Richter sperrt Angeklagten zur Geständniserpressung (?) mal kurz in die Arrestzelle - Rechtsbeugung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 01.06.2012

Der Richter auf Probe hatte wohl die Faxen dicke. Da wollte doch der wegen § 183 StGB (nicht verteidigt) vor Gericht stehende einfach nicht einräumen, dass er vorsätzlich unzureichend bekleidet in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen war.

In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte (...) wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete.(becklink zur PM des BGH)

Schließlich zeigte er ihm die Instrumente des Rechtsstaats, auf "ungewöhnliche" Weise:

«Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann», und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden. Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.(becklink)

Der Richter wurde wegen  Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und Aussageerpressung (§ 343 StGB) angeklagt, vom LG Kassel jedoch freigesprochen. Zwar sei der Tatbestand der Aussageerpressung erfüllt, jedoch nicht derjenige der Rechtsbeugung, was bekanntermaßen das "Richterprivileg" der Sperrwirkung  auslöst. Die Begründung des LG Kassel: Der Richter sei davon ausgegangen, gegen den Strafbefehl sei nur wegen des Strafmaßes Einspruch eingelegt worden:

Das LG hat es zwar als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte den damaligen Beschuldigten durch sein prozessordnungswidriges Verhalten zu einem Geständnis habe zwingen wollen. Es hat aber angenommen, dies sei nicht mit der für den Rechtsbeugungsvorsatz erforderlichen Zielrichtung geschehen, dem Zeugen einen unrechtmäßigen prozessualen Nachteil zuzufügen. Denn der Angeklagte sei unwiderlegt davon ausgegangen, nur noch über die Rechtsfolgen der Tat entscheiden zu müssen. Für die Verurteilung sei es daher aus der Sicht des Angeklagten auf das Geständnis nicht mehr angekommen. Wegen der Sperrwirkung des § 339 StGB sei auch eine mögliche Aussageerpressung straflos.

Damit hat das LG m.E. eine kaum nachvollziehbare Argumentation bemüht, um den Richter aus welchen Gründen auch immer zu schützen; sie trifft aber m.E. weder objektiv noch subjektiv zu.

Objektiv: Natürlich spielt auch bei der Frage der Rechtsfolgen das Geständnis eine, in vielen Fällen sogar eine entscheidende Rolle. Aber hier ging es nach den Berichten auch darum, dass sich der (damals) Angeklagte auf eine ambulante Therapie einlassen sollte, die der Richter als angemessene Reaktion ansah.

Subjektiv: Wenn es nach Ansicht des Richters auf ein Geständnis (oder eine andere Erklärung, vgl. § 343 StGB) gar nicht mehr ankam, warum hat er dann überhaupt so gehandelt wie geschehen? Gerade sein extremes Verhalten zeigt, dass es ihm  auf ein Geständnis, Einsicht in seine Therapiebedürftigkeit oder auf andere rechtserhebliche Erklärungen des damals Angeklagten (Einwilligung in Therapie, Rechtsmittelverzicht) ankam.

Der BGH hat den Freispruch also ganz zutreffend aufgehoben (BGH 2 StR 610/11 Beschluss vom 31.05.2012), und weitere Aufklärung über die Motivik des Richters verlangt.

In der Taz berichtet Christian Rath (Auszug):

Richter R. hatte sich bei der Verhandlung in Karlsruhe gerechtfertigt, mit bestimmten Menschen müsse man auch mal „in einem anderen Ton sprechen“. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Fischer fragte empört nach: „Und wenn die Welt sich nicht verbessern lässt, dann geht man eben in den Keller?“ Proberichter R. wurde nach dem Vorfall nicht übernommen und arbeitet nicht mehr als Richter.

(Besten Dank an Blogleser "Mein Name" für den Hinweis auf diesen Fall und an PH für diesen Link, in dem sich Guido Kirchhoff unter Nennung von weiteren Hintergründen für den Proberichter einsetzt)

Hinweis auf die Blogdiskussionen bei Nebgen, und Vetter. Zum Teil wird in den dortigen Kommentaren die Ansicht vertreten, der jetzt angeklagte Richter habe zugunsten des damalig Beschuldigten gehandelt bzw. handeln wollen. Aus der Pressemitteilung des BGH geht dies allerdings nicht hervor.

Interessant auch dieser frühere Bericht der HNA - die Sichtweise der Staatsanwaltschaft wiedergebend:

Nach dem (freisprechenden) Urteil des LG Kassel sei Motiv des Richters gewesen, Fragen wegen der hohen Kosten des zuvor eingeholten psychiatrischen Gutachtens abzuwenden (Quelle). Die Kosten (angeblich 2700 Euro) habe der Verurteilte zu tragen gehabt.

 

Update (nach weiteren Recherchen): Nach einem früheren Bericht der taz lag der Strafbefehl bei 400 Euro. In seinem (unbeholfenen) Einspruchsschreiben habe sich der Betr. entschuldigt und um eine Herabsetzung der Strafe gebeten.

In einigen Stellungnahmen wird nun der Proberichter in Schutz genommen, er habe letztlich den damals Angeklagten mit einer bloßen Verwarnung und ambulanter Therapie tatsächlich besser davon kommen lassen. Allerdings bleiben dabei die Kosten des psychiatrischen Gutachtens unbeachtet, die mehr als das sechsfache der ursprünglichen Strafe betrugen. Wenn das zutrifft, wird man wohl kaum vertreten können, der Richter habe nur zugunsten des Angeklagten agiert.

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27 Kommentare

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Wenn der Zeuge die Tür nicht öffnen konnte, wenn auch nur für 20 Sekunden, warum hat man dann keinen 239 angeklagt? So ein Vaterunser kann man ja schnell beten...

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Dann sollten Sie, Herr Prof. Dr. Müller der guten Ordnung wegen auch folgendes berücksichtigen und thematisieren:

Der gesetzliche Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist ausschließlich der gemäß Art. 97 Abs. 2 GG planmäßig und entgültig angestellte Richter, welcher gemäß Art. 97 Abs. 1 Satz 1 GG als solcher unabhängig von Weisungen etc. ist.

Dieses Erfordernis erfüllt der Richter auf Probe nicht, da er nicht planmäßig und entgültig angestellt und weisungsgebunden ist. Weder die StPO noch das DRiG erlauben einen solchen Einsatz von Richtern auf Probe als Kammervorsitzende oder Einzelrichter in Strafsachen (vgl. auch § 29 DRiG), weshalb dieser kraft Gesetzes von einer solchen Entscheidung als Vorsitzender oder Einzelrichter ausgeschlossen ist. Der Richter auf Probe verletzte in o.a. Fall also das Grundrecht des Angeklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sowie auf den gesetztlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 14, 156 – Assessorenstrafkammern; Plath in Rechtsstaatsreport No.1/2012 – http://rechtsstaatsreport.de/id/41).

Die Entscheidung ist nichtig und der dortige Geschäftsverteilungsplan aus besagtem Jahr ebenfalls. Zur Pflicht des Anwalts siehe dazu auch § 1 Abs. 3 BORA: »Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten hat der Rechtsanwalt seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern.«

Der eigentliche Skandal ist, dass alle beteiligten Gerichte (inkl. BGH) diesem Umstand (bewusst?) keine Rechnung getragen haben und »hilfsweise« lieber die Rechtsbeugung als Tatvorwurf wählten.

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@Hanns Berger:

 

§ 29 DRiG? Die Norm mal selbst gelesen oder nur irgendwo etwas gelesen?

