Der Dortmunder "Samen-Raub", der keiner war

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 06.02.2013
Rechtsgebiete: Familienrecht7|3732 Aufrufe

Das OLG Hamm hat entschieden, dass dem Kläger im so genannten "Samenraub-Prozess" kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, weil dieser sein Einverständnis mit der künstlichen Befruchtung erklärt habe.

Der 41 Jahre alte Kläger aus Hattingen hat von den beklagten Ärzten, die als Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Dortmund ein Kinderwunschzentrum betreiben, im Wege des Schadensersatzes die Freistellung von Unterhaltsverpflichtungen begehrt. Der Kläger ist Vater von im November 2007 geborenen Zwillingen, die die Kindesmutter nach einer in der Praxis der Beklagten durchgeführten künstlichen Befruchtung geboren hat. Sein Schadensersatzbegehren hat der Kläger damit begründet, er habe den Beklagten im Januar 2004 nur deswegen eine Spermaprobe für eine vereinbarte Lagerzeit überlassen, damit diese im Falle einer Erkrankung zur Verfügung stehe. Ohne seine Zustimmung sei die Probe über den anfangs vereinbarten Zeitraum hinaus aufbewahrt und dann zur künstlichen Befruchtung der Kindesmutter verwandt worden.

Das LG Dortmund hatte die Beklagten wegen Verletzung vertraglicher Pflichten zum Schadensersatz verurteilt und es auch unter Berücksichtigung vorgelegter schriftlicher Erklärungen als nicht bewiesen angesehen, dass der Kläger im Jahre 2007 der Zeugung eines Kindes mit seinem Sperma zugestimmt hatte.

Das OLG Hamm hat die Schadensersatzklage unter Abänderung des angefochtenen Urteils des LG Dortmund abgewiesen.

Nach Auffassung des OLG Hamm konnte nach Auswertung der Urkunden, des Gutachtens einer Schriftsachverständigen, ihrer Anhörung sowie nach Auswertung der Akten der Nachweis eines Einverständnisses des Klägers als geführt angesehen werden, weshalb sein Schadensersatzbegehren aus diesem Grunde abzuweisen gewesen sei. Die für sein Einverständnis mit der künstlichen Befruchtung maßgeblichen Dokumente habe der Kläger selbst unterzeichnet, insoweit seien seine Unterschriften nicht, wie er vorgetragen habe, gefälscht worden. Nach dem Schriftsachverständigengutachten spreche eine "sehr hohe Wahrscheinlichkeit", die die Sachverständige mit 99% bemessen habe, dafür, dass der Kläger der Urheber der fraglichen Unterschriften sei. Nach der diesbezüglichen Anhörung der Sachverständigen sei das OLG Hamm von der Echtheit der Unterschriften überzeugt. Gegen die Richtigkeit der Fälschungsbehauptung des Klägers spreche zudem, dass auch sein weiterer Prozessvortrag in sich widersprüchlich und daher unglaubhaft sei.

OLG Hamm v. 04.02.2013 - 22 U 108/12 (Pressemitteilung)

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7 Kommentare

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Nochmal langsam zum Mitlesen:

[Die Mutter] gibt zu, mindestens eine Unterschrift, die im Zuge der Reagenzglas-Zeugung [des ersten Kindes] notwendig war, gefälscht zu haben.

[Die Klinik hat] die Personalien des Vaters nicht überprüft und auf dessen Anwesenheit nicht bestanden.

[Die Mutter hat] dem Kinderwunschzentrum für die zweite künstliche Befruchtung erneut gefälschte Unterschriften vorgelegt, das räumt sie inzwischen auch ein.

Die Gutachterin [hat] auch eine der nachweislich gefälschten Unterschriften [drei von 19 insgesamt] zunächst irrtümlich als echt bezeichnet.

[Erkenntnis des OLG:] der Kläger sei "mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent der Urheber der Unterschriften auf den Urkunden".

