Die drei ??? und der Turnschuh der Verena Becker

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.04.2012

Die Hauptverhandlung gegen Verena Becker (früherer Blog-Eintrag) wegen des dreifachen Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Georg Wurster und Wolfgang Göbel findet weiterhin statt. Zum Verfahren hat Kollege Prof. Dr. von Heintschel-Heinegg schon mehrfach hier im Blog Beiträge verfasst. Das allgemeine Medieninteresse hat deutlich nachgelassen (siehe aber die Berichterstattung von 3sat und Stern), aber man kann sich weiterhin bei Buback bloggt   und bei "Terrorismus in D"  relativ zeitnah über den Verlauf der Hauptverhandlung informieren.

Wegen der Tat wurden drei RAF-Angehörige (Klar, Folkerts, Mohnhaupt) verurteilt, von denen aber wohl keiner auf dem Motorrad saß, von dem aus die Tat begangen wurde.

Michael Buback, der Sohn des Opfers als Nebenkläger, ermittelt zusammen mit seiner Frau seit Jahren, um herauszufinden, welche Personen tatsächlich unmittelbar die Tat ausgeführt haben.

Auffällig ist, dass etliche Zeugen, die zunächst angaben, auf dem Sozius-Sitz des Motorrades habe eine Frau, jedenfalls eine zierliche Person, gesessen, später weder von Polizei noch von der Justiz angehört wurden. Das Ehepaar Buback hat Gründe für die Annahme, dass tatsächlich eine Frau auf dem Motorrad saß und sie vermuten, dass es sich bei dieser Frau um diejenige handelt, bei der – zusammen mit Günter Sonnenberg – wenige Wochen nach der Tat die bei der Tat benutzte Waffe gefunden wurde: Verena Becker. Ob diese Vermutung richtig ist oder nicht, zu dem Thema  kann ich nichts beitragen.

Nun ergab sich, wie Buback jetzt in seinem Blog berichtet, Ende März in der Hauptverhandlung, möglicherweise ein weiterer Hinweis, diesmal aus den Akten. Einer der Zeugen, die auf dem Motorrad eine Frau gesehen haben, hat damals den Ermittlern auch Anhaltspunkte gegeben, die zum Versteck des Motorrads führten – dort wo die Täter vom Motorrad in ihr PKW-Fluchtfahrzeug umgestiegen sind. In der Nähe des Fundorts, etwas abseits vom Weg,  entdeckten die ermittelnden Polizisten damals einen Schuhabdruck der Größe 40. In der nicht ganz fernliegenden Annahme, der Abdruck könnte von einem der Täter stammen, fertigten sie einen Gipsabdruck.

Die Auswertung dieses Abdrucks und auch der anstehende Vergleich mit den Schuhen von Tatverdächtigen, ging dann allerdings irgendwie „unter“; so dauerte es allein mehr als 1,5 Jahre (!) bis die Kriminaltechnik ermittelt hatte, dass es sich um einen Turnschuh der Größe 40 handele.

Es erfolgte offenbar kein Profil-Vergleich mit den von Frau Becker getragenen Schuhen (lt. Akten: Turnschuhe der Größe 40) nach deren Festnahme in Singen.

Ob eine solche Beweisführung jetzt noch möglich ist, steht in den Sternen: Ob der bei der Festnahme getragene Schuh (noch) bei den Asservaten ist, ist fraglich. Andere Schuhe der Angeklagten aus der damaligen Zeit sind wohl kaum mehr vorhanden.

Ausgerechnet der Bundesanwalt übernimmt (laut Bubacks Bericht) quasi die Verteidigung der Angeklagten: Die Täter hätten ja keinen Anlass gehabt, vom Weg abzuweichen, der Fußabdruck könne also von jedem anderen stammen. Offenbar will er damit die Relevanz der Spur (und eine sich andeutende  "Panne" der Ermittler) zur Seite wischen. Aber jeder Schüler, der die drei ??? kennt, weiß: Hätte man das mit dem Gipsabdruck gespeicherte Profil mit einem Schuh von Frau Becker in Einklang bringen können, wäre dies – ähnlich einem Fingerabdruck – ein Beweis dafür, dass Frau Becker am Motorradfundort war. Dass sie auf dem Motorrad saß und die Mordschützin gewesen ist, wäre dann kaum noch zweifelhaft. Das ist ja der Grund dafür, weshalb man Gipsabdrücke macht.