 

In § 29 Absatz 1 GVG ist auch nichts anderes aufgeführt. Die Norm bezieht sich auf Schöffengerichte und nicht auf den Strafrichter als Einzelrichter. Soweit im GVG ersichtlich, darf ein Einzelrichter nur in Insolvenzsachen, Betreuungssachen und Familiensachen nicht tätig werden. Und das auch nur im 1. Jahr.

 

Z.B. Schöffen sind auch nicth planmäßig und endgültig angestellt. Was ist mit denen?

 

Die anderen Sätze klingen auch eher nach googlen, kopieren, zusammensetzen, einfügen statt lesen, etc.

 

Es wird wohl - außer der natürlich naheligenden und wahrscheinlichen Möglichkeit des absichtlichen Verfassungsverstoßes bzw., noch besser, Menschrechtsverstoßes - seinen Grund haben, warum der BGH nicht darauf abgestellt hat.

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Sehr geehrter Herr Berger,

was Sie ansprechen, ist eine "andere Baustelle", die mit der hier besprochenen Entscheidung des BGH nichts zu tun hat: Im hiesigen Verfahren (dem gegen den Richter auf Probe) war kein Verstoß gegen Art. 101 GG in Betracht zu ziehen  Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wurde auch damals (im Verfahren gegen den urspr. Angeklagten) nicht gerügt. Es wurde auch keine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die ursprüngliche Entscheidung (die des Richters auf Probe) wurde vielmehr gar nicht angefochten und ist mittlerweile rechtskräftig.

Der BGH hatte sich hier nur mit den Revisionsgründen zu befassen, die die zu überprüfende  Entscheidung (Freispruch des Richters auf Probe) betrafen.

Ihr Thema ist sicherlich auch interessant, weil sich in der Tat fragen lässt, ob ein Richter auf Probe als Einzelrichter fungieren darf, aber es ist hier nicht mein Thema.

Es ist auch keineswegs ein Skandal, dass  diese Problematik im hier besprochenen Fall nicht thematisiert wurde. Ein Verstoß gegen den "gesetzlichen Richter" ist im Übrigen kein strafrechtlicher Tatbestand, der hier hätte stattdessen "gewählt" werden können.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

insoweit die gesetzlichen Grundlagen eine Entscheidung eines Richters auf Probe als Vorsitzender eines Spruchkörpers oder als Einzelrichter im Strafverfahrwen überhaupt nicht zulassen, hätte hier die Rechtsbeugung darauf abstellen müssen, dass rechtswidrig durch den nicht gesetzlichen Richter entschieden wurde. Auf Grund der unmittelbaren Verletzung der Grundrechte gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG ist hier auch nicht bis zur Erhebung einer Rüge zu warten, sondern der Zustand hätte von Amts wegen i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG sofort abgestellt werden müssen. Diese Rechtsbeugung betrifft hier also auch mittelbar den Präsidenten des Amtsgerichts sowie dessen Richterpräsidium. In der Folge hätte also keine Rechtsbeugung im vorliegenden Sinne zur Entlassung des Richrters führen dürfen, sondern die Rechtsbeugung durch Grundrechtsverletzung Gegenstand des Verfahrens  sein müssen.

Beste Grüße zurück,

Hans Berger

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Erstaunlich, dass der BGH einen Freispruch in Sachen Rechtsbeugung aufhebt.

Übrigens: in einem der bizarrsten Fälle in Sachen Rechtsbeugung hat die Urteilsaufhebung des BGH nach Zurückverweisung sogar zum Freispruch geführt. Hier ein besonderer Leckerbissen aus BGH 5 Str 555/09:

"Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerde-führer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äuße-rung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vor-sitzende!“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte „Hüt-tenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA S. 31). Die Ablehnungsgesuche wur-den am 11. April 2005 (UA S. 36) und 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen."

Nach Urteilsaufhebung ist es Pressemitteilungen zufolge im Dezember 2011 zu einem Freispruch gekommen.

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Sehr geehrter Herr Berger,

die ganz herrschende Meinung hält den Einsatz von Proberichtern als Einzelrichter in Strafsachen für rechtmäßig (§ 22 Abs. 5 GVG), auch für verfassungsgemäß. Man kann dazu durchaus anderer Auffassung sein, wenn man die nach Art. 101 GG geforderte richterliche Unabhängigkeit für  fundamental hält und deshalb § 22 Abs.5 GVG bzw. seine praktische Anwendung  für verfassungswidrig. Das BVerfG hat ja durchaus schon einmal signalisiert (allerdings nicht entscheidungstragend), dass es den Einsatz von Proberichtern eher nur als "Ausnahme" für tragbar hält (wegen der Notwendigkeit der Ausbildung). Wird man in einem Prozess von einem Proberichter als Einzelrichter verurteilt, könnte man Revision einlegen und wenn das nicht hilft, Verfassungsbeschwerde, um diese Sache konkret klären zu lassen. Auch wenn man beim BVerfG nicht durchdringt, kann man immer noch in Internetforen schreiben, die Praxis sei grundgesetzwidrig und die Urteile "nichtig" - das ist freie Meinungsäußerung.

Sie schreiben noch etwas anderes, m. E. neben der Sache und strafverfahrensrechtlich völlig verfehlt:

hätte hier die Rechtsbeugung darauf abstellen müssen, dass rechtswidrig durch den nicht gesetzlichen Richter entschieden wurde. Auf Grund der unmittelbaren Verletzung der Grundrechte gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG ist hier auch nicht bis zur Erhebung einer Rüge zu warten, sondern der Zustand hätte von Amts wegen i.S.d. Art. 1 Abs. 3 GG sofort abgestellt werden müssen. Diese Rechtsbeugung betrifft hier also auch mittelbar den Präsidenten des Amtsgerichts sowie dessen Richterpräsidium. In der Folge hätte also keine Rechtsbeugung im vorliegenden Sinne zur Entlassung des Richrters führen dürfen, sondern die Rechtsbeugung durch Grundrechtsverletzung Gegenstand des Verfahrens  sein müssen.

Ihre Rechtsansicht, der BGH könnte einfach in der Revision den Sachverhalt austauschen und die Rechtsbeugung in einen anderen Tatzusammenhang bringen, ist ziemlich abwegig. Es würde sogar eine Rechtsbeugung der BGH-Richter darstellen, wenn sie so etwas täten. Oder meinen Sie gar, der BGH müsse den Angeklagten austauschen? Schließlich kann der Richter auf Probe doch wohl nicht dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, dass man ihn der h. M. nach als Einzelrichter einsetzt. Nach Ihrer Meinung sollen statt seiner der Amtsgerichtspräsident oder das ganze Präsidium auf die Anklagebank? Also weil Herr Berger zu Art. 101 GG eine andere Auffassung vertritt, sollen jetzt alle Richterpräsidien in Deutschland wegen Rechtsbeugung verurteilt werden? Das hielte ich für absurd. Ich kenne keinen Juristen, der so etwas auch nur annähernd für rechtlich tragbar hielte.

Also bitte, zurück zum Thema. Hier geht es um die (evtl.) Rechtsbeugung, die dadurch begangen worden sein könnte, dass ein Richter den Angeklagten durch einen "Besuch" in einer Zelle während des Verfahrens unter Druck gesetzt hat. Dass es ein (möglicherweise überforderter) sozusagen noch in der Ausbildung befindlicher Proberichter war, kann man ihm durchaus zugute halten. Man könnte auch so argumentieren, wie es der BGH in anderen Rechtsbeugunsgfällen schon getan hat und den Verstoß des Proberichters für "nicht elementar" halten:

Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine "Beugung" des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 97/09 Tz. 10) BGH JW 2010, 3045; NStZ 2011, 52 (weitere Quelle)

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

Sie erlauben sicher eine entsprechende Antwort. Sie müssen sich dazu auch nicht mehr äußern.

