BAG zur Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist bei der Kündigungsschutzklage

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 03.10.2012

Seit der Neuordnung des Verfahrens der nachträglichen Klagezulassung (§ 5 Abs. 4 KSchG) im Jahre 2008 hatte das BAG bislang kaum die Gelegenheit, sich zu Einzelheiten des Verfahrens und den tatbestandlichen Voraussetzungen zu äußern. Nach § 5 Abs. 1 KSchG ist eine verspätet, also mehr als drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhobene Klage (§ 4 Satz 1 KSchG), nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage fristgerecht zu erheben.

Der Fall

Der Kläger war seit 1983 als OP-Pfleger in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beschäftigt. Vom 12.06. bis 27.06.2009 hatte er Erholungsurlaub und hielt sich im Ausland auf. Bei seiner Rückkehr am 27.06.2009 fand er in seinem Briefkasten ein Kündigungsschreiben vom 25.06.2009 und ein weiteres vom 26.06.2009 vor. Im Schreiben vom 25.06.2009 erklärte die Beklagte eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines behaupteten „Arbeitszeitbetrugs" am 02.06.2009; im Schreiben vom 26.06.2009 erklärte sie eine außerordentliche Kündigung, weil der Kläger am 12.06.2009 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei, um seinen Urlaub vorzeitig anzutreten.

Der Kläger erhob am 09.07.2009 zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts Klage mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.06.2009 nicht aufgelöst worden sei. Er legte der Antragsstelle zwar das Kündigungsschreiben vom 26.06.2009, nicht aber das vom 25.06.2009 vor. Am 13.07.2009 suchte der Kläger einen Rechtsanwalt auf und zeigte ihm die Klageschrift vom 09.07.2009 sowie beide Kündigungsschreiben; am 16.07.2009 entzog er ihm die Vollmacht wieder. Tags darauf, am 17.07.2009, erhob der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage auch gegen die Kündigung vom 25.06.2009. In der Klagebegründung heißt es, das Schreiben vom 25.06.2009 sei dem Kläger zusammen mit dem zweiten Kündigungsschreiben am 27.06.2009 zugegangen. Die Beklagte behauptet demgegenüber, sie habe das Kündigungsschreiben vom 25.06.2009 noch am selben Tag in den Briefkasten des Klägers eingeworfen.

Der Rechtsstreit

Das Arbeitsgericht Regensburg hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen. Das LAG München hat sich in einer Beweisaufnahme davon überzeugt, dass das Kündigungsschreiben am 25.06.2009 (Donnerstag) in den Briefkasten des Klägers eingelegt worden sei. Die Klagefrist sei daher mit Ablauf des 16.07.2009 (Donnerstag) verstrichen. Die erst am 17.07.2009 (Freitag) erhobene Klage gegen die Kündigung vom 25.06.2009 sei daher verspätet. Darauf, dass der Kläger die Kündigung tatsächlich erst nach seiner Urlaubsrückkehr am 27.06.2009 (Samstag) zur Kenntnis genommen habe, komme es nicht an. Es wäre dem Kläger auch möglich gewesen, die Klage fristgerecht bis zum 16.07.2009 zu erheben. Die verspätete Klage sei daher nicht nachträglich zuzulassen.

Die Entscheidung des BAG

Das BAG hat die Auffassung des LAG bestätigt und die Revision zurückgewiesen:

Eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung werde gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugehe. Bei einer verkörperten Willenserklärung (wie hier der schriftlichen Kündigungserklärung) genüge es, dass sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt sei und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit bestehe, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (hier also am 25.06.2012). Unerheblich sei, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen habe (hier also am 27.06.2009) und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben könne diesem deshalb auch dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von einer urlaubsbedingten Ortsabwesenheit wisse. Die Kündigungsschutzklage sei nachträglich nur zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig beim Arbeitsgericht zu erheben. Dabei werde ihm das Verschulden eines (Prozess-)Bevollmächtigten an der Versäumung der gesetzlichen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet. Ein Irrtum über die für die Fristberechnung erheblichen tatsächlichen Umstände könne nur dann zur nachträglichen Klagezulassung führen, wenn er unverschuldet sei. Der Prozessbevollmächtigte müsse auch die mögliche Unrichtigkeit einer Parteiinformation in Betracht ziehen und bestehende Zweifel ausräumen. (BAG, Urt. vom 22.03.2012 - 2 AZR 224/11, BeckRS 2012, 72009)

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