Michael Buback:

Wir sind ein weiteres Mal fassungslos, wie unzureichend ermittelt wurde. Der Zeuge, mit dessen Hilfe die Polizei das Motorrad im Brückenpfeiler fand, hatte zuvor ein Pärchen, Mann und Frau, auf dem Tatmotorrad gesehen. Eine Woche, nachdem der Gipsabdruck für die Schuhgröße “40″zur Kriminaltechnik beim BKA geschickt wird, werden Verena Becker und Günter Sonnenberg in Singen verhaftet. Sie haben die Karlsruher Tatwaffe und einen Suzuki-Schraubendreher bei sich. Verena Becker trägt Sportschuhe der Größe “40″. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass die Sohle der in Singen bei Verena Becker sichergestellten Schuhe nicht unmittelbar mit dem Gipsabdruck verglichen wurde. Meines Wissens ist das aber nicht geschehen. Geht es noch schlimmer? (Quelle)

Und das Argument, die Täter hätten keinen Anlass gehabt, sich ein paar Meter ins Gebüsch zu begeben auf dem Weg vom Motorrad zum Fluchtwagen, ist, wie das Ehepaar Buback bemerkt, auch nicht ganz so stark:

Meine Frau findet eine mir sehr einleuchtende Erklärung: “Auch Terroristen haben menschliche Bedürfnisse. Die vermutlich weibliche Person mit der Schuhgröße ’40′ist am Bachrand auf Toilette gegangen.”(Quelle)

Dass Verena Becker ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet hat, dafür spricht Vieles – insbesondere die relativ frühzeitige Begnadigung (unter Schwärzung eines Teils der Gründe dafür).

Wann aber diese Zusammenarbeit zwischen Becker und Geheimdienst begonnen hat und welcher Art sie war, bleibt in gesperrten Akten und Zeugenaussagen verborgen. Eine Aufklärung der Tatumstände wird unter diesen Bedingungen leider  immer unwahrscheinlicher.

 

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13 Kommentare

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Einmal mehr wird deutlich, wie schlampig und dilletantisch Ermittlungsbehörden und andere beteiligte Behörden in "Terrorismus-Straftaten" unterwegs sind (aktuell z.B. NSU - 10jährige Mordserie) und offensichtlich auch seit jeher waren. Zur Verschleierung der eigenen Unfähigkeit und um zugleich den Bürgern eine ständige Angst- und Bedrohungslage vorzugaukeln, werden Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, Fingerabdruckpflicht beim Reisepassantrag, Datenübermittlung von USA-Flugreisenden, flächendeckende Videoüberwachung, Rasterfahndung und andere freiheitsbeschränkende Maßnahmen beschlossen.

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@ Clint

Leider stellt sich inzwischen-speziell bei diesem Fall- doch vielmehr die Frage: Was ist Schlampigkeit und was ist die bewusste Zurückhaltung von Beweismitteln, Ergebnissen etc.?

 

Wenn man wie bei der NSU, man denke nur an das Wattestäbchen-Phantom zurück, schlampig arbeitet ist das schlimm. Wenn man sich aber zusätzlich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass ansonsten auch schön gemauschelt wird und keine rechtsstaatlichen Verfahren stattfinden, weil unter dem Deckmantel des Verfassungsschutzes, Geheim-Vermerken (siehe geschwärzte Gründe) etc. nichts mehr nach außen dringt und einer Kontrolle zugänglich gemacht wird, dann finde ich das eigentlich noch bedenklicher.

