Ein Urteil im Beschlussverfahren? - Von der Qualität juristischer Berichterstattung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.08.2012

Am 24.08.2012 berichteten mehrere Online-Medien über ein "Urteil" des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, Kernaussage: Schroffer Tonfall des Chefs ist noch kein Mobbing.

Kritik an der Arbeitsleistung berechtigt nicht zur Verweigerung der Arbeit

Die in einem Versicherungsunternehmen beschäftigte Arbeitnehmerin sei mehrfach mit verschiedenen Vorgesetzten aneinandergeraten, schließlich habe sie sich krankschreiben lassen. Aber auch nach ihrer Genesung habe sie sich trotz mehrfacher Aufforderung geweigert, an ihren Arbeitsplatz zurückzukommen. Darauf erhielt sie die fristlose Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung. Sie machte geltend, die Umgangsformen der Chefs ließen befürchten, dass sie alsbald wieder krank werde. Man grenze sie in der Firma systematisch aus, mobbe sie. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main folgte ihrer Argumentation nicht. Zwar konnte die Frau einen rauen Umgangston der Vorgesetzten, häufige Kritik an ihrer Arbeitsleistung sowie eine hohe Arbeitsbelastung nachweisen. Das berechtige sie aber nicht, die Arbeit einzustellen. "Mobbing" liege erst dann vor, "wenn unerwünschte Verhaltensweisen bewirken, dass die Würde des Arbeitnehmers verletzt" werde. So zitiert beispielsweise Spiegel Online aus dem "Urteil".

Verfahrensgegenstand ist (nur) die Zustimmungsersetzung, nicht die Kündigung

Nur: Das Verfahren trägt das Aktenzeichen 7 BV 162/12. Es handelt sich also um ein Beschlussverfahren (BV), und da ergehen, wie der Name schon sagt, gar keine Urteile, sondern nur Beschlüsse. Urteilsverfahren tragen beim Arbeitsgericht Ca-Aktenzeichen. Das wirft nicht nur die Frage nach der Qualität der Berichterstattung auf, sondern auch, was der Kündigungsrechtsstreit im Beschlussverfahren zu suchen hat. Die einzig sinnvolle Erklärung: Die Arbeitnehmerin ist Mitglied des Betriebsrats (oder eines anderen Organs der Betriebsverfassung). Die Arbeitgeberin braucht also vor der Kündigung dessen Zustimmung (§ 103 Abs. 1 BetrVG), und, wenn dieser sie nicht erteilt, die Zustimmung des Arbeitsgerichts (§ 103 Abs. 2 BetrVG). Eigentlich handelt es sich daher auch gar nicht um ein Kündigungsverfahren, sondern "nur" um das Verfahren der Zustimmungsersetzung. Materiell wird aber (natürlich) trotzdem die im Raum stehende Kündigung geprüft, denn nur wenn die Arbeitgeberin einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung hat (§ 626 Abs. 1 BGB), ersetzt das Arbeitsgericht die Zustimmung des Betriebsrats.

Leider ist auf der Homepage des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main keine Pressemitteilung zu diesem Verfahren veröffentlicht.

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9 Kommentare

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Mehr als der bloße falsche Fachbegriff hat mich an der Berichterstattung gestört, dass der Sachverhalt nur zur Hälfte dargestellt wird. Denn wenn es sich um ein Beschlussverfahren handelt, muss an der Sache ja "mehr" dran sein als die bloße Kündigung - z.B. eine Mitgliedschaft der Arbeitnehmerin im Betriebsrat. Davon aber habe ich nirgendwo etwas gelesen.

@ Johannes: Der link geht direkt auf die Seite der Pressemitteilungen des ArbG Frankfurt, damit die Leser dieses Blogs nicht auf der Homepage des Gerichts erst noch suchen müssen, wo sich die Pressemitteilungen versteckt halten.

Spiegel Online zeichnet sich m.E. schon seit geraumer Zeit durch journalistische Negativrekorde aus.

 

Im Übrigen lautet das korrekte Aktenzeichen 7 BV 162/12.

Werter Prof. Dr. Christian Rolfs, 

Danke für den Hinweis*.

Man sollte auch nochmals bei Urteilen daraufhin weisen, dass sie nur gültig sind wenn sie vom Richter unterschrieben sind.

ZPO § 315,  laut (1) ist „das Urteil ... von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben“.   

Wie ist das bitte bei Vergleichen? Gilt da auch § 315? sie vom Rihcter unterschrieben sind 

 

MfG

Harald Bulling

*http://www.haufe.de/recht/arbeits-sozialrecht/umgangsformen-im-betrieb-rauer-ton-oder-schon-mobbing_218_134452.html 

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Bei der Rheinischen Post gehen Rechtsbegriffe besonders munter durcheinander. Neben Beschluss und Urteil werden auch Berufung und Revision sowie Einspruch und Widerspruch oder auch Senat und Kammer gern verwechselt. Gelegentlich wird zu einer Entscheidung das Aktenzeichen genannt, nicht aber das Gericht. Die schönste "Erfindung" aber war vor einigen Jahren das Oberlandesverwaltungsgericht.

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Dann hoffen wir mal, dass die Berichterstattung über Sachen, von denen wir weniger verstehen als von der Juristerei, nicht genauso schlampig ist. Denn es könnte schon einen Unterschied machen, ob jemand 1 Million, 1 Milliarde oder 1 Billion Euro Schulden hat.

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Der Unterschied:

1 Million: du musst bei den Banken klinken putzen und ihnen Haut und Haare als Sicherheit verpfänden

1 Milliarde: die Banken geben sich bei dir die Klinke in die Hand, Sicherheiten sind nur Formalitäten, die nicht überprüft werden (siehe FlowTex, Balsam/Procedo, Parmalat, Jürgen Schneider u.v.a.m.)

1 Billion: du ist "systemrelevant" und ganze Staaten bürgen auf Kosten ihrer Steuerzahler für dich (ohne Sicherheiten selbstverständlich)

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