"Unerhört" und "unsensibel"? - Urteil des LG Köln zur Beschneidung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.06.2012

Aufsehen erregte gestern das Urteil des LG Köln (Urt. v. 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11), das erstmals die Strafrechtswidrigkeit der religiös motivierten Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen männlichen Kleinkindes bejaht hat, aus den Gründen:

Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unange-messen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider.

Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet.

Der die Zirkumzision durchführende Arzt wurde allerdings aufgrund § 17 StGB wegen nicht vermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen.

Mein Passauer Kollege Holm Putzke ist derjenige Strafrechtswissenschaftler in Deutschland, der dieses Thema am intensivsten bearbeitet hat und dessen Argumente sicher auch in das Kölner Urteil eingegangen sind - er selbst nimmt in LTO Stellung. Eine Literaturübersicht gibt er hier.

Natürlich sind die Religionsgemeinschaften, die die Zirkumzision zu ihren Traditionen zählen (insbesondere Islam und Judentum), ganz anderer Auffassung:

Der Zentralrat der Juden kritisierte das Urteil als "beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften". Zentralratspräsident Dieter Graumann sagte: "Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt."(Quelle)

Auch Matthias Drobinski  widerspricht Putzke und dem LG Köln, und zwar in der Süddeutschen Zeitung. Säkularisierte Richter sollten sich aus religiösen Traditionen heraushalten, sich jedenfalls nicht über die Religion stellen:

Manchmal aber ist es überhaupt nicht gut, wenn sich Richter zu Schiedsrichtern der Religion machen, sich über sie stellen, einen Rechtspositivismus quasi zur Ersatzreligion machen. Wo diese Grenze zwischen legitimem Einspruch im Namen des Grundgesetzes und Grenzüberschreitung liegt, das werden in den kommenden Jahren viele Urteile von vielen Gerichten neu justieren müssen, bis hin zum Verfassungsgericht. Es spricht einiges dafür dass sich die Karlsruher Richter irgendwann mit der Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen werden beschäftigen müssen. Und dann der Auffassung des Zentralrats der Juden folgen, der im Kölner Urteil einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften sieht.

Das AG hatte den Eingriff noch als gerechtfertigt angesehen:

Das Gericht entschied, der Eingriff sei zwar eine Körperverletzung, diese sei aber gerechtfertigt, weil sie sich "am Wohl des Kindes" ausrichte und eine Einwilligung der Eltern vorgelegen habe. Die Beschneidung diene als "traditionell-rituelle Handlungsweise zur Dokumentation der kulturellen und religiösen Zugehörigkeit zur muslimischen Lebensgemeinschaft". Durch sie werde einer drohenden Stigmatisierung des Kindes entgegengewirkt (Quelle)

Die Frage der Strafbarkeit der nicht medizinisch indizierten Zirkumzision wird schon seit einigen Jahren in Fachkreisen - von Medizinern und Strafrechtlern - diskutiert.  Die Entscheidung des LG Köln kommt also nicht ganz überraschend, zumal die Praxis der Beschneidung verbreitet ist. Dass die Gerichtsentscheidung "unerhört" sei oder dass das Bundesverfassungsgericht die Frage selbstverständlich anders beurteilen werde, ist nicht ausgemacht: Ob Art. 4 oder Art. 6  GG das Recht einschließt, nicht einwilligungsfähige Kleinkinder am Körper zu verletzen, erscheint höchst fraglich. 

Update: Link zum  Wortlaut der Entscheidung

Update (15.07.2012): Nachdem sich nun Bundesregierung und einige weitere Politiker dahingehend geäußert haben, die Beschneidung künftig gesetzlich zu regeln, habe ich einen neuen Beitrag verfasst. Die Kommentarfunktion ist gesperrt. Ich bitte, beim neuen Beitrag zu diskutieren.

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211 Kommentare

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@ Seejerlänner: Ja! Art. 2 II GG steht unter einfachem Gesetzesvorbehalt - Art. 4 I GG nicht.
=> 4 > 2
;-)

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Kommentar in der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/urteil-zur-beschneidung-d...)

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht dem auf Religionsfreiheit gegenüber. Doch das Kindeswohl kann nicht ausschließlich von Bräuchen abhängig gemacht werden.

Bräuche, die in die körperliche Unversehrtheit eingreifen, sind abzuschaffen. Wer Richtern, die dem folgen, den Vorwurf macht, sie machten den Rechtspositivismus zu einer Ersatzreligion, macht ihnen in Wahrheit das größte Kompliment.

 

@ Khorne: falsch, Religionen haben in Deutschland keine Gesetzeskraft - und das soll bitte so bleiben. Es gibt "Grundrechtsranglisten" nach Gesetzesvorbehaltskriterien vielleicht in der juristischen Theorie, sie spielen für die hier vorgenommene Güterabwägung aber keine Rolle.

Die Freiheit der Religionsausübung steht ebenfalls unter Vorbehalt, sogar mit Verfassungsrang: Art. 140 iVm 136 und 137 WRV, vor allem:

Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.

Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.

 

Ein längeres und sehr interessantes  Interview mit Holm Putzke - Deutschlandradio.

Zu dem Argument, ein Verbot treibe die Religiösen in die Illegalität, sagt Putzke Folgendes:

Was das Vertreiben in die Hinterhöfe angeht, so muss ich sagen: Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um einen rechtswidrigen Eingriff handelt, dann muss man solche Folgen möglicherweise tolerieren. Wir tolerieren und akzeptieren ja auch, dass das Verbot von Drogen, leichten Drogen, dazu führt, dass die Leute sich verschmutzte Spritzen geben und setzen, und wir akzeptieren auch, dass die Abtreibung nach der zwölften Schwangerschaftswoche möglicherweise dazu führt, dass Frauen auch nach der zwölften Schwangerschaftswoche sich in irgendwelche unqualifizierte Hände begeben.

Immer, wenn wir ein Verbot haben, droht, dass dieses Verbot irgendwo dann in die Illegalität führt. Aber das ist nun mal zwangsläufig bei jedem Verbot so.

Da bin ich anderer Auffassung: Dass eine Verdrängung in die Illegalität bei jedem Verbot gleichermaßen passiert, ist nur strukturell und oberflächlich gesehen zutreffend. Schaut man auf die faktische Seite, kann ein Verbot in vielen Fällen Normakzeptanz erhöhen und normkonformes Verhalten zum faktischen  Normalfall machen. Das Verbot hat dann auch erzieherische Effekte, so dass eine teilweise Verdrängung in die Illegalität in der Abwägung hingenommen werden kann. Solche erzieherischen Effekte  gelingen aber regelmäßig eben nicht bei Verhaltensweisen, die - wie hier - auf fester Überzeugung beruhen oder gar auf Sucht. Gerade deshalb ist das Verbot weicher und harter Drogen (auf das Putzke selbst Bezug nimmt)  ja inzwischen so umstritten, weil der "Krieg gegen Drogen" derzeit verloren geht und weltweit inzwischen mehr Opfer fordert als die illegalen Drogen selbst. Diese nachteiligen Effekte der Prohibition werden eben nicht (mehr) allgemein toleriert.

Putzke meint, man könne die Entscheidung, ob etwas rechtswidrig ist, von der möglichen Folgenbeurteilung trennen. Dies ist m.E. nicht der Fall. Und so sehr ich ihm einerseits in rechtsdogmatischer Sicht grundsätzlich zustimme, so sehr bin ich andererseits der Auffassung, dass man die Folgen des Verbots der religiös begründeten Entscheidung  (und faktisch, also der Geltung nach, wäre es ja ein "neues" Verbot, auch wenn es dogmatisch schon immer so gelten müsste) in die Abwägung einbeziehen muss.

