Die Wahrheit des Strafprozesses ist nicht die des Zivilprozesses – Der Fall Kachelmann zum zweiten

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 27.11.2012

Nachdem das Landgericht Mannheim im Frühjahr vergangenen Jahres den Wettermoderator Jörg Kachelmann (sein Buch zum Prozess habe ich nicht gelesen und werde es vermutlich auch nicht lesen) nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" vom Vorwurf der Vergewaltigung in einem von großem Medieninteresse begleiteten Strafprozess freigesprochen hat, wird die Frage, ob er seine ehemalige Lebensgefährtin vergewaltigt hat, nunmehr nochmals das Landgericht Frankfurt am Main in einem zivilrechtlichen Schadensersatzprozess beschäftigen, den der Freigesprochene jetzt gegen die frühere Belastungszeugen betreibt. Sollte im nunmehrigen Zivilprozess das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Zeugin im Strafprozess vorsätzlich falsch ausgesagt hat, wird es diese antragsgemäß zu den dem früheren Angeklagten im Zuge seiner Verteidigung entstandenen Gutachterkosten verurteilen.

 

Wie dies sein kann, leuchtet auf den ersten Blick nicht ein. Das Landgericht Frankfurt am Main im Zivilverfahren als Superrevisionsinstanz? Keineswegs. Ob das Landgericht Frankfurt am Main der Klage stattgibt oder nicht, ändert rechtlich nichts am rechtskräftigen Freispruch vom strafrechtlichen Vorwurf der Vergewaltigung, sondern betrifft allein den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch.

 

Die Erklärung dafür, dass das Landgericht Frankfurt am Main zu einem gegensätzlichen Ergebnis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit kommen kann, liegt in den unterschiedlichen Wahrheitsbegriffen des Straf- und Zivilprozesses. Der Wahrheitsbegriff des Strafprozesses ist nicht mit dem des Zivilprozesses identisch. Im Strafprozess gilt auf der Grundlage der das Gericht treffenden Aufklärungspflicht der materielle Wahrheitsbegriff, währenddessen im Zivilprozess der vom Dispositions-und Verhandlungsgrundsatz beherrschte formelle Wahrheitsbegriff verwirklicht wird.

 

Welche der beiden Wahrheitsbegriffe der verlässlichere ist, darüber lässt sich trefflich streiten, wie der Beitrag von Prof. Christian Wolf und Wiss. Mit. Hanna Schmitz in der aktuellen Legal Tribune ONLINE zeigt, die dem formellen Wahrheitsbegriff den Vorzug geben wollen. 

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12 Kommentare

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Das Buch "Recht und Gerechtigkeit" von Jörg Kachelmann kann ich nur sehr empfehlen! Insbesondere auch die Perspektive von Miriam Kachelmann gibt zahlreiche neue und kenntnisreiche Einblicke! Ganz nebenbei wird die Praxis der deutschen Strafjustiz in jeder Form von Paarkonflikt entlarvt als das was sie vielfach wurde und ist: ein mit Klischees und Vorurteilen behaftetes Konstrukt und Beute jahrzehntelanger feministischer Einvernahme.

Das wird gerade auch in der hier benannten Unterscheidung zwischen Zivil- und Strafprozess und der tatsächlichen Praxis der Gerichte deutlich! Wie sonst ist es zu erklären, dass das lobbyistisch gegen den Rat von Kriminologen (Prof. Michael Bock, Mainz) 2001 erzwungene sog. 'Gewaltschutzgesetz' bis heute stillschweigend das Zivilrecht und den formellen Wahrheitsbegriff aushebelt?

Mittels Glaubhaftmachung, ohne Anhörung des Betroffenen und ohne Beweisaufnahme werden 'Antragsgegner' bei 'Zuwiderhandlung' flugs zu Beschuldigten im Strafverfahren - und zwar ganz OHNE Prüfung des dem Zivilrecht zuzurechnenden 'Wahrheitsgehaltes' der den strafrechtlichen Verfolgungen zugrundeliegenden zivilrechtlichen Verfügungen!

