BAG: Keine Annahmeverzugsvergütung bei Streikteilnahme

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.07.2012
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBAGAnnahmeverzugStreikteilnahme3|4214 Aufrufe

 

Ein interessante Konstellation im Schnittbereich von Arbeitskampfrecht und Individualarbeitsrecht hatte jetzt das BAG (Urteil vom 17.7.2012 - 1 AZR 563/11) zu entscheiden: Steht einem Arbeitnehmer, dem fristlos gekündigt worden war und der im anschließenden Kündigungsschutzprozess erfolgreich war, für die Zeit vom Zugang der Kündigung bis zur Verkündung des die Unwirksamkeit der Kündigung feststellenden Urteils Annahmeverzugslohn auch dann zu, wenn er sich in diesem Zeitraum an einem Streik beteiligt? Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zu Grunde: Nachdem bei der Beklagten Verhandlungen über den Abschluss eines Haustarifvertrags gescheitert waren, rief die IG BAU die Beschäftigten am 13. April 2010 zu einem unbefristeten Streik auf. Während des Arbeitskampfes wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2010 fristlos gekündigt. Mit Urteil vom 14. Juli 2010 stellte das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit dieser Kündigung fest. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Klägerin durchgehend am Streik beteiligt. Mit ihrer Klage verlangt sie Annahmeverzugslohn für die Zeit vom Zugang der Kündigung bis zur Urteilsverkündung. Sie macht geltend, nach Erhalt der Kündigung habe sie nicht mehr im Rechtssinne streiken, sondern sich nur noch mit den streikenden Kollegen solidarisch erklären können. Das BAG bestätigt die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Annahmeverzugslohn nicht zu. Aufgrund des der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils stehe zwar fest, dass zwischen den Parteien auch während der Dauer des Arbeitskampfes ein Arbeitsverhältnis bestand. Doch sei die Klägerin wegen ihrer Streikteilnahme leistungsunwillig iSd. § 297 BGB gewesen. Das schließe einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB aus. Diese Sichtweise wird von der ganz h.M. geteilt. Der Weg über § 297 BGB mutet jedoch etwas sonderbar an, fehlt es doch aufgrund der Streikteilnahme und der damit einhergehenden Suspendierung der Hauptleistungspflichten schon an einem erfüllbaren Arbeitsverhältnis und damit an der Grundlage für einen Annahmeverzugsanspruch. 

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3 Kommentare

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stoffels schrieb:

 

 Der Weg über § 297 BGB mutet jedoch etwas sonderbar an, fehlt es doch aufgrund der Streikteilnahme und der damit einhergehenden Suspendierung der Hauptleistungspflichten schon an einem erfüllbaren Arbeitsverhältnis und damit an der Grundlage für einen Annahmeverzugsanspruch. 

 

In der Tat! Der 9. Senat des BAG hatte im Urteil vom 23. 01. 2001 (9 AZR 26/00), in: NJW 2001, 1964, in einem zwar nicht vom Sachverhalt aber rechtsdogmatisch vergleichbaren Fall lapidar ausgeführt: "Ist der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht befreit, schuldet er keine Dienste. Er kann sie dem Arbeitgeber nicht anbieten." Dann besteht schon deshalb kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Auf § 297 BGB kann es somit nicht ankommen.

Hallo Herr Bender,

ich habe das Urteil nicht gelesen, aber würde die Begründung "Ohne Arbeitsverpflichtung kein Annahmeverzug" nicht bedeuten, dass sich der Arbeitgeber durch Freistellung des Arbeitnehmers selbst von der Zahlungspflicht befreien kann?

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@ #2 (User "I.S."):

 

Die Frage kann sich m. E. so nicht stellen. Im von Prof. Dr. Stoffels vorgestellten Fall handelte ging es um eine fristlose Kündigung. Die Freistellung bis zum Ablauf der ordentl. Kündungsfrist erübrigt sich folglich. Ist hingegen eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, hat der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist seinen regulären Lohnanspruch, mag der Betreffende freigestellt sein oder nicht. Folglich kommt es dann auf Annahmeverzug nicht an.

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