Da fällt einem ja nichts mehr ein ... was kommt als Nächstes? Auspendeln? Karten legen? Oder lieber Würfeln?

Beim Auspendeln, Würfeln oder Karten legen hätte der Mann wahrscheinlich größere Chancen, heil davonzukommen. Zumindest wäre das Verfahren fairer ;-)

 

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Bei einem Abstammungsgutachten würde eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99% wohl nur die allerwenigsten Richter überzeugen. War das bei dem Schriftgutachten eine Beweislastfrage; mußte der Vater die Unechtheit der Unterschriften beweisen?

Interessieren würde mich, wie die 99%ige Wahrscheinlichkeit der Unterschriftenechtheit ermittelt wurde. Bei einem Abstammungsgutachten ist die Wahrscheinlichkeit transparent, statistisch-mathematisch nachvollziehbar ermittelt. Aber wie ermittelt man die bei einem Schriftgutachten? Hat die Gutachterin die Pi*Daumen selbst eingeschätzt? Bei einer Falsch-Positiv-Rate von nachweislich wenigstens 33% fände ich eine solche Selbsteinschätzung sehr selbstbewusst.

Der Volltext ist bestimmt interessant. Hoffentlich haben die Richter nicht unfreiwillig das scherzhafte Verständnis von "judex non calculat" bewiesen und sich ins (mathematische) Bockshorn jagen lassen.

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Wenn es nicht so bitter wäre, könnte man glauben, es handelte sich um Satire.

Hier wurde Unterschriftenfälschung in mehreren Fällen zugegeben, eine Graphologin kann nicht sicher gefälschte von richtigen Unterschriften unterscheiden, das Paar hat sich seit längerem getrennt, man kann also davon ausgehen, daß der Mann sein Leben ohne die Frau geplant hatte, mithin also sehr wahrscheinlich keiner künstlichen Befruchtung zugestimmt haben dürfte – und die Richter entscheiden doch zugunsten der Mutter.
Was hätte die Frau denn noch beibringen müssen, um  ihre Unterhaltsforderung – und nur um die ging es ja augenscheinlich in dem Rechtsstreit – zu gefährden?

Zur Erinnerung: Wir betrachten nicht eine Bagatelle, über die man ob des überschaubaren „Schadens“ noch schmunzeln könnte. Hier geht es um die wirtschaftliche Existenz, um Transferzahlungen die schnell – je nach Einkommen - bei weit über 200.000 € liegen können. Vermögen, das einem Mann zur eigenen Lebensplanung entzogen wird, weil drei Richter ihre Beweiswürdigung weit über das nachvollziehbare Maß hinaus einseitig ausnutzen. 

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"Grafologische" Gutachten, wie der Spiegel meint, finden vor Gericht kein Gehör. Der gemeinte forensische Schriftvergleich hält sich aber meines Erachtens viel zu hartnäckig in Zivilsachen, bei denen es nur um einzelne Unterschriften geht. In den meisten Fällen, so vermutlich hier, gibt es aufgrund des Zeitrahmens und der freien Wahl der Schreibmittel keinen physikalisch-technischen Ansatzpunkt. Ob sich eine Unterschrift allein anhand des Schriftbildes seriös als echt beurteilen lässt, ist jedoch sehr fraglich. Die Methodik hat eine starke Tendenz, die Echtheit zu bescheinigen, da der Vergleich grundsätzlich mit ein bis zwei Dutzend echten Unterschriften erfolgt, idealerweise aus demselben Zeitraum. In deren Vielfalt geht eine einigermaßen gute Fälschung unter bzw. die charakteristischen Merkmale der Stichprobe sind so grundlegend, dass sie sich leicht treffen lassen.
Ein Richter, der darauf vertraut, sollte sich bewusst sein, dass der zu 99% von der Echtheit überzeugte Gutachter mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit daran scheitern würde, diese Unterschrift einer echten Vergleichsunterschrift neben fünf Fälschungen zuzuordnen.

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