Die ganz herrschende Meinung ist kein Gesetzgeber und auch sie unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, speziell den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Was sie für rechtmäßig und verfassungsgemäß hält - das ist freie Meinungsäußerung, jedoch kein Gesetz. Steht diese ganz herrschende (worüber eigentlich?) Meinung als Lehre dem Inhalt des Gesetzes (hier des Grundgesetzes) entgegen, so verlässt sie den Boden des Grundgesetzes gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG.

Die fundamentale richterliche Unabhängigkeit ist auch keine Auffassung, sondern grundgesetzliches Rechtsstaatsprinzip.
Davon auszugehen, dass sich das BVerfG zwar im Sinne meiner Ausführungen geäußert habe, aber eben nicht entscheidungstragend, demnach unerheblich, was, dem Inhalt der BVerfGE 14, 156 – Assessorenstrafkammern nach, mehr als bezweifelt werden darf, stellt demnach Ihre (herrschende?) Meinung dar.

Abschließend darauf abzustellen, der in seinen Grundrechten gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG gemäß Art. 1 Abs. 3 GG immer unzulässig Verletzte könne ja klagen, revisionieren oder mal vor dem Subsidiärgericht des BVerfG versuchen, den nicht gesetzlichen Richter Ministerialrat Dr. Hiegert von der Wichtigkeit seines Anliegens zu überzeugen oder, wenn der Rechtsstaat vollständig versagt, sein kleines und der ganz herrschenden Meinung entgegenstehendes Leid veröffentlichen (dann selbstverständlich querulatorisch, weil durch die »Rechtsprechung« entgegen den Gesetzen nicht bestätigt) und »immer noch in Internetforen schreiben, die Praxis sei grundgesetzwidrig und die Urteile nichtig«, ist angesichts des Gebots der Lehre zur Treue zur Verfassung mehr als unwürdig im Jahre 63 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes.

Ihr Kollege Prof. Dr. Gerhard Wolf hat es in seinem Aufsatz »Politische Justiz? - Rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit oder Willkürjustiz« in Jur. Zeitgeschichte NRW  Band 7 treffend auf den Punkt formuliert:   

»Der Gesetzesinhalt ist durch Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik festgelegt. Im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis vom Gesetzesinhalt abzugehen, ist – logisch zwingend – gesetzwidrig, unabhängig davon, ob man es “Analogie” oder “teleologische Auslegung” nennt. [...] Ein Richter, der vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwendet, weil er ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger hält, erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung.«

Zur »herrschenden Meinung« sagte Mahrenholz im Übrigen zutreffend, sie würde von Staatsrechtlern in Aufsätzen niedergeschrieben, welchen von anderen Staatsrechtlern widersprochen wird. Insofern halte ich mich dahingehend doch wohl eher an das Grundgesetz und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Hans Berger

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Hans Berger schrieb:

Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,

Sie erlauben sicher eine entsprechende Antwort. Sie müssen sich dazu auch nicht mehr äußern.

Die ganz herrschende Meinung ist kein Gesetzgeber und auch sie unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, speziell den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Was sie für rechtmäßig und verfassungsgemäß hält - das ist freie Meinungsäußerung, jedoch kein Gesetz. Steht diese ganz herrschende (worüber eigentlich?) Meinung als Lehre dem Inhalt des Gesetzes (hier des Grundgesetzes) entgegen, so verlässt sie den Boden des Grundgesetzes gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG.

Die fundamentale richterliche Unabhängigkeit ist auch keine Auffassung, sondern grundgesetzliches Rechtsstaatsprinzip.
Davon auszugehen, dass sich das BVerfG zwar im Sinne meiner Ausführungen geäußert habe, aber eben nicht entscheidungstragend, demnach unerheblich, was, dem Inhalt der BVerfGE 14, 156 – Assessorenstrafkammern nach, mehr als bezweifelt werden darf, stellt demnach Ihre (herrschende?) Meinung dar.

Abschließend darauf abzustellen, der in seinen Grundrechten gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG gemäß Art. 1 Abs. 3 GG immer unzulässig Verletzte könne ja klagen, revisionieren oder mal vor dem Subsidiärgericht des BVerfG versuchen, den nicht gesetzlichen Richter Ministerialrat Dr. Hiegert von der Wichtigkeit seines Anliegens zu überzeugen oder, wenn der Rechtsstaat vollständig versagt, sein kleines und der ganz herrschenden Meinung entgegenstehendes Leid veröffentlichen (dann selbstverständlich querulatorisch, weil durch die »Rechtsprechung« entgegen den Gesetzen nicht bestätigt) und »immer noch in Internetforen schreiben, die Praxis sei grundgesetzwidrig und die Urteile nichtig«, ist angesichts des Gebots der Lehre zur Treue zur Verfassung mehr als unwürdig im Jahre 63 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes.

Ihr Kollege Prof. Dr. Gerhard Wolf hat es in seinem Aufsatz »Politische Justiz? - Rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit oder Willkürjustiz« in Jur. Zeitgeschichte NRW  Band 7 treffend auf den Punkt formuliert:   

»Der Gesetzesinhalt ist durch Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik festgelegt. Im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis vom Gesetzesinhalt abzugehen, ist – logisch zwingend – gesetzwidrig, unabhängig davon, ob man es “Analogie” oder “teleologische Auslegung” nennt. [...] Ein Richter, der vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwendet, weil er ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger hält, erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung.«

Zur »herrschenden Meinung« sagte Mahrenholz im Übrigen zutreffend, sie würde von Staatsrechtlern in Aufsätzen niedergeschrieben, welchen von anderen Staatsrechtlern widersprochen wird. Insofern halte ich mich dahingehend doch wohl eher an das Grundgesetz und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Hans Berger

Betreff:

Ein Richter, der vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwendet, weil er ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger hält, erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung.«

Betrifft dies Staatsanwälte ebenso?

MfG

 

Fricke

 

 

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In dem bemerkenswerten Aufsatz »Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken?« erklärte der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsinformatik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Prof. Dr. Gerhard Wolff zum Begriff der Rechtsbeugung:

»Ein Richter, der vorsätzlich ein geltendes Gesetz nicht anwendet, weil er ein anderes Ergebnis für gerechter, für politisch opportuner oder aus anderen Gründen für zweckmäßiger hält, erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung.«

Rechtsbeugung ist in der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 339 StGB eine Straftat und liegt dem Gesetz nach vor, wenn »ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, (…) sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht.«

In Kurzform: Rechtsbeugung liegt vor, wenn das Recht schuldhaft gebeugt wird oder Rechtsbeugung ist die (schuldhafte) Beugung des Rechts oder Rechtsbeugung ist Rechtsbeugung.

