Mordversuch ist (immer noch) kein Arbeitsunfall

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 26.02.2013
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtMordArbeitsunfall|4531 Aufrufe

Bereits im November 2011 hatte Markus Stoffels an dieser Stelle über ein Urteil des LSG Baden-Württemberg (vom 22.11.2011 - L 2 U 5633/10) berichtet, das sich mit der Kurzformel "Mord ist kein Arbeitsunfall" zusammenfassen ließ.

Diese Aussage bedarf einer gewissen Differenzierung, wie ein aktuelles Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (vom 29.11.2012 - L 2 U 71/11, BeckRS 2013, 66519) belegt. Auch in diesem Fall blieb der Klägerin der Versicherungsschutz im Ergebnis versagt:

Geschiedener Ehemann greift die Klägerin an ihrer Arbeitsstelle an

Die zum Tatzeitpunkt 45-jährige Klägerin betreibt einen Blumenstand vor einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Während sie am 13.11.2009 ihrer Arbeit nachging, raste ihr Ex-Mann, von dem sie seit 2003 geschieden war, mit einem gemieteten 3,5 t-LKW Mercedes Pritschenwagen gezielt in das Geschäft hinein, wobei er die Klägerin schwer verletzte. Wenige Stunden zuvor hatte der Täter bereits versucht, auch seine aktuelle Partnerin in einer Kleingartenanlage zu erstechen. Nach seiner Verhaftung verübte er in der Untersuchungshaft Selbstmord.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII). Ihre Klage hatte vor dem SG Berlin Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Klage jedoch abgewiesen:

Angriff basierte allein auf nicht betriebsbezogenen Motiven

Zwar sei die Klägerin zum Unfallzeitpunkt einer versicherten Tätigkeit nachgegangen. Sie habe daher grundsätzlich unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Allein der Umstand, dass sie Opfer eines vorsätzlichen Angriffs geworden sei, hebe den Versicherungsschutz nicht auf. Jedoch komme es für die Beantwortung der Frage, ob ein Überfall als Arbeitsunfall anzusehen ist, in der Regel entscheidend auf die Beweggründe des Angreifers an. Dies bedeute nicht, dass es unbedingt eines betriebsbezogenen Tatmotivs bedürfe, um den inneren Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit herzustellen. Denn dieser Zusammenhang sei grundsätzlich gegeben, sofern sich der Versicherte in seiner Arbeitsstätte befunden hat, wo im fraglichen Zeitpunkt eine zur Gewalttat entschlossene Person seiner habhaft werden kann. Dieser Zusammenhang verliere jedoch an Bedeutung, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind. Dann bedeute das Antreffen des Versicherten an der Arbeitsstätte oft nur eine von vielen Gelegenheiten für den Angreifer, die verfeindete Person zu überfallen, die ihm genauso gut zu anderer Zeit an anderer Stelle erreichbar gewesen wäre. Mit der Erwägung, dass in diesen Fällen die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Versichertem vorherrschen und den Zusammenhang des Überfalls mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen, rechtfertige sich in solchen Fällen die Versagung des Unfallversicherungsschutzes. Nach den Feststellungen des Gerichts stand im Streitfall fest, dass die Beweggründe des Ex-Mannes der Klägerin für seinen Angriff ausschließlich im privaten Bereich der beteiligten Personen lagen mit der Folge, dass der Zusammenhang des Überfalls mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin als rechtlich unwesentlich zurückgedrängt werde.

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