AG Saarbrücken: Bei ES 3.0 muss man nicht alles bis ins Letzte verstehen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.08.2012
Rechtsgebiete: esoAG SaarbrückenStrafrechtVerkehrsrecht4|5729 Aufrufe

Vor einigen Wochen lief an dieser Stelle eine Entscheidung des AG Landstuhl zu eso ES 3.0 - der Kollege dort hatte freigesprochen. Andere AGe machen da nicht so mit, so etwa das AG Saarbrücken:

 

 Nach Auffassung des Gerichts handelte es sich bei vorliegender Messung mit dem Messgerät ES 3.0 der Fa. ESO - Software-Version 1.003 - um eine uneingeschränkt verwertbare Messung im standardisierten Meßverfahren.

Insofern konnte sich das Gericht nicht der Auffassung des AG Kaiserslautern (Az.: 6270 Js 9747/11 Owi), des AG Landstuhl (Az.: 4286 Js 123000/10 Owi) und des AG Groß-Gerau (Az.: 30 Owi 1439 Js 51481/10) anschließen und hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (22 Owi 61 Js 188/11 [367/11]) fest.

Denn entscheidend ist, dass jedes Geschwindigkeitsmessgerät, bevor es eingesetzt wird und eingesetzt werden darf, einer ausgiebigen Sachverständigen-Überprüfung und in der Folge Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt [PTB] unterliegt.

Alle beurteilungsrelevanten technischen Daten stehen hierbei der PTB zur Verfügung, die somit die Messwertbildung sachkundig einschätzen kann und auf dieser Grundlage Kriterien herausarbeitet, wie eine Messung zu erfolgen hat und an Hand welcher Anhaltspunkte beurteilt werden kann, ob eine Messung ordnungsgemäß ist oder nicht.

Das heißt, es findet in diesem Stadium sehr wohl eine sachverständige Prüfung statt, bei welcher die technischen Einzelheiten zur Messwertbildung bekannt sind.

Dieses PTB-Zulassungs-Verfahren ist gesetzlich vorgeschrieben, womit zum einen sicherlich bezweckt ist, ordnungsgemäße Messungen und Messergebnisse zu gewährleisten; zum anderen soll dadurch nach Auffassung des erkennenden Gerichts aber auch vermieden werden, dass Geschwindigkeitsmessungen mit - vorab - überprüften Messgeräten in jedem Einzelfall einer Prüfung unterzogen werden müssen.

Ansonsten wären gerichtsverwertbare Geschwindigkeitsmessungen in dem angesichts des massenhaften Verkehrsaufkommens und der zahlreichen Verkehrsverstöße erforderlichen Ausmaß faktisch nicht mehr möglich.

Dieses Zulassungsverfahren dient somit nicht in erster Linie dem Schutz der Betriebsgeheimnisse des Herstellers, sondern soll eine praktikable Handhabung auf definiert hohem technischen Niveau zur Ermittlung massenhaft vorkommender Geschwindigkeitsverstöße ermöglichen, was für eine gefahrenminimierte Teilnahme am Straßenverkehr für alle Verkehrsteilnehmer unabdingbar ist.

Die Kritik an dem Umstand, dass herstellerseits nicht alle technischen Daten zur Messwertbildung offen gelegt werden, richtet sich im Ergebnis daher gegen das gesetzlich vorgegebene PTB-Zulassungs-Verfahren und nicht gegen die - mangelnde - Überprüfbarkeit der Messung im Einzelnen.

Dem Einwand, die Verteidigung sei unangemessen eingeschränkt auf Grund des Erfordernisses, konkrete und substantiierte Anhaltspunkte für eine etwaige Fehlmessung vortragen zu müssen, wozu sie aber wegen Unkenntnis der Funktionsweise des Geräts nicht in der Lage sei, ist folgendes entgegenzuhalten:

Sowohl der Hersteller als auch die PTB liefern mit der Bedienungsanleitung bzw. der Zulassung die Kriterien, um eine Messung überprüfen zu können, insbesondere ob sie ordnungsgemäß ist.

Hierzu gehören u.a. Art und Weise des Aufbaus des Messgeräts, Übertragung der Fahrbahnneigung auf den Sensorkopf, Überprüfung der Eich- und Prüfsiegel, gültige Eichung des Messgeräts, Dokumentation der Fotolinie, plausible Fotoposition des gemessenen Fahrzeugs sowie plausibler Abstand zwischen Sensor und Fahrzeug.

Diese Kriterien sind aufgestellt worden auf der Grundlage einer eingehenden sachverständigen Prüfung in Kenntnis der technischen Details der Funktionsweise d. Geräts, so dass es nach Auffassung des Gerichts nicht von Belang ist, dass diese Kriterien isoliert betrachtet keinen Aufschluss über die technischen Zusammenhänge der Messwertbildung geben. Hieran " rütteln" zu wollen, hieße, das gesetzlich vorgegebene PTB-Zulassungs-Verfahren in Frage zu stellen.