Und wenn Benno Weiser (oben) argumentiert, nach dem Züchtigungsverbot habe auch kein "Züchtigungstourismus" eingesetzt, dann ist dies deshalb kein Argument, weil Züchtigungen eine regelmäßige und dauerhafte Erzeihungspraxis waren bzw. sind, die Beschneidung aber nur ein einmaliger Akt ist, der noch dazu nicht von den Eltern selbst durchgeführt wird.

 

 

Ich möchte im Lichte der mittlerweile veröffentlichten Reaktionen auf das Urteil folgenden Gedankengang aus #54 aufgreifen:

Henning Ernst Müller schrieb:
Schaut man auf die faktische Seite, kann ein Verbot in vielen Fällen Normakzeptanz erhöhen und normkonformes Verhalten zum faktischen  Normalfall machen. Das Verbot hat dann auch erzieherische Effekte, so dass eine teilweise Verdrängung in die Illegalität in der Abwägung hingenommen werden kann. Solche erzieherischen Effekte gelingen aber regelmäßig eben nicht bei Verhaltensweisen, die - wie hier - auf fester Überzeugung beruhen oder gar auf Sucht.

Es sieht nun doch so aus, als sei die "feste Überzeugung" (die von Religionsvertretern mit Parolen wie "ohne Beschneidung ist jüdisches Leben nicht möglich" behauptet wurde) nur für eine streng religiöse kleine Minderheit maßgeblich und die auch bei Juden und Moslems in Deutschland stark verbreitete Säkularisierung hat dazu geführt, dass für eine Nichttherapeutische Zirkumzision ausschließlich oder vorherrschend nichtreligiöse Tradition ("weil es einfach dazugehört") oder der Druck sozialer Angepasstheit ("andere Eltern/Familienmitglieder machen es auch" / "mein Kind soll genauso aussehen wie die anderen") sowie weitere Gründe (Hygiene-Mythen etc.) ein Rolle spielen.

Für diese große Mehrheit - und insbesondere deren Kinder - kann das Urteil eine echte Verbesserung sein und eine (gesetzliche) Lockerung des Beschneidungsverbots wäre hier ein fataler Rückschritt. Es gibt ja auch keine Lockerung des Verbots von Zwangsverheiratungen, nur weil eine strenggläubige oder stockkonservative Minderheit aus "festen Überzeugungen" trotz des Verbots an dieser Praxis festhält!

Man sollte bei der in den öffentlichen Medien stattfindenden Diskussion nicht vergessen, dass hier auch Interessengruppen um Macht und Einfluss kämpfen - daher auch die Solidarisierung von christlichen Kirchenvertretern mit den Urteilskritikern: sie glauben, dass sie durch dieses "antireligiöse" Urteil ebenfalls an Macht verlieren und ignorieren dabei, dass es um eine Grundrechtsabwägung ging, bei der sich die Freiheit der ungestörten Religionsausübung im elterlichen Sorgerecht manifestiert hat. Dabei gehen sie von der irrigen Annahme aus, dass die allgemeine Einschränkung des Art. 2 (1) GG nicht für das spezielle Grundrecht der Religionsfreiheit gilt oder sie verschweigen es, um Propaganda zur Stärkung des generellen Einflusses religiöser Gruppen auf das Leben der Menschen zu machen - also auch ihrer Macht.

Wie viele der Kirchensteuerzahler haben denn nach ihrer Firmung oder Konfirmation aus eigenem Antrieb an einer Eucharistiefeier, also dem zentralen Sakrament der Christen teilgenommen? Sehr, sehr wenige - und wie sehr die vergleichbare Säkularisierung auch bei Juden und Moslems stattgefunden hat, zeigen ja die Reaktionen auf das Urteil: viele bisherige Beschneider setzen ihre Praxis bis auf Weiteres aus.

Das wiederum kann die Eltern, die bisher ohne Nachdenken rein aus Tradition oder sozialer Angepasstheit ihr Kind beschneiden ließen, dazu anregen, sich ihres Verstandes zu bedienen (oder, falls es dazu nicht reicht, zu signalisieren, dass sie mit ihrem Kind nicht machen können was sie wollen) und die Eltern, die bisher schon Bauchschmerzen mit dieser Praxis hatten, haben es nun offiziell: sie haben recht - ihr Kind soll selbst entscheiden.

Es wird in der ganzen Diskussion so getan, als sei dieser Brauch unverrückbar in den religiösen Vorschriften festgeschrieben und jeder Religionsangehörige sei damit völlig einverstanden.

Achtung - hier werden die Nichtmuslime und Nichtjuden in die Falle der Interessenvertreter gelockt!

Denn es ist keineswegs so, dass diese Bräuche völlig unumstritten und alle Eltern einverstanden sind! Ohne den sozialen Druck "das gehört dazu" hätten die Elternteile, die Vorbehalte gegen die Prozedur haben, einen besseren Stand (so wie laut den Presseberichten die Mutter, die mit der Zirkumzision in dem verhandelten Fall nicht glücklich war - siehe auch den oben verlinkten Artikel über die Beschneidungsgegner in Israel). Ebenso kann ein strafbewehrtes Verbot die Eltern, die nicht völlig überzeugt von dem Ritual sind, sondern nur aus sozialer Angepasstheit handeln, in ihrer Meinung bestärken, die Entscheidung über die Beschneidung dem Kind zu überlassen.

Das Urteil hilft also nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern!

Ob beschnitten oder nicht, das Kind ist dennoch Angehöriger der Religion der Eltern, eine Einschränkung der Religionsfreiheit ist _nicht_ gegeben. Und die religiösen Bräuche müssen sich an Recht und Gesetz halten, das gilt für alle Religionen gleichermaßen, eine Diskriminierung findet nicht statt.

Es werden von nahezu allen Gläubigen religiöse Vorschriften im Alltag missachtet, sei es der Konsum von Alkohol oder Schweinefleisch oder von ungeschächtetem Fleisch, seien es versäumte Gebete oder Waschungen. Man kann sich aber nicht einen Brauch herauspicken und den mit religiösen Argumenten verteidigen, wenn man die anderen Bräuche missachtet.

 

@ Mein Name

 

"Ob beschnitten oder nicht, das Kind ist dennoch Angehöriger der Religion der Eltern." 

 

Das stimmt bei Juden ganz bestimmt.

Laut Halacha,  den jüdischen Religionsvorschriften, gilt eine Person dann als jüdisch, wenn sie eine jüdische Mutter hat, unabhängig davon, ob, oder wie sehr sie die jüdischen Glaubensvorschriften befolgt oder nicht. Dabei ist es Bedingung, dass die Mutter bei der Empfängnis Jüdin nach der Halacha sein muss. Außerdem gilt als Jude, wer formell die Konversion zum Judentum (gijur genannt ) vollzogen hat. Einfacher Glaube an die jüdische Religion reicht nicht aus. 

0

Die ursprüngliche Entscheidung des AG Köln  im Wortlaut.

Die Entscheidung des LG Köln  im Wortlaut. Für die Diskussion entscheidende Passage, auch oben im Beitrag eingefügt:

Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unange-messen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider.

Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet.

Die Entscheidung des LG Köln wird weltweit höchst kontrovers diskutiert, in Großbritannien, in den USA, in Australien oder in Israel (um nur einige Herkunftsländer englischsprachiger Zeitungsartikel zu nennen, auf die man mit dem Stichwort "circumcision"  in der News-Suche trifft).

