Bindung an eine telefonisch erklärte Kündigung?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 05.07.2012

 

Die Betreiber eines Friseursalons kündigten einer Friseurin fristlos, die sich dagegen mit einer Kündigungsschutzklage wehrte. Im Mittelpunkt des Verfahrens vor dem LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 8.2.2012, BeckRS 2012, 70135) stand jedoch doch die Vorfrage, ob das Arbeitsverhältnis nicht bereits zuvor durch eine Eigenkündigung der Klägerin beendet worden war. Das LAG nahm das an und bestätigte - insoweit folgerichtig – das die Kündigungsschutzklage abweisende Urteil der ersten Instanz. Insoweit war folgender Sachverhalt zu würdigen: Die Klägerin hatte am 23.3.2010 gegen 9.00 Uhr ihren Arbeitgebern telefonisch erklärt, sie kündige fristlos. Auf den Einwand der bevorstehenden Osterfeiertage hin hat sie mit der Bemerkung „das ist mir egal“ ihre Erklärung bekräftigt und die Aufforderung, doch wenigstens die Kündigungsfrist einzuhalten, mit den Worten „das ist mir scheißegal“ geantwortet. Später gab die Klägerin vor, sie könne sich nicht daran erinnern, fristlos gekündigt zu haben. Das LAG bewertet dies wie folgt: „Bei dieser Sachlage ist es der Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf …. auf die Nichteinhaltung der Schriftform (§ 623 BGB) zu berufen. Insoweit greift nämlich der Grundsatz des sog. „venire contra factum proprium“ (widersprüchliches Verhalten), wonach die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer eigenen Willenserklärung dann als rechtsmissbräuchlich angesehen wird, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Ein Arbeitnehmer, der - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - eine fristlose Kündigung mehrmals - und zwar entgegen den Vorhaltungen der anderen Seite - ernsthaft und nicht nur einmalig spontan ausgesprochen hat, sich sodann nachträglich jedoch auf die Unwirksamkeit der eigenen Erklärung beruft, verhält sich treuwidrig (vgl. BAG v. 04.12.1997, NZA 1998, 420). Der Klägerin ist es daher verwehrt, sich zu ihrem Vorteil auf Rechtsvorschriften zu berufen, die sie selbst missachtet hat.“ Das vermag allerdings kaum zu überzeugen. Die zitierte Entscheidung des BAG stammt vor der Einführung des Schriftformerfordernisses. Die Warnfunktion des § 623 BGB zielt darauf, dem Erklärenden Gelegenheit zu geben, seinen spontanen Kündigungsentschluss zumindest noch einmal zu überdenken. Dieser Übereilungsschutz wird missachtet, wenn die Arbeitnehmerin an eine telefonisch erklärte Kündigung gebunden wird, die sie – erkennbar – in einem Zustand der Verärgerung abgegeben hat. Dass sie im Verlaufe dieses (einen) Telefonats die Kündigung mehrfach bekräftigte, spielt demgegenüber keine Rolle. Generell sollte man bei der Überwindung der Nichtigkeit einer Kündigung wegen Nichtbeachtung des Schriftformerfordernisses aus § 623 BGB über den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung eher zurückhaltend sein. 

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5 Kommentare

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In der Tat kann man hier nur zum Gang vors BAG raten.

Nachvollziehbar wäre ein solches Urteil für mich allenfalls, wenn die Arbeitnehmerin einige Tage später ihre Kündigung nochmals mit der gleichen Vehemenz (fern-)mündlich bestätigt hätte.

Dass ein Mensch aber in solch einem aufgebrachten Zustand, wie es diese Arbeitnehmerin während des Telefonats offensichtlich war, für Argumente wie "Schriftformerfordernis" völlig unempfänglich ist, liegt auf der Hand. Dies hätten die Gerichte entsprechend berücksichtigen müssen.

Mithin bietet dieses Urteil Räume für Missbrauch. In Zukunft könnten Arbeitgeber, die einen missliebigen Arbeitnehmer durch eine rechtlich unhaltbare Kündigung loswerden möchten, sich darauf berufen, der Arbeitnehmer hätte bereits selbst telefonisch die Kündigung erklärt, sich auch durch Beschwichtigungsversuche davon auch nicht abbringen lassen und die Sekretärin und der Assistent wären bei dem Telefonat zufällig zugegen gewesen.

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Mit Blick auf § 623 BGB sehr erstaunlich, dass das LAG die Revision nicht zugelassen hat. Ich kann mir nämlich tatsächlich nicht vorstellen, dass das BAG die Entscheidung so aufrecht erhalten würde. In einem Urteil vom 12.03.2009 - 2 AZR 894/07 hieß es unter anderem:

 

Mit der Frage, ob ein Arbeitnehmer, der sich auf die Unwirksamkeit der zuvor von ihm selbst ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung beruft, treuwidrig verhält, hat der Senat sich wiederholt befasst. Er hat sie überwiegend bejaht ... Allerdings hat er - insoweit anders als das Landesarbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung - dem Arbeitnehmer ein solches Vorgehen nicht generell und schlechthin als Treueverstoß angelastet ...sondern stets auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht genommen. Dabei stand der Gesichtspunkt im Mittelpunkt, ob der Kündigungserklärung eine erkennbar ernsthafte und endgültige Lösungsabsicht zu Grunde lag ... Dieser Gesichtspunkt des Schutzes vor Übereilung ist allerdings nach Einführung der zwingenden gesetzlichen Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung für Kündigungserklärungen durch § 623 BGB nur noch eingeschränkt tragfähig 

 

Das klingt wirklich nicht gerade so, als ob das BAG mündlich ausgesprochenen Kündigungen des Arbeitnehmers noch eine Bedeutung beimessen wird.