Ein Drittel der Arbeit wird schlampig erledigt und beim zweiten wird das Ergebnis "zurechtgebogen". Kontrolle oder ordentliche Aufarbeitung erfolgt in beiden Fällen nicht, aber dennoch werden diese Fälle als Rechtfertigung für teilweise erhebliche Einschränkungen von Rechten herangezogen. Selbst wenn sich dann mal etwas aufklärt, führt das nicht dazu, dass die verantwortlichen Stellen ihre Fehler eingestehen oder gar Konsequenzen ziehen.

 

Man denke nur an die Hysterie, die IM Friedrich nach den Autobränden in Berlin verbreitet hat (linksextreme Bedrohung)-peinlich. Nun gut, man darf von einem CSU-Mitglied keine geistigen Höhenflüge erwarten, aber es ist schon schlimm, was für Entscheidungsträger der Politik maßgeblichen Einfluss auf die Gesetze haben. Und da ein großer Teil der Politiker offenbar ähnlich denkt, haben wir natürlich ziemliche Probleme.

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Schuhgrößen können nicht genau anhand von Fußabdrücken ermittelt werden, denn viele Schuhhersteller benutzen die gleiche Sohle für Schuhe benachbarter Größen. Insofern scheint mir die Angabe, der Abdruck habe exakt die Schuhgröße 40 ergeben (und nicht z.B. 39-41), mit Vorsicht zu genießen zu sein.

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Sehr geehrter Herr Referendar,

natürlich ist die Schuhgröße für sich (es sei denn es handele sich um eine ganz außergewöhnliche große oder kleine) überhaupt kein Indiz für die Anwesenheit irgendeines bestimmten Menschen an einem bestimmten Ort. Ein Profilvergleich hätte aber  eine gute Beweismöglichkeit ergeben. Wenn nun Frau Becker eine ganz andere Größe hätte (zB nur 36), dann wäre diese Möglichkeit eines Indizes auszuschließen. Da sie aber nun gerade die "passende" Schuhgröße hat, erscheint ex post ein Profilvergleich als eine "ausgelassene" Beweismöglichkeit.

Vielleicht sind wir alle am 14. Mai klüger, denn Frau Becker hat soeben erklären lassen, dass sie sich zum Tatvorwurf äußern wird, Quelle.

 

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Michael Buback hat in seiner Blog-Berichterstattung beschrieben, wie die Fußabdruck-Sache in der Hauptverhandlung weiterging, ich zitiere Auszüge (vollständige Quelle)

Bundesanwalt Walter Hemberger erklärt, er habe dazu bereits gestern Ausführungen gemacht, die bei mir ungehört verhallt seien. Der von mir geschilderte Fluchtweg sei fernliegend. Er nennt einen anderen Weg, den die Terroristen, wie der Bundesanwalt behauptet, sicher gegangen seien, und es gebe sogar noch einen dritten Weg. Es mag viele Wege geben, antworte ich, aber es gehe hier um eine konkrete Fußspur, die in der Nähe des Weges liegt, den ich ohnehin als den für die Täter vorteilhaftesten ansehe. Da eine Fußspur sichergestellt wurde, muss sie mit den Schuhgrößen der uns genannten männlichen Tatverdächtigen verglichen worden sein. Bundesanwalt Hemberger gibt mir zu verstehen, er sehe seine Aufgabe nicht darin, für mich Akten durchzuschauen.

(...)

Bundesanwalt Hemberger erklärt, es sei klar, dass die Täter den breiten Fußweg unter der Autobahn hindurch in Richtung Schwimmbad gewählt hätten, um so zum Fluchtauto zu gelangen. Ich erwidere, die Täter seien mit dem Motorrad auch nicht auf der breiten Straße nach Wolfartsweier gefahren, sondern auf sehr versteckten Pfaden und am Schluss weitgehend durch Wald. Insofern sei davon auszugehen, dass sie auch den kurzen, besseren Sichtschutz bietenden Fußweg über die kleine Staumauer zum Alfa Romeo genommen haben.

