BAG erschwert Kettenbefristungen – Fall Kücük

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.07.2012

 

Die mit großer Spannung erwartete Entscheidung des BAG in der Rechtssache Kücük ist am 18.7. (7 AZR 443/09) ergangen. Die am Tag darauf ergangene Pressemitteilung (Nr. 54/12) gibt erste Hinweise, wohin die Reise künftig gehen wird. Der Ausgangsfall stellt sich wie folgt dar: Die Klägerin war beim Land Nordrhein-Westfalen als Justizangestellte beschäftigt und aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Das LAG Köln hatte jedoch die Befristungskontrollklage abgewiesen. Der daraufhin im Zuge der Revision mit der Sache befasste Siebte Senat des BAG hatte allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. 11.2010 (NZA 2011, 34) den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte. Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26.1.2012 (NZA 2012, 135), der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, stehe weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Hiervon ausgehend entschied der Siebte Senat jetzt, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegenstehe, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden könne. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspreche den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen. Es seien dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen. Der Siebte Senat hob das Urteil des LAG Köln auf und verwies den Rechtsstreit an das LAG zurück, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.

Eine erste Einschätzung dieser Entscheidung auf der Grundlage der Pressemitteilung ist schwierig. Das BAG wiederholt im Grunde nur die sehr vagen Aussagen des EuGH. Klare Kriterien, wann ein Rechtsmissbrauch vorliegt, werden nicht genannt. Insbesondere haben die Richter offenbar davon abgesehen, Zeiträume festzulegen, ab wann der Missbrauch beginnt oder zumindest vermutet werden kann (vgl. hierzu den Vorschlag von (Brose/Sagan, NZA 2012, 308). Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe hier konkreter werden oder ob das künftigen Entscheidungen vorbehalten werden soll. Die Pressemitteilung hebt jedenfalls den Ausnahmecharakter des Missbrauchs sehr deutlich hervor, was für eher hohe Anforderungen spricht. Für diese Einschätzung spricht aus ein zweites, am selben Tag, bekanntgegebenes Urteil des Siebten Senats (7 AZR 783/10). Hier wies der Senat die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1.3.2002 bis zum 30.11.2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung war nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gab es nach Ansicht des Senats keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs. Auswirkungen dürfte das Urteil in Sachen Kücük vor allem für den öffentlichen Dienst haben. Denn dort trifft man am häufigsten auf problematische Befristungsketten. Der Fall Kücük steht dafür exemplarisch. 

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