Umgehung von § 613a BGB

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 29.10.2012

Die Versuche, die Rechtsfolgen des § 613a BGB beim Betriebsübergang zu umgehen, sind fast so alt wie die Vorschrift selbst. Berühmt geworden ist das "Lemgoer Modell", in dem der Betriebsveräußerer mit den Arbeitnehmern Aufhebungsverträge abschloss, die die Arbeitsverhältnisse zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs beenden sollten. Der Betriebserwerber schloss sodann neue Arbeitsverträge - mit dem ihm genehmen Arbeitnehmern und dem ihm genehmen Inhalt. Dadurch sollte sowohl der Übergang aller Arbeitsverhältnisse als auch der unveränderte Fortbestand des Vertragsinhalts verhindert werden. Wie kaum anders zu erwarten, hat das BAG dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben (BAG, Urt. vom 27.06.2002 - 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145; Urt. vom 25.10.2007 - 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367).

Betriebsübergang und Beschäftigungsgesellschaft

Grundsätzlich zulässig ist es demgegenüber, Arbeitnehmer im Zuge einer Restrukturierung in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) zu überführen. Hierin liegt kein Betriebsübergang, weil der Aufgabenbereich der BQG (Weiterbildung der Arbeitnehmer und Vermittlung) ein völlig anderer ist als der des Betriebsveräußerers. Auch der anschließende Wechsel von Arbeitnehmern aus der BQG in ein anderes Unternehmen ist kein Fall von § 613a BGB (BAG, Urt. vom 18.08.2005 - 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145).

Dass aber auch diese Gestaltung rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden kann, zeigt ein am 25.10.2012 vom BAG entschiedener Fall:

Rechtsmissbrauch beim Wechsel in die BQG für nur eine Stunde

Über das Vermögen der Arbeitgeberin war 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen zunächst fort und versuchte, es zu veräußern. Im März 2008 hatte die spätere Betriebserwerberin einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen, in dem sie sich verpflichtete, von den ca. 1.600 Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin nach dem Erwerb der Betriebsstätten über 1.100 unbefristet und 400 befristet zu beschäftigen. Danach schloss sie mit dem Insolvenzverwalter einen Kaufvertrag über die sächlichen Betriebsmittel. Im April 2008 vereinbarte der Insolvenzverwalter mit Betriebsrat und Gewerkschaft einen Interessenausgleich und Sozialplan zu einer „übertragenden Sanierung“. Dann wurde auf einer Betriebsversammlung am 03.05.2008 den Arbeitnehmern das Formular eines dreiseitigen Vertrags ausgehändigt, der das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 31.05.2008 und die Vereinbarung eines neuen Arbeitsverhältnisses ab dem 01.06.2008 00.00 Uhr mit der BQG vorsah. Außerdem wurden auf derselben Betriebsversammlung den Arbeitnehmern vier weitere von ihnen zu unterzeichnende Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin, beginnend am 01.06. um 00.30 Uhr vorgelegt. Ein Angebot beinhaltete einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Betriebserwerberin, die anderen drei sahen unterschiedlich lang befristete Arbeitsverhältnisse vor. Der Kläger unterzeichnete alle fünf Vertragsangebote. Die Betriebserwerberin nahm am 30.05.2008 das Angebot des Klägers für ein auf 20 Monate befristetes Arbeitsverhältnis an. Ab 01.06.2008 arbeitete der Kläger für diese und klagte im Juni 2009 auf Entfristung.

Die Klage hatte vor dem LAG Köln und dem BAG Erfolg. Wechseln Arbeitnehmer durch einen dreiseitigen Vertrag vom Betriebsveräußerer zu einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG), so ist diese Vereinbarung unwirksam, wenn es für den Arbeitnehmer klar erschien, dass alsbald seine Neueinstellung durch einen Betriebserwerber erfolgen werde. Die Beklagte kann sich auf die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den vom Kläger mit der BQG geschlossenen Arbeitsvertrag, der nur eine halbe Stunde bestand, nicht berufen. Nach den Umständen, unter denen dieser Vertrag zustande kam, erschien es klar, dass er dem Zweck diente, die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses zu unterbrechen und die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen. Dass der Kläger nicht dauerhaft aus dem Betrieb ausscheiden sollte, ergab sich für ihn sowohl aus den Rahmenvereinbarungen des Insolvenzverwalters als auch daraus, dass er gleichzeitig mit der Unterzeichnung des BQG-Angebotes vier Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin abzugeben hatte. (BAG, Urt. vom 25.10.2012 - 8 AZR 572/11)

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