Hier ein Blogpost von Brian D. Earp, der derzeit an der Philosophischen Fakultät der Oxford University, Uehiro Centre for Practical Ethics, lehrt und forscht. Einige Passagen:

(...)

a practice’s having been performed for a long time is (obviously) no argument for its moral permissibility, especially when the discussion concerns the subjection of defenseless minors to irreversible genital surgery. I could cite some examples of other customs with a long historical pedigree but which have nevertheless been deemed barbaric by modern humans – but the point is too easy to make. In any case, there are whole communities of enlightened Jews who have come around to the view that the involuntary removal of sexually-sensitive tissue from non-consenting children is no part of any loving God’s plan.

(...)

A newborn baby does not hold any beliefs. A newborn baby cannot be said to believe in any God, much less the God of Judaism or Islam or Christianity. A fortiori, babies cannot endorse any customs stemming from a belief in a given supernatural entity, and certainly not a custom which requires that that same pre-verbal infant be strapped to a board and have his sex organs cut into mere days into his existence.

(...)

“Culture” cannot justify the nonconsensual genital cutting of babies. Neither can religion. Even if I sincerely believed that the creator of the universe had commanded me to remove genital tissue from my son without his permission, I would have to decline on ethical grounds. “God told me to do it” is simply not an acceptable replacement for moral reasoning in the modern era. The German court ruled rightly.

 

Versuch einer Übersetzung:

[Ich möchte einwenden,] dass die Tatsache, dass eine Praxis lange Zeit ausgeübt wurde, (offensichtlich) kein Argument für ihre moralische Zulässigkeit ist, insbesondere wenn die Diskussion hilflose Minderjähriger betrifft, die unumkehrbaren Operationen an ihren Genitalien ausgeliefert sind. Ich könnte einige Beispiele anderer Bräuche mit langer Tradition anführen, die dennoch von modernen Menschen als barbarisch verdammt wurden - aber diese Argumentation ist zu einfach zu gewinnen. Jedenfalls gibt es ganze Gemeinden aufgeklärter Juden, die zu der Ansicht gelangt sind, dass das unfreiwillige Entfernen von erogenem Gewebe bei nicht zustimmungsfähigen Kindern nicht im Plan eines liebenden Gottes vorkommen kann.
...
Ein Neugeborenes hat keine Überzeugungen. Von einem Neugeborenen kann man keinen Glauben an Gott annehmen, noch weniger an den Gott des Judentums, des Islam oder des Christentums. Erst recht können Babys keine Bräuche befürworten, die aus dem Glauben an ein übernatürliches Wesen herrühren, und sicher keinen Brauch, der verlangt, dass dieses der Sprache noch nicht mächtige Kind auf ein Brett geschnallt wird und seine Sexualorgane in den ersten Tagen seiner Existenz auseinandergeschnitten werden.
...
"Kultur" kann das Herumschneiden an den Genitalien von Babys ohne deren Einverständnis nicht rechtfertigen. Ebenso wenig kann dies die Religion. Selbst wenn ich aufrichtig daran glauben würde, dass der Schöpfer des Alls mir befohlen hätte, Gewebe vom Geschlechtsteil meines Sohnes ohne sein Einverständnis zu entfernen, müsste ich das aus ethischen Gründen ablehnen. "Gott hat es mir befohlen" ist schlichtweg kein annehmbarer Ersatz für moralische Überlegungen in der Moderne. Das Gericht in Deutschland hat richtig entschieden.

Für das Strafrecht gilt doch das Territorial-Prinzip, oder?

Wie verhält es sich mit dem Gelände einer Botschaft, das doch einen Sonderstatus hat? Würden Beschneidungen in einer, sagen wir, türkischen oder amerikanischen Botschaft vorgenommen, wären diese dann dennoch vom deutschen Strafrecht (mal die Strafbarkeit angenommen), erfasst?

4

@#60 im Prinzip richtig, Körperverletzung ist in §5 StGB nicht aufgeführt, aber ...

... wo hat der, der die Körperverletzung durchführt, seinen Wohnsitz? Wohl kaum dauerhaft in der Botschaft (er müsste auch offiziell akkreditiert werden, um Immunität zu genießen)

... bei wem ist der, der den Eingriff durchführt, haftpflichtversichert?

Das ist doch der eigentliche "Hebel" der Urteilsbegründung: jede Haftpflichtversicherung eines Arztes kann nun bei Kunstfehlern oder Komplikationen die Entschädigung vom Arzt einklagen und jede Krankenversicherung kann den Ausführenden in Regress nehmen, denn die Körperverletzung war ja illegal und nicht medizinisch indiziert.

Angesicht dieser Haftungsrisiken werden es sich wohl einige Ärzte zweimal überlegen, ob sie Beschneidungen weiterhin vornehmen.

Jetzt hat sich unser Außenminister zu Wort gemeldet. Es ist ein Trauerspiel, dass er so pauschal etwas von sich gibt.

Er spricht hier von religiösen Traditionen. Indirekt entnehme ich daraus , dass religiöse Kulthandlungen ( neue Religionen und Sekten haben keine langjährigen Traditionen ) werden aber durch die Freiheit der Religionsfreiheit auch in ihren zum Teil sehr abstrusen Kulthandlungen geschützt. Wenn man sieht wie schwer es ist Kulthandlungen strafrechtlich von zB. von Satanssekten oder Scientology oder anderen extrem fundamentalistische Hetzgruppen dingfest zu machen, erscheint mir das Urteil aus Köln ein erster Schritt in die richtige Richtung. Frankreich ist mit dem Picard Gesetz einen großen Schritt weiter als Deutschland wenn es um Kulthandlungen geht.

  

Das Gesetz betrifft in allen seinen Vorschriften Gruppen und Handlungen,

"die zum Ziel oder als Ergebnis die Erzeugung, die Aufrechterhaltung oder die Ausnützung einer psychologischen oder physischen Unterwerfung von Personen haben" 

 

 http://www.agpf.de/Frankreich-Gesetz2.htm 

 

Westerwelle zu Bild:

„Das Kölner Urteil hat international Irritationen ausgelöst. Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt sind.“ 

http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/westerwelle-kritisiert-urteil-zu-beschneidungen-24910590.bild.html 

 

1

Neue Forderungen kommen  aus der Politik.

http://www.ftd.de/politik/deutschland/:nach-koelner-gerichtsurteil-auch-katholiken-kritisieren-beschneidungsverbot/70055895.html 

"Die Grünen nahmen das Urteil zum Anlass, eine neue gesetzliche Regelung zu fordern. "Mir scheint diese Rechtsprechung mehr als fragwürdig", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck. "Wir müssen uns darüber Gedanken machen, ob wir die Religionsfreiheit der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft besser schützen müssen."      

 

 

1

Eine Bestätigung des Urteils gibt der Verband der Urologen mit der folgenden Behauptung.

 

"Bei medizinisch begründeten Beschneidungen erhält der Patient eine Betäubung. Bei den religiös motivierten Eingriffen ist das in der Regel nicht der Fall. Der Berufsverband der Urologen hält letztere auch deshalb für Körperverletzung". 

http://www.tagesspiegel.de/politik/beschneidung-aus-medizinischer-sicht-was-bei-dem-eingriff-passiert/6806700.html 

 

 

 

 

 

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Heiner Bielefeld,Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungssfreiheit des UN-Menschenrechtsrats, äußert sich im Interview des dradio-Kultur sehr kritsich zum Kölner Urteil:

Die Religionsfreiheit, die Bedeutung, auch die identitätsstiftende Bedeutung von religiösen Symbolen, auch von solchen Riten, bei denen man im Einzelfall dann in der Tat genauer hinschauen muss, die kommt gar nicht vor im Urteil. Stattdessen finden sich also auch tatsächlich, ich würde mal sagen, bizarre Aussagen, etwa wenn es da im Urteil heißt: Die Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Ich glaub, das ist wirklich grober Unsinn. Denn auch ein beschnittenes Kind, also ein Junge, der diese Zirkumzision erlebt hat, kann natürlich dann nicht daran gehindert werden, später über seine Religionszugehörigkeit frei zu entscheiden, sich etwa vom Judentum, vom Islam zu distanzieren. Das gehört zur Religionsfreiheit dazu, ist übrigens ganz wichtig, weil da international noch heftige Widerstände auch gelegentlich geschehen. Das muss man klarstellen: Das Recht auch auf Religionswechsel gehört zur Religionsfreiheit dazu, aber das ist hier nicht beeinträchtigt. Also, mir scheint, dass das Landgericht die Frage der Religionsfreiheit völlig unangemessen, nämlich überhaupt nicht mit Sensibilität für das, was da auf dem Spiel steht auch für viele Menschen, behandelt und deshalb auch keine angemessene Abwägung durchführt.

