Lesetipp: RiBGH Jürgen Cierniak zu den prozessualen Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.11.2012
Rechtsgebiete: CierniakStrafrechtVerkehrsrecht2|5188 Aufrufe

Heute mal ein Hinweis auf einen Beitrag aus der zfs, der online frei zum download bereitsteht: Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen Jürgen Cierniak, Richter am Bundesgerichtshof. Cierniak seziert die derzeitige Rechtsprechung zu so genannten standardisierten Messverfahren. OWi-Richter und Verteidiger sollten sich den Aufsatz, der allein schon angesichts seiner Länge einen Meilenstein darstellt unbedingt zu Gemüte führen. Interessant ist (auf den ersten Blick) vor allem, wie kritisch Cierniak mit der Geheimhaltung der Messgerätehersteller umgeht - also: Lesenswert!

 

 

 

 

 

Für mich besonders erfreulich, dass Cierniak mein Buch "Verkehrsordnungswidrigkeiten" beigezogen und sehr oft zitiert hat.... 

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2 Kommentare

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Lesenswert ist das in der Tat  -  aber vor allem als Ausdruck einer Fehlentwicklung und der Betriebsblindheit der hieran Beteiligten.

In der Rspr. des BVerfG und nachfolgend des BGH ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass sich das Bußgeldverfahren sich in wesentlicher Hinsicht vom Strafverfahren unterscheide: Es diene nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung; es sei im Hinblick auf seine Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine einfache, schnelle und summarische Erledigung ausgerichtet, weshalb auch an die Ausgestaltung des Verfahrens keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden dürften (vgl. z.B. BVerfGE 27, 18, 28 f.; BVerfGE 45, 272, 288 f. m.w.N; BGHSt 39, 291, 299; BGHSt 41, 376, 381). Der Beitrag von Herrn Cierniak zeigt, dass diese Erkenntnis heute nur noch Lippenbekenntnis ist (bei ihm S. 669 li. Sp. mit Fn. 81) und hieraus kaum noch praktische Konsequenzen abgeleitet werden.

Im Gegenteil geht die Rechtsentwicklung der letzten Jahre  -  und dafür ist Herrn Cierniaks Privatmeinung vermutlich repräsentativ  -  im Großen und Ganzen von der Vorstellung aus, dass es wünschenswert sei, unser rechtsvergleichend ohnehin schon als perfektionistisch wahrgenommenes Verfahrensrecht für die Ahndung banaler Verkehrsordnungswidrigkeiten weiter zu perfektionieren.

Übersehen wird hierbei, das so etwas justizielle Ressourcen kostet, dass diese Ressourcen endlich sind und während unser aller Lebzeiten sicher nicht mehr nennenswert vermehrt werden und dass dies der Sache nach eine Ressourcenverschiebung von der Strafverfolgung hin zu den Verkehrs-OWi bedeutet. Eine ohnehin schon schlimme Schieflage würde dadurch noch verschlimmert.

Kann man das im Ernst wollen? Wir reden doch gerade über den Deal als Notwehrmaßnahme einer absaufenden Strafjustiz, über Schlampigkeit und Nonchalance im Umgang mit schwersten Sanktionen für den justizunterworfenen Bürger (im beck-blog nur eine Tür weiter: Fall Mollath).

Die Frage stellen kann deshalb doch nur heißen, sie zu verneinen. Ich jedenfalls nehme gerne in Kauf, ab und zu mal infolge eines Messfehlers zu Unrecht 80 € wegen zu schnellen Fahrens bezahlen zu müssen, wenn ich dafür sicher sein kann, dass sich die Justiz meiner Angelegenheit in den wirklich wichtigen Sachen mit der gebotenen Sorgfalt widmen wird.

Wer hiergegen geltend macht, das Rechtsstaatsprinzip bzw. der Grundsatz des “fair trial”, aus dem die hier postulierten Anforderungen zumeist hergeleitet werden, vertrage nun einmal keine durch Praktikabilitätserwägungen motivierten Einschränkungen (Cierniak auf S. 669 re. Sp. u. öfter; s. auch S. 674 li. Sp.: die Einhaltung eines fairen Verfahrens sei “immer zumutbar”), erliegt einem ebenso offensichtlichen wie banalen Zirkelschluss: dass die rechtsstaatlichen Anforderungen in einem Verfahren der “verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung” reduziert werden können und müssen, ist doch gerade das thema probandum und im Grundsatz so unbestritten wie unbestreitbar  -  nur wie weit das gehen kann und muss, ist die Frage.

Die praktische Umsetzung des Gedankens der “Systemakkreditierung”, der den BGH-Entscheidungen zum standardisierten Messverfahren aus den 1990er Jahren zugrundeliegt, muss deshalb ausgebaut werden statt ihn, wie dies bisher geschehen ist und auch in dem Diskussionsbeitrag von Herrn Cierniak geschieht, de facto immer weiter zurückzudrängen.

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Das tolle Posting von St. Ivo bringt die Sache auf den Punkt.
Es nur noch auf zwei Punkte hinzuweisen. Nämlich einmal die Charaktere der OWi-Täter. Jeder der schon mal OWi- und Strafsachen gemacht hat kennt den Unterschied bei den Tätertypen. Die OWi-Täter wollen es einfach nicht einsehen. Sie sind die postmoderne Form der Pharisäer (Jesus: "Die Huren und Zöllner kommen eher ins Himmelreich als ihr!").
Der andere Grund für das Ausufern der OWi-Sachen sind die Anwälte. Die verdienen einfach zuviel damit. Welcher Anwalt würde sich bei einem Zivilprozess bei 80,- € Streitwert so reinhängen?

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