(...)

Ich beharre darauf, dass ich zum Ende der Mittagspause wissen möchte, welche Schuhgröße die tatverdächtigen Männer haben und welche Erkenntnisse aus dem unabweisbaren Vergleich des Gipsabdrucks der Fußspur mit den in Singen sichergestellten Sportschuhen von Verena Becker gezogen wurden. Es zeigt sich, dass Bundesanwalt Hemberger, der sich stets hervorragend in den Akten auskennt, keine Fundstelle nennen kann.

(...)

An Bundesanwalt Hemberger gerichtet, erkläre ich noch: Wenn er nach 35 Jahren meine, eine Fußspur sei unerheblich, so sei dies seine persönliche Einschätzung. Dies ändere nichts daran, dass die Polizei die Spur damals ernst genommen und aufgenommen hat und die Fußspur somit zeitnah sorgfältig und nachvollziehbar zu bearbeiten war. Bundesanwalt Hemberger beharrt darauf, er sehe keine Veranlassung, Erhebungen zu den Schuhgrößen vorzunehmen. Mit einer Vehemenz, die mich beunruhigt, insistiert der Bundesanwalt darauf, dass die Fußspur unerheblich sei. Für Verena Becker ist es sicher günstig, dass die Ermittler und die Staatsanwälte eine Fußspur der Schuhgröße 40, die in der Nähe des Abstellplatzes des Tatmotorrads und des Ausgangspunktes der Flucht mit dem Alfa Romeo sichergestellt wurde, weder damals noch heute mit ihrer Schuhgröße 40 verknüpft haben.

Natürlich könnte die Fußspur auch von irgendjemand anderem stammen, einem Spaziergänger, Angler etc. Wenn es aber stimmt, dass der Bundesanwalt (!) in der Hauptverhandlung darauf beharrt, die Fußspur sei "unerheblich", dann scheint mir hier ein eklatanter Mangel an kriminalistischem Grundwissen vorzuliegen. Noch einmal: Wäre das Profil des Gipsabdrucks einer Fußspur  in der Nähe des Motorradfundorts übereinstimmend mit einem Schuh der Angeklagten, dann wäre dies ein sehr wichtiges Indiz, fast ein umittelbarer Beweis, dass sie auf dem Motorrad gesessen hat. Solange ein Vergleich nicht durchgeführt wurde, ist deshalb dieser Gipsabdruck erheblich. Wurde dies damals nicht geprüft und kann es wegen Zeitablaufs bzw. nicht mehr vorhandener Asservate heute auch nicht mehr nachgeholt werden, ist dies ein (möglicher) Beweisverlust durch ein schweres Versäumnis der Ermittler, die nach der Festnahme von Frau Becker auch ihre Kleidung untersucht haben müssen. Da bei ihr die Tatwaffe gefunden wurde, lag es ja auf der Hand, sie mit dem Buback-Mord in Verbindung zu bringen. Haben die damaligen Ermittler dies versäumt, ist Bundesanwalt Hemberger nicht dafür verantwortlich und er kann auch heute nichts mehr daran ändern, wenn die Asservate fehlen. Aber es irritiert schon, wenn ausgerechnet der Anklagevertreter sich so für die Angeklagte einsetzt.

Marcus Klöckner in Focus sieht das ähnlich (Auszug):

Doch die Bundesanwaltschaft möchte den Gipsabdruck nicht als Indiz dafür heranziehen, dass die Fußspur von der Angeklagten hinterlassen worden sein könnte. Laut Michael Buback hat Bundesanwalt Walter Hemberger die Fußspur als uninteressant bewertet, da es für die Täter keinen Anlass gegeben habe, die 10 bis 15 Meter hinunter zu dem Bach zu gehen, an dem die Fußspur gefunden wurde.Man muss kein Sprachwissenschaftler oder Hermeneut sein, um zu erkennen, dass diese Argumentation gelinde gesagt: sehr dünn ist. 35 Jahre lang hat ein ganzer Ermittlungsapparat es nicht vermocht herauszufinden, wer die tödlichen Schüsse auf Siegfried Buback und seine Begleiter abgefeuert hat. Aber offensichtlich scheint das Wissen des Chefanklägers so weit zu gehen, dass er den Weg der Attentäter nach der Tat auf den Meter genau kennt.