(...)

Das muss man sich einmal klarmachen, das ist nicht einfach nur eine Debatte, sondern das Urteil eines Gerichtshofs - es geht ja um ein Strafurteil -, bei dem der konkret betroffene Arzt zwar freigesprochen worden ist, aber sozusagen das Unwerturteil, die Diagnose der Rechtswidrigkeit, erst einmal im Raum steht. Das ist jetzt ganz wichtig, dass wir Rechtsklarheit kriegen, sonst ist nämlich zu befürchten, dass solche Praktiken in die Illegalität gedrängt werden. Und das würde für das Kindeswohl im Übrigen also auch eine ganze Menge neue Risiken und Belastungen bedeuten. Also, wir brauchen Rechtsklarheit. Debattieren kann man über vieles, das Urteil des Landgerichts in Köln schafft für mich keine vernünftige Grundlage für eine Rechtsklarheit.

Das ganze Interview ist lesenswert.

"Die Deutsche Kinderhilfe hat das Kölner Beschneidungsurteil begrüßt und die Kritik von Religionsvertretern daran als überzogen bezeichnet. "Die Tatsache, dass ein die körperliche Integrität von Kindern erheblich verletzendes Ritual eine jahrtausendealte Tradition ist, rechtfertigt für sich nicht deren Beibehaltung", erklärte die Kinderschutzorganisation in Berlin".

 

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2322548/Deutsche-Kinderhilfe-lobt-Koelner-Beschneidungsurteil.html 

 

 

 

 http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2322548/Deutsche-Kinderhilfe-lobt-Koelner-Beschneidungsurteil.html  

5

Das AG Köln hat zutreffend erkannt und verdeutlicht, dass nicht verkannt werden dürfe, "dass die Zirkumzision aus medizinischer Sicht als präventive „Vorsorge-“Maßnahme einen wichtigen Stellenwert einnimmt, indem durch die nach der Zirkumzision herbeigeführte hygienische Verbesserung u.a. potenziellen Krebserkrankungen pp. vorgebeugt wird; ein Aspekt, dem insbesondere im amerikanischen und angelsächsischen Lebensraum besondere Rechnung getragen wird." Das LG Köln schafft es nicht, diesem Aspekt entgegen zutreten. Allein deshalb darf dem, laut Heiner Bielefeld, unvernünftigen Urteil nicht allzu hoher Stellenwert beigemessen werden. Es begnügt sich mit dem plumpen Verweis auf das "Wohl des Kindes" ohne zu Erwägungen dahin gehend anzustellen, dass dieser religiösen Pflicht früher oder später ohnehin nachgekommen werden müsste, dass eine Beschneidung eben dem Wohl dient (s.o.) und dass eine Beschneidung ab 14 Jahren wesentlich riskanter ist.

Ein von solcher Unkenntnis und Hybris getragenes Urteil kann sicherlich keine große Signalwirkung für andere weise Gerichte entfalten.

 

1

jurist schrieb:

Das AG Köln hat zutreffend erkannt und verdeutlicht, dass nicht verkannt werden dürfe, "dass die Zirkumzision aus medizinischer Sicht als präventive „Vorsorge-“Maßnahme einen wichtigen Stellenwert einnimmt, indem durch die nach der Zirkumzision herbeigeführte hygienische Verbesserung u.a. potenziellen Krebserkrankungen pp. vorgebeugt wird; ein Aspekt, dem insbesondere im amerikanischen und angelsächsischen Lebensraum besondere Rechnung getragen wird." Das LG Köln schafft es nicht, diesem Aspekt entgegen zutreten.

Doch: es hat im Gegensatz zum AG, das vermutlich nur Google und Wikipedia bemüht hat, einen Gutachter gehört, der die Notwendigkeit einer Beschneidung zwingend im Kleinkindalter für Mitteleuropa nicht bestätigen konnte. Es kann sich also im Gegensatz zum AG auf fachliche Expertise berufen.

Interessant auch der Beitrag von Bijan Fateh-Moghadam aus Münster (Religiöse Rechtfertigung? Die Beschneidung von Knaben zwischen Strafrecht, Religionsfreiheit und elterlichem Sorgerecht). Er weist auf S. 2 darauf hin:
"Im Rahmen der gegenwärtig durchgeführten Beschneidungsprogramme von UNAIDS zur HIV-Prävention im südlichen Afrika wird die kulturell bedingte Ablehnung der Zirkumzision in einigen Bevölkerungsteilen zum präventiv-medizinischen Problem."

Die medizinisch-indizierte Sinnhaftigkeit der Zirkumzision kann schlicht nicht geleugnet werden, oder würden Sie UNAIDS unterstellen wollen, in Afrika systematisch das Kindswohl zu beeinträchtigen, körperliche Misshandlungen vorzunehmen oder gar Folter (übrigens ein von absoluter Unkenntnis zeugender Vorwurf) zu praktizieren???

2

Und weiter in dem Artikel:

"Eltern könnten nur dann wirksam in körperliche Eingriffe bei ihren Kindern einwilligen, wenn die medizinischen Vorteile des Eingriffs die mit ihm verbundenen Nachteile und Risiken wesentlich überwögen. In diesem Fall wären die Eltern zugleich verpflichtet, in den Eingriff einzuwilligen, weil dann seine Unterlassung eine Verletzung des Kindeswohls darstellen würde. Das Kindeswohl wird in diesem Modell streng objektiv über das medizinisch beste Interesse definiert, ohne dass für die Ausfüllung des Kindeswohls durch die Eltern noch Spielraum verbliebe."

Und genau diesen geforderten Maßstab wendet das LG Köln schlicht nicht an. In aus juristischer Sicht schlampiger Manier nimmt das LG keine saubere juristisch geforderte Subsumtion unter den Begriff Kindeswohl vor. Hätte es dies mit reiner Absicht und unvoreingenommener wissenschaftlich orientierter Haltung getan, so wäre eine Auseindersetzung mit den medizinischen Vorteilen unumgänglich gewesenen. Jedem Student hätte bei einer solch unsauberen Arbeitsweise ein Ungemach gedroht.

2

jurist schrieb:

Und weiter in dem Artikel:

[...]Das Kindeswohl wird in diesem Modell streng objektiv über das medizinisch beste Interesse definiert, ohne dass für die Ausfüllung des Kindeswohls durch die Eltern noch Spielraum verbliebe."