Es ist daher der obergerichtlichen Rechtsprechung folgend an dem Grundsatz festzuhalten, dass, wenn eine ordnungsgemäße Messung angezweifelt wird, hierzu konkrete Anhaltspunkte auf Grundlage der betreffenden Kriterien vorgebracht werden müssen:

Beruht die Überzeugung des Tatrichters von einem Verkehrsverstoß auf Messergebnissen, die in einem weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren gewonnen worden sind, ist auf mögliche Fehlerquellen nach allgemein anerkannter Spruchpraxis in den Urteilsgründen nur einzugehen, wenn der Einzelfall dazu konkrete Veranlassung gibt. Denn die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Werts um einen - systemimmanenten Messfehlern Rechnung tragenden - Toleranzwert gerade den Zweck, die Ermittlungsbehörden und die Gerichte von der sachverständigen Betrachtung und Erörterung des Regelfalls, aber auch von der Überprüfung, ob das Messverfahren bei regelgerechter Anwendung generell geeignet ist, zu richtigen Messergebnissen zu führen, freizustellen.

Bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät ES 3.0 der Fa. ESO handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Zulassung durch die PTB gehen umfangreiche Prüfungen eines Mustergeräts unter Labor- und Nenngebrauchsbedingungen voraus.

Dazu gehören insbesondere Messreihen, deren Ergebnisse mit denen der hochgenauen Referenzgeräte der PTB verglichen werden.

Nur wenn diese Prüfungen ergeben, dass das Messgerät Gewähr dafür bietet, dass es während der Gültigkeitsdauer der Eichung im Rahmen der zulässigen, zu Gunsten Betroffener in Abzug zu bringender Fehlertoleranzen ausnahmslos richtige Messergebnisse liefert, wird die Zulassung erteilt [Saarl. OLG, Beschluss v. 17.01. 2012, Az.: Ss (Z) 218/2012 [27/12]).

Durch die amtliche Zulassung eines Messgeräts bestätigt die physikalisch-technische Bundesanstalt, dass sie die Ermittlung des Messwerts auf der Grundlage der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer Sachverständigenprüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat.

Die Kenntnis von der Funktionsweise des Geräts ist durch die amtliche Zulassung des Geräts in den Fällen entbehrlich, in denen das Gerät vorschriftsmäßig eingesetzt worden ist [KG Berlin, Beschluss vom 30.06. 2010, Az.: 3 Ws [W] 213/10].

Da vorliegend keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung ersichtlich waren, ging das Gericht von ordnungsgemäßer Messung im standardisierten Messverfahren aus. Das Vorbringen seitens des Betroffenen, die Fotolinie sei nicht dokumentiert, es sei nicht erkennbar, auf welchem Untergrund das Gerät aufgebaut und ob die Fahrbahnneigung auf den Sensor übertragen worden sei, mögliche Unebenheiten auf der Fahrbahn seien nicht berücksichtigt, konnten im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung widerlegt bzw. geklärt werden: Die Lichtbilder, auf die gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird, belegen, dass die Fotolinie mit entsprechenden Markierungen nachvollziehbar dokumentiert ist. Der Aussage des Zeugen war zu entnehmen, dass das Messgerät auf festem Untergrund aufgebaut war, die Fahrbahnneigung mittels Neigungswasserwaage auf den Sensor übertragen worden war und es während der gesamten Messung keine Veränderungen gab, ferner, dass es im Messbereich keine auffälligen und damit relevanten Unebenheiten gab.

 

AG Saarbrücken, Beschl. v. 25.5.2012 - 22 OWi 68 Js 331/12 (251/12)

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4 Kommentare

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Traurig ist ja, dass die Rechtsschutzversicherungen diesen ganzen Affenzirkus der Verteidiger mitmachen. Beweisanträge über Beweisanträge, selbst wenn kein Fahrverbot im Raum steht.

 

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Im Grunde eine absolut nachvollziehbare, vernünftige Entscheidung, wären da nicht die Unzulänglichkeiten in den Gebrauchsanweisungen und manchmal auch in der Arbeit der PTB. Zu dem ersten Punkt gab es ja wohl kürzlich eine recht umfangreiche Veröffentlichung.

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@ Kallemann: Das sehe ich genauso. Aber die Gerichte können ja wad dagegen tun. Wenn bei jedem Verteidigervortrag sofort ein Gutachten eingeholt würde, wären die Verfahrenskosten schnell bei 2.500 € pro OWi. Dann würden die Versicherungen sehr schnell überlegen, ob sie sowas weiter finanzieren wollen...

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Nach meiner Auffassung ist das Urteil nicht nachvollziebar oder auch nur vernüftig. Es ist schlichtweg falsch. Durch das Urteil wird dem Betroffenen eine Strafe bzw. vermutlich ein Bußgeld auferlegt. Nach dem wir uns glücklicherweise in einem Rechtsstaat befinden, muss dem Betroffenen für die Auferlegung eines Bußgelds nachgewiesen werden, dass er die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Diese Beweispflicht hat die Rechtsprechung mit der Erfindung des standardisierten Messverfahren bereits eingeschränkt. Im Hinblick auf das "Massenverfahren Owi" wird man mit dieser Einschränkung jedoch auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten leben können und müssen. Voraussetzung ist dann jedoch, dass dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet wird, Einwendungen gegen die Richtigkeit der Messung vorzubringen. Diese Möglichkeit besteht beim ESO ES 3.0 derzeit jedoch nicht, da im Detail nicht bekannt ist, wie die Messdaten ermittelt werden. Da hilft es auch nicht, dass das Messgerät von der PTB überprüft wurde. Die begrenzte Anzahl von Messreihen bei der Überprüfung durch die PTB kann niemals alle Situationen des späteren Einsatzes des Messgerätes abbilden. Aus diesem Grund muss dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet sein, an Hand der konkreten Messsituation die Messung zu überprüfen.

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