Abschleppunfall: Abgeschlepptes Fahrzeug wird nicht zum Anhänger

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.12.2012
Rechtsgebiete: AbschleppenHaftungsabwägungVerkehrsrecht1|8832 Aufrufe

Einen ganz plastischen Fall zur Haftungsabwägung bei einem Unfall im Zusammenhang mit dem Abschleppen eines Fahrzeugs habe ich gefunden:

 

Die Berufung der Klägerin ist bis auf einen Teil der geltend gemachten Auslagenpauschale begründet.

1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt sich die Haftung der Beklagten hier schon aus den Bestimmungen des StVG (§§ 7, 18 StVG). Denn die Gefährdungshaftung eines Fahrzeugs ist nicht auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr beschränkt, sondern besteht bei allen mit seinem Betrieb zusammenhängenden Unfällen, auch bei solchen Unfallereignissen, die sich auf Privatgrundstücken ereignen (Geigel, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 25 Rn. 20 m. w. N.).

Die Beschädigung des klägerischen Lkw beim Abschleppen durch die vom Beklagten zu 1 gefahrene Zugmaschine des Beklagten zu 2 erfolgte „beim Betrieb“ des Fahrzeugs des Beklagten zu 2. Denn es befand sich in Bewegung und wurde dabei durch die Kraft seines Motors angetrieben.

2. Entsprechendes gilt allerdings auch für den klägerischen Lkw. Da unstreitig während des Abschleppmanövers sein Motor lief und dadurch Kraft auf die Antriebsräder übertragen wurde und zudem der Zeuge S. das Lenkrad betätigte, war auch der Lkw der Klägerin in Betrieb (vgl. dazu BGH, VersR 1966, 934 - juris Rn. 11; OLG Hamm, OLGR 2009, 425 - juris Rn. 5; LG Hannover, DAR 1978, 74; LG Nürnberg-Fürth, DAR 1993, 232; OLG Köln, DAR 1986, 321; OLG Koblenz, VersR 1987, 707). Lediglich in der älteren höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde angenommen, dass bei einem Schleppzug nur eine einheitliche, vom Halter und Fahrer des schleppenden Fahrzeugs zu vertretene Betriebsgefahr vorliege, weil nur so der Einheitlichkeit des Betriebsvorgangs Rechnung getragen werde (so z. B. BGH, NJW 1963, 251 und NJW 1971, 940 - juris Rn. 8; offengelassen dagegen in MDR 1979, 46 - juris Rn. 20). Hingegen wird in der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich einhellig - die Ansicht vertreten, dass jedenfalls ein mit Seil oder Stange abgeschlepptes Fahrzeug, das gelenkt werden muss, eine von dem abschleppenden Fahrzeug gesonderte, eigenständige Gefahrenquelle bildet und als „in Betrieb“ befindlich anzusehen ist; das abgeschleppte Fahrzeug bleibt deshalb selbständig und wird insbesondere durch den Abschleppvorgang auch nicht zu einem Anhänger i. S. d. § 7 StVG (Geigel, a. a. O., Rn. 62 m. w. N.). Hierfür spricht im Übrigen ferner, dass zwischenzeitlich in § 7 Abs. 1 StVG auch einem Anhänger eine eigenständige Betriebsgefahr zugeschrieben wird.

Die Abwägung der beiderseitigen Haftungsanteile richtet sich deshalb gemäß § 17 Abs. 1 bis 3 StVG nach den Umständen, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

3. Der sich danach ergebenden Mithaftung der Beklagten für die Schäden am klägerischen Lkw steht kein Ausschluss der Gefährdungshaftung entgegen.

a) Die Haftung der Beklagten ist nicht gemäß § 8 Nr. 2 oder 3 StVG ausgeschlossen. Zwar hat der BGH in der eingangs zitierten Entscheidung (MDR 1979, 46) noch angenommen, das abgeschleppte Fahrzeug gehöre zum Schleppfahrzeug, weil es mit diesem eine Betriebseinheit bilde. Hieran ist jedoch - wie dargelegt - unter Berücksichtigung der einhelligen neueren obergerichtlichen Rechtsprechung nicht festzuhalten. In den dazu zitierten Entscheidungen wird dementsprechend ein Ausnahmefall nach § 8 StVG von Vornherein erst gar nicht diskutiert.