Auffällig ist hier zunächst die gesetzlich verankerte Tautologie[1] und der so hervorstechende Mangel an Bestimmtheit bzw. der Ausformulierung von Tatbestandsmerkmalen, aus welchen hervorgeht, welche Bedingungen überhaupt erst erfüllt sein müssen, um von Rechtsbeugung auszugehen. Auf einen lebensnahen Umstand bezogen, wird hier erklärt: »Ein Schimmel ist ein Schimmel, wenn er ein Schimmel ist.«; anstatt die Merkmale festzulegen, welche einen Schimmel zu einem solchen machen, indem nämlich korrekt definiert wird: »Ein Schimmel ist ein weißes Pferd.«

Weiterhin kommt die Voraussetzung einer Schuld hinzu, deren Feststellung gemäß Art. 92 GG ausschließlich der Rechtsprechung zusteht. Das bedeutet zunächst, dass Rechtsbeugung erst dann vorliegt, wenn eine Schuld des Richters, anderen Amtsträgers oder eines Schiedsrichters gerichtlich festgestellt wurde. Da es dem Gesetzestext jedoch an jedem Tatbestandsmerkmal mangelt, kommt an dieser Stelle die so genannte freie Beweiswürdigung zum Tragen, nach der der Richter selbst entscheidet, was er als Beweis des Vorliegens einer Schuld und damit einer Rechtsbeugung zulässt und was nicht. Das bedeutet, dass aus der Nichtfeststellung einer diesbezüglichen Schuld auch keine Rechtsbeugung folgert, selbst wenn der Richter, Amtsträger oder Schiedsrichter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache durch Falsch- oder Nichtanwendung des Rechts zugunsten oder zum Nachteil einer Partei entschieden hat. Weiterhin kommt hinzu, dass der Straftatbestand zwar auf die Beugung des Rechts abstellt; eine Beugung – also Falsch- oder Nichtanwendung – der Gesetze selbst jedoch außer Acht lässt. Unter Beachtung der Tatsache, dass der Begriff Recht, z.B. beim so genannten Gewohnheitsrecht, nicht immer identisch mit dem Inhalt eines dem Recht grundsätzlich vorgehenden, weil kodifizierten bzw. (fest-)geschriebenen, Gesetzes ist.

Zu den Begriffen Gesetz und Recht Wernicke in Bonner Kommentar Erl. zu Art. 20 GG 3. e):

Schon aus der Reihenfolge der Nennung der beiden Einzelbegriffe »Gesetz und Recht« dürfte der Schluß zulässig sein, daß die Träger der beiden Einzelgewalten bei Ausübung der Gewalt zunächst und in erster Linie gesetzesgehorsam zu sein haben. Übereinstimmend damit deutet auch das im BGG. statuierte – auf Rechtssicherheit abzielende – Prinzip der Rechtsstaatlichkeit darauf hin, daß das »Monopol der Rechtsverbindlichkeit« gesetzten Rechts grundsätzlich aufrechterhalten bleiben soll. Das »Gesetz« wird insoweit grundsätzlich mit dem »Recht« identifiziert; es hat gewissermaßen die Vermutung für sich, zugleich »Recht« zu sein. Die Doppelung der Bindung in dem Gesamtbegriff »Gesetz und Recht« erweist aber die mangelnde Identität beider Einzelbegriffe und zeigt, daß beide – gelegentlich – miteinander in Widerspruch stehen können, daß also das »Gesetz« keineswegs zugleich »Recht« zu sein braucht. Erst in solchem Falle aber, wo deutlich erkennbar wird, daß das Gesetz nicht dem »Recht« entspricht, daß es diesem widerspricht (»rechtloses Gesetz«), entfaltet das »Recht« die ihm mit Halbs. 2 beigelegte bindende Kraft gegenüber den beiden Einzelgewalten (wegen der weiteren Konsequenzen vgl. z. B. Art. 100).

Nun mag der »juristisch durchschnittlich gebildete Laie« angesichts dessen mutmaßen, dass es sich dabei um vorkommen könnende sprachliche Ungenauigkeiten handelt, schließlich mach wir doch alle mal Fehler. Diese Ansicht ist unhaltbar, da Juristen lernen, die Sprache exakt zu verwenden, was jedoch nicht gleichbedeutend ist mit der Vorgabe, Begriffe ihrem inneren Wesen entsprechend auch zu verwenden. Das Gegenteil ist juristischer Alltag. Juristen lernen die Sprache zu vergewaltigen, was sich zum Einen darin äußert, dass sie z.B. ungehindert aus einem muss ein kann machen (können), und zum Anderen darin, dass sie sich nicht scheuen, Begriffe, deren Bedeutung sie nicht ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben in ihr Gegenteil uminterpretieren können, hier z.B. das Grundrecht, einfach ignorieren und der freien Beweiswürdigung der Kollegen anheimstellen; sie also zum Abschuss freigeben inklusive der davon betroffenen Opfer juristischer Willkür.

So kommt der Bundesgerichtshof (BGHSt 47, 105, 108 f. - Rechtsbeugung durch Verfahrensverzögerung) zu folgender »Ansicht«:

Leitsatz: Zögerliche Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb eines objektiv vertretbaren Zeitraums ist Rechtsbeugung, wenn der Richter mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt zum Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt.

Dem ist eigentlich nichts entgegenzusetzen, würde – in der deutschen Rechtsprechung nicht unüblich – diese Feststellung nicht im selben Urteil umgehend relativiert:

»Nach ständiger Rechtsprechung stellt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB dar. Nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege soll unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewußt und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Selbst die (bloße) Unvertretbarkeit einer Entscheidung begründet eine Rechtsbeugung nicht (st.Rspr.; vgl. nur BGH NJW 1997, 1455 m.w.N.).«

Im Kontext zu o.a. Leitsatz wäre demnach nun bereits die »Zögerliche Bearbeitung einer Rechtssache innerhalb eines objektiv vertretbaren Zeitraums« Rechtsbeugung, »wenn der Richter mit seiner Verfahrensweise aus sachfremden Erwägungen gezielt zum Vorteil oder Nachteil einer Partei handelt.«, weil sich dieser Amtsträger dann »bewußt und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt« hat.

In der deutschen Rechtswirklichkeit jedoch dient dieser Auszug seit dem Datum des o.a. Urteils am 4. September 2001 als unverzichtbarer Textbaustein in wahrscheinlich allen angezeigten Fällen von Rechtsbeugung, dem in »schönster« Regelmäßigkeit der – unbegründete und den Sachvortrag nicht zur Kenntnis nehmende – (meist staatsanwaltschaftliche) Hinweis folgt, dass nun gerade eine solch schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz (man bemerke hier anbei die Voransetzung des Begriffes Recht vor dem des Gesetzes in Verdrehung der gesetzlichen Vorschrift des Art. 20 Abs. 3 GG) im vorliegenden Fall nicht erkennbar war. Demzufolge boten die Ermittlungen nicht genügend Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage und werden aus diesem Grunde gemäß § 170 StPO eingestellt. Die dem Antragsteller gemäß § 171 StPO mitzuteilenden Gründe beschränken sich in der Regel auf die Feststellung, man habe nichts erkennen können. Blinde Justitia eben. Der Antragsteller kann sich jedoch in den meisten Fällen darüber freuen, dass seiner Strafanzeige keine des angezeigten Amtsträgers gegen ihn wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 StGB folgt. Dies ist nun jedoch kein wohlwollendes Entgegenkommen, sondern meist dem Willen des Amtsträgers geschuldet, den zur Anzeige geführt habenden Verdacht wegen Rechtsbeugung nicht doch noch gerichtlich überprüfen zu lassen.

Abschließend sei noch auf eine wichtige »Errungenschaft« deutscher Jurisprudenz hingewiesen, nämlich die so genannte Sperrwirkung des Straftatbestands der Rechtsbeugung, über welche der juristisch durchschnittlich gebildete Laie selbstverständlich niemals informiert wird, handelt es sich hierbei doch um eine Rechtserfindung, auch Rechtsfigur genannt, welche in keinem Gesetz zu finden ist, die aber einen entscheidenden Einfluss auf die »Beurteilung« des Vorwurfs der Rechtsbeugung durch die Strafermittlungsbehörden und Gerichte hat, und vor allem die Absicht hinter dem Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestands offenbart, sofern man sie kennt.

Diese Sperrwirkung ist einfach erklärt: Die erfolgte Rechtsbeugung ist meist mit anderen Straftatbeständen verknüpft, z.B. der Verletzung verschiedener Grundrechte – z.B. Freiheitsberaubung, Gesundheitsbeeinträchtigung durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs o.ä.. Erstattet ein so Verletzter nun Strafanzeige wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit anderen Straftaten, so werden – nach erfolgter Einstellung der Ermittlungen aufgrund des grandiosen Nichterkennenkönnens seitens der Strafermittlungsbehörden – alle damit in Verbindung stehenden Straftaten ebenfalls nicht verfolgt, denn sie gelten nur dann als erfüllt, wenn sie mit der Rechtsbeugung verbunden werden. Eine Bestrafung z.B. wegen Freiheitsberaubung ist also nur dann möglich, wenn der Richter oder Amtsträger zugleich wegen einer Rechtsbeugung bestraft wird. Ohne erkannte Rechtsbeugung bleiben demnach alle damit in Verbindung stehenden Straftaten straflos. Selbst Strafanzeigen ohne den Vorwurf der Rechtsbeugung, jedoch mit anderen Straftaten, werden zum Teil in eigener Fachkompetenz nicht verfolgt, da keine Rechtsbeugung erkennbar war.

Diese Sperrwirkung der Rechtsbeugung wurde – wie sollte es auch in Deutschland anders sein – von Juristen bzw. Richtern des BGH (BGH-Entscheidung 1 StR 56/56 vom 07.12.1956, BGHSt 10, 294; NJW 1957, 1158) zu damals § 336 StGB alter Fassung erfunden. Der Grund kann perfider nicht ausgedrückt werden: Zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtsprechung (woraus in der Folge die komplette Rechtspflege wurde); was hier heißen soll, zum Schutz rechtsbeugender Richter selbst. Nicht nur, dass sie ihrer eigenen Zunft damit für die Zukunft einen Persilschein ausstellten, diese Rechtsfigur wurde vor allem zum Zwecke der Rückwirkkung für ihre mordenden Kollegen zur Zeit des Nationalsozialismus erfunden:

»§ 336 StGB erfordert nach herrschender Meinung bestimmten, nicht nur bedingten Vorsatz (anders, soweit ersichtlich, nur Eb. Schmidt in Sonderveröff. ZJBI brit. Zone Nr 4/1948 S 55, 76). Diese Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Richters nach § 336 StGB bildet – ebenso wie die Begrenzung der bürgerlich-rechtlichen Haftung des Spruchrichters nach § 839 Abs 2 BGB – ein Teilstück in der Sicherung der Unabhängigkeit des Richters (vlg. BGH MDR a.a.O., ferner BGH 1 StR 198/53 vom 9. Juni 1953; von Weber in NJW 1950, Anm. S. 272 ff. zu OGHSt 2, 269). Soll aber dieser Zweck erreicht werden, so darf richterliche Tätigkeit im Rahmen des § 336 StGB zu einer Bestrafung auch aus anderen Gesetzesvorschriften (so den §§ 211, 212, 239 StGB) nur dann führen, wenn der Richter sich einer Rechtsbeugung nach § 336 StGB schuldig gemacht hat (vlg. Radbruch SJZ 1946, 105, 108; ihm folgend OLG Bamberg SJZ 1949, 491); denn wenn ein Richter wegen eines falschen Urteilsspruchs bei Feststellbarkeit nur bedingten Vorsatzes zwar von der Anklage der Rechtsbeugung freigesprochen, dagegen wegen Tötung oder Freiheitsberaubung verurteilt werden müßte, so wäre das durch § 336 erstrebte Ziel einer Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit nur unvollkommen erreicht.«

Worum ging es? Um die Freisprechung nationalsozialistischer »Rechtsprechung«, um einen Kollegen!

Aus dem Urteil:

Der Angeklagte S. hat als kommandierender General eines SS-Armeekorps im Jahre 1945 kurz vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im damaligen Kampfgebiet mehrere Standgerichte eingesetzt und zu Vorsitzenden teils den Angeklagten G., teils den Angeklagten O. bestellt. Der Angeklagte Sm. war in zwei Fällen als Beisitzer tätig. Die Standgerichte erkannten in den hier in Betracht kommenden Fällen gegen alle von ihnen abgeurteilten Personen auf die Todesstrafe. Der Angeklagte S. bestätigte als Gerichtsherr die Todesurteile und ordnete ihre Vollstreckung an. Die Verhandlung vor den Standgerichten unter dem Vorsitz des Angeklagten G. betraf in einem Falle einen fahnenflüchtigen Volkssturmmann, R., in einem anderen Falle den Bauern H., der mit anderen Bewohnern des Dorfes B. einen Panzerspähtrupp von Hitlerjungen auf einem Aufklärungsgang entwaffnet und verjagt hatte. Gegen H. hatte der Angeklagte G. schon zuvor eigenmächtig ein »Standgericht« abgehalten, bei dem er selbst den Vorsitz führte und zu dem er als Beisitzer außer einem ihn begleitenden Offizier den Ortsgruppenleiter W. des Dorfes B. berief. Auch dieses Verfahren hatte zur »Verurteilung« des H. zum Tode geführt, jedoch wurde die Entscheidung nicht verkündet. Der Ortsgruppenleiter W. weigerte sich, das »Urteil« zu unter schreiben, weil er es für zu hart hielt und weil es einen Bewohner seines eigenen Dorfes betraf. Deswegen wurde er vor einem unter der Mitwirkung der Angeklagten O. und Sm. tagenden Standgericht zur Rechenschaft gezogen. Zugleich verhandelte dieses Standgericht gegen den Bürgermeister Ga. des Dorfes B.; mit welcher Anschuldigung, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Beide, der Bürgermeister Ga. und der Ortsgruppenleiter W. wurden zum Tode verurteilt und erhängt. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, sie hätten willkürlich gegen das Recht gehandelt, insbesondere die Standgerichtsverfahren gesetzwidrig und nicht, um Unrecht zu sühnen, sondern zu dem Zwecke durchgeführt, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft durch Einschüchterung Andersdenkender zu verlängern. Die Anklage beschuldigt sie deshalb des Mordes in Tateinheit mit Rechtsbeugung. Das Schwurgericht hat sie mangels Beweises freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist verworfen worden, soweit sie sich auf das Standgerichtsverfahren gegen den fahnenflüchtigen R. bezieht. Im übrigen ist das Urteil aufgehoben worden.

Entscheidungsgründe

1. Rechtsbeugung (§ 336 StGB).

Eine Bestrafung der Angeklagten nach dieser Gesetzesvorschrift ist bereits aus Rechtsgründen nicht möglich.

In dem StGB-Kommentar von Lackner/Kühl (siehe 27. Auflage 2011, Seite 1580) wird diese Sperrwirkung wie folgt definiert:

»Der Tatbestand der Rechtsbeugung hat auch eine Schutzfunktion zugunsten des Richters. Dieser kann z.B. wegen Mordes, Freiheitsberaubung oder Verfolgung Unschuldiger, begangen durch richterliche Tätigkeit, nur bestraft werden, wenn § 339 StGB erfüllt ist (sog. Sperrwirkung BGHSt 10, 294 …)«

Es gab/gibt nur wenige Juristen, denen diese Art der Recht(s)sprechung mehr als suspekt war/ist und die sich dagegen (vergeblich) auflehn(t)en. Einer von ihnen war Fritz Bauer:

»Kein Mensch wird heute aus der Bewusstseinsspaltung der Juristen klug, in den Entnazifizierungsakten lesen wir, dass sie samt und sonders dagegen waren. Sollen aber Staatsanwälte und Richter wegen exzessiver Todesurteile zur Rechenschaft gezogen werden, so beteuern sie, damals in ungetrübter Übereinstimmung mit ihren Gewissen verfolgt und hingerichtet zu haben, womit nach herrschendem Justizrecht Rechtsbeugung und Totschlag entfallen.« Fritz Bauer (* 16. Juli 1903 in Stuttgart; † 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Richter und Staatsanwalt, der eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der Frankfurter Auschwitzprozesse spielte.

Dazu das folgende Bonmot höchster geistiger Verdunkelung eines ehemaligen Richters am Bundesgerichtshof:

»Geisteskrankheit des Richters ist kein absoluter Nichtigkeitsgrund. Sie macht die Entscheidung allenfalls unwirksam, wenn die Geisteskrankheit den Richter unfähig gemacht hat, die Vorgänge aufzunehmen und zu beurteilen, und diese Unfähigkeit als grundlegender Wirksamkeitsmangel (für die mit dem Richter zusammenwirkenden Personen) offen zutage tritt.« Lutz Meyer-Goßner (von 1983 bis 2001 Richter am Bundesgerichtshof), Strafprozessordnung, 53. Auflage 2010, Seite 25 (Einleitung, Rn. 106)

Den Schlusspunkt juristischer Raffinesse im Zusammenhang mit dem leerlaufenden Straftatbestand der Rechtsbeugung jedoch bildet die Tatsache, dass der § 339 StGB, welcher die hier behandelte Rechtsbeugung im Grunde unverfolgbar macht, bis 1943 den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs definierte, welcher durch die Nationalsozialisten aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde und wundersamerweise bis heute keinen erneuten Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden hat. Ein schelmischer Amtsträger, der angesichts dessen Arges tut?

Als Einzelstraftatbestand existiert der klassische Amtsmissbrauch in Deutschland nicht mehr. Die Vorschrift des § 339 StGB (alte Fassung) wurde als Amtsmissbrauch in das Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871, RGBl. S. 127, in Kraft getreten am 1. Januar 1872, aufgenommen. Er lautete (Abs. 1): „Ein Beamter, welcher durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben Jemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nöthigt, wird mit Gefängniß bestraft.“

Dieses Beamtendelikt wurde im Dritten Reich auf der Grundlage des Erlasses des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz[2] vom 20. August 1942 durch Art. 10 Buchst. b, Schlussvorschrift S. 1 der (Ersten) Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue (Strafrechtsangleichungsverordnung) vom 29. Mai 1943, Reichsgesetzblatt Teil I 1943 Nummer 57 vom 1. Juni 1943, Seite 339-341[3], zum 15. Juni 1943 von dem Reichsminister der Justiz Otto Georg Thierack ersatzlos aufgehoben; dort hieß es: „§ 339 des Reichsstrafgesetzbuchs wird gestrichen“.

Seitdem wurde der Amtsmissbrauch als Einzelstraftatbestand nicht wieder in das StGB aufgenommen.

[1] Tautologie (griech. ταυτολογία, »dasselbe Sagendes«;
[2] Erlass des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz vom 20. August 1942
[3] Reichsgesetzblatt Teil I 1943 Nummer 57 vom 1. Juni 1943, Seite 341

 

Quelle mit freundlicher Genehmigung: http://grundrechtepartei.de/Rechtsbeugung

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Auch Herr Prof. Müller begeht den gleichen "Fehler" wie Udo Vetter und stellt nicht heraus, dass die gesamten Feststellungen vom BGH aufgehoben wurden.

 

Ohne Sachverhalt keine Subsumtion.

1

@Voll mit Macht:

Ich beziehe mich auf die PM, die der BGH selbst verantwortet, die ersten drei Zitate stammen vom becklink, der auf der  Pressemitteilung beruht, die natürlich diskutiert werden kann (wozu sonst wird sie veröffentlicht?). Hier ein weiteres Zitat aus der PM:

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Senat hält die Beweiswürdigung des Landgerichts für nicht ausreichend. Das Landgericht hat sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte durch sein Verhalten auch die Einwilligung in eine Therapieauflage und den Rechtsmittelverzicht herbeiführen wollte. Auch hieraus konnten sich ebenfalls prozessuale Nachteile ergeben. Insoweit ist die Beweiswürdigung nicht erschöpfend und damit rechtsfehlerhaft.

Natürlich kann man abschließend erst Stellung nehmen, wenn auch die Gründe publiziert sind. Aber der objektiv festgestellte Sachverhalt wird von niemandem bestritten, der Proberichter selbst sagt jetzt, er habe einen Fehler gemacht. Die Aufhebung der Feststellungen  betrifft sachlich-inhaltlich die subjektive Tatseite, also die Frage, ob die (hohen) Anforderungen an den subj. Tatbestand der Rechtsbeugung nachweisbar erfüllt sind. Das LG meinte "Nein", der BGH hält dies für nicht überzeugend.

Worin genau sehen Sie meinen Fehler? Darin, dass hier überhaupt diskutiert wird?

 

 

Diskutieren ist kein Problem. Ich diskutiere gerne.

 

Wenn der BGH aber nun mal, wie hier geschehen, ein Urteil mit den Feststellungen aufhebt, sind die Feststellungen erstmal futschikato. Der Angeklagte könnte sich also in der nächsten Hauptverhandlung hinsetzen und nur einen Satz sagen: "Wir sagen hier heute mal gar nichts!"

 

Und schon geraten alle ins Schwimmen, die eine wie auch immer geartete innere Tatseite feststellen müssen.

 

Die gegenwärtige prozessuale Situation ist so, dass eben kein Sachverhalt objektiv festgestellt ist. Daran ändert es nichts, dass irgendwann irgendwer mal irgendwas gesagt hat. Was zählt, hat der BGH gesagt: Die Feststellungen sind aufgehoben. Also alles auf null und los von vorne.

 

Wenn dann mal irgendwann in 1,5 Jahren Feststellungen feststehen, kann man auch wieder in Ruhe über Rechtsfragen diskutieren.

1

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

wenn sie hier schon so intensiv den verfassungsrechtlichen Anspruch auf den gesetzlichen Richter mit Herrn Berger diskutieren, dann sollten Sie auch gleich den 2. Strafsenat des BGH sich einmal näher unter ie Lupe nehmen. Denn dort wird Recht "gebogen", wenn man dem Glauben schenken darf, was diese Richter so treiben (siehe: http://blog.delegibus.com/2012/05/20/wie-der-bgh-gegen-den-bgh-ermittelt/).

Vom "inquisitorischen" Umgang der BGH-Richter miteinander wird hier gesprochen, so dass sich die Frage stellt, ob der - nicht ordnungsgemäß besetzte - 2. Strafsenat selbst vielleicht einmal auf Rechtsbeugung hin durchleuchtet werden sollte.

 

Der Anspruch des - nicht gesetzlich eingesetzten - Proberichters auf einen gesetzlichen Richter ist durch den - nicht ordnungsgemäß besetzten - 2. Strafsenat verletzt worden, und nun?

 

Im Übrigen möchte ich Ihren Versuch der Rückkehr zur Sachlichkeit loben, da dies vielen Bloggern nicht vergleichbar gelingt!

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Danke allerseits  für Ihre Beiträge, hier meine Antworten:

 

@Voll mit Macht,

Sie schreiben:

Wenn der BGH aber nun mal, wie hier geschehen, ein Urteil mit den Feststellungen aufhebt, sind die Feststellungen erstmal futschikato. Der Angeklagte könnte sich also in der nächsten Hauptverhandlung hinsetzen und nur einen Satz sagen: "Wir sagen hier heute mal gar nichts!" Und schon geraten alle ins Schwimmen, die eine wie auch immer geartete innere Tatseite feststellen müssen. Die gegenwärtige prozessuale Situation ist so, dass eben kein Sachverhalt objektiv festgestellt ist. Daran ändert es nichts, dass irgendwann irgendwer mal irgendwas gesagt hat.

Natürlich kann sich in einer späteren Hauptverhandlung alles ganz anders darstellen. Offenbar verwechseln Sie aber eine Blogdiskussion mit einer Hauptverhandlung. Hier wird weder eine Beweisaufnahme durchgeführt noch ein Urteil gesprochen, sondern nur juristische Fragen anlässlich eines aktuellen in der Öffentlichkeit diskutierten Falles aufgeworfen und kommentiert - auf Grundlage des in der Pressemitteilung des BGH an die Öffentlichkeit vermittelten Sachverhalts.

Denken Sie mal: Ich kann hier sogar (wie es zum Beispiel in Lehrbüchern und Klausuren regelmäßig geschieht) ganz fiktive Sachverhalte juristisch subsumieren und diskutieren.

Noch einmal: Worin liegt der "Fehler"? Darin, dass hier "gewagt" wird, über nicht rechtskräftige Entscheidungen zu diskutieren?

 

 

Sehr geehrter Herr Berger,

ich habe doch durchaus Sympathie mit Ihrer strengen Auffassung der richterlichen Unabhängigkeit signalisiert. Und meine  Bezugnahme auf die "herrschenden Meinung" ist nur eine Beschreibung der Wirklichkeit, keineswegs hat die h. M. die Gerechtigkeit für sich gepachtet. Wenn Sie  meine Beiträge hier etwas verfolgen würden, wüssten Sie, dass ich überhaupt kein regelmäßiger Vertreter der h.M. bin. Sie verwechseln hier "Sein" mit "Sollen".

Es "ist" nunmal so, dass unser Gesetzgeber mit § 22 Abs. 5 GVG den Proberichter als Einzelrichter in Strafsachen zulässt und dies die meisten Juristen (bisher) als verfassungsgemäß ansehen. Eine Entscheidung des BVerfG zu DIESER Frage ist bisher nicht ergangen. Ich halte es durchaus für möglich, dass das BVerfG, vor diese Frage gestellt, § 22 Abs.5 GVG verfassungskonform einschränkt.

Aber wer so große Stücke auf unsere Verfassung legt wie Sie es tun, der sollte auch die rechtsstaatliche Verfahrensordnung akzeptieren, die das GG installiert hat. Die Beschwerde, etwas sei nicht verafssungsgemäß, kann hierzulande durch Rechtsmittel (insb. Revision)  und schließlich durch Verfassungsbeschwerde geführt werden. Wollen Sie denn tatsächllich etwas anderes vorschlagen, um einen gesetzlichen Richter durchzusetzen? Wenn ja, was? Mit dem Traktor ins Gericht fahren, wenn ein Proberichter als Einzelrichter tätig ist? Das ja wohl nicht.

Es gibt sicher viele Ungerechtigkeiten in unserem Lande, nicht wenige sind auch durch die Justiz zu verantworten. Aber die Ausschöpfung des Rechtsweges (bis hin zum BVerfG und EGMR) ist eben der Weg in einem Rechtsstaat. Und ansonsten bleibt uns, diese Fragen in Ausübung der freien Meinungsäußerung zu diskutieren, um der Politik einen Anstoß zu geben. Nichts anderes habe ich schon oben geschrieben.

Im HIER diskutierten Revisionsfall aber, dabei bleibe ich, war eine rechtliche Befassung mit dem Proberichter als gesetzlichem Richter durch den BGH, NICHT angezeigt.

 

 

@Gesetzliche Richter,

das Thema des 2. Senats wird hier im Blog an anderer Stelle diskutiert danke für Ihren Link auf de legibus. Ich gehe davon aus, dass Sie Verständnis dafür haben, dass man nicht ALLE relevanten Themen GLEICHZEITIG diskutieren muss.

 

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Das BVerfG fordert in der Entscheidung 2 BvR 628/60 gerade die gleichmäßige Verteilung von Proberichtern auf alle Gericht. Dazu gehören auch die Amtsgerichte in denen die Richter allein (abgesehen vom Schöffengericht mit zwei ehrenamtlichen Richtern) enscheiden. Somit ist der Einsatz von Proberichtern als Einzelrichtern geradezu verfassungsrechtlich geboten.

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Jurist schrieb:

Das BVerfG fordert in der Entscheidung 2 BvR 628/60 gerade die gleichmäßige Verteilung von Proberichtern auf alle Gericht. Dazu gehören auch die Amtsgerichte in denen die Richter allein (abgesehen vom Schöffengericht mit zwei ehrenamtlichen Richtern) enscheiden. Somit ist der Einsatz von Proberichtern als Einzelrichtern geradezu verfassungsrechtlich geboten.

Aber nicht als Vorsitzende von Spruchkörpern und als Einzelrichter - und verfassungsrechtlich, mangels entsprechender Ermächtigung, schon gar nicht.

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Zitat: »Wollen Sie denn tatsächllich etwas anderes vorschlagen, um einen gesetzlichen Richter durchzusetzen? Wenn ja, was?«

1. Die strikte Unterwerfung der Justiz unter das Grundgesetz und von Amts wegen die Unterlassung eines Einsatzes von Richtern auf Probe als Vorsitzende oder Einzelrichter auf Grund offensichtlich verfassungswidriger Einzelnormen oder gar ohne jede gesetzliche Grundlage, anstatt diese Sorge um Unterlassung dem in seinen Grundrechten unzulässig Verletzten kostenpflichtig aufzugeben. Schon die Kollision mit § 29 DRiG sollte hier, dem Verstoß gegen Art. 97 GG nachrangig, ausreichen, dass die Verwerfungskompetenz des Gerichts, notfalls die Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, zum Zuge kommt.

2. Weiterhin empfehle ich eine ordnungsgemäße Arbeit des Gesetzgebers im Jahre 63 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hinsichtlich der immer noch nicht dem Grundgesetz entsprechenden StPO - ich verweise hier nur auf die offenbare Problematik deren Unvereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, obwohl es seit 1950 kein sog. »vorkonstitutionelles Recht« mehr ist, was selbst Herr Voßkuhle, wie aus der Entscheidung im Jahre 2009 zu 2 BvR 902/06 ersichtlich, nicht interessiert. »Recht ist, was [...] nützt.« sollte unter der Herrschaft des Grundgesetzes aus der Mode sein.

3. Auch sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass der bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt in gewissen Fällen eröffnete Rechtsweg gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG (Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.) über keinerlei entsprechende Prozessgesetze verfügt, weshalb er nicht begehbar ist.

4. Darüber hinaus wäre es der Lehre angelegen, diese Problematiken bereits in der juristischen Ausbildung zu thematisieren und die zukünftigen Juristen darin zu sensibilisieren, sich souverän für das Grundgesetz und gegen eine dem entgegenstehende »Rechtswirklichkeit« einzusetzen.

In diesem Sinne, wünsche ich Ihnen ein schönes Restwochenende,

Hans Berger

4

Nur weil es von einem Kommentator kurz angesprochen wurde: Die "falsche" Besetzung des 2. Strafsenats beim BGH wurde vom BVerfG für verfassungsgemäß gehalten.

 

Bei manchen Kommentaren wundere ich mich, dass noch nicht vorgetragen wurde, die gesamten deutschen Gesetze seien eh nicht wirksam, da kein wirksamer Gesetzgeber, etc. Das kommt eigentlich sonst regelmäßig.

 

Wenn eine gleichmäßige Verteilung von Proberichtern auf "alle" Gerichte gerade bezweckt werden soll und daher auch Amtsgerichte darunter fallen, warum soll dann aus der Entscheidung herausgehen können, dass damit nicht der Vorsitz eines Spruchkörpers gemeint ist? Das ist doch der absolute Regelfall beim AG.

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TU schrieb:

Wenn eine gleichmäßige Verteilung von Proberichtern auf "alle" Gerichte gerade bezweckt werden soll und daher auch Amtsgerichte darunter fallen, warum soll dann aus der Entscheidung herausgehen können, dass damit nicht der Vorsitz eines Spruchkörpers gemeint ist? Das ist doch der absolute Regelfall beim AG.

In der BVerfG, 2 BvR 610/12 vom 23.5.2012, Absatz-Nr. 14, definierte das Bundesverfassungsgericht die richterliche Unabhängigkeit des hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richters im Sinne des Art. 97 GG als Abwehrrecht und somit als grundrechtsgleiches Recht bzw. Grundrecht:

Quote:
»Soweit dem Richter gestützt auf seine richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG ein Abwehrrecht gegen eine über- oder unterfordernde Einflussnahme bei der Zuweisung des Arbeitspensums eingeräumt wird, ist dieser Abwehranspruch von den subjektiven Gewährleistungen zugunsten des Rechtssuchenden aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu unterscheiden.¹«

Aus dem Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der speziellen Rechtsbindung der Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG und der allgemeinen Rechtsbindung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG folgert daraus auch ein abwehrrechtlicher, also grundrechtlicher Anspruch des Rechtssuchenden auf den unabhängigen, also hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter als gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Dahingehend ist festzuhalten, dass demzufolge kein nicht hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellter Richter (z.B. ein Richter auf Probe) als Vorsitzender eines Spruchkörpers oder als Einzelrichter das Grundrecht des Rechtssuchenden auf den gemäß Art. 97 GG unabhängig sein müssenden gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt.

Dies wird bestätigt durch Absatz-Nr. 19 Satz 2:

Quote:
»Auch wenn Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dem Rechtssuchenden die materielle Gewähr eines unabhängigen Richters bietet, macht ihn das nicht zum Interessenwalter des Richters und er kann nicht eine aus dessen Arbeitsbelastung abgeleitete Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit geltend machen.«

¹)  Zur Vermeidung des Irrtums, diese Aussage stünde der hier vorgelegten Schlussfolgerung entgegen, sei bemerkt, dass mit der »subjektiven Gewährleistung des Rechtssuchenden« im Zusammenhang mit der Entscheidung gemeint ist, dass eine Überbeanspruchung des unabhängigen Richters nicht automatisch zur Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter führt. Insoweit berührt die o.a. Unterscheidung nicht die hier getroffene Schlussfolgerung, wie Absatz-Nr. 16 darlegt: »Die Überbeanspruchung eines Richters führt jedoch grundsätzlich nicht zu einem Verstoß gegen den materiellen Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dem steht entgegen, dass eine dienstliche Überbelastung den Richter nicht dazu zwingt, ein überobligatorisches Arbeitspensum zu erfüllen.«

Quelle: http://rechtsstaatsreport.de/id/102

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Sehr geehrte/r TU,

die entscheidende Passage der von Ihnen zitierten BVerfG-Entscheidung von 1962 lautet:

Das Grundgesetz verbietet nicht, unumgänglichen Bedürfnissen der Rechtspflege durch Verwendung von Hilfsrichtern Rechnung zu tragen; es beschränkt aber ihre Verwendung auf das zwingend gebotene Maß. Aus dem Grundgesetz ist weder abzuleiten, daß jedenfalls ein Hilfsrichter beigezogen werden, noch, daß niemals mehr als ein Hilfsrichter an einer gerichtlichen Entscheidung mitwirken darf. Eine derart starre Begrenzung würde weder die Zuweisung von Hilfsrichtern an die Gerichtszweige, Gerichte, Kammern und Senate im gebotenen Maß beschränken, noch würde sie die Verschiedenheit und den Wechsel des Bedürfnisses zur Verwendung von Hilfsrichtern hinreichend berücksichtigen. Nach dem Gehalt der einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes ist vielmehr die Zahl der Hilfsrichter auf das unumgänglich gebotene Maß beschränkt, ihre möglichst gleichmäßige Verteilung auf Gerichte, Kammern und Senate und ihre gleichmäßige Beiziehung zur Mitwirkung an richterlichen Entscheidungen gefordert und schließlich dem Ermessen der Justizverwaltung bei Maßnahmen, die die Verteilung der Hilfsrichter mittelbar beeinflussen, eine Grenze gezogen. Weitere Folgerungen können aus dem Grundgesetz jedoch nicht abgeleitet werden. Die Mitwirkung eines oder mehrererHilfsrichter an der Entscheidung eines erkennenden Gerichts ist daher nur verfassungswidrig, wenn sie auf der Nichtbeachtung der genannten Schranken für die Verwendung von Hilfsrichtern beruht.(Quelle)

§ 22 Abs. 5 GVG ist die gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Proberichtern als Einzelrichter am Amtsgericht. Die Mehrheit der deutschen Juristen meint, im Zusammenhang mit dem "Ausnahmegebot" und "Verteilungsgebot" des BVerfG sei der Einsatz von Proberichtern als Einzelrichter in Ordnung. Herr Berger hält diese Norm und die darauf beruhende Praxis  für verfassungswidrig. Ich denke, die Ansicht Bergers ist vertretbar, diese ganze Frage ist aber (zutreffend) nicht Gegenstand dieses Strafverfahrens gegen den Proberichter.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Mangel am Straftatbestand des Amtsmissbrauchs (§ 339 StGB a.F.):

§ 339. (1) Ein Beamter, welcher durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben Jemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung widerrechtlich nöthigt, wird mit Gefängniß bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In den Fällen der §§ 106, 107, 167 und 253 tritt die daselbst angedrohte Strafe ein, wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder Drohung, aber durch Mißbrauch seiner Amtsgewalt oder Androhung eines bestimmten Mißbrauchs derselben begangen ist.

welcher durch Art. 10 Buchst. b, Schlussvorschrift S. 1 der Ersten Verordnung vom 29. Mai 1943, RGBl. I, S. 339 ff zum 15. Juni 1943 von dem Reichsminister der Justiz Dr. Thierack ersatzlos aufgehoben und bis heute nicht wieder eingeführt wurde?

 

 

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