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"Mutter" aller dieser Fälle ist die "Edelmann"-Entscheidung des Reichsgerichts vom 21.05.1927 (Az.: V 476/26). Dort hatte der Beklagte ein Grundstücksgeschäft formlos getätigt, was er dem Erwerber damit erklärte, bei der gesetzlich vorgeschriebenen Beurkundung handele es sich um "jüdische Gepflogenheiten", die für ihn als Adligen nicht gälten. Als er dann aus dem Vertrag in Anspruch genommen wurde, berief er sich auf dessen Formnichtigkeit, während der Erwerber § 242 BGB ins Feld führte. Das RG entschied, die Treuwidrigkeit sei nicht so stark, um die Formbedürftigkeit auszuhebeln. 

 

Das ist aus heutiger Sicht ein Fall, bei dem man eine erhebliche Treuwidrigkeit annehmen würde; dennoch erwies sich damals die Formvorschrift als stärker. Das ist m. E. noch heute richtig. Hier im Badischen gibt es die weise Redewendung: "Dumm gschwetzt isch glei". Daraus leite ich für mich ab: Nicht jeder blöde oder unbedachte Spruch (mit dem Götzzitat gewürzte Eigenkündigung, der törichte Adelsdünkel von 1927 usw.) sollte ausreichen, um das Formerfordernis zu überspielen.

 

Die von Frau Schwinge unter # 2 erwähnte BAG-Sache vom 12.03.2009 steht allerdings in gewissem Widerspruch zu der unter # 1 zitierten und vom LAG Rheinland-Pfalz im hier vorgerstellten Fall herangezogenen BAG-Entscheidung vom 04.12.1997, und zwar ohne dass das an dem mittlerweile geltenden § 623 BGB läge.  Zwar gab es in der Tat 1997 das im Jahr 2000 eingeführte Schriftformerfordernis nicht, doch hatten im damaligen Fall die Parteien die Kündigung einer rechtsgeschäftlichen Schriftform unterworfen. Wenn ich die 1997er Entscheidung recht verstehe, argumentierte das BAG wegen der gewillkürten Schriftform haargenau so, wie man es auch bei gesetzlicher Schriftform erwarten würde. Deshalb ist es nicht ganz stringent, dass Treu und Glauben seit Geltung des § 623 BGB anders gewichtet werden sollen, wie man es wohl dem Urteil vom 12.03.2009 entnehmen muss.

 

Die Überwindung von Formvorschriften durch § 242 BGB ist immer eine heikle Sache. Wenn man bedenkt, dass die Entscheidung des Falls evtl. davon abhängt, wieviel Minuten zwischen dem Wiederholen des Eigenkündigungswillens verstrichen sein müssen, um im Ergebnis das Formgebot zu überwinden, dann wird's arg kasuistisch.

 

 

Wie verhaelt es sich denn mit der Beweislast? Hat nicht die Klägerin die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen und die Beklagte ihre... Mit dem einfachen Einwand eines Telefonates ohne diey wirklich beweisen zu können, hätte ich dies nicht gewürdigt, jedenfalls nicht in diesem Maße...

Mithin lässt dieses Urteil viel kreaktiven Gestaltungsraum im Hinblick auf weitere Kündigungen zu.

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dirk schrieb:
Wie verhält es sich denn mit der Beweislast? Hat nicht die Klägerin die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen und die Beklagte ihre? Mit dem einfachen Einwand eines Telefonats ohne dies wirklich beweisen zu können, ...

 

Auszug aus der unter # 1 vorgestellten Entscheidung des LAG Rheinl.-Pfalz:

 

"Die Klägerin hat demgegenüber bei ihrer erneuten Anhörung nicht ausdrücklich in Abrede gestellt, im Rahmen des betreffenden Telefongesprächs eine Kündigungserklärung abgegeben zu haben, sondern vielmehr lediglich ausgesagt, sie könne sich nicht daran erinnern, fristlos gekündigt zu haben."

 

Erstinstanzlich vernommene Zeugen haben hingegen die Eigenkündigung der Klägerin bestätigt. Unter anderem auch die Beweiserhebung und -würdigung wurde von der Klägerin mit der Berufung angegangen. Soweit dies in 2. Instanz überhaupt überprüfbar ist, ist es durch das LAG Rheinland-Pfalz erfolgt. Fehler hat es keine festgestellt; auch sehe ich nicht, dass die Berufungsentscheidung in diesem Punkt ihrerseits fehlerhaft wäre.

 

Der Fall konzentriert sich daher in der Tat nicht auf die Beweis-, sondern auf die Schriftformproblematik.

 

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