten Diskothek auf die M. Straße zu gelangen, was an einer Begrenzung scheiterte. Anschließend fuhr er dieselbe Strecke zurück und lenkte das Fahrzeug an der geschlossenen Schranke vorbei. Er erreichte die M. Straße erneut nicht, da er nunmehr einen kleinen Erdwall vor sich hat te. An dieser Stelle blieb er nach einer Fahrtstrecke von ungefähr 220 Metern endgültig stehen (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

c) Nachdem der Zeuge S. die Angeklagten zum Verlassen des Parkplatzes aufgefordert und daraufhin die Schranke der Zufahrt geschlossen hatte, gehörte das Parkplatzgelände, auf dem der Pkw stand, nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum. Denn der Wille des Verfügungsberechtigten, den Parkplatz ab diesem Zeitpunkt der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung zu stel-len, war nach außen manifest geworden. Dies war für jedermann unmissverständlich erkennbar (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1992, 120). Die Fahrt des Angeklagten R. auf dem Parkplatzgelände (Fall II. 4 der Urteilsgründe) fand deshalb nicht im öffentlichen Straßenverkehr statt und war somit nicht tatbestandsmäßig im Sinne von § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und § 316 Abs. 1 StGB. Das Landgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte bei seinen Versuchen, die Tankstelle bzw. die Zufahrtschranke zu umfahren, sich vorübergehend im öffentlichen Verkehrsraum bewegte. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

BGH, Beschl vom 30.1.2013 - 4 StR 527/12 

Ausführliche Darstellung zum öffentlichen Verkehrsraum mit Rechtsprechungsübersicht aller hierzu veröffentlichter Entscheidungen: Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 6. Aufl. 2013, Rn. 196 ff.

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4 Kommentare

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Hmm. R. hat das Kfz vorher schon im Ortsbereich geführt. Es geht also nur noch darum, dass er es auch noch auf dem Parkplatz geführt hat, nachdem die Schranke verschlossen worden war. Sieht für mich von untergeordneter Bedeutung aus ...

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Vielleicht kann man dem Täter nicht nachweisen, dass er bei der Fahrt durch die Ortschaft bereits alkoholisiert war. In der Sachverhaltsdarstellung wird - bei scharfer Lesart - auch nicht behauptet, dass er während dieser vorherigen Fahrt bereits alkoholisiert war; sie wird m. E. nur bzgl. des FoF erwähnt. Daher dürfte die Frage doch eine gewisse Relevanz haben. Ob sich der 316 im Strafmaß noch wesentlich ausdrückt, wenn FoF und gefährliche KV belegt zu sein scheinen, darf man sich aber schon fragen.

 

Vermutlich wurde die Entscheidung aber auch nicht gepostet, um die Lösung im konkreten Fall vorzustellen, sondern auf das Problem öffentlicher Verkehrsraum hinzuweisen. Und dafür ist sie durchaus spannend.

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Vielleicht ging es in dem speziellen Fall um den erneuten Tatentschluss und somit eine erneute Trunkenheitsfahrt. Es ist ja bereits festgestellt, dass er zuvor in der Ortslage fuhr. Man wird durch 2 Blutproben und Rückrechnung nachvollziehen können, in welchem Maße er fahruntüchtig war. Ich denke, dass einfach eine weitere Tat verfolgt werden sollte, aber nicht richtig über Legaldefinitionen nachgedacht wurde.

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Stimmt, das kann auch sein. Ausgestiegen, jemanden verprügelt, neu eingestiegen, neu losgefahren = neue Tat. Habe ich gar nicht gesehen - da freut man sich mal wieder, nicht hauptberuflich mit Strafrecht beschäftigt zu sein. Auch wenn das Ostereiersuchen gerade gut in die Jahreszeit passt.

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