BGH zur DNA-Verwertung zu Lasten Verwandter - nur eine kleine Gesetzeslücke?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 21.12.2012

Die gestrige BGH-Entscheidung (3 StR 117/12) zu dem Fall, in dem in einem Reihengentest entnommene DNA zum Nachweis der Täterschaft eines Verwandten führten, ist komplexer Natur (hier mein früherer Beitrag im Beck-Blog).

Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann.(Quelle: Pressemitteilung des BGH)

Der BGH hat also einerseits entschieden, dass der Gesetzestext der Verwertung entgegensteht. Andererseits hat der 3. Senat allerdings - in bekannter Art und Weise abwägend - die Verwertung im konkreten Fall als noch rechtmäßig angesehen, da die Strafverfolgungsorgane nicht willkürlich gegen das Gesetz verstoßen hätten, sondern möglicherweise quasi "gutgläubig". Schließlich sei nun (also in dieser BGH-Entscheidung) erstmals diese "völlig ungeklärte" Rechtsfrage behandelt worden, die Behörden hätten also vorher nicht gewusst, ob das eine rechtswidrige Beweiserhebung bzw. -verwertung  sei. Allerdings ist das Gesetz in dem Punkt recht eindeutig formuliert. Und das Gesetz ist nun mal die primär entscheidende Äußerung zu einer Rechtsfrage, nicht der BGH.

In Absatz 1 ist festgelegt, dass das Material nur bei schriftlicher Einwilligung und nur dazu dient

    soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt.

Darüber sind die Einwilligenden lt. Absatz 4 sogar zu belehren:

(4) Die betroffenen Personen sind schriftlich darüber zu belehren, dass die Maßnahme nur mit ihrer Einwilligung durchgeführt werden darf. Hierbei sind sie auch darauf hinzuweisen, dass

1. die entnommenen Körperzellen ausschließlich für die Untersuchung nach Absatz 1 verwendet und unverzüglich vernichtet werden, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind, und

2. die festgestellten DNA-Identifizierungsmuster nicht zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren beim Bundeskriminalamt gespeichert werden.

Eindeutiger hätte es der Gesetzgeber kaum formulieren können. Die Polizei verstieß eindeutig gegen § 81 h Abs. 1 StPO und gegen den Inhalt der Belehrung nach Abs. 4, die sie selbst erteilt hatte. Ein Vorgehen jenseits gesetzlicher Grundlagen einfach mal auszuprobieren, denn, solange der BGH noch nichts dagegen gesagt hat, ist ein Gesetzesverstoß ja nicht so schlimm? Solche Überlegungen sollte eine Behörde nicht anstellen dürfen.

Nun wird in den Berichten und von Seiten einzelner Politiker die Problematik als Folge einer bloßen ("versehentlichen?") Gesetzeslücke angesehen, die man nun  einfach schließen müsse - dann wäre wieder alles in Ordnung.

Ich würde (wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger) vor einer Neuregelung erst einmal abwarten, was der 3. Senat in die Begründung schreibt, aber schon jetzt ein Kommentar:

Weder in der gestrigen Tagesthemen-Berichterstattung noch in der Berichterstattung von Christian Rath in der taz wird ein entscheidender Zusammenhang erwähnt:

§ 81 h StPO regelt die freiwillige Mitwirkung an der Verbrechensaufklärung. Freiwilligkeit setzt aber voraus, dass man darüber informiert ist, was mit dem Material passiert. Vor allem deshalb ist es eben problematisch, dass die freiwillig erhobene DNA-Probe zur Verfolgung eines Verwandten verwertet werden kann, denn dies geschah ohne die Belehrung, dass das Material auch zu Lasten der gesamten Verwandtschaft des Freiwilligen verwertet werden kann.

