BAG zum Verfall tariflichen Mehrurlaubs gem. § 26 TVöD

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 24.05.2012

 

Das BAG hat sich in einer Entscheidung vom 22.5.2012 (22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10, derzeit nur als Pressemitteilung) mit den Folgen der neueren Rechtsprechung des EuGH zum Urlaubsanspruch langfristig erkrankter Arbeitnehmer befasst. Damit sind insbesondere die Entscheidungen in den Rechtssachen Schultz-Hoff (NZA 2009, 135) und KHS/Schulte (NZA 2011, 1333) in Bezug genommen. Die Pressemitteilung beschreibt die Quintessenz dieser Entscheidungen aus der Sicht des BAG wie folgt: „Ist ein Arbeitnehmer fortdauernd arbeitsunfähig erkrankt, verfällt sein Mindesturlaubsanspruch entgegen § 7 Abs. 3 BUrlG aufgrund europarechtlicher Vorgaben nicht schon am 31. März des Folgejahres. Der von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleistete Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen darf nach der neueren Rechtsprechung des EuGH nicht vor Ablauf eines den Bezugszeitraum deutlich übersteigenden Zeitraums verfallen, wenn der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub nicht nehmen konnte.“ Die Rechtsprechung des EuGH wird allgemein so verstanden, dass von ihr nur der gesetzliche Mindesturlaub erfasst wird. Folgerichtig stellt das BAG fest: „Die Tarifvertragsparteien können hiervon abweichend Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen (Mehrurlaub), frei regeln.“ Die Schwierigkeit in der Praxis liegt u.a. darin, zu erkennen, ob dies geschehen ist, die Tarifparteien von ihrer Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben. Das ist, so das BAG, im Wege der Auslegung der maßgeblichen Tarifbestimmungen festzustellen. Besonders bedeutsam ist nun, wie das BAG den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in diesem Punkt auslegt. Der Kläger des entschiedenen Falles ist städtischer Angestellter. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der TVöD Anwendung. Laut § 26 Abs. 1 Satz 2 stehen ihm 30 Tage Urlaub zu und nach § 26 Abs. 2a TVöD verfällt Urlaub, den ein Mitarbeiter wegen Krankheit nicht im Übertragungszeitraum bis Ende März nehmen konnte, Ende Mai. Der Kläger war von Ende Juni 2007 bis Anfang Oktober 2009 arbeitsunfähig. Er machte für 2007 und 2008 noch jeweils 10 Tage tariflichen Mehrurlaub geltend, den er wegen Krankheit nicht bis Ende Mai nehmen konnte. Seine Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Das BAG konstatiert zwar, dass die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen, unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub von vier Wochen und dem tariflichen Mehrurlaub differenziert haben. Sie hätten sich jedoch mit der Regelung in § 26 Abs. 2 TVöD hinreichend deutlich vom gesetzlichen Fristenregime in § 7 Abs. 3 BUrlG gelöst, indem sie die Übertragung und den Verfall des Urlaubsanspruchs eigenständig geregelt haben. Dies hindere die Annahme eines „Gleichlaufs“ des gesetzlichen Mindesturlaubs und des tariflichen Mehrurlaubs und bewirke, dass der Mehrurlaub aus dem Jahr 2007 am 31. Mai 2008 und der Mehrurlaub aus dem Jahr 2008 am 31. Mai 2009 gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD verfallen sind.

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1 Kommentar

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stoffels schrieb:

Die Rechtsprechung des EuGH wird allgemein so verstanden, dass von ihr nur der gesetzliche Mindesturlaub erfasst wird.

 

M. E. ist das vom EuGH inzwischen auch ausdrücklich entschieden. Denn diese Frage stellte der frz. Kassationsgerichtshof und legte sie dem EuGH vor. Dessen Urteil in der Sache C-282/10 Dominguez vom 24.01.2012 lese ich so, dass der EuGH diese Frage mittlerweile expressis verbis bejaht: Nur der Mindesturlaub ist erfasst.

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