Stress durch Zielvereinbarung – Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.07.2012

 

Zielvereinbarungen sind weiterhin auf dem Vormarsch. In arbeitsrechtlicher Hinsicht gibt es allerdings noch manche unbeantwortete Frage. So stellt sich insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Betriebsrat Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit der Vereinbarung und Durchführung von Zielvereinbarungen reklamieren kann. In diesem Zusammenhang ist eine neuere Entscheidung des LAG Hamm (Beschluss vom 9.3.2012 – 13 TaBV 100/10) bemerkenswert. In diesem Verfahren machte der Betriebsrat Unterrichtungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend. In dem Betrieb der beklagten Arbeitgeberin wurden seit Jahren mit den derzeit Firmenkundenberatern so bezeichnete "Zielvereinbarungen" geschlossen. Darin wurden, ausgehend von der Hauptaufgabe der Betreuung, der Beratung und des Verkaufs, für die Bereiche Markt und Ergebnis, Risiko und Aktivitäten festgelegt, welche Resultate der Mitarbeiter erreichen soll und wie festgestellt werden kann, ob und in welcher Qualität das Ziel erreicht wurde. Vorgesehen waren zudem monatliche „Zielabgleichungsgespräche“. Der Betriebsrat hatte die Auffassung vertreten, ihm stünden die Auskünfte über die mit den einzelnen Mitarbeitern vereinbarten Ziele jedenfalls unter dem Gesichtspunkt seines Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass mit der Zielerfüllung ein unzulässiger und gesundheitsschädlicher Druck verbunden sei. Das LAG gab dem Betriebsrat im Ergebnis recht. Der Anspruch folge aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG. Danach ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu informieren. Zu den Aufgaben im Sinne der genannten Norm gehörten alle im Katalog des § 80 Abs. 1 BetrVG genannten allgemeinen Aufgaben, und zwar unabhängig vom Vorliegen spezifischer Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Denn die Unterrichtung solle es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich für ihn Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dabei genüge eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Die Grenzen des Auskunftsanspruchs lägen erst dort, wo ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht in Betracht kommt.  Nach diesen Grundsätzen sei hier der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates in vollem Umfang gegeben. Es könne nicht festgestellt werden, dass für die reklamierten Auskünfte offensichtlich, also klar erkennbar, kein betriebsverfassungsrechtliches Beteiligungsrecht ersichtlich ist. Im Gegenteil – so das LAG - bedarf der Betriebsrat der erforderlichen Unterrichtung, um namentlich anhand des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, in jedem Fall aber im Rahmen des § 88 Nr. 1 BetrVG sachgerecht prüfen zu können, ob mit der Einführung sogenannter Zielvereinbarungen und Planungsübersichten für die betroffenen Berater im Bereich des Gesundheitsschutzes Gefährdungen oder sogar Schädigungen verbunden sein können (vgl. auch § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 BetrVG).

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stoffels schrieb:

 

Zielvereinbarungen sind weiterhin auf dem Vormarsch. In arbeitsrechtlicher Hinsicht gibt es allerdings noch manche unbeantwortete Frage. So stellt sich insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Betriebsrat Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit der Vereinbarung und Durchführung von Zielvereinbarungen reklamieren kann. In diesem Zusammenhang ist eine neuere Entscheidung des LAG Hamm (Beschluss vom 9.3.2012 – 13 TaBV 100/10) bemerkenswert. In diesem Verfahren machte der Betriebsrat Unterrichtungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend. In dem Betrieb der beklagten Arbeitgeberin wurden seit Jahren mit den derzeit Firmenkundenberatern so bezeichnete "Zielvereinbarungen" geschlossen. Darin wurden, ausgehend von der Hauptaufgabe der Betreuung, der Beratung und des Verkaufs, für die Bereiche Markt und Ergebnis, Risiko und Aktivitäten festgelegt, welche Resultate der Mitarbeiter erreichen soll und wie festgestellt werden kann, ob und in welcher Qualität das Ziel erreicht wurde. Vorgesehen waren zudem monatliche „Zielabgleichungsgespräche“. Der Betriebsrat hatte die Auffassung vertreten, ihm stünden die Auskünfte über die mit den einzelnen Mitarbeitern vereinbarten Ziele jedenfalls unter dem Gesichtspunkt seines Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass mit der Zielerfüllung ein unzulässiger und gesundheitsschädlicher Druck verbunden sei. Das LAG gab dem Betriebsrat im Ergebnis recht. Der Anspruch folge aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG. Danach ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu informieren. Zu den Aufgaben im Sinne der genannten Norm gehörten alle im Katalog des § 80 Abs. 1 BetrVG genannten allgemeinen Aufgaben, und zwar unabhängig vom Vorliegen spezifischer Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Denn die Unterrichtung solle es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich für ihn Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dabei genüge eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Die Grenzen des Auskunftsanspruchs lägen erst dort, wo ein Beteiligungsrecht offensichtlich nicht in Betracht kommt.  Nach diesen Grundsätzen sei hier der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates in vollem Umfang gegeben. Es könne nicht festgestellt werden, dass für die reklamierten Auskünfte offensichtlich, also klar erkennbar, kein betriebsverfassungsrechtliches Beteiligungsrecht ersichtlich ist. Im Gegenteil – so das LAG - bedarf der Betriebsrat der erforderlichen Unterrichtung, um namentlich anhand des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, in jedem Fall aber im Rahmen des § 88 Nr. 1 BetrVG sachgerecht prüfen zu können, ob mit der Einführung sogenannter Zielvereinbarungen und Planungsübersichten für die betroffenen Berater im Bereich des Gesundheitsschutzes Gefährdungen oder sogar Schädigungen verbunden sein können (vgl. auch § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 BetrVG).

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