Satire oder Urkundenfälschung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 24.05.2012

Diese Frage  wurde   zuletzt am LG Regensburg gestellt, eine Frage, die nicht nur regionale Bedeutung hat, sondern sogar verfassungsrechtliche Bezüge (Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit) aufweisen könnte.

Hier der Sachverhalt, siehe dazu auch die ausführliche Berichterstattung im Blog regensburg-digital:

Ein langjähriger Zeitungsausträger war der Auffassung, das Zeitungsaustragen werde zu gering bezahlt und die Arbeitsbedingungen seien insgesamt kritikwürdig. Nachdem übliche Beschwerdemöglichkeiten nicht gefruchtet hatten, bediente er sich des Mittels der „Kommunikationsguerilla“ (wikipedia Artikel ): Er druckte und vertrieb einige tausend Postkarten mit dem Emblem der Lokalzeitung, auf denen er im Stile eines Preisausschreibens die Frage stellte, ob die Zeitung lieber die Abopreise senken, der Zeitung weniger Prospekte beilegen oder den Zeitungsträgern einen gerechteren Lohn zahlen solle. Unter den Antworten würden Preise verlost, u.a. Fahrten im Heißluftballon. Die Postkarte sollte frankiert und an die Zeitung eingesandt werden. 35 Postkarten (von 5000) trudelten bei der Zeitung ein, deren Verlag sich per Strafanzeige wehrte: Die Staatsanwaltschaft klagte wegen Urkundenfälschung an und erreichte vor dem AG Regensburg auch eine Verurteilung zu 50 Tagessätzen. In der Berufung sah das LG Regensburg vergangene Woche die Sache nicht als so gravierend an und es wurde eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung von 300 Euro ausgehandelt.

Schade eigentlich, dass sich nun kein Urteil zur Besprechung findet, denn interessant ist es schon, ob dieser und ähnliche Fälle tatsächlich als Urkundenfälschung strafbar sind.

So wurden vor zwei Jahren Flugblätter eines „Bundesamts für Heimatschutz“ verbreitet, die anlässlich der Erhöhung einer angeblichen Terroralarm-Stufe Bürger einer Kleinstadt aufforderten, zuhause zu bleiben – es  erfolgte eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung (Quelle: Rhein-Zeitung)

Ein gängiger Einwand ist, es handele sich nur um  „Satire“ oder „Kunst“, nicht um Urkundenfälschung. Aber schließen sich die Begriffe wirklich aus? Dies lässt sich an den objektiven Merkmalen des § 267 StGB jedenfalls nicht festmachen - auch eine Satire kann die Form einer Urkundenfälschung haben. Je überzeugender die Nachahmung ist (und wer wollte den Effekt schon durch den Warnhinweis „Vorsicht Satire“ zunichtemachen?), desto eher ist auch § 267 StGB zumindest objektiv erfüllt.  

Der Einwand betrifft allerdings die subjektive Seite des § 267 StGB. Die Frage ist dann, ob es eine  beabsichtigte „Täuschung im Rechtsverkehr“ darstellt, wenn der Täter ein angeblich von einer Firma oder Behörde stammendes Phantasie-Dokument verbreitet, um etwa auf Missstände hinzuweisen oder schlicht seine Meinung kund zu tun. Im vorliegenden Fall wollte der Täter wohl hauptsächlich, dass sich die Leser seiner Postkarte „Gedanken“ machen, ob diese Postkarte von dem Verlag stammt bzw. was die Antwortmöglichkeiten bedeuten mögen - das ist noch kein rechtserhebliches Verhalten. Nur ganz wenige haben die Karte tatsächlich eingesandt.  Auch bei diesen (weniger als 1 %) fragt sich, ob sie wirklich am  Preisausschreiben teilnehmen wollten (= mögliches rechtserhebliches Verhalten) oder ob sie nicht vielmehr sich mit dem Ansinnen des „Täters“ solidarisieren wollten, um den Verlag zum Nachdenken zu bewegen. Auch dies könnte sehr wohl der eigentlichen Absicht des Täters entsprechen. Denn dass die Einsender sich wirklich einen Preis versprachen, wäre für seine Absicht (Hinweis auf Missstände) kaum relevant gewesen – auch nicht als Zwischenziel. Und ein bloßer dolus eventualis, den Rechtsverkehr mit Urkunden zu beeinträchtigen, genügt hier eben nicht.

In der Interpretation von „zur Täuschung im Rechtsverkehr“ versteckt sich dann auch die verfassungsrechtliche Frage – natürlich endet auch die Kunst- und Meinungsfreiheit da, wo das Rechtsgut „Rechtsverkehr mit Urkunden“ ernsthaft in Gefahr gerät. Aber ist diese Gefahr in solchen Fällen (ernsthaft) gegeben?