Bei dieser Argumentation werden die Grundrechte des Kindes völlig außer Acht gelassen.  Bei einem unklaren oder umstrittenen medizinischen Nutzen (die AIDS-Verbreitung in Südafrika kann dabei nicht als Maßstab für Mitteleuropa gelten!) besteht das Kindeswohl u.a. darin, dass sein Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht mit Füßen getreten wird.

jurist schrieb:
Und genau diesen geforderten Maßstab wendet das LG Köln schlicht nicht an. In aus juristischer Sicht schlampiger Manier nimmt das LG keine saubere juristisch geforderte Subsumtion unter den Begriff Kindeswohl vor. Hätte es dies mit reiner Absicht und unvoreingenommener wissenschaftlich orientierter Haltung getan, so wäre eine Auseindersetzung mit den medizinischen Vorteilen unumgänglich gewesenen. Jedem Student hätte bei einer solch unsauberen Arbeitsweise ein Ungemach gedroht.

Falsch - das Gericht hat eben die Nichtverletzung der Grundrechte des Kindes zutreffend als Kindeswohl erkannt in Verbindung mit dem Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, wie sie im  § 1631 (2) BGB festgeschrieben ist.

An all jene die zu Recht den wissenschaftlichen Beweis fordern:

"Die männliche Beschneidung senkt das Risiko einer Übertragung von humanen Papillomaviren (HPV) auf die Partnerin. Dies geht aus einer Studie im Lancet hervor. Ende 2006 hatten zwei Studien der US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases gezeigt, dass die Zirkumzision das HIV-Übertragungsrisiko in etwa halbiert. Die Protektion war in beide Richtungen wirksam, einmal vom beschnittenen Mann zur Frau und zum anderen von der Frau auf den beschnittenen Mann." Link: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/44183; Pressemitteilung The Lancet: http://www.thelancet.de/artikel/1058756

Zu groß angelegten Studien, die das selbe belegen: http://www.shortnews.de/id/841616/Studie-Beschneidung-mindert-Aids-Risiko

Mithin dient die Zirkumzision der Abwendung von Schaden nicht nur vom Knaben selbst sondern sogar von seiner zukünftigen Partnerin und etwaigen Kindern!! Sie hat also einen multiplen Schutzeffekt!

2

Heiner Bielefeldt kommt ganz schön ins Schwimmen und hat wirklich keine guten Argumente:

"Der Kinderrechtsausschuss [der UNO] hat die männliche Zirkumzision, also, das heißt, die Entfernung der Vorhaut, wenn sie unter entsprechenden Bedingungen durchgeführt wird, bislang nicht als Verletzung thematisiert."

Das bedeutet nur fehlendes Problembewusstsein, aber keine Rechtfertigung! Bielefeldt hat selbst keine Argumente für die Beschneidung überhaupt.

Er selbst denkt seine Gedanken nicht zu ende: "Die Grenzen für das Elternrecht liegen da, wenn es darum geht, Lebensmöglichkeiten von Kindern eindeutig und irreversibel zu strangulieren sozusagen."  Und genau das geschieht bei der Zirkumzision: es wird eine wesentliche erogene Zone irreversibel zerstört.

Insgesamt macht der Herr einen sehr ahnungslosen Eindruck, er redet sich immer damit heraus, dass er kein Fachmann ist, sondern sich nur mit dem Menschenrecht der Religionsfreiheit auskennt. Mit welchen individuellen Rechten dieses kollidiert, darüber hat er sich offensichtlich noch nie Gedanken gemacht.

Er hat auch das Urteil wohl nicht gelesen, sondern nur die Pressemeldungen dazu, sonst würde er nicht behaupten: "Mir scheint aber die Antwort falsch zu sein, nämlich eine Antwort, bei der im Urteil des Landgerichts Köln die Religionsfreiheit überhaupt nicht angemessen vorkommt."

Auch die juristischen Folgen sind ihm nicht klar: "Das ist jetzt ganz wichtig, dass wir Rechtsklarheit kriegen" - genau das ist mit dieser Urteilsbegründung erstmals geschehen!

Das Einzige, was an diesem Interview wirklich diskussionswürdig ist, ist der Satz "mir scheint, dass das Landgericht die Frage der Religionsfreiheit völlig unangemessen, nämlich überhaupt nicht mit Sensibilität für das, was da auf dem Spiel steht auch für viele Menschen, behandelt und deshalb auch keine angemessene Abwägung durchführt."

Ich dagegen finde, dass das Gericht mit der für einen säkularen Staat gebotenen Unsensibilität gegenüber Religionen, insbesondere deren verstümmelnden Traditionen, angemessen abgewogen und mit guten Gründen das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher gewichtet hat.

Herrn Bielefeldt empfehle ich die Lektüre von Art. 140 GG: Religionen dürfen viel, aber nicht alles, egal wie alt oder sinnstiftend die Tradition ist.

 

Mein Name schrieb:

Herrn Bielefeldt empfehle ich die Lektüre von Art. 140 GG: Religionen dürfen viel, aber nicht alles, egal wie alt oder sinnstiftend die Tradition ist.

Empfehle ich Ihnen übrigens auch, das steht da nämlich wirklich nicht drinnen, der Art. heißt im Wortlaut wie folgt:

Art. 140 "Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919[1] sind Bestandteil dieses Grundgesetzes."

3

@ #70 Jurist:

1.) die Studie beweist überhaupt keinen Nutzen, lesen Sie nach im Ärzteblatt: "die Studie infolge der geringen Nachbeobachtungszeit eine Auswirkung auf fortgeschrittene zervikale Läsionen nicht belegen konnte" -> d.h. ein Schutz vor Gebärmutterhalskrebs oder dessen Vorstufen ist nicht bewiesen.

zu AIDS: Kondome schützen zu 99%, nicht nur zu 50%. Das muss das Präventionsziel sein.

2.) ändert das alles nichts daran, dass jeder Mann über seine Vorhaut selbst entscheiden soll und ein Recht darauf hat, nicht im Kindesalter verstümmelt zu werden. Wenn er diesen Vorteil ebenso empfindet, kann er sich dann immer noch beschneiden lassen.

Offensichtlich sieht es Heiner Bielefeld genauso wie ich es in #28 formuliert habe: Es "erschließt sich mir nicht, inwiefern die Entscheidungsfreiheit dadurch beeinträchtigt werden soll [...]Die freie Ablegung oder der Wechsel des GLaubens ist hier mE nicht berührt"

Heiner Bielefeld,Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungssfreiheit des UN-Menschenrechtsrats:

"Denn auch ein beschnittenes Kind, also ein Junge, der diese Zirkumzision erlebt hat, kann natürlich dann nicht daran gehindert werden, später über seine Religionszugehörigkeit frei zu entscheiden, sich etwa vom Judentum, vom Islam zu distanzieren"

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1796986/

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@ 67

Warum können sich die betroffenen Religionen nicht von der uralten Kulthandlung  trennen und reformieren ?

Das Züchtigen von Kindern ist ja auch abgeschafft.

Wenn Ärzte / Urologen / Chirugen  die Beschneidung mit Betäubung durchgeführt haben, würde mich einmal interessieren, ob die das in der Öffentlichkeit auf einem Beschneidungsfest gemacht haben oder in íhren Praxen oder Krankenhäusern.

 Ist das überhaupt mit der Ethik der Ärzte vereinbar , absichtlich Schmerzen bei Kindern zu erzeugen, wenn keine Betäubung stattgefunden hat und keine medizinische Indikation dringend notwendig war.

 

Bei Erwachsen, wenn ein Entfernung oder Teilentfernung der Vorhaut stattfindet aus medizinischen Gründen ( zB. Phimose ) , bleibt der Patient im Krankenhaus.

 

Heilen die Wunden bei vollständiger Entfernung bei Kindern oder Säuglingen schneller innerhalb eines Beschneidungsfestes ?

 

Wird nicht auch die Psyche des 6 - 9 Jahre alten Kindes verletzt, wenn alle Tanzen etc. und das Kind absichtlich durch die Kulthandlung Schmerzen ertragen muß und alle zuschauen ?  