 

Im Folgenden gehe ich von der Grundannahme aus, dass Herr Hemberger über eine mindestens durchschnittliche Intelligenz und Reflexionsfähigkeit verfügt.

Dann ist es ihm bei einer solchen Argumentation offensichtlich gleichgültig, dass er dem Ansehen der Bundesanwaltschaft den gleichen Dienst erweist wie zu Guttenberg dem Renommée eines an der Universität Bayreuth erworbenen Dr. iur.

Der juristische Laie fragt sich gar, ob damit bereits die Schwelle zur Strafvereitelung im Amt überschritten wird und ob es dem Verfassungsschutz mit seinem Einfluss gelingen kann, diesen Prozess zu einem zweiten Fall Schmücker zu machen.

Als juristischem Laien, der sich wahrscheinlich zuviel mit Fehlurteilen beschäftigt hat, sage ich, dass das Grundproblem der "Gottkomplex" der Juristen, aber insbesondere der von Staatsanwälten und bestimmt der Bundesanwaltschaft ist. Sie haben recht, weil sie recht haben müssen und das um jeden Preis, weil ansonsten, ihrer Meinung nach,  die Rechtsordnung gefährdet ist.

 

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Mittlerweile hat Herr Buback von einem weiteren Verhandlungstag berichtet, an dem über die Turnschuhspur diskutiert wurde. Wenn man seinen Bericht liest, mag man kaum glauben, mit welcher Vehemenz sich  Bundesanwalt Hemberger dagegen sträubt einen Fehler der Ermittler einzuräumen und wie er gesunden Menschenverstand ignoriert.

Der Bundesanwalt meint, die Fußspur liege zu weit ab von dem Weg, den die Terroristen seiner Ansicht nach genommen haben und sie sei daher unerheblich. Michael Buback führt aber Gründe dafür an, weshalb die Täter sehr wohl den Weg genommen haben könnten, der nahe bei der gefundenen Spur vorbeiführt, offenbar im Einklang mit den Polizisten, die damals vor Ort ermittelten.

Im Folgenden zitiere ich Auszüge - den kompletten Text findet man bei Buback bloggt:

Der von Bundesanwalt Hemberger behauptete Weg würde zunächst etwa senkrecht von der Autobahn weg und somit auch vom Fluchtwagen weg in Richtung der Ortsbebauung führen und den Wetterbach bei einem Schwimmbad überqueren. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Täter diesen Weg genommen haben, da sie – wie ich anhand von Fotografien erläutere – beim Weitergehen zum Fluchtauto nahe bei der Landstraße und von dort voll einsehbar gewesen wären. Ich erwähne, dass ich am Vorabend ein zweites Mal in Begleitung eines seit Jahrzehnten mit der Gegend Vertrauten vor Ort gewesen sei. Trotz der inzwischen vorgenommenen baulichen Veränderungen hätten wir gemeinsam feststellen können, dass der von Bundesanwalt Hemberger bevorzugte Weg etwa 165 Schritte weit ist, während der bequem und unter Sichtschutz verlaufende Weg über das Stauwehr, den der mich begleitende Ortskundige oft mit seiner Tochter gegangen ist, nur etwa 65 Schritte weit ist. Nur wenige Schritte neben diesem wesentlich näheren, geschützteren Weg wurde die Fußspur entdeckt. Offensichtlich hat auch die Polizei diesen Weg über die Mauer des Stauwehrs als realistisch angesehen. Sonst hätte sie wohl nicht den angestauten Bach noch am Abend des Tattages ausgepumpt, um festzustellen, ob die Täter Gegenstände hineingeworfen haben. Auch hierzu hätten die Täter an den Bach treten müssen. Auf dem von Bundesanwalt Hemberger bevorzugten Weg wären die Täter nicht an dem gestauten Bach vorbeikommen.