Mit einfachen Worten: mit der plakativen 'häuslichen-Gewalt'-Verfügung und der bloßen Behauptung von 'Gewalt', beginnend bei gefühlter Belästigung erreicht eine Frau bspw., dass dem Vater der gemeinsamen Kinder jede Näherung und jeder Anruf als "Straftat" zur Last zu legen ist, ohne jemals die Richtigkeit der im (zivilrechtlichen) Antrag zur Verfügung gemachten Angaben auch nur ansatzweise beweisen zu müssen! Ganz nebenbei wurde so die BEWEISLASTUMKEHR in den Strafprozess überführt, die Unschuldsvermutung suspendiert!

Es sind diese wie selbstverständlich praktizierten strukturellen Missstände, die ein Klima der Vorverurteilung und Entrechtung gegen Männer vor der Justiz und somit in der Spitze unsägliche Falschbeschuldigungen schwerster Straftaten wie im Fall Kachelmann zu verantworten haben!

Wer das atmosphärisch dichte und authentische Buch gelesen hat, hat an einer Falschbeschuldigung - vermutlich auch ohne Vorkenntnisse der Strafverfolgungspraxis - KEINEN ZWEIFEL mehr!

M.Deeg
Polizeibeamter a.D.

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Dass Zivilgericht und Strafgericht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, dürfte gerade im Fall Kachelmann wenig mit formellem und materiellem Wahrheitsbegriff oder der Dispositionsmaxime zu tun. Die zwei zentralen Anspekte sind 1) fehlende materielle Rechtskraftwirkung des Strafprozesses und 2) Beweislastverteilung.

Auch im Zivilprozess gilt kein rein formeller Wahrheitsbegriff. Wenn dort das Gericht die materielle Wahrheit sicher (!) kennt, muss es dieser gegenüber dem Parteivortrag den Vorzug geben. Auch im Strafprozess gilt kein rein materieller Wahrheitsbegriff. Dort werden ständig Tatsachen als wahr unterstellt, nur halt immer zugunsten des Angeklagten. Es gibt auch im Strafprozess eine Beweislast, die ist nur ganz einförmig verteilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Verteilte Beweislasten und Amtsermittlung schließen sich übrigens nicht aus, wie etwa die Verwaltungs- und FamFG-Verfahren zeigen.

 

 

 

 

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"Dort werden ständig Tatsachen als wahr unterstellt, nur halt immer zugunsten des Angeklagten." Das möchte ich als groben Unfung bezeichnen, denn die Wirklichkeit sieht anders aus: Schon bei der Staatsanwaltschaft wird einseitig ermittelt! Es werden auch nicht sowohl be- als auch entlastende Beweise erhoben, so , wie es die Strafprozessordnung erfordert, ganz im Gegenteil. Wen wundert es da, das sogar die Richter mit einem geschriebenen Urteil in die Verhandlung kommen. Von der Beschreibung des Erasmus von Rotterdam ist die heutige Justiz hicht weit entfernt. Leider!

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Das Buch von Herrn Kachelmann ist wirklich lesenswert. Das Buch ist subjektiv, und das konsequent. Gerade aus dieser Subjektivität entsteht aber eine authentische Erzählung seiner Perspektive. Die beiden Autoren erheben übrigens auch keinen anderen Anspruch als den der Parteilichkeit für ihre Sache (die nichts anderes ist als die Verwirklichung der rechtsstaatlichen Prinzipien und der Grundsätze eines fairen Strafverfahrens).

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Sollte die ehemalige LG öffentlich weiter behaupten, von K vergewaltigt worden zu sein, dürfte die Beweisregel des § 190 StGB gelten:

 

§ 190
Wahrheitsbeweis durch Strafurteil

Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine Straftat, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Tat rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig freigesprochen worden ist.

Zunächst einmal freue ich mich, dass das Thema auf Interesse stößt.

