Meine Frau in China

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 01.08.2012
Rechtsgebiete: Familienrecht5|5240 Aufrufe

 

Der Antragsteller (deutscher Staatsangehöriger) lebte einige Zeit in China. Dort heiratete er eine Chinesin.

Nach Deutschland zurückgekehrt bezieht er nunmehr Leistungen nach em SGB II.

Seine Ehefrau ist in China geblieben.

Vom Sozialamt verlangt er mit Blick auf Art. 6 I GG, dass dieses einmal im Quartal die Kosten einer zehntägigen Reise zu seiner Ehefrau nach China (einschließlich der Aufwendungen für die Beschaffung des für die Einreise in die VR China erforderlichen Visums, für die Registrierung des Aufenthaltes bei der örtlichen Ausländerbehörde in China, für die Beschaffung von Landeswährung {Bankwechselgebühren} sowie Verpflegungsmehraufwendungen und ggf. Übernachtungsmehraufwendungen i. S. des BRKG, sowohl während der An-und Abreise zum bzw. vom Wohnort als auch zur örtlichen Ausländerbehörde) übernimmt.

(Wenig überraschend?) abgelehnt:

Zwar umfasst der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auch das Recht auf ein eheliches Zusammenleben, wie es der Antragsteller geltend macht.

Insoweit ist aber schon nach dem Vortrag des Antragstellers zweifelhaft, ob er ein solches unter dem Schutz des Grundgesetzes stehendes eheliches Zusammenleben überhaupt anstrebt. Das verfassungsrechtliche Bild von Ehe und Familie wird von den auch im Allgemeinen prägenden Regelungen der §§ 1353 Abs. 1 S. 2, 1626 ff. BGB bestimmt, denen die Vorstellung zugrunde liegt, dass die Ehegatten einander in ehelicher Lebensgemeinschaft verbunden sind und jedenfalls minderjährige Kinder Pflege und Erziehung im häuslichen Zusammenleben mit ihren Eltern erfahren. Die Bildung einer derartigen Lebensgemeinschaft ist im Falle des Antragstellers aber auch unter Durchführung regelmäßiger Besuchsreisen nicht ersichtlich. Eine Fernbeziehung in der Ehe ist zwar unter Berücksichtigung der wachsenden Mobilität in der Gesellschaft nicht ungewöhnlich, entspricht aber gleichwohl nicht dem Bild des Grundgesetzes der angestrebten ehelichen Lebensgemeinschaft und ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in gleicher Weise aus verfassungsrechtlicher Sicht förderungswürdig wie die dem Bild des Grundgesetzes entsprechende Ehe, der für den Fortbestand der gesellschaftlichen Ordnung erhöhte Bedeutung zukommt.

Zwar erwächst aus Art. 6 GG nicht nur eine Institutsgarantie, sondern auch eine allgemeine Wertentscheidung, aus der die allgemeine Verpflichtung des Staates u. a. zu einem Familienlastenausgleich folgt. Dies bedeutet aber nicht, dass der Staat hier die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern hätte. Vielmehr steht die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen stets unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Das Schutz- und Förderungsgebot geht nicht soweit, dass der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie (und damit erst Recht nur die Ehe, die gegenwärtig jedenfalls nicht auf die Bildung einer Familie im Sinne des Grundgesetzes gerichtet ist) treffende Belastung auszugleichen. Das Förderungsgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG ist daher schon wegen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit nicht geeignet, konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen zu begründen.

LSG Hessen v. 06.07.2012 - L 7 AS 275/12 B ER

 
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5 Kommentare

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Mutige Worte des LSG, wenn man bedenkt, dass das GG gerade nicht statisch und auf ein konkretes Ziel ausgerichtet ist, sondern sich in seiner Interpretation der gesellschaftlichen Entwicklung anpasst. Das Ergebnis mag stimmen, die Begründung hinkt.

Wieso gesellschaftliche Entwicklung? Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft steht seit über 100 Jahren in 1353 BGB. Und wenn der Gesetzgeber daran seither nichts geändert hat außer der gegenseitigen Verantwortung (die aus der Ferne auch nur schwer wahrnehmbar ist), dann bedeutet das eben keinen wesentlichen Wandel dessen, was Ehe und Familie bedeutet: nämlich zusammen zu leben und Kinder großzuziehen (nur die Besetzungsliste hat sich gesellschaftlich gewandelt, aber nicht der Rahmen!)

Wenn der Mann nichts unternimmt, dieses Zusammenleben herbeizuführen, kann er die Mehrkosten seiner persönlichen Entscheidung nicht der Allgemeinheit aufbürden. That's it ...

Dem wage ich zu widersprechen. Es mag sein, dass § 1353 BGB die Verpflichtung zu ehelichen Lebensgemeinschaft sieht. Die Ehepartner können aber im gegenseitigen Einverständnis eine abweichende Lebensgestaltung vereinbaren. 

Darüber hinaus sieht das EStG bei einer Erwerbstätigkeit Abzugsmöglichkeiten für die Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung und von Familienheimfahrten vor. Insoweit kann man nicht davon sprechen, dass der Gesetzgeber den Eheleuten eine bestimmte Lebensgestaltung vorschreibt.

Im Ergebnis ist die Entscheidung richtig, die Begründung überzeugt nicht so ganz.

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Ernst Hagen schrieb:
Die Ehepartner können aber im gegenseitigen Einverständnis eine abweichende Lebensgestaltung vereinbaren.
und haben darum die Kosten dieser Vereinbarung selbst zu tragen (da sie ja juristisch gesehen eine "Pflichtverletzung" begehen).

Ernst Hagen schrieb:
Darüber hinaus sieht das EStG bei einer Erwerbstätigkeit Abzugsmöglichkeiten für die Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung und von Familienheimfahrten vor.
Das setzt aber voraus, dass es überhaupt einen gemeinsamen, im Inland begründeten "Familiensitz" gibt, an dem beide mit Hauptwohnsitz angemeldet sind. Das ist hier nicht der Fall.

Ich darf an dieser Stelle mal auf ein Urteil des LSG Rheinland-Pfalz verweisen. Hier wurde einem von seinen Kindern getrenntlebenden Vater (die Kinderbesitzerin ist mit dem Nachwuchs zum neuen Lover nach Los Angeles verzogen) die Erstattung seiner Aufwendungen zur Durch-führung des gerichtlich beschlossenen Umgangsrechtes (das auch eine Pflicht des Vaters ist) von der ARGE erstritten.

 

http://www3.justiz.rlp.de/rechtspr/DisplayUrteil.asp?rowguid=%7BE9D4F75F-B599-469C-931F-BFADFD917F11%7D

 

 

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