 

 

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Das Verfassungsgericht hat  übrigens der Schrankenklausel in Art. 137 WRV deutliche Grenzen aufgezeigt und handhabt sie sehr restriktiv:

 „trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten, dann bildet es insoweit keine Schranke“. BVerfGE 42, 312, 334

Dies dient der Verhinderung der Schaffung von einschränkendem Sonderrecht, das sich besonders hart gegen Kirchen und Religionsgemeinschaften richten würde. EIn Beschneidungsverbot käme damit nicht in Frage, weil es sich klar gegen die jüdische und muslimische Religionsgemeinschaft richtet. Religion nimmt auch im deutschen Verfassungsrecht eine besonders gehobene und geschützte Stellung ein. Das gilt insbesondere für die Kirche, aber auch für alle anderen Religionsgemeinschaften. Nicht umsonst beginnt unser GG in der Präambel mit den Worten: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott"

 

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jurist schrieb:
Das Verfassungsgericht hat  übrigens der Schrankenklausel in Art. 137 WRV deutliche Grenzen aufgezeigt und handhabt sie sehr restriktiv:

 „trifft das Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den normalen Adressaten, dann bildet es insoweit keine Schranke“. BVerfGE 42, 312, 334

Ein einziger aus dem Zusammenhang gerissener Satz aus einem Urteil zur Beurlaubung von kirchlichen Amtsträgern während ihrer Zeit als Abgeordneter eines Parlaments soll ein Freibrief für einen rechtsfreien Raum für Religionen sein? Das kann nicht Ihr Ernst sein ...

jurist schrieb:
Religion nimmt auch im deutschen Verfassungsrecht eine besonders gehobene und geschützte Stellung ein. Das gilt insbesondere für die Kirche, aber auch für alle anderen Religionsgemeinschaften.
Das bestreitet niemand. Aber auch diese Stellung hat ihre Schranken in der Verletzung der Grundrechte ihrer Mitglieder (und Nichtmitglieder). Es gibt keine absolute Religionsfreiheit!

Verstehen Sie doch endlich: es geht um kollidierende Rechte. Und zwar einerseits um das Recht der Eltern, Entscheidungen für das Kind zu treffen (was sie nur im Rahmen der für alle geltenden Gesetze tun dürfen und auch nur solche Entscheidungen, die dem Kindeswohl dienen) und andererseits um das gesetzlich garantierte Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und körperliche Unversehrtheit. Bei kollidierenden Rechten muss eine Abwägung vorgenommen werden und das hat das Gericht getan. Andere Experten mögen das anders gewichten, aber alle anderen Argumentationen, die eine Straffreiheit befürworten, haben nicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berücksichtigt und das Recht auf gewaltfreie Erziehung (§1632 (2) BGB) und sind daher unvollständig. Das LG Köln hat erstmals alle Aspekte und Rechte, auch die des Kindes, berücksichtigt und ist daher auch juristisch korrekt.

jurist schrieb:
Nicht umsonst beginnt unser GG in der Präambel mit den Worten: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott"
Eben. Und nicht Religion oder Kirche. Den Unterschied kennen Sie?

Außerdem empfehle ich Ihnen, Sätze nicht nur teilweise zu lesen - es heißt "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". Das LG Köln hat in Verantwortung für Menschen geurteilt.

Mein Name schrieb:

Außerdem empfehle ich Ihnen, Sätze nicht nur teilweise zu lesen - es heißt "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". Das LG Köln hat in Verantwortung für Menschen geurteilt.

 

Dem kann ich nur zustimmen.

 

Mein Name schrieb:

Verstehen Sie doch endlich: es geht um kollidierende Rechte. Und zwar einerseits um das Recht der Eltern, Entscheidungen für das Kind zu treffen (was sie nur im Rahmen der für alle geltenden Gesetze tun dürfen und auch nur solche Entscheidungen, die dem Kindeswohl dienen) und andererseits um das gesetzlich garantierte Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und körperliche Unversehrtheit. Bei kollidierenden Rechten muss eine Abwägung vorgenommen werden und das hat das Gericht getan. Andere Experten mögen das anders gewichten, aber alle anderen Argumentationen, die eine Straffreiheit befürworten, haben nicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berücksichtigt und das Recht auf gewaltfreie Erziehung (§1632 (2) BGB) und sind daher unvollständig. Das LG Köln hat erstmals alle Aspekte und Rechte, auch die des Kindes, berücksichtigt und ist daher auch juristisch korrekt.

 

Zumal das LG mit diesem Urteil die religiös motivierte Beschneidung ja nicht einmal verbietet, sondern nur den (eventuellen) Zeitpunkt verlagert. Es bleibt dem Kind schließlich bei ausreichender Einsichtsfähigkeit selbst überlassen, in dieses Ritual einzuwilligen. Die notwendige Abwägung zwischen den Schutzgütern der körperlichen Unversehrtheit und der Religions- und Glaubensfreiheit wird damit beiden Seiten hinreichend gerecht.

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Sie bleiben mir immer noch eine Antwort schuldig, warum wir in Afrika bei Afrikanern praktizieren und mittels UN-Programmen fördern, was wir selbst daheim kriminalisieren und pönalisieren, ja gar als Misshandlung bezeichnen!! Ich glaube doch nicht, dass da der alte imperialistische Kolonialgeist dahinter steckt.

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jurist schrieb:

Sie bleiben mir immer noch eine Antwort schuldig, warum wir in Afrika bei Afrikanern praktizieren und mittels UN-Programmen fördern, was wir selbst daheim kriminalisieren und pönalisieren, ja gar als Misshandlung bezeichnen!! Ich glaube doch nicht, dass da der alte imperialistische Kolonialgeist dahinter steckt.

Es steckt dahinter die Hygienemöglichkeiten eines hochindustrialisierten Landes und eine (wenn auch mehr schlecht als recht) funktionierende Sexualaufklärung, die dank der Säkularisierung und begrenzten Macht der Kirchen auch wirksame Prävention wie Kondome erfolgreich propagiert. Das macht derart radikale Maßnahmen überflüssig.

Sie bleiben mir aber Ihrerseits zum gefühlt zehnten Mal die Antwort schuldig, warum sie einem Menschen das Recht nehmen wollen, über seine eigene Gesundheitsvorsorge und seine Sexualorgane selbst zu entscheiden und ihn statt dessen unnötig früh - als wehrloses Kleinkind - verstümmeln wollen. Nun?

Yadollah Moazami-Goudarzi, iranischstämmiger Kinder-, Unfall- und Wiederherstellungschirurg aus Zehlendorf, sagte, er berate Eltern stets über Vor- und Nachteile der Beschneidung in der modernen Gesellschaft. Sie sei vor Jahrtausenden wegen der mangelnder Hygiene eingeführt worden, mindere aber Schutz und Sensibilität des Geschlechtsorgans .

 

Einen Eingriff würde er nur mit Anästhesie im Krankenhaus vornehmen, damit die Kinder kein Trauma erleiden. 

 

http://www.tagesspiegel.de/berlin/beschneidung-ohne-beschneidung-ist-juedisches-leben-in-deutschland-nicht-moeglich/6811458-2.html 

 

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Wenn jetzt Beschneidungen stattfinden und angezeigt werden, mit welchen Strafen ist zu rechnen.

 

 

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§  § 223 bis § 231 läßt viell §§233§ 231

§231 läßt ja viel Spielraum.