b) Die Haftung der Beklagten gemäß §§ 7, 18, 17 StVG ist entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht durch eine stillschweigend verabredete Haftungsbeschränkung auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung kann sich ein stillschweigender Haftungsausschluss zwischen einem (späteren) Schädiger und einem (späteren) Geschädigten bei Fehlen einer ausdrücklichen Abrede zwar grundsätzlich auch aus einer konkludent getroffenen Vereinbarung oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung auf der Grundlage des § 242 BGB ergeben (BGH, VersR 2009, 558 - juris Rn. 13 m. w. N - std. Rspr.). Bei der Annahme eines stillschweigend geschlossenen Vertrages über eine Haftungsfreistellung darf es sich allerdings nicht um eine künstliche, mit dem Mittel der Willensfiktion arbeitende Rechtskonstruktion handeln, denn auch bei stillschweigenden Willenserklärungen darf nicht einfach ein in Wahrheit nicht vorhandener Wille fingiert und „untergeschoben“ werden. Insgesamt ist deshalb der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Annahme des Zustandekommens derartiger Verträge sehr zurückhaltend (vgl. Diebold, ZfS 2011, 363 ff. m. w. N. bei Fußnoten 4 bis 6). Ob ganz ausnahmsweise ein stillschweigender Haftungsausschluss, an den bei der Verabredung des Gefälligkeitsverhältnisses niemand gedacht hatte, anzunehmen ist, richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalles. Voraussetzung ist immer, dass der Schädiger - wäre die Rechtslage vorher zur Sprache gekommen - einen Haftungsverzicht gefordert hätte und der Geschädigte sich dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung billigerweise nicht hätte versagen dürfen. Um eine solche Annahme bejahen zu können, muss ein Verhalten vorliegen, das einen Schluss auf die wirksame Abgabe entsprechender Willenserklärungen zulässt. Die bloße Mitnahme eines anderen aus Gefälligkeit genügt hierfür etwa ebenso wenig wie enge persönliche Beziehungen zwischen den Beteiligten oder das Bestehen eines ungewöhnlichen Haftungsrisikos. Erforderlich ist vielmehr grundsätzlich, dass der Schädiger keinen Haftpflichtversicherungsschutz genießt, für ihn ein nicht hinzunehmendes Haftungsrisiko bestehen würde und darüber hinaus besondere Umstände vorliegen, die im konkreten Fall einen Haftungsverzicht als besonders naheliegend erscheinen lassen (vgl. zum Ganzen: Diebold, a. a. O., bei Fußnoten 8 ff. und BGH, a. a. O., juris Rn. 16 m. w. N.). Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen nicht vor.

aa) Zum einen kann schon nicht angenommen werden, dass der Zeuge S. als Fahrer des klägerischen Lkw ermächtigt gewesen wäre, für die Klägerin auf Ersatzansprüche bei leicht fahrlässiger Beschädigung ihres Lkw durch einen Dritten zu verzichten. Denn die aus dem Arbeitsvertrag als Lkw-Fahrer folgenden Befugnisse zur Ausübung der Sachgewalt über das Fahrzeug beinhalten üblicherweise nicht die Berechtigung, auch in dessen Beschädigung einzuwilligen.

bb) Außerdem ist auch nicht ersichtlich, dass es hier an einem fehlenden Versicherungsschutz für das schädigende abschleppende Fahrzeug des Beklagten zu 2 fehlt. Denn es ist davon auszugehen, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung für den Lkw des Beklagten zu 2 eintrittspflichtig wäre. Welche konkreten Versicherungsbedingungen der Beklagte zu 2 mit seinen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer vereinbart hat, ist nicht vorgetragen. Abschnitt A.1.5.4. der Musterbedingungen für die Kfz-Versicherung des Gesamtverbandes der Dt. Versicherungswirtschaft (AKB 2008) sieht zwar einen Deckungsausschluss für Schäden an von dem versicherten Fahrzeug abgeschleppten Fahrzeugen vor. Satz 2 regelt aber die Nichtanwendung des Deckungsausschlusses für solche Haftpflichtansprüche, die - wie hier - im Rahmen eines nicht gewerbsmäßigen Abschleppens betriebsunfähiger Fahrzeuge aus Gefälligkeit im Rahmen der ersten Hilfe entstanden sind. Dass im konkreten Fall andere Versicherungsbedingungen vereinbart wären oder sonst ansonsten anderweitige Deckungsausschlüsse zur Anwendung kommen könnten, haben die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten nicht vorgetragen. Vielmehr ergibt sich aus dem als Anlage B 1 (Bl. 79 d. A.) vorgelegten Schreiben der M. Versicherungsgesellschaft vom 8. Februar 2011 (bei der für den Lkw des Beklagten zu 2 eine Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung bestand), dass diese ihre Eintrittspflicht nicht etwa wegen eines Deckungsausschlusses, sondern unter Hinweis auf ein von ihr angenommenes überwiegendes Eigenverschulden des Fahrers des klägerischen Lkws abgelehnt hat.

Im Übrigen dürfte hier auch eine Betriebshaftpflichtversicherung bestehen, deren Eintrittspflicht ebenfalls in Betracht zu ziehen wäre.

4. Die Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungsanteile führt zu einer jeweils hälftigen Einstandspflicht der Beklagten einerseits sowie der Klägerin andererseits für die bei dem Abschleppvorgang entstandenen Schäden am Lkw der Klägerin.

Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts ist weder ein Fahrfehler des Beklagten zu 1 noch ein Fahrfehler des Zeugen S. erweislich. Zwar hat das Landgericht gemeint, es spreche einiges dafür, dass der Zeuge S. das Lenkrad zu stark eingeschlagen haben könnte. Für bewiesen erachtet hat es dies jedoch ausweislich der Urteilsgründe nicht.

Zwar haben beide Fahrzeugführer es verabsäumt, vorab den während des Abschleppvorgangs für beide nicht sichtbaren seitlichen Raum neben dem unmittelbaren Fahrweg auf mögliche Abschlepphindernisse zu untersuchen. Der darin liegende Fahrlässigkeitsvorwurf ist aber auf beiden Seiten gleich schwer zu bewerten.

Ein überwiegendes Verschulden auf Seiten des Beklagten zu 1 lässt sich auch nicht damit begründen, dass dieser vergessen hatte, vor Beginn des Abschleppmanövers sein Funkgerät wieder auf normale Lautstärke zu stellen. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass dieser Umstand unfallursächlich geworden ist. Der Zeuge S. hat nämlich eingeräumt, er habe den Fichtenstamm, mit dem der klägerische Lkw während des Abschleppvorgangs kollidiert ist, vor der Berührung gar nicht bemerkt. Es kann deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, dass er noch rechtzeitig vor einer drohenden Kollision durch Funkbenachrichtigung des Beklagten zu 1 ein Anhalten des Schleppfahrzeugs hätte erreichen können.

Entsprechendes gilt umgekehrt für den seitens der Beklagten gegen den Zeugen S. erhobenen Vorwurf, er habe die Kollision durch unterlassenes Bremsen bzw. Hupen mitverursacht.

Nach alledem sind lediglich die Betriebsgefahren der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge gegeneinander abzuwägen. Dabei bewertet der Senat die Betriebsgefahr des schleppenden Fahrzeugs ebenso hoch wie diejenige des abgeschleppten Fahrzeugs. Denn es kann nicht darauf ankommen, wer die Hauptverantwortlichkeit für den Abschleppvorgang trägt; vielmehr ist entscheidend, dass das abschleppende Fahrzeug dem Abgeschleppten ebenso gefährlich werden kann wie umgekehrt das abgeschleppte Fahrzeug dem Abschleppenden (so auch OLG Hamm, OLGR 2009, 425 - juris Rn. 8; für eine hälftige Schadensteilung bei Beschädigung eines von zwei an einem Abschleppvorgang beteiligten Fahrzeugen bei gleichem Verschuldensbeitrag ferner BGH, VersR 1966, 934 - juris Rn. 7 und 14; ebenso OLG Koblenz, VersR 1987, 707).

5. Demnach hat die Berufung der Klägerin in Höhe von 3.444 € Erfolg. Denn sämtliche Schadenspositionen sind zwischen den Parteien unstreitig. Allerdings ist die geltend gemachte Auslagenpauschale von 30 € um 5 € zu kürzen, da nach ständiger Rechtsprechung des Senats insoweit lediglich 25 € erstattungsfähig sind.

6. Ob sich die Haftung der Beklagten zusätzlich auch aus § 823 und § 831 BGB ergibt kann dahinstehen, weil unter Berücksichtigung von § 254 BGB hier hinsichtlich der Haftungsquote jedenfalls kein anderes Ergebnis begründbar ist. Allerdings bestehen gewisse Bedenken, ob die Voraussetzungen einer Einstandspflicht des Beklagten zu 2 nach § 831 BGB vorliegen. Denn nach einer Entscheidung des OLG Köln (OLGR 2001, 323 - juris Rn. 24) wird ein Arbeitnehmer bei einer spontanen Pannenhilfe nicht Verrichtungsgehilfe seines Arbeitgebers, weil diese Tätigkeit außerhalb des eigentlichen Aufgabenbereiches des Arbeitnehmers liegt, wenn die Fortführung der eigenen Arbeitstätigkeit durch das Liegenbleiben des anderen Fahrzeugs nicht behindert worden ist. So war es jedoch hier. Der Beklagte zu 1 hätte die von ihm aufgeladenen Baumstämme wegbringen können, ohne daran durch das festgefahrene, nicht mehr manövrierfähige klägerische Fahrzeug gehindert zu sein. Das Herbeirufen eines gewerblichen Pannendienstes hätte ersichtlich die Fortführung der Abfuhrarbeiten der als Subunternehmerin des Beklagten zu 2 tätigen Klägerin auch nicht so weit verzögert, dass dadurch der Arbeitserfolg insgesamt gefährdet gewesen wäre. Dies bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.

OLG Celle, Urteil vom 14.11.2012 - 14 U 70/12

 

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