Wenn nun das Gesetz geändert werden soll, müsste entweder die Freiwilligkeit aus § 81 h StPO ganz gestrichen werden, d.h. künftig könnte dann jeder, der bestimmte abstrakte tatbezogene Merkmale aufweist, zur Speichelprobe gezwungen werden, oder aber,  jeder freiwillige Proband müsste darüber belehrt werden, dass auch alle Verwandten, denen gegenüber er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, mittels seiner Speichelprobe in den Abgleich einbezogen werden.

Letzteres wird sicher die Mitwirkungsfreude nicht gerade erhöhen.

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6 Kommentare

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Für eine entsprechende Belehrungspflicht bei etwaiger Neuregelung spricht auch der Vergleich mit § 81c III StPO, wonach Untersuchungen und Entnahmen von Blutproben aus den gleichen Gründen wie das Zeugnis verweigert werden können. Im Falle eines Streichens der Freiwilligkeit wäre eine solche Belehrung zwingend, wollte man die Kohärenz mit anderen Vorschriften weiterhin gewährleisten. Doch angesichts des faktischen Mitwirkungsdrucks bei derzeit freiwilligen DNA-Tests ist die Belehrung sogar bei der prinzipiellen Beibehaltung der Freiwilligkeit geboten.    

Sehr geehrter Herr Kollege,

danke für den Hinweis. Ich sehe das genauso. Zumindest müsste die Belehrung nach § 81 Abs.4 StPO, wenn auch der Verwandten-Abgleich zugelassen wird, dies entsprechend berücksichtigen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ich sehe in besagtem BGH-Urteil lediglich die Intention eine Gesetzeslücke zu schließen. Bislang wäre eine Testverweigerung bei entsprechender Familienkonstellation nicht nur im Besonderen aufgrund §55 StPO sondern im Allgemeinen aufgrund §52 StPO möglich.

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Sehr geehrte/r Herr/Frau JLoyd,

eine Zeugnisverweigerung nach § 52 StPO setzt voraus, dass es bereits einen Beschuldigten gibt. Die typische Situation vor einer Reihenuntersuchung nach § 81 h StPO ist jedoch, dass es eben noch keinen Beschuldigten gibt.

 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Das Urteil des BGH vom 20.12.2012 - 3 StR 117/12 ist veröffentlicht.

Der BGH stellt fest, dass der Sachverständige die Wahrnehmung einer möglichen Verwandschaft des Probanden mit dem Täter nicht vermeiden kann. Spannend daher die Frage, ob er den Ermittlungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) überhaupt dieses Untersuchungsergebnis mitteilen darf (laut BGH fehlt in § 81h StPO die Rechtsgrundlage hierzu). Denn andererseits stellt der BGH fest, dass ein Verwertung bei entsprechender Belehrung zulässig ist:

"Die in dem Reihengentest gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster hätten gegen den Angeklagten (damals Beschuldigten) verdachtsbegründend und als Grundlage für die Anordnung nach § 81a StPO nur verwendet werden dürfen, wenn sein Vater und sein Onkel nach nachgeholter Belehrung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1958 - GSSt 3/58, BGHSt 12, 235, 242) in diese Nutzung ihrer persönlichen Daten eingewilligt hätten (vgl. § 4 BDSG)."

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Wie schon zuvor angemerkt:

"schönen Dank lieber Angeklagter, dass du uns einen Präzedenzfall geliefert hast, in dem wir bestätigen können, dass die Strafverfolger klar gegen die StPO verstoßen haben (was jeder, der lesen kann, auch herausgefunden hätte), aber weil du der erste Betroffene bist, lassen wir ihnen das mal durchgehen und du hast Pech gehabt"

stört nicht nur mich, sondern auch den Angeklagten bzw. mittlerweile Verurteilten. Dass alle Menschen (auch die, deren Rechte zuerst verletzt werden) vor dem Gesetz gleich sind, soll nun das BVerfG klären - es wurde (zwei Monate nach Veröffentlichung der Urteilsgründe) Verfassungsbeschwerde eingelegt (Bericht auf LTO.)

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