 

 

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Da das LG Köln niemanden verurteilt hat, ist die unmittelbar rechtliche Wirkung gering. Damit diese rechtliche Einschätzung (rechtswidrige Körperverletzung) von einem höheren Gericht bestätigt oder verworfen werden kann, müsste zunächst eine Verurteilung vorliegen. Die Anklage wird bei einfacher Körperverletzung aber zunächst vor dem AG erhoben und gelangt in der Revision daher nur bis zum OLG.

Erst wenn dort eine Verurteilung bestätigt wird, kommt eine Verfassungsbeschwerde in Betracht.

Die unmittelbaren faktischen Auswirkungen der Entscheidung könnten erheblicher sein, insbesondere was die Zurückhaltung von Ärzten angeht, Beschneidungen durchzuführen.

Zur Religionsfreiheit: Die individuelle Religionsfreiheit ist von der kollektiven zu unterscheiden. Dass die individuelle Religionsfreiheit der Eltern diesen eine Beschneidung des Kleinkindes erlaubt, ist m.E. zu verneinen. Anders könnte es sein, wenn man die kollektive Religionsfreiheit in die Abwägung einbezieht. Das ist wohl auch das Anliegen von Heiner Bielefeldt:

es geht auch um Glaubensgemeinschaft, es geht auch um rituelle Praxis.(...)

Die Religionsfreiheit, die Bedeutung, auch die identitätsstiftende Bedeutung von religiösen Symbolen, auch von solchen Riten, bei denen man im Einzelfall dann in der Tat genauer hinschauen muss, die kommt gar nicht vor im Urteil.

Das LG Köln hat zur kollektiven Religionsfreiheit als Abwägungskriterium nicht Stellung genommen. Jedoch müsste man dann argumentieren, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Individuums (nämlich das betr. Kind) zugunsten der Religionsgemeinschaft, namentlich deren  Interesse an der Fortführung ausgeübter Traditionen "zur Identitätsstiftung", zurücktreten müsse. Ein ebenfalls heikles Abwägungsergebnis. Auch Bielefeldt, der mehrfach betont, man müsse abwägen,führt diese Abwägung tatsächlich nicht durch und bleibt im Ungefähren, bei der Frage nach den Grenzen:

Die Grenzen für das Elternrecht liegen da, wenn es darum geht, Lebensmöglichkeiten von Kindern eindeutig und irreversibel zu strangulieren sozusagen. Und deshalb ist es ja sozusagen ein Thema, wo man hinschauen muss, ich sage ja nicht, dass es sozusagen absurd ist, überhaupt die Frage zu stellen. Mir scheint aber die Antwort falsch zu sein, nämlich eine Antwort, bei der im Urteil des Landgerichts Köln die Religionsfreiheit überhaupt nicht angemessen vorkommt.

 

zum Thema rituelle Handlung:

das, was ein religiöses Ritual auszeichnet, ist die Symbolik der Handlung. Es wird also eine Handlung (z.B. Waschung) vollzogen, die keine konkrete Bedeutung (mehr) hat (Körperpflege), sondern stellvertretend für eine andere Handlung ist bzw. eine symbolische Bedeutung bekommen hat (Befreiung von "Unreinheit").

Gerade weil die rituelle Handlung keinen konkreten Zweck hat (außer kollektiv identitätsstiftend zu sein), muss sie in einem Rechtsstaat der Prüfung unterzogen werden, ob sie keine individuellen Menschenrechte verletzt.

Mein Name schrieb:

zum Thema rituelle Handlung:

Gerade weil die rituelle Handlung keinen konkreten Zweck hat (außer kollektiv identitätsstiftend zu sein), muss sie in einem Rechtsstaat der Prüfung unterzogen werden, ob sie keine individuellen Menschenrechte verletzt.

Solche konkrete Zwecke liegen hier viele vor: Die Beschneidung dient u.a. der verbesserten Hygiene, der gesündere Lebensweise, der Verschonung der Frau vor Bakterien und Infektion in ihrem sensibelsten Bereich, dem Schutz vor schweren Krankheiten insbes. HIV, sowie ästhetischen Zwecken. Das sind konkrete Zwecke, die die Beschneidung verfolgt (die übrigens keine rituelle Handlung, vergleichbar mit einer Waschung, darstellt, da es sich hier nicht um eine wiederkehrende, festliche Handlung handelt, sondern um einen Akt der Reinheit, der einmalig stattfindet und dem körperlichen Wohl dient).

Damit müsste Ihrer Argumentation nach, die Beschneidung auch gar keiner PRüfung mehr unterzogen werden, weil sie ja gerade viele konkrete, sinnvolle Zwecke verfolgt!

 

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zum Thema individuelle und kollektive Religionsfreiheit:

1. individuelle Religionsfreiheit der Eltern, die über das Kind bestimmen und aus dem Wunsch nach Aufrechterhaltung einer (religiös begründeten) Tradition eine medizinisch nicht indizierte Körperverletzung an ihm begehen (lassen) möchten. Dem entgegen steht das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und körperliche Unversehrtheit. Wie diese Abwägung des LG Köln ausging, ist bekannt.

2. kollektive Religionsfreiheit: wer soll Berechtigter bzw. "Inhaber" dieser Freiheit sein? Die eingetragene Kirche bzw. anerkannte religiöse Gemeinschaft? Die Eltern jedenfalls nicht, diese können als Individuen nur ihre individuelle Religionsfreiheit geltend machen. Man müsste also für eine entsprechende Güterabwägung ermitteln, ob und auf welcher Rechtsgrundlage eine religiöse Gemeinschaft einen Anspruch haben kann, z.B. zur Wahrung ihrer Traditionen in das Leben und die Rechte ihrer Mitglieder, namentlich ihrer minderjährigen Mitglieder einzugreifen (vergleichbar mit dem Sorgerecht der Eltern). Mir ist aber keine religiöse Vorschrift bekannt, die auch nur annähernd einen solchen Anspruch begründen könnte, ein solcher Anspruch müsste außerdem - wenn er denn bestünde - einklagbar sein ("Hiermit verurteile ich N.N. zur Teilnahme am Abendmahl, da er Kirchenmitglied ist" ???).

Dem entgegen steht eindeutig Art. 136 (4) WRV, der iVm Art. 140 GG bestimmt: "Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen [...] gezwungen werden." Auch nicht durch die religiöse Gemeinschaft selbst.

Die kollektive Religionsfreiheit beschränkt sich also auf das Recht der religiösen Organisationen, ihre Bräuche und Riten selbst zu gestalten, aber immer unter der Maßgabe, dass sie "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" (Art. 137 (3) WRV) stattfinden.

Wer als "Hassprediger" zu illegalen Handlungen oder zu Unterstützung von terroristischen Organisationen aufruft, macht sich strafbar und kann sich nicht auf die kollektive oder individuelle Religionsfreiheit berufen (auch wenn der Jihad eine über tausend Jahre alte Tradition ist, die aus dem Koran begründbar ist). Genauso wenig kann aber ein Mitglied einer Religionsgemeinschaft unter Berufung auf eine kollektive oder die individuelle Religionsfreiheit verbotene oder die Grundrechte einschränkende Handlungen an einem Kind veranlassen, für das er nicht die elterliche Sorge trägt. Dies könnten nur die Eltern -> zurück zu Punkt 1.

Die Idee mit der Beschneidung bis zur Einwilligungsreife zu warten, mag bei Moslems funktionieren. Bei Juden aber nicht, denn die müssen am 8. Tag nach der Geburt beschnitten werden (3. Mose 12, 3). Das isr religiöse Kernpflicht und kulturelle Identität. Damit kommen wir in den Bereich von Art 97 GG.

Btw, es ist in einer Demokratie ja gerade Aufgabe der Grundrechte die Wertvorstellungen der Minderheiten vor denen der Mehrheit zu schützen.