Nachdem ich die Zuschriften gelesen habe, will ich mich nun doch an das Buch von Kachelmann machen, um es dann im Blog zur Diskussion zu stellen.

Kachelmann unterliegt Ex-Verteidiger vor Gericht

Wettermoderator Jörg Kachelmann hat in Köln einen Zivilprozess gegen seinen ehemaligen Verteidiger Reinhard Birkenstock verloren. Es ging dabei um etwa 37 000 Euro Anwaltshonorar. Dieses Geld wollte Kachelmann von dem Kölner Anwalt zurückhaben.  

 

Eine Zivilkammer des Landgerichts Köln wies Kachelmanns Klage am Mittwoch jedoch als unbegründet zurück. Obendrein sprachen die Richter dem Ex-Verteidiger, der Widerklage gegen den Moderator erhoben hatte, 14 865 Euro zu. Dieses Geld kann Birkenstock nun als Nachzahlung von Kachelmann verlangen. 

 

http://www.stern.de/kultur/tv/kachelmann-unterliegt-ex-verteidiger-vor-gericht-1933567.html 

 

 

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Im Zivilprozess sind die Parteien dagegen gemäß § 138 Zivilprozessordnung (ZPO) bedingungslos zur Wahrheit und Vollständigkeit verpflichtet.  

 

Was kann man machen, wenn einem Richter in einem Zivilprozeß es nicht interessiert, dass einer der Kontrahenten, behauptet, dass der andere gelogen hat und ein schriftlicher Beweis eines Dokumentes vorgelegt wird, das es sich eindeutig um eine Lüge handelt ?

 

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Kachelmann verliert vor Gericht

 

Die Berichte über Details aus dem Sexualleben von Jörg Kachelmann waren zulässig - soweit vor Gericht darüber verhandelt wurde. Das entscheidet der BGH und stärkt damit die Rechte von Journalisten.

Der Bundesgerichtshof hat eine Klage des Fernsehmoderators Jörg Kachelmann gegen einen Bericht über Details aus seinem Strafverfahren abgewiesen. Damit stärkten die obersten Zivilrichter das Recht auf Berichterstattung über Strafprozesse. Die Veröffentlichung sei zulässig geworden, nachdem das Protokoll mit den intimen Details in der öffentlichen Verhandlung vorgelesen wurde, sagte der Vorsitzende Richter Gregor Galke am Dienstag zur Begründung des Urteils (Az. VI ZR 93/12).

 

Der BGH differenziert allerdings nach dem Zeitpunkt der Veröffentlichung:

 

 

http://www.fr-online.de/medien/kachelmann-prozess-kachelmann-verliert-vor-gericht,1473342,22156462.html

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Jörg Kachelmann fordert von seiner früheren Geliebten mehr als 13.000 Euro Schadensersatz - für Gutachten, mit denen er sich im Strafprozess gegen den Vorwurf der Vergewaltigung verteidigt hatte. Doch der Moderator und Claudia D. können sich nicht gütlich einigen: Das Zivilverfahren geht weiter.

 

 Auch der zweite Termin führte nicht zu einer Einigung: Im Prozess um Schadensersatz.

 

Am 26. Juni werde der Zivilprozess vor dem Frankfurter Landgericht weitergehen, sagte der Vorsitzende Richter Richard Kästner.

 

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/joerg-kachelmann-und-ex-geliebte-koennen-sich-in-prozess-nicht-einigen-a-880596.html

 

 

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http://www.spiegel.de/panorama/justiz/joerg-kachelmann-verklagt-staatsanwaltschaft-mannheim-a-992717.html

 

Kachelmann verklagt Mannheimer Staatsanwaltschaft

 

Kachelmann zieht wieder vor Gericht: 2012 waren Äußerungen der Staatsanwaltschaft Mannheim publik geworden, die den Ex-Wettermann seiner Meinung nach der Vergewaltigung verdächtig machen - obwohl er da bereits freigesprochen war.

 

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