...

Bundesanwalt Hemberger kämpft in der Verhandlung gegen den Fluchtweg an, der wenige Meter an der Fußspur vorbei führt. Er habe drei Wege aufgezeigt: den schnellsten Weg durch einen Gang im Brückenpfeiler, den bequemsten Weg über die Brücke beim Schwimmbad und den Weg über das Stauwehr. Dieser dritte Weg, der für meine Frau und mich, aber auch für den mich gestern begleitenden Ortskundigen der wahrscheinlichste ist, wird vom Bundesanwalt als der fernliegendste bezeichnet. Es erschreckt mich, dass Bundesanwalt Hemberger keinesfalls die Fußspur berücksichtigt sehen möchte. Da er keinen Zusammenhang zwischen der Fußspur und den Tätern sieht, will er hierzu auch nichts ermitteln. Wenn ich die Schuhgrößen männlicher Täter wissen wolle, so könne ich einen Beweisantrag stellen, meint er.

...

Trotz meiner Einwände sieht der Bundesanwalt keine Veranlassung, einen Vergleich der Fußspur mit Frau Beckers Schuhen durchzuführen. Der Vorsitzende unterbricht den Disput mit den Worten: “Wir kommen so nicht weiter.” Der Senat habe Abklärungen am Laufen. Wenn sie abgeschlossen sind, werde das Ergebnis mitgeteilt. Ich bitte noch darum, dass Bildmaterial zur Verfügung gestellt wird, aus dem man erkennen kann, in welcher Höhe über dem Bach die Terroristen aus dem Pfeiler gelangt wären, wenn sie den von Bundesanwalt Hemberger ins Spiel gebrachten Weg “durch den Pfeiler” genommen hätten. Sie hätten nach dem Passieren des Durchgangs im Pfeiler einen sehr steilen Abstieg vielleicht sogar durch Springen überwinden müssen, über große Beton- und Holzteile zum Bach hinunter klettern müssen und auf der Gegenseite wieder hinauf. Dies wäre zeitraubend und gefährlich gewesen und wohl niemand würde das tun, der in großer Eile ist und dem in wenigen Metern Entfernung der leichte Weg über eine Brückenmauer offensteht. Bundesanwalt Hemberger beharrt auf seinen Wegvarianten und erklärt, ich wolle das, was er gesagt habe, gar nicht annehmen. Ich erwidere, mir scheine das Umgekehrte der Fall zu sein, und frage den Bundesanwalt, ob er denn durch ein Bachbett gehe, wenn daneben eine Brücke sei.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der Hauptverhandlung nicht der Bundesanwalt sondern das Gericht darüber entscheidet, wie und welche Beweismittel einzuführen sind. Ob eine Beweiserhebung jetzt noch möglich ist, ist fraglich, denn man muss befürchen, dass die Schuhe, die Frau Becker in Singen bei ihrer Festrnahme bei sich hatte, damals nicht mit dem Gipsabdruck verglichen wurden und heute nicht mehr vorhanden sind. Aber auch ein solcher Beweisausfall würde, wäre er erst einmal dokumentiert, etwas bedeuten: Die Anstrengungen, mit denen man damals versucht hat, die unmittelbare Täterschaft beim Mord am Generalbundesanwalt und seiner Begleiter aufzuklären, waren - eigentlich unglaublich - offenbar überschaubar. Warum?

 

Michael Buback hat nach den bei Verena Becker nach ihrer Festnahme in Singen sichergestellten Sportschuhen gefragt, wobei er aus den Akten zitiert (Quelle- Buback bloggt):

1. Trifft es zu, dass der in Singen sichergestellte und im Asservatenverzeichnis des BKA vom 3. Mai 1977 (in Band Bd. 9) aufgeführte Posten: “1 Paar Sportschuhe Adidas” nicht mehr vorhanden ist?