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Khorne schrieb:
Die Idee mit der Beschneidung bis zur Einwilligungsreife zu warten, mag bei Moslems funktionieren. Bei Juden aber nicht, denn die müssen am 8. Tag nach der Geburt beschnitten werden (3. Mose 12, 3). Das isr religiöse Kernpflicht und kulturelle Identität. Damit kommen wir in den Bereich von Art 97 GG. Btw, es ist in einer Demokratie ja gerade Aufgabe der Grundrechte die Wertvorstellungen der Minderheiten vor denen der Mehrheit zu schützen.

sehr wahr. Damit wären wir bei der faktischen Unmöglichmachung von religiösen Kernpflichten und schließlich im Konfliktbereich des grundsätzlich Schrankenlos gewährleisteten Art. 4 I, II GG

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Uuuups, Zahlendreher. Es muss 79 statt 97 heißen.

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Bis zum Quälen und Verletzen von Kindern reicht die Religionsfreiheit jedoch keinesfalls.

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@ #90 Khorne: siehe #82, kollidierende Rechte. Das LG hat das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit iVm dem Recht auf gewaltfreie Erziehung (dazu gehört auch die religiöse Erziehung!) höher gewertet - ich finde, zu Recht.

@ Prof. Müller #87:

Eine unmittelbare rechtliche Wirkung lässt sich jedoch aus der BGH-Entscheidung XII ZB 166/03 vom 15. Dezember 2004 ableiten,  in der ebenfalls eine Abwägung zwischen den Grundrechten des Kindes und dem "Recht auf Tradition" vorgenommen wurde:

"Die danach vorzunehmende Abwägung zwischen dem Elternrecht der Mutter einerseits und dem Recht des Kindes auf Schutz seiner Menschenwürde und seiner körperlichen Unversehrtheit andererseits führe zu der Notwendigkeit der Entziehung des  Aufenthaltsbestimmungsrechts insoweit, als es um Reisen des Kindes nach Gambia oder um Aufenthalte dort gehe. [...] Auch der Respekt vor einer anderen Kultur rechtfertige keine abweichende Entscheidung. Die mit der Ausländereigenschaft von Mutter und Kind verbundenen Vorstellungen von Kultur, Tradition, Religion und Erziehung, denen grundsätzlich Bedeutung beizumessen sei, müssten zurücktreten, wenn die drohende Schädigung entsprechend der ordre-public-Klausel des Art. 6 EGBGB unter keinem Gesichtspunkt zu tolerieren sei.

Diese Ausführungen halten der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung stand. [...]

Dass die Beschneidung eines Mädchens als eine das Kindeswohl in ganz erheblicher Weise beeinträchtigende Behandlung zu beurteilen ist, hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Genitalverstümmelung um einen schweren Eingriff, der bleibende physische und psychische Schäden zur Folge hat. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff nicht - wie zumeist - unter unhaltbaren hygienischen Bedingungen, ohne Betäubung und mit grausamen Hilfsmitteln, wie Glasscherben oder Rasierklingen als Schneidewerkzeug, durchgeführt wird, sondern selbst wenn er nach allen Regeln ärztlichen Könnens erfolgt. Es bleibt ein radikaler Eingriff in die körperliche Integrität und psychische Befindlichkeit der Frau. Dabei verbietet sich eine Unterscheidung nach der Art der Verstümmelung  (Klitorisbeschneidung, Excision oder Infibulation), denn in allen Fällen liegt eine grausame, folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung vor."

Das LG Köln ist dieser Argumentation analog gefolgt. Eine Diskriminierung von Knaben gegenüber Mädchen ist nicht begründbar, der BGH hat grundsätzlich jede wesentlich irreversible Genitalverstümmelung verboten. Und dass es sich bei der Zirkumzision, bei der eine wesentliche erogene Zone entfernt wird, um einen gleichartig schwerwiegender Eingriff handelt, kann nicht ernsthaft bestritten werden.

 

Mein Name schrieb:

Das LG Köln ist dieser Argumentation analog gefolgt. Eine Diskriminierung von Knaben gegenüber Mädchen ist nicht begründbar, der BGH hat grundsätzlich jede wesentlich irreversible Genitalverstümmelung verboten. Und dass es sich bei der Zirkumzision, bei der eine wesentliche erogene Zone entfernt wird, um einen gleichartig schwerwiegender Eingriff handelt, kann nicht ernsthaft bestritten werden.

Falsch! Der BGH hat tatsächlich nur zur Beschneidung bei Mädchen Stellung genommen und diese zu Recht verboten.

Setzen Sie sich nochmals intensiver mit den Unterschieden zwischen der weiblichen männlichen  Physiognomie auseinander. Hier mit Diskriminierung zu argumentieren ist schlichtweg unwissenschaftlich und zeugt von mangelnder Biologiekenntnis! Da müssten Sie sich dann schon vor Gott beschweren, wenn Sie hier eine Ungleichbehandlung anprangern, denn das weibliche Wesen hat ein solches Geschlechtsorgan nicht, mithin erübrigt sich damit jegliches Gerede von Diskriminierung. Eine solche setzt schließlich schon die Ungleichbehandlung von wesentlich gleichem voraus. Das ist hier mE nicht der Fall !

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Ebenfalls interessant:

OLG Frankfurt vom 21.08.2007, 4 W 12/07

Leitsatz: Veranlasst der nicht sorgeberechtigter Vater ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter die Beschneidung eines noch nicht einwilligungsfähigen Kindes, so liegt darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Kindes, die schon wegen der Genugtuungsfunktion einen Schmerzensgeldanspruch des Kindes begründet.

Auszug:

"Die Beschneidung bewirkt eine körperliche Veränderung, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Sie kann, auch dann wenn sie keine gesundheitlichen Nachteile mit sich bringt, im Einzelfall für das kulturell-religiöse und das körperliche Selbstverständnis des Betroffenen von Bedeutung sein. Die Entscheidung darüber fällt deshalb in den Kernbereich des Rechtes einer Person, über sich und ihr Leben zu bestimmen."

In der Tat ein interessantes Urteil, wenn man es mal bis zu Ende ließt, dort heißt es nämlich weiter in Rn. 23:

"Die Beschneidung hat nämlich im Allgemeinen – anders als die verstümmelnde Beschneidung der Klitoris bei Frauen – für die Sexualität des Mannes keine Bedeutung (Art. „Beschneidung des Mannes“, in: Brockhaus Lexikon 2002). Zudem wird, wenn auch nicht unbestritten, in der Beschneidung ein hygienischer Vorteil gesehen (a.a.O.). Der Antragsteller müsste deshalb zumindest darlegen, worin gerade für ihn, das heißt nach seinen Wünschen, Vorlieben, Lebenseinstellungen, in der Beschneidung ein Leiden liegt. Auch soweit der Antragsteller „befürchtet“, wegen seiner Andersartigkeit von Gleichaltrigen verspottet zu werden, kann mangels Allgemeinkundigkeit einer solchen Gefahr in der Gesellschaft ohne eine konkrete Tatsachengrundlage nicht angenommen werden, dass diese Befürchtung auch begründet ist."

OLG Frankfurt vom 21.08.2007, 4 W 12/07

Eigentliches Problem des Falles war ein ganz anderes, nämlich der, dass der Vater ohne Einwillligung der sorgeberechtigten Mutter diesen EIngriff hat vornehmen lassen.

Um diese Punkte geht es schließlich, nämlich dass die Beschneidung an sich schon kein Akt der Gewalt ist, den es zu rechtfertigen gilt, sondern ein medizinisch indizierter Heileingriff ohne Schaden.

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