Was meinen die Leser? 

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8 Kommentare

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Es erscheint in der Tat zweifelhaft, ob dieses Verhalten strafbar nach § 267 Abs. 1 StGB sein kann. Eine Täuschungsabsicht nachzuweisen, dürfte schwerfallen. Die Täuschungsabsicht müsste doch wohl darauf gerichtet sein, bei den Empfängern den Irrtum zu erregen, der Verlag sei Urheber der dort gestellten Frage und wolle etwas verlosen. Ob das als "im Rechtsverkehr" gelten kann, erscheint fraglich, auch wenn man den Begriff weit auslegt. Verneint wurde es bspw. beim Zusenden beleidiger Postkarten unter falschem Namen, wenn Zweck die Beleidigung, nicht  die Täuschung über den Urheber war (s. T/F, 52. Auflage, § 267, Rn. 30). Daran erinnert der vorliegende Fall zumindest.

Die Frage stellt sich davor auch schon bei der Frage, für was die Postkarte denn als Beweis geeignet sein sollte. Nicht ausgefüllte Vordrucke werden nicht als Urkunde gesehen (s. T/F, 52. Auflage, § 267, Rn. 11). Als solche könnte man die Postkarte mit Ankreuzmöglichkeit sehen.

Eine zivilrechtliche Komponente mag hier eine Rolle spielen. Die Zeitung könnte sich Unterlassungsansprüchen ausgesetzt sehen, falls die Karten gegen den Willen der Empfänger verteilt wurden ("Bitte keine Werbung"). Diese Ansprüche würden gegen den Verlag geltend gemacht werden, der dadurch zumindest Risiken ausgesetzt wird. Darin könnte dann auch ein Grund für eine Täuschungsabsicht liegen. Darauf dürfte sich Vorsatz des vermutlich nicht zivilrechtlich vorgebildeten Täters aber wohl kaum bezogen haben.

Ich stimme Ihnen zu, dass es sehr bedauerlich ist, dass das Landgericht kein Urteil gefällt hat. Allerdings könnte für eine Besprechung auch die nicht rechtskräftig gewordene Entscheidung des Amtsgerichtes herhalten.

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Sehr geehrter Leser,

Sie schreiben:

Die Täuschungsabsicht müsste doch wohl darauf gerichtet sein, bei den Empfängern den Irrtum zu erregen, der Verlag sei Urheber der dort gestellten Frage und wolle etwas verlosen.

Ich denke, objektiv wird man der Postkarte zumindest die Eignung zu einer solchen Irrtumserregung beim Durchschnittsbürger zuschreiben können. Zumindest eine Irritation kann sie auslösen. Sonst wäre sie ja auch allzu schlecht gemacht. Ein solches Preisausschreiben könnte auch grds. "Rechtsverkehr" sein (anders bei bloßen Beleidigungen wie in dem von Ihnen genannten Beispiel).

Die Frage stellt sich davor auch schon bei der Frage, für was die Postkarte denn als Beweis geeignet sein sollte. Nicht ausgefüllte Vordrucke werden nicht als Urkunde gesehen (s. T/F, 52. Auflage, § 267, Rn. 11). Als solche könnte man die Postkarte mit Ankreuzmöglichkeit sehen.

Die Postkarte ist m. E. nicht zu behandeln wie ein bloßer Vordruck, sondern kann die Erklärung belegen, mit der die Zeitung eine solche Umfrage/ein solches Preisausschreiben durchführen will und Preise auslobt. Die Ansprüche  an das Merkmal "Beweiseignung" sind ohnehin sehr reduziert bei § 267 StGB

Daher bleibt es m. E. bei der Frage, ob der "Täter" hier ein rechtserhebliches Verhalten auslösen wollte, also "zur Täuschung im Rechtsverkehr" handelte.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Das sind schwierige Detailfragen. Andererseits mal abseits der konkreten Frage denke ich persönlich das nach Verurteilung wegen Brötchen und Freispüchen bei Millionensummen wir uns einfach weniger auf diese winzigen Fälle stürzen sollten sondern im großen Rahmen für Gerechtigkeit sorgen sollten. Den Falls dieses gefrusteten Zeitungsausträgers sollte man indiesem Kontext einfach als Satire abtun und vergessen...

