BAG bestätigt den Dritten Weg der Kirchen und lockert das kirchliche Streikverbot

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.11.2012
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKircheStreikBAGDritter WegDiakonie1|8943 Aufrufe

 

Das BAG hat das umstrittene Streikverbot an kirchlichen Einrichtungen im Grundsatz bestätigt. Dies dürfte die wichtigste Erkenntnis zweier Grundsatzentscheidungen vom 20.11.2012 sein. Besonders bedeutsam ist die Entscheidung zum Dritten Weg in der Diakonie (1 AZR 179/11). Hier hatte die Vorinstanz, das LAG Hamm (hierzu Blog-Beitrag vom 15.1.2011), sehr gewerkschaftsfreundlich geurteilt und entschieden, dass in „verkündigungsfernen“ Bereichen, Streikmaßnahmen zulässig seien. Das BAG schließt sich dieser Sichtweise offenbar nicht an. Vielmehr führt es aus, dass der Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV auch die Entscheidung umfasse, die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten. Das schließe die Befugnis ein, die Regelung der Arbeitsbedingungen einer paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission sowie einer Schiedskommission mit einem unparteiischeBAGn Vorsitzenden zu übertragen. Allerdings erkennt das BAG dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht keinen absoluten Vorrang zu (dies wird vielfach vertreten), sondern stellt ihm die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften entgegen. Die grundrechtlich geschützten Belange will das BAG durch Herstellung praktischer Konkordanz ausgleichen. Das führe zu folgendem Ergebnis: „Verfügt eine Religionsgesellschaft über ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren, bei dem die Dienstnehmerseite und die Dienstgeberseite in einer paritätisch besetzten Kommission die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gemeinsam aushandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission lösen (sog. Dritter Weg), dürfen Gewerkschaften nicht zu einem Streik aufrufen. Das gilt jedoch nur, soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist.“ Damit kann der streikfreie „Dritte Weg“ fortgesetzt werden, wenn die Kirchen ihn entsprechend den höchstrichterlichen Vorgaben künftig besser organisieren. Eine zweite Entscheidung (1 AZR 611/11) befasst sich mit dem sog. „Zweiten Weg“, der den Abschluss von Tarifverträgen vorsieht, im Bereich der evangelischen Kirche aber Ausnahmecharakter hat. Die Bewertung der zentralen Entscheidung zum „Dritten Weg“ fällt sehr unterschiedlich aus. Nach Medienberichten sehen sich sowohl Diakonie und Caritas als auch die Gewerkschaft Verdi als Sieger. Verdi wolle nun Tarifverträge aushandeln. Führten die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis, könne es Arbeitskampf geben, kündigte Gewerkschafts-Chef Frank Bsirske an. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer betonte: „Es ist gut, dass ohne Gewerkschaften nichts läuft, wenn es um verbindliche Arbeitsbedingungen in kirchlichen Einrichtungen geht.“ Die Diakonie sollte das Verdi-Angebot annehmen, einen „Tarifvertrag Soziales“ abzuschließen. Damit ließe sich dem Dumpingwettlauf in der Pflegebranche ein Riegel vorschieben. Der Sekretär der Deutschen Bischofkonferenz, Hans Langendörfer, erklärte, die katholische Caritas werde an ihrem Weg festhalten, weil er gerechte Ergebnisse garantiere. Auch Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier sah die Kirchen bestätigt. Er forderte die Gewerkschaft auf, die «Grabenkämpfe» zu beenden. Zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird es wohl vorerst nicht kommen. Formal unterlegen war ja die evangelische Kirche, die mit diesen Urteilen wohl leben kann. Verdi müsste auf einen neuen Anlassfall warten. 

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1 Kommentar

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"wenn die Kirchen ihn besser organisieren" - ich finde solche Euphemismen immer wieder toll. Chapeau!

Die Politik der Kirchen als Arbeitgeber war doch bisher ganz klar grundgesetzwidrig - die Gewerkschaften aus den Arbeitnehmervertretungen herauszuhalten, also ein klarer Verstoß gegen Art. 9 (3) GG:

"Man muss ganz dezidiert sagen, dass gegenwärtig die Praktizierung des Dienstrechtes eigentlich nur dem Zweck dient, die Gewerkschaften aus der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen herauszuhalten. Und jetzt frage ich Sie: Wenn man die Gewerkschaften angesichts einer Landschaft, in der sich Arbeitgeberinteressen direkt formieren, heraushalten will, wem dient dann sozusagen das Konzept der Dienstgemeinschaft?" (Quelle)

Es ist schon verwunderlich, dass sich die Kirchen so gegen normale Tarifverträge sträuben (Beispiel: Diakonie droht mit Rauswurf), in Österreich klappt es doch auch und von einem Zusammenbruch des Sozialsystems ist aus dem Nachbarland nichts bekannt. Aber dort gibt es ja auch eine vernünftige Gesetzgebung zur Zeitarbeit, die Kannibalisierung durch Dumpinglöhne ausschließt.

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