LAG Schleswig-Holstein zur Ablösung des BAT/TVöD durch einen Haustarifvertrag

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 25.04.2012

Seit 2007 streiten sich – mit unterschiedlichen Fallkonstellationen – viele Arbeitnehmer einer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern agierenden Krankenhausholding mit dieser um die Höhe des Weihnachtsgeldes. Dem Konzern gehören diverse unterschiedliche Klinikbetreiber als Tochtergesellschaften an, so auch die Arbeitgeber, über deren Zahlungspflicht jetzt das LAG Schleswig-Holstein zu entscheiden hatte.

Privatisierung ursprünglich kommunaler Krankenhäuser

Ursprünglich befanden sich viele der betroffenen Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft, auf die Arbeitsverhältnisse war der BAT anwendbar. Andere Krankenhausträger wandten den BAT kraft einzelvertraglicher Bezugnahme an. Den Arbeitnehmern wurden einheitlich die Sonderzuwendungen des öffentlichen Dienstes nach dem BAT, später dem TVöD, gezahlt. Die Anwendung des BAT ist auch in den Arbeitsverträgen der Klägerinnen und Kläger ausdrücklich vereinbart.

Haustarifvertrag des neuen Klinikträgers mit den Gewerkschaften

Im März 2007 schlossen die Gewerkschaften verdi und NGG mit der Krankenhausholding einen eigenen Sonderzuwendungstarif als Haustarifvertrag ab. Danach erhalten die Arbeitnehmer mit Wirkung ab 2007 für jedes Wirtschaftsjahr eine vom Betriebsergebnis abhängige Sonderzahlung auf Basis eines bestimmten Faktors. Für die Mitglieder der beiden genannten Gewerkschaften ergeben sich gegenüber den übrigen Arbeitnehmern jeweils höhere Faktoren. Die nicht gewerkschaftlich organisierten Klägerinnen und Kläger erhielten in Anwendung des Haustarifvertrages für die unterschiedlich eingeklagten Zeiträume 2007 bis 2009 teils weniger als die Hälfte desjenigen Weihnachtsgeldes, das sie nach dem BAT bzw. TVöD hätten beanspruchen können.

Differenzierte Urteile des LAG Schleswig-Holstein

Die auf Zahlung der Differenz gerichteten Klagen hatten sowohl in erster Instanz als auch vor dem LAG Schleswig-Holstein unterschiedlichen Erfolg:

  • Arbeitnehmer mit "Altverträgen", die vor der Schuldrechtsmodernisierung am 01.01.2002 abgeschlossen wurden, können nach Überzeugung des Landesarbeitsgerichts kein höheres Weihnachtsgeld beanspruchen. Die in den Arbeitsverträgen enthaltene Verweisung auf den BAT sei nach der langjährigen Rechtsprechung des BAG als „Gleichstellungsabrede“ auszulegen. Die Gleichstellung führe dazu, dass für die nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten nunmehr diejenigen (Haus-) Tarifverträge gelten, die auch für die Gewerkschaftsmitglieder Anwendung finden. Damit sei der BAT durch den Haustarif verdrängt worden. Die im Haustarifvertrag geregelte höhere Sonderzuwendung für Gewerkschaftsmitglieder stehe den nicht gewerkschaftlich organisierten Klägern nicht zu. Die tarifliche Besserstellung von bestimmten Gewerkschaftsmitgliedern sei zulässig (LAG Schleswig-Holstein, Urt. vom 11.10.2011 – 2 Sa 247/11; vom 21.03.2012 – 6 Sa 256/11 und vom 22.3.2012 – 4 Sa 244/11 und 4 Sa 255/11).
     
  • Demgegenüber hatten die Klagen der Arbeitnehmer mit nach dem 31.12.2001 abgeschlossenen "Neuverträgen" Erfolg. Infolge der Schuldrechtsmodernisierung seien diese Verträge eng am Wortlaut orientiert auszulegen. Zur Überzeugung des Gerichts konnten den Verträgen keine Anhaltspunkte entnommen werden, dass der in ihnen konkret genannte Tarifvertrag "BAT" durch spätere, an sich sachnähere Haustarife verdrängt werden sollte (LAG Schleswig-Holstein, Urt. vom 21.03.2012 – 3 Sa 230/11, 6 Sa 228/11 und 6 Sa 232/11).

In allen Rechtsstreitigkeiten ist die Revision zugelassen worden. In einem Verfahren ist bereits Revision zum BAG eingelegt worden. In den übrigen läuft die Rechtsmittelfrist noch.

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