2. Aus welcher Quelle stammen die vom BKA/TE dem Polizeipräsidenten in Essen mitgeteilten Angaben zu den von Verena Becker getragenen Kleidungsstücken (in Band B4): “1 Paar Sportschuhe, Marke Adidas, Farbe blau, mit roten Streifen und roter Fersenkappe, Größe 6 ½”. Weshalb steht diese ausführlichere Beschreibung nicht in dem unter Punkt 1 angesprochenen Asservatenverzeichnis in Band Bd. 9 und woher stammt sie?

3. Wie kommt es zu der dritten, wiederum abweichenden Beschreibung der Schuhe von Verena Becker in Band Bd. 13. Dort heißt es: “blaue Sportschuhe mit weißen an den Seiten hochgezogenen Sohlen und drei roten Streifen”. Eine Angabe der Schuhgröße wird hier nicht gegeben, während in einem internen Schreiben des BKA vom 14. Juli 1978 an die Abteilung TE 11 steht (in Band B8), für Verena Becker sei die Schuhgröße 40 ermittelt worden.

Blaue Adidas-Schuhe mit roten Streifen und roter Fersenkappe, das könnte so ein Exemplar (adidas Dublin) sein (Link zu highsnobiety) - allerdings wäre die Sohle nicht weiß,  hat jedoch eine ganz auffällige Sohlenstruktur. Mittels des Gipsabdrucks könnte sich also eine - relative - Übereinstimmung feststellen oder ausschließen lassen, selbst wenn der konkrete Schuh (und dessen Identitätsmerkmale, wie etwa Risse oder Abnutzungen) nicht mehr vorhanden ist. Aber ich schätze, auch der Gipsabdruck ist nicht mehr vorhanden....

 

   "Die Polizei bat die Kriminaltechnik (KT) um Beantwortung der Frage, ob aus der im

    Abdruck sichtbaren Zahl “40″ geschlossen werden könne, dass es sich um einen Schuh

    der Größe “40″ handelte """"22"

                                              (Buback bloggt Tag 81/2)

 

Den Bildern nach zu urteilen, hat der "Dublin" keine Größenangabe in der Sohle. Es könnte allerdings sein, daß dies ein Unterschied zwischen dem damaligen Original und der heutigen Neuauflage des Schuhs ist.

 

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Die Hauptverhandlung gegen Verena Becker neigt sich dem Ende zu - für kommende Woche sind Schlussvorträge vorgesehen.

Zu den Turnschuhen gibt Herr Buback in seinem Blog noch folgende Recherche-Ergebnisse des Gerichts wieder:

Der Vorsitzende spricht noch die Adidas-Sportschuhe an, die Verena Becker bei ihrer Verhaftung trug und die vernichtet wurden. Nachfragen bei der Firma Adidas hätten als ein Modell den Schuh Trimm-Trab ergeben, von dem auch Bilder vorliegen. Dieser Schuh hat eine weiße hochgezogene Sohle, die nicht zu den Schuhen passt, die auf den Singener Bildern der festgenommenen Verena Becker zu erkennen sind. Für das Modell “Dublin”, das damals in Jugoslawien hergestellt wurde, lägen bei Adidas keine Muster mehr vor. Der Senat sehe, so erfahren wir, keine Veranlassung, noch Weiteres zu unternehmen.

Hier nochmal die "Gegenüberstellung" der beiden erwähnten Schuhe nach Internet-Bildersuche:

Adidas Dublin (etwas nach unten scrollen)

Adidas Trimm Trab

Der wesentliche Unterschied ist demnach die Farbe der Sohle.

Dass Adidas keine Muster (auch keine Bilder?) mehr vom "Dublin" hat, ist schon erstaunlich, denn laut der oben verlinkten Website wurden diese Schuhe von Adidas 2008 erneut aufgelegt.

 

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