4

Sehr geehrter Ökofan,

ich stimme Ihnen völlig zu, dass es sich hier um winzige Fälle handelt und andere Fälle weit mehr Resonanz verdient haben, jedoch: Die Entscheidung, das Verfahren nicht einzustellen, sondern den Beschuldigten strafrechtlich zu belangen, hat die Staatsanwaltschaft getroffen und damit praktisch auch in unserem Namen gesagt: Unsere Gesellschaft ist daran interessiert, solche Handlungen mit dem Schwert des Strafrechts zu unterbinden. Die Staatsanwaltschaft hat damit zugleich möglicherweise eine Winzigkeit zu einer größeren Sache gemacht, die man im Falle der Anklageerhebung und sogar Verurteilung nicht einfach "abtun" kann - was vielleicht die souveränste Reaktion gewesen wäre.

Und die Sache hat m.E. auch eine gewisse Bedeutung: Ähnlich wie die Frage, wann und wie ziviler Ungehorsam (z.B. Sitzblockade) strafbar ist, ist auch die Grenzlinie der Strafbarkeit bei Akten der "Kommunikationsguerilla" durchaus diskussionswürdig. Für Nichtjuristen - das gebe ich zu - mag die Detaildiskussion dann schon wieder "komisch" wirken.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Ihre Ansicht, dass der „Täter“ kein rechtserhebliches Verhalten auslösen wollte, ist sicher eine angemessene Lösung für den konkreten Fall. Hinzu kommt aus meiner Sicht, dass das Rechtsgeschäft gar nicht zustande kommen kann, weil die Zeitung ja weiß, dass sie keine Umfrage mit Preisen durchführt.

Die Postkarten können den Empfänger darüber Täuschen, dass die Zeitung eine Umfrage  und ein Preisausschreiben durchführt, das ist einleuchtend. Nach Ihrer Sicht muss der Vordruck aufgrund seiner Fähigkeit zu täuschen zur Urkunde  werden. Die Frage ist, was macht das Schriftstück zur Urkunde. Die bloße Täuschung könnte beispielsweise auch durch eine Lautsprecheransage also flüchtig erfolgen.

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Der Fall hat auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Kritik wird durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Handelt es sich um Satire, greift sogar der stärkere Schutz der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG ein. Dies ist bei den Beleidigungsdelikten viel diskutiert worden. Dort lassen sich verfassungsrechtliche Wertungen über den Rechtfertigungsgrund der berechtigten Interessen gemäß § 193 StGB in das Strafrecht integrieren. Diese Möglichkeit besteht bei der Urkundenfälschung nicht. Die vorstehenden Beiträge zeigen aber sehr schön, wie sich die Wertung, dass satirische Kritik grundsätzlich möglich sein muss, sachgerecht in die Prüfung des Tatbestands integrieren lässt.

Meinen Aspekt mit der Urkunde würde ich noch etwas erläutern wollen: Wesentliches Merkmal einer Urkunde ist, dass sie eine gewisse Beweiskraft hat. Was könnte mit der Postkarte bewiesen werden? Es ist wohl die Absicht der Zeitung, eine Umfrage mit Preisausschreiben zu veranstalten. Diese Absicht alleine ist aber nicht hinreichend für einen Rechtsverkehr. Ein weiterer notwendiger Schritt ist das Ausfüllen und Einsenden der Postkarte, wodurch der Vordruck ein Dokument bzw. eine Urkunde wird. Aber auch dadurch kann keine Rechtbeziehung zustande kommen, weil ja der Empfänger um die Fälschung weiß.

 

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Sehr geehrte/r Saalach,

bei der Frage, ob eine "Urkunde" vorliegt, d.h. ob deren Merkmale erfüllt sind, können aus sachlogischen Gründen nicht schon solche Argumente eine Rolle spielen, die die Unechtheit bzw. Fälschung betreffen. Dass hier eine Urkunde im strafrechtlichen Sinn gegeben ist, kann man daher nicht mit dem Argument verneinen, der (angebliche) Aussteller wolle ja gar kein Preisausschreiben veranstalten. Man muss die Postkarte vielmehr so betrachten, wie sie sich äußerlich darstellt - und da hat sie zumindest das Potential zu belegen, der Verlag wolle ein Preisausschreiben veranstalten bzw. erkläre dies als Aussteller. Auch wenn (üblicherweise) der "Rechtsweg ausgeschlossen" wird, hat ein Preisausschreiben auch eine gewisse Rechtserheblichkeit, die nicht erst dann gegeben ist, wenn die Postkarte ausgefüllt wird.

Ihr Argument, es könne selbst dann keine Rechtsbeziehung zustande kommen, wenn jemand die Postkarte ausfüllt, da ja  der Verlag eben kein Preisausschreiben veranstalten wollte, wird aber relevant im subjektiven Tatbestand. Der Täter wusste ja, dass keine solche Rechtsbeziehung entstehen konnte, daher scheitert m. E. auch "zur Täuschung